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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.11.2003
Aktenzeichen: 9 TG 2727/03
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 50 Abs. 2
AuslG § 50 Abs. 3 S. 3
AuslG § 70 Abs. 3 S. 1
Die Bezeichnung "Palästina" als Zielstaat einer Abschiebung widerspricht der Regelung des § 50 Abs. 1 AuslG.

Durch eine derartig fehlerhafte Zielstaatsbestimmung wird der Ausländer nicht in eigenem Recht verletzt.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9 TG 2727/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Schneider

am 14. November 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. September 2003 (Az.: 13 G 3911/03 <V>) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor dieser Entscheidung näher bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist auch im Übrigen zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das Prüfungsprogramm in diesem Rechtsmittelverfahren bestimmen, lassen sich keine Gesichtspunkte entnehmen, die die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung in Frage stellen könnten.

Das Verwaltungsgericht hat den erstinstanzlich gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegnerin vom 26. September 2002 wiederherzustellen, abgelehnt. Die in dieser Verfügung ausgesprochene Ablehnung der vom Antragsteller beantragten Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung habe nicht zum Erlöschen eines fiktiven Bleiberechts geführt. Ob das Verwaltungsgericht zu Unrecht - wie vom Antragsteller behauptet - davon abgesehen hat, den unstatthaften Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO umzudeuten, obwohl in der Antragsbegründung eine ausdrückliche dahingehende Bitte enthalten war, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren nunmehr ausdrücklich beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, ihn bis zur Entscheidung über seine Klage abzuschieben.

Auch dieser Antrag ist jedoch unbegründet.

Die nunmehr begehrte einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann nicht ergehen, da es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehlt. Für Ausländer, die sich nicht auf ein fiktives Bleiberecht nach § 69 AuslG berufen und deshalb einstweiligen Rechtsschutz nur nach § 123 VwGO erhalten können, ist die geforderte Ausreise grundsätzlich nicht im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Gefahr verbunden, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des geltend gemachten Aufenthaltsrechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ebenso wenig ist für diese Ausländer die Ausreise im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit wesentlichen Nachteilen verbunden. Durch den Ausschluss von dem fiktiven Bleiberecht nach § 69 AuslG hat der Gesetzgeber gerade zum Ausdruck gebracht, dass er den betreffenden Ausländern einen Aufenthalt im Bundesgebiet auch bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nicht ermöglichen wollte, so dass die geforderte Ausreise grundsätzlich nicht mit den in § 123 VwGO vorausgesetzten Erschwernissen verbunden sein kann (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 4. Februar 1997 - 13 TG 5077/96 -, m. w. N.).

Darüber hinaus fehlt es dem Antragsteller aber auch an einem sicherungsfähigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Er hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung in der Form einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AuslG glaubhaft gemacht.

Nach den vorgenannten Bestimmungen wird die Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltsbewilligung erteilt, wenn einem Ausländer der Aufenthalt nur für einen bestimmten, seiner Natur nach nur vorübergehenden Aufenthalt erfordernden Zweck erlaubt wird. Die Aufenthaltsbewilligung wird dem Aufenthaltszweck entsprechend befristet. Sie wird für längstens zwei Jahre erteilt und kann um jeweils längstens zwei Jahre nur verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zweitraum noch erreicht werden kann. Bei dem vom Antragsteller beabsichtigten Aufenthaltszweck des Abschlusses des Studiums der Ingenieur-Informatik an der Fachhochschule A-Stadt handelt es sich um einen typischen Fall eines im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 AuslG zweckspezifischen und seiner Natur nach nur vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet.

Ob der Aufenthaltszweck im Sinne der vorgenannten Bestimmung in einem angemessenen Zeitraum erreichbar ist, ist auf Grund einer zukunftsbezogenen Prognose zu bestimmen, die sich vor allem an den erkennbaren Bemühungen des Ausländers auszurichten hat, das Ziel seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen, so dass die Erwartung gerechtfertigt ist, dass er in absehbarer Zeit wieder in sein Heimatland zurückkehren wird. Dabei ist die behördliche Bewertung des Sachverhalts einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 19. Mai 2003 - 9 TG 1096/03 -, vom 29. Oktober 2002 - 9 TG 2080/02 - und vom 4. September 1991 - 13 TH 1983/91 -, EZAR 114 Nr. 2). Gemessen daran ist die behördliche Einschätzung, dass diese Prognose im Falle des Antragstellers nur zu seinem Nachteil ausfallen kann, nicht zu beanstanden.

Die die behördliche Praxis lenkenden einschlägigen Verwaltungsvorschriften gehen davon aus, dass ein ordnungsgemäßes Studium regelmäßig nur dann vorliegt, solange der Ausländer die durchschnittliche Studiendauer an der betreffenden Hochschule in dem jeweiligen Studiengang nicht um mehr als drei Semester überschreitet (Nr. 28.5.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz - AuslG-VwV -) Der Senat hat bereits entschieden, dass keine Bedenken bestehen, diese allgemein anerkannten Grundsätze auch im gerichtlichen Verfahren in Zusammenhang mit der Beurteilung der infrage stehenden Problematik als Orientierungshilfe heranzuziehen, wobei jedoch darauf hinzuweisen ist, dass es sich nicht um eine starre zeitliche Grenze handelt, die eine Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten - auch persönlicher Belange des Ausländers - von vornherein ausschließen würde (vgl. dazu auch Beschlüsse des Senats vom 15. Februar 2000 - 9 TZ 2823/99 - und vom 29. Oktober 2002 - 9 TG 2080/02 -). Die Berücksichtigung derartiger individueller Besonderheiten sieht im Übrigen auch Nr. 28.5.4.1 AuslG-VwV vor.

Den danach für den Regelfall vorgegebenen zeitlichen Rahmen für ein ordnungsgemäßes Studium des Fachs Ingenieur-Informatik überschreitet der Antragsteller erheblich. Die durchschnittliche Studiendauer beträgt nach den Angaben im angegriffenen Bescheid 10,6 Semester. Laut Bescheinigung der Fachhochschule A-Stadt vom 31. Oktober 2000 hat der Antragsteller im Wintersemester 1995/1996 mit dem Studiengang begonnen. Er studiert mithin derzeit im 16. Fachsemester, so dass nicht zu erwarten ist, dass es ihm in angemessener Zeit gelingen wird, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das von ihm begonnene Studium zum Abschluss zu bringen.

Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, die Überschreitung der Studiendauer sei auf eine Asthmaerkrankung zurückzuführen sowie auf den Umstand, dass er auf Grund der politischen Entwicklung des Nahostkonflikts und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Probleme von seinen Eltern ab Mitte der 90er Jahre nicht mehr so habe unterstützt werden können, wie dies ursprünglich vorgesehen gewesen sei, ist dieses Vorbringen derart unsubstantiiert, dass es eine vom Regelfall abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen vermag. Insbesondere ergibt sich aus der erstinstanzlich vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 10. Juni 2003 nicht, dass der Antragsteller auf Grund des Asthmaleidens nicht in der Lage gewesen ist, ordnungsgemäß zu studieren.

Eine einstweilige Anordnung kann auch nicht ergehen, um einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Duldung (§ 55 AuslG) zu sichern. Es fehlt insoweit bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, denn der Antragsteller hat ersichtlich bei der zuständigen Ausländerbehörde noch nicht um die Erteilung einer Duldung nachgesucht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 18. Oktober 1993 - 13 TH 57/93 - und 4. Februar 1997 - 13 TG 5077/96 -).

Selbst bei entsprechender Antragstellung fehlt es dem Antragsteller auch insoweit an einem sicherungsfähigen Anspruch. Gemäß § 55 Abs. 2 AuslG wird einem Ausländer nur dann und nur so lange eine Duldung erteilt, wie seine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder nach § 53 Abs. 6 AuslG oder § 54 AuslG ausgesetzt werden soll. Dass die Abschiebung des Antragstellers unmöglich ist, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung nach § 53 Abs. 6 AuslG oder § 54 AuslG ausgesetzt werden soll. Auch rechtliche Gründe, die einer Abschiebung des Antragstellers entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Schließlich sind auch keine dringenden humanitären oder persönlichen Gründe erkennbar, die eine vorübergehende Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet erfordern würden (§ 55 Abs. 3 AuslG). Selbst bei der Existenz derartiger Gründe müsste eine Duldung nur zwingend erteilt werden, wenn es sich dabei um die einzig rechtmäßige Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde handelte. Auch dafür ist nichts ersichtlich.

Dem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in der Verfügung vom 21. Mai 2003 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, muss ebenfalls der Erfolg versagt bleiben. Denn mangels einer Verletzung des Klägers in eigenen Rechten ist nicht zu erwarten, dass im Hauptsacheverfahren die Abschiebungsandrohung aufgehoben wird.

Der Senat teilt zwar in diesem Eilverfahren die vom Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung dargelegten Zweifel, dass in einer Abschiebungsandrohung Palästina nicht als Ziel einer Abschiebung benannt werden kann. Der Zielstaatsbestimmung "Palästina" steht bereits der Wortlaut der Bestimmung des § 50 Abs. 2 AuslG entgegen, wonach in der Abschiebungsandrohung der "Staat" zu bezeichnen ist, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Unter den Beteiligten ist unstreitig, dass ein Staat Palästina nicht existiert (vgl. insoweit auch VG Aachen, Urteil vom 1. März 2001 - 4 K 3022/99 -, InfAuslR 2001, 338).

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es als Zielstaatsbestimmung genüge, wenn ein räumlich klar abgrenzbares Gebiet bezeichnet werde, das selbst kein eigener Staat sein müsse, findet im Wortlaut des Gesetzes keine Grundlage. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt § 50 Abs. 2 AuslG eine Einschränkung auf Teilgebiete des Territoriums eines Zielstaats nicht zu (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 16. November 1999 - 9 C 4.99 -, InfAuslR 2000, 122 <124>).

Der Kläger wird aber durch diese fehlerhafte Zielstaatsbestimmung nicht in eigenen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, denn bei der Sollvorschrift des § 50 Abs. 2 AuslG handelt es sich lediglich um eine Vorgabe für das Handlungsprogramm der Behörde im Sinne einer Ordnungsvorschrift.

Dies leitet der Senat aus der Regelung des § 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG ab, nach der die Abschiebungsandrohung als solche bestehen bleibt, wenn in ihr rechtswidriger Weise ein Zielstaat benannt ist, in Bezug auf den zwingende Abschiebungshindernisse vorliegen. Mit dieser gesetzlichen Wertung stünde es nicht in Einklang, aus dem Fehlen einer nach § 50 Abs. 2 AuslG gebotenen Zielstaatsbezeichnung auf die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insgesamt zu schließen (so auch vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Stand September 1999, § 50 Rn. 23; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Mai 2003, § 50 AuslG Rn. 14 c; in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343; a. A. Hess. VGH, Beschluss vom 20. Oktober 1993 - 12 TH 1303/93 -, EZAR 044 Nr. 6). Entsprechendes muss nach Auffassung des Senats auch für den Fall gelten, dass entgegen dem Wortlaut des § 50 Abs. 2 AuslG als Ziel der Abschiebung nicht ein Staat, sondern ein Gebiet bezeichnet wird, das keine Staat ist.

Die Abschiebungsandrohung wäre im Klageverfahren auch nicht insoweit aufzuheben, als die Antragsgegnerin "Palästina" als Abschiebeziel benannt hat. Dies gilt selbst in Ansehung der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 AuslG. Danach bleiben nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor Eintritt der Unanfechtbarkeit eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände können unberücksichtigt bleiben. Denn sowohl die (formelle) Präklusion nach § 70 Abs. 3 AuslG als auch der allgemein aus der Bestandskraft eines Verwaltungsakts folgende Ausschluss von Einwendungen setzt eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Bezeichnung eines konkreten Zielstaates in der Abschiebungsandrohung voraus (so BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343). Dem wird die Bezeichnung "Palästina" nicht gerecht. Ebenso wie in den Fällen, in denen eine Zielstaatsbestimmung gänzlich unterbleibt oder unspezifiziert der "Herkunftsstaat" als Ziel bezeichnet wird, ist auch im Falle der Angabe eines Gebiets, das kein Staat ist, dem Ausländer vor der Abschiebung der Zielstaat bekannt zu gegeben, um ihm dadurch zu ermöglichen, seine zielstaatsbezogenen Einwendungen erforderlichenfalls gerichtlich geltend machen können (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. November 1999 - BVerwG 9 C 4.99 -, BVerwGE 110, 74 <80 f.>).

Da der Antragsteller mit seinem Rechtsmittel erfolglos bleibt, hat er die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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