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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.01.2001
Aktenzeichen: 9 TG 3767/00
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 17 Abs. 1
Lebt der Ausländer mit seinem Ehepartner in häuslicher Gemeinschaft zusammen, kann das Vorliegen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne von § 17 Abs. 1 AuslG unter dem Gesichtspunkt einer dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG nicht unterliegende Scheinehe nicht allein mit der Begründung verneint werden, diese Lebensgemeinschaft sei nur deshalb aufgenommen worden oder werde nur deshalb geführt, um dem Ausländer aufenthaltsrechtliche Vorteile zu verschaffen.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9 TG 3767/00

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Igstadt, Richter am Hess. VGH Dr. Fischer

am 19. Januar 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14. Juni 2000 (Az.: 7 G 163/00) mit Ausnahme der Entscheidung über den Streitwert abgeändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Landrats des Wetteraukreises vom 9. Dezember 1999 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Beschwerde hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

Die von dem Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg und führt unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses in dem aus dem Tenor der vorliegenden Entscheidung ersichtlichen Umfang zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Ausländerbehörde des Wetteraukreises vom 9. Dezember 1999, mit der Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt und mit der er für den Fall einer nicht freiwilligen Ausreise bis zum 15. Februar 2000 unter Androhung der Abschiebung in sein Heimatland zur Ausreise aufgefordert worden war.

Ob die vorgenannte ausländerbehördliche Verfügung in dem Verfahren zur Hauptsache Bestand haben wird, erscheint auf der Grundlage des derzeit ersichtlichen Sachverhaltes fraglich, ohne dass bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen überschlägigen Überprüfung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bereits abschließend beurteilt werden könnte. Im Hinblick darauf, dass nach augenblicklichem Sach- und Streitstand ein Erfolg des Widerspruchs des Antragstellers wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg und mit Rücksicht auf die für den Antragsteller und seine Familie im Falle der Vollstreckung der Verfügung eintretenden Folgen ist bei Abwägung der sich gegenüber stehenden privaten und öffentlichen Belangen dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung der Vorrang einzuräumen.

Nach derzeitigem Sachstand spricht Vieles dafür, dass die ablehnende Entscheidung der Ausländerbehörde des Wetteraukreises im Widerspruchsverfahren aufgehoben und der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinen Kindern im Bundesgebiet erhalten wird. Es bedarf hierbei keiner näheren Erörterung, ob es sich bei dieser Entscheidung um eine Verlängerung der dem Antragsteller zuletzt bis zum 16. Januar 1998 geltenden Aufenthaltserlaubnis oder um die (Neu-)erteilung einer Aufenthaltserlaubnis handelt. Für Letzteres könnte sprechen, dass dem Antragsteller die Aufenthaltserlaubnis bis zu dem vorgenannten Datum nicht mehr auf der Grundlage des ursprünglichen Aufenthaltszwecks - Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft - gemäß § 18 Abs. 4 AuslG, sondern wegen der zwischenzeitlichen Trennung von seiner Ehefrau auf der Grundlage eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 19 AuslG verlängert worden war. Diese Zweifelsfrage bedarf keiner Beantwortung, da die - insoweit identischen - gesetzlichen Voraussetzungen sowohl für eine Verlängerung wie für eine Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis sämtlich erfüllt sind.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz in ihrem Beschluss steht der Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zunächst nicht das Fehlen der - gemäß § 18 Abs. 1, 17 Abs. 1 AuslG bzw. §§ 13 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 4 AuslG erforderlichen - familiären Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seiner Ehefrau entgegen.

Es entspricht allgemein anerkannter Rechtsauffassung, dass es für das Vorliegen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne von § 17 Abs. 1 AuslG in der Form der ehelichen Lebensgemeinschaft erforderlich ist, aber auch ausreicht, dass die Ehepartner in häuslicher Gemeinschaft oder zumindest an einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt in der Weise zusammenleben, dass zwischen ihnen eine wie auch immer geartete, auf gegenseitiger Verbundenheit und Achtung beruhende Partnerschaft oder persönliche Beziehung besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.05.1995 - BVerwG 1 C 3.94 -, BVerwGE 98, 298; Hamburgisches OVG, Urteil vom 23.11.1990 - OVG Bf IV 114/89 -, InfAuslR 1991, 343). Eine eheliche Lebensgemeinschaft ist dem gegenüber nicht oder nicht mehr gegeben, wenn der Ausländer und sein Ehegatte die mit dem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft oder an einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt verbundenen engen persönlichen Beziehungen tatsächlich nicht eingehen wollen, sondern die Ehe lediglich "pro forma" deshalb geschlossen haben, um dem Ausländer ein anders nicht zu erhaltendes Aufenthaltsrecht zu verschaffen (sog. Scheinehe). Gleiches gilt, wenn sich das Ehepaar nach längerem oder kürzerem Zusammenleben ohne begründete Aussicht auf baldige Versöhnung getrennt hat, jedoch nach außen hin den Schein einer intakten ehelichen Gemeinschaft aufrecht erhält, um für den lediglich im Hinblick auf den Ehegattennachzug aufenthaltsberechtigten Ehegatten aufenthaltsrechtliche Konsequenzen zu verhindern.

Die vorbezeichneten Voraussetzungen für das Vorliegen einer familiären Lebensgemeinschaft sind im vorliegenden Fall ersichtlich erfüllt.

Die Vorinstanz ist in ihrem Beschluss selbst davon ausgegangen, dass der Antragsteller seit 1. April 2000 mit seiner Ehefrau und den minderjährigen Kindern des Ehepaares in einer gemeinsamen Wohnung in Friedberg zusammenlebt. Dieser Umstand wird durch die im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens überreichten Unterlagen bestätigt. So hat die Ehefrau des Antragstellers in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 9. Januar 2000 erklärt, wieder mit ihrem Ehemann zusammenziehen zu wollen. Der Antragsteller selbst hat im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens eine Ummeldebestätigung für die neue Wohnung in Friedberg vorgelegt und hat im vorliegenden Beschwerdeverfahren bekräftigt, nach wie vor mit seiner Ehefrau in dieser Wohnung zusammen zu leben. Ob diese Behauptung des Antragstellers der Wahrheit entspricht, kann erst im Hauptsacheverfahren durch eine ggf. durchzuführende umfassende Beweisaufnahme geklärt werden. Für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist jedenfalls mangels gegenteiliger Anhaltspunkte von einem Zusammenleben der Familie in der von dem Antragsteller angegebenen Wohnung in Friedberg auszugehen.

Damit liegen die Voraussetzungen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne von § 17 Abs. 1 AuslG unabhängig davon vor, welche Absichten der Antragsteller und seine Ehefrau mit der Führung dieser Lebensgemeinschaft im Einzelnen verbinden.

Wenn das Verwaltungsgericht ungeachtet der erneut begründeten häuslichen Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau das Vorliegen einer familiären Lebensgemeinschaft deshalb verneint, weil diese Lebensgemeinschaft allein deshalb begründet worden sei, um dem Antragsteller eine Abschiebung in den Iran zu ersparen und weil eine allein mit dieser Absicht eingegangene familiäre Gemeinschaft nicht mehr den grundrechtlichen Schutz für Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG genieße, hält dies einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Wie der Antragsteller zu Recht bemerkt, ist es grundsätzlich unerheblich, welche Absichten die Ehegatten mit der Begründung oder Weiterführung einer ehelichen Lebensgemeinschaft verbinden. Selbst wenn es dem Ausländer allein darum gehen würde, durch die Begründung und Führung einer familiären Lebensgemeinschaft für sich ein ansonsten nicht zu erhaltendes Aufenthaltsrecht zu beschaffen oder mit Hilfe der familiären Lebensgemeinschaft aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu verhindern, könnte einer solchen familiären Verbindung nicht allein wegen der genannten Beweggründe unter dem Verdikt der Scheinehe aufenthaltsrechtlicher Schutz versagt werden. Für die Annahme einer sogenannten Scheinehe reicht es nämlich nicht aus, dass der Ausländer die Ehe wegen der mit ihr verbundenen ausländerrechtlichen Vorteile eingegangen ist. Eine solche Intention stellt für sich betrachtet keinen Missbrauch, nicht einmal eine Zweckentfremdung der Ehe dar. Entscheidend ist nicht das Motiv der Heirat, sondern vielmehr allein, ob die Ehegatten - aus welchen Gründen auch immer - die dem Bild der Ehe entsprechende persönliche Beziehung tatsächlich unterhalten (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 23. November 1990 - OVG Bf IV 114/89 -, InfAuslR 1991, 343).

Aus den von dem Verwaltungsgericht in seinem Beschluss zitierten Entscheidungen des 12. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs folgt nichts Gegenteiliges. Auch in diesen Entscheidungen wird maßgeblich darauf abgestellt, ob zwischen dem nachzugswilligen Ausländer und seinem Ehegatten eine eheliche Lebensgemeinschaft im vorgenannten Sinne begründet wurde oder aufrecht erhalten wird. Soweit in dem Beschluss vom 18. Februar 2000 - 12 TZ 3086/99 - das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft in dem dort zu entscheidenden Fall deshalb verneint wurde, weil der Antragsteller jenes Verfahrens, wenn überhaupt, lediglich vorübergehend der äußeren Form nach mit seiner deutschen Ehefrau in einer Wohnung zusammengelebt hatte, steht dies mit den oben dargelegten Grundsätzen in Einklang, trifft aber auf den vorliegenden Fall gerade nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat nämlich keinerlei begründete Feststellungen dazu getroffen, dass der Antragsteller mit seiner Familie angesichts der Versagung der Aufenthaltserlaubnis und der drohenden Ausreise lediglich der äußeren Form nach wieder zusammengezogen ist, tatsächlich aber in der gemeinsamen Wohnung von seiner Ehefrau und den Kindern getrennt lebt.

Die Verlängerung bzw. Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft scheitert weiterhin nicht daran, dass der Antragsteller und seine Familienangehörigen offenbar weiterhin auf den Bezug von Sozialhilfe zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind.

Die Ausländerbehörde hatte im Hinblick hierauf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung versagt, eine solche könne wegen des Regelversagungsgrundes gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG nicht erfolgen, da Umstände, die eine Ausnahme von der gesetzlich als Regel vorgesehenen Versagung der Aufenthaltsgenehmigung rechtfertigen könnten, nicht erkennbar seien. Ob dieser Sichtweise gefolgt werden könnte, ist angesichts der von dem Antragsteller vorgetragenen und durch entsprechende ärztliche Atteste glaubhaft gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen fraglich, bedarf aber letztlich keiner Entscheidung. Die auf die Regelung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ausgerichteten Erwägungen in der Begründung des Ausgangsbescheides beruhen maßgeblich auf der Feststellung, dass sich der Antragsteller von seiner Ehefrau und seinen Kindern getrennt hatte und eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, da die Aufenthaltserlaubnis bereits zuvor gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 AuslG für die Dauer eines Jahres verlängert worden war, nur noch auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 Satz 2 AuslG nach Ermessen der Ausländerbehörde erfolgen konnte. Da nach den dargelegten Umständen aber davon auszugehen ist, dass der Antragsteller seine Lebensgemeinschaft mit seiner Familie wieder aufgenommen hat, bietet die von der Ausländerbehörde zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogene Bestimmung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG für die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung allein keine ausreichende Grundlage mehr. Maßgeblich für die Verlängerung bzw. Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sind nunmehr zunächst die entsprechenden speziellen Nachzugsbestimmungen in §§ 18 Abs. 1, 17 Abs. 3 AuslG bzw. § 18 Abs. 4 AuslG. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers, der - wie der Antragsteller - mit einem Asylberechtigten verheiratet ist und mit ihm eine familiäre Lebensgemeinschaft führt, u.a. abweichend von den wirtschaftlichen Voraussetzungen gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG erteilt bzw. (gemäß § 18 Abs. 4 AuslG) unter den gleichen Voraussetzungen verlängert werden. Nach diesen Bestimmungen ist die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung wegen der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers aus eigenen Mitteln nicht wie bei § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG als Regel vorgeschrieben. Vielmehr steht die Versagung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Ausländerbehörde, wobei das besondere Schutzbedürfnis des mit dem Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft zusammen lebenden Asylberechtigten zu berücksichtigen ist ( vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., Rdn. 26 zu § 17 AuslG). Eine der neuen Sachlage entsprechende Ermessensentscheidung nach den vorgenannten Bestimmungen steht noch aus. Unter Berücksichtigung der darüber hinaus in die Überlegungen einzustellenden schwierigen gesundheitlichen Situation des Antragstellers besteht eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Ermessensentscheidung zu Gunsten des Antragstellers ausfallen wird.

Gewichtige öffentliche Belange, die ungeachtet der für einen weiteren Verbleib des Antragstellers in Deutschland sprechenden Gesichtspunkte eine sofortige Durchsetzung seiner Ausreiseverpflichtung gebieten würden, sind nicht erkennbar.

Da die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die in der Verfügung der Ausländerbehörde ausgesprochene Versagung der Aufenthaltserlaubnis angeordnet wird, ist auch die in der Verfügung zugleich enthaltene Androhung der Abschiebung außer Vollzug zu setzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus die § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren auf §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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