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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.03.2004
Aktenzeichen: 9 TJ 262/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 65 Abs. 1
VwGO § 65 Abs. 2
VwGO § 121
VwGO § 154 Abs. 1
Das Beschwerdegericht ist als zweite Tatsacheninstanz infolge des Devolutiveffekts der Beschwerde zur uneingeschränkten Überprüfung eines Beschlusses befugt, in welchem die Vorinstanz das ihr nach § 65 Abs. 1 VwGO zustehende Ermessen zu Ungunsten desjenigen ausgeübt hat, der seine Beiladung beantragt hat.

Im Verfahren der Anfechtungsklage gegen eine Verfügung, in welcher dem Kläger aufgegeben wird, eine gegen nachbarschützende Vorschriften verstoßende bauliche Anlage zu beseitigen, ist es grundsätzlich zweckmäßig, den Nachbarn nach § 65 Abs. 1 VwGO beizuladen, um ihm gegenüber die Rechtskraftwirkung der zu erwartenden Entscheidung herbeizuführen (§ 121 VwGO).

Hat die Beschwerde des Nachbarn gegen die Ablehnung der von ihm beantragten Beiladung Erfolg, sind die (außergerichtlichen) Kosten des Beschwerdeverfahrens demjenigen Beteiligten aufzuerlegen, der die Zurückweisung der Beschwerde beantragt hat.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9 TJ 262/04

In dem Verfahren auf Beiladung

wegen Baurechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Schönstädt

am 22. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 29. Dezember 2003 - 2 E 2608/03 (3) - werden

1. Herr Dr. C.,

2. Frau C.,

beide wohnhaft: C-Straße, A-Stadt,

dem Verfahren beigeladen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die Beschwerdeführer zum vorliegenden Verfahren beizuladen.

Die Vorinstanz ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführer dem Verfahren nicht notwendig gemäß § 65 Abs. 2 VwGO beizuladen sind.

Die Beiladung eines Dritten ist notwendig, wenn dieser an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Nur wenn aus Rechtsgründen gegenüber allen Beteiligten eine einheitliche Entscheidung geboten ist, ist die Beiladung notwendig (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 9. März 1977 - BVerwG 1 CB 41.76 -, NJW 1977, 1603; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 65 Rdnr. 14). An einer solchen rechtlich gebotenen Einheitlichkeit der Entscheidung fehlt es hier. Die vom Kläger dieses Verfahrens angegriffene bauordnungsrechtliche Verfügung, in welcher ihm aufgegeben wurde, das im rückwärtigen Bereich seines Grundstücks an der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführer errichtete eingeschossige Gebäude unverzüglich zu beseitigen oder beseitigen zu lassen, da es u. a. die Mindestabstandsfläche zum Grundstück der Beschwerdeführer unterschreitet, kann unabhängig davon rechtmäßig (oder rechtswidrig) sein, ob den Beschwerdeführern nachbarliche Abwehrrechte gegen das auf dem Grundstück des Klägers befindliche eingeschossige Gebäude zustehen oder nicht. Infolgedessen ist gegenüber dem Kläger und Beklagten auf der einen Seite sowie den Beschwerdeführern auf der anderen Seite aus Rechtsgründen keine einheitliche Entscheidung geboten.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer kann die vom Kläger begehrte Sachentscheidung des Gerichts auch ergehen, ohne dass dadurch gleichzeitig und unmittelbar in Rechte der Beschwerdeführer eingegriffen wird, das heißt, ihre Rechte gestaltet bestätigt, festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 1999 - BVerwG 11 C 8.97 -, NVwZ 1999, 296 m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. September 2000 - 5 S 1843/00 -, NVwZ-RR 2001, 543 = BauR 2001, 746). Allein der Umstand, dass die vom Kläger angefochtene Beseitigungsverfügung auch auf nachbarschützende Bestimmungen gestützt wird, führt nicht dazu, dass der durch die Vorschrift geschützte Nachbar notwendig beizuladen ist (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. August 2001 - 7 E 265/01 -, juris und Beschluss vom 28. Mai 1991 - 10 E 475/91 -).

Es liegen aber die Voraussetzungen für eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO vor, denn eine gerichtliche Entscheidung über die Verpflichtung des Klägers, das im rückwärtigen Grundstücksbereich seines Grundstücks errichtete eingeschossige Gebäude zu beseitigen, berührt die rechtlichen Interessen der Beschwerdeführer. Diese Voraussetzung ist für den betroffenen Nachbarn - wie hier die Beschwerdeführer - regelmäßig bei Streitigkeiten gegeben, deren Gegenstand die Bebauung und Nutzung eines Grundstücks ist, die sich auf sein Nachbargrundstück auswirkt (vgl. dazu Hess. VGH, Beschluss vom 9. August 1978 - IV TE 49/78 - und 29. August 1986 - 4 TH 1729/86 -, HessVGRspr. 1986, 83).

Das Beschwerdegericht ist als zweite Tatsacheninstanz infolge des Devolutiveffekts der Beschwerde auch zur vollen Überprüfung des angegriffenen Beschlusses befugt, in dem das Verwaltungsgericht das ihm nach § 65 Abs. 1 VwGO zustehende Ermessen zu Ungunsten der Beschwerdeführer ausgeübt hat (vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss vom 29. März 1990 - 12 TE 258/90 -, NVwZ-RR 1990, 650, m. w. N.). Der Senat hat somit über den Antrag der Beschwerdeführer nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ohne auf die Nachprüfung der Ermessensentscheidung durch das Verwaltungsgericht beschränkt zu sein (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. Oktober 1980 - 7 B 1366/80 -, DÖV 1981, 385).

Der Senat übt sein Ermessen in dem aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlichen Sinne aus, weil er die Beiladung der Beschwerdeführer zum Rechtsstreit für zweckmäßig erachtet. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um die Eigentümer eines derjenigen Grundstücke, gegenüber denen das zur Beseitigung verfügte Gebäude nach dem Inhalt der vom Kläger angefochtenen Verfügung die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 und 5 HBO a.F. notwendige Abstandsfläche nicht einhält. Die Beschwerdeführer sind somit potenzielle Kläger einer gegen den Beklagten gerichteten Verpflichtungsklage auf Erlass einer Beseitigungsverfügung betreffend das streitgegenständliche Gebäude. In derartigen Fällen empfiehlt sich regelmäßig - so auch hier - aus prozessökonomischen Gründen die Beiladung, um auch den Beschwerdeführern gegenüber die Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO) der zu erwartenden Entscheidung herbeizuführen und auf diese Weise möglichen weiteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Beschluss vom 9. August 1978 - IV TE 94/78 -). Die vom Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Ermessensentscheidung angeführte "gewisse Erschwerung der Prozessführung", die im Falle der Beiladung eintrete, erachtet der Senat demgegenüber eher als gering.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Danach hat der unterliegende Teil die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Als unterliegender Teil ist der Kläger anzusehen, weil er mit Schriftsatz vom 17. Februar 2004 beantragt hat, "die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen" (vgl. insoweit auch BFH, Beschluss vom 4. Juli 2001 - VI B 301/98 -, juris, siehe auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 1988 - 2 B 3340/87 -, OVGE MüLü 39, 275).

Gerichtskosten werden bei einer erfolgreichen Beschwerde der hier vorliegenden Art nach Teil 2 V Nr. 2504 (Gebühren) und Teil 9 Abs. 1 (Auslagen) des Kostenverzeichnisses zu § 11 Abs. 2 GKG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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