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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 17.09.2002
Aktenzeichen: 9 UE 1233/01
Rechtsgebiete: AuslG, Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999


Vorschriften:

AuslG § 32
Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999 Nr. 3.1
Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999 Nr. 3.2
Die Regelung in Nr. 3.2 a) Abs. 1 des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999 über das Bleiberecht für Asylbewerberfamilien und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit langjährigem Aufenthalt, wonach als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis der Lebensunterhalt der (gesamten) Familie zum Stichtag 19. November 1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert sein muss, ist für während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet volljährig gewordene und beruflich eingegliederte bzw. in der Ausbildung zu einem anerkannten Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluss befindliche Kinder aus Asylbewerberfamilien nicht anwendbar. Für sie genügt für die Einbeziehung in die Bleiberechtsregelung nach Nr. 3.1 letzter Satz des Beschlusses vom 18./19. November 1999, wenn ihr eigener Lebensunterhalt durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe am Stichtag 19. November 1999 gesichert war.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

9. Senat

9 UE 1233/01

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch Richter am Hess. VGH Igstadt als Berichterstatter

am 17. September 2002 ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 29. Dezember 2000 (Az.: 4 E 1291/99 [2]) aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. September 1998 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 2. August 1999 verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 23. April 1997 auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

Die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der Kosten des Zulassungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Hinsichtlich des Sachverhaltes nimmt das Gericht zunächst Bezug auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, dessen Feststellungen es sich in vollem Umfang zu eigen macht (§ 130b Satz 1 VwGO).

Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde der Klägerin am 3. Januar 2001 zugestellt. Auf den am 30. Januar 2001 gestellten Antrag der Klägerin ließ der Senat mit Beschluss vom 26. April 2001 die Berufung zu.

Zur Begründung der zugelassenen Berufung verweist die Klägerin auf den Inhalt des vorgenannten Senatsbeschlusses sowie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Sie beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 29. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. September 1998 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 2. August 1999 zu verpflichten, den Antrag der Klägerin vom 23. April 1997 auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht mehr zur Sache geäußert. Sie hat auch keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Dem Gericht liegen die das Verfahren betreffenden Gerichtsakten und die Behördenakten der Beklagten, die Klägerin betreffend (ein Band, Seite 1 - 61 ), vor.

Entscheidungsgründe:

Die von dem Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet und führt unter Aufhebung des Urteils erster Instanz und der angefochtenen Bescheide der Beklagten und der Widerspruchsbehörde zur Verpflichtung der Beklagten, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die von der Klägerin auf eine Neubescheidung beschränkte Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet und hätte von dem Verwaltungsgericht nicht abgewiesen werden dürfen.

Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung hat die Klägerin Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in der Form der Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG in Verbindung mit den Erlassen des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. November 1999 und 20. Januar 2000, Geschäftszeichen jeweils: - II A 4-23d (Altfall 99) -, und dem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999 über das Bleiberecht für ausländische Familien und Alleinstehende mit langjährigem Aufenthalt.

Soweit in den ablehnenden Bescheiden die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung auf das Fehlen eines Passes gestützt wurde, ist dieser Versagungsgrund (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG) nunmehr entfallen. Der Klägerin wurde nach ihren von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben zwischenzeitlich ein syrischer Reisepass ausgestellt.

Die Klägerin erfüllt entgegen der Ansicht der Vorinstanz auch die Voraussetzungen der oben genannten Altfallregelung für ausländische Familien und Alleinstehende mit langjährigem Aufenthalt.

Nach Nr. 3.1 des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999 kann Asylbewerberfamilien und abgelehnten Vertriebenenbewerbern mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet werden, wenn sie vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, seitdem ihren Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet gefunden und sich in die hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefügt haben. Dabei muss der Ausländer mit mindestens einem minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft leben, das sich seit dem 1. Juli 1993 oder seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhält. In die Regelung können auch die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet volljährig gewordenen Kinder einbezogen werden, die eine Ausbildung durchlaufen, die zu einem anerkannten Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluss führt, oder die bereits beruflich eingegliedert sind.

Die Klägerin erfüllt die im letzten Satz von Nr. 3.1 des Beschlusses vom 18./19. November 1999 enthaltene erweiternde Regelung für während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet volljährig gewordene Kinder u.a. von Asylbewerbern, denn sie hat, nachdem sie Anfang 1990 mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen ist und hier erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen hat, im Bundesgebiet das 18. Lebensjahr vollendet. Sie ist zwischenzeitlich auch beruflich eingegliedert, denn sie ist seit April 1999 dauerhaft berufstätig und in der Lage, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Dass sie nicht mit einem vor dem 1. Juli 1993 oder seit seiner Geburt im Bundesgebiet in Deutschland lebenden minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, ist unerheblich. Die entsprechende Bestimmung in Nr. 3.1, 2. Satz des Beschlusses vom 18./19. November 1999 ist auf Ausländer, die - wie die Klägerin - nach dem letzten Satz der vorgenannten Bestimmung in die Regelung einbezogen werden, nicht anwendbar (vgl. Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. Januar 2000).

Der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis an die Klägerin steht auch nicht die Regelung in Nr. 3.2 a) des Beschlusses vom 18./19. November 1999 entgegen, wonach der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel zu dem in Nr. 3.2, 1. Satz genannten Stichtag 19. November 1999 gesichert sein muss. Die Beklagte und die Vorinstanz sind davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an die am vorgenannten Stichtag wirtschaftlich selbständige Klägerin deshalb entgegensteht, weil der Lebensunterhalt ihrer Familie an dem besagten Stichtag durch die Mutter und den Bruder der Klägerin nicht ohne Inanspruchnahme von Mitteln der Sozialhilfe habe gesichert werden können. Der Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren vom 19. November 1999 setze - so die Vorinstanz in ihrer Entscheidung - in Nr. 3.2 für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für einen Asylbewerber mit langjährigen Aufenthalt unter anderem voraus, dass der Lebensunterhalt der Familie durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert sei. Abzustellen sei hiernach darauf, ob die gesamte Familie ohne Sozialhilfeleistungen auskommen könne. Dass ein volljährig gewordenes Kind, das unter Bezugnahme auf den Beschluss der Innenministerkonferenz eine Aufenthaltsbefugnis erlangen wolle, ohne Sozialhilfe seinen Lebensunterhalt bestreite, reiche nicht aus. Wie sich aus Nr. 3.1 des Beschlusses entnehmen lasse, solle unter gewissen Voraussetzungen Asylbewerberfamilien der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht werden. Hinsichtlich der Frage der Sozialhilfebedürftigkeit sei dementsprechend auf die Familie abzustellen, wie sich im Übrigen auch aus den Wortlaut von Nr. 3.2. a) des Beschlusses entnehmen lasse.

Dieser Ansicht folgt das Gericht nicht. Es folgt vielmehr der Rechtsauffassung der Klägerin, dass sich aus den Regelungen des Beschlusses über die Einbeziehung volljährig gewordener Kinder von Asylbewerbern und ehemaligen Vertriebenenbewerbern ergebe, dass diese Ausländer als eigenständige Personen zu betrachten und in ihrer aufenthaltsrechtlichen Position nicht mehr von dem Erfordernis der wirtschaftlichen Existenzsicherung der gesamten Familie abhängig sein sollen.

Bereits der Wortlaut der vorgenannten Regelung in Nr. 3.2. a) des Beschlusses vom 19. November 1999 spricht gegen eine Einbeziehung der nicht mehr bei ihren Eltern lebenden volljährigen und erwerbstätigen Kinder. Zwar umfasst der in der Bestimmung verwendete Begriff "Familie" grundsätzlich sämtliche Familienangehörige unabhängig von der Form und der Intensität des zwischen ihnen bestehenden familiären Kontaktes. Diese Begriffsbestimmung liegt der Regelung in Nr. 3.2. a) des Beschlusses vom 19. November 1999 aber offensichtlich nicht zugrunde. Vielmehr bezieht sich das Erfordernis, dass der Lebensunterhalt der Familie mit Einschluss des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert sein muss, erkennbar auf die Situation der in familiärer Lebensgemeinschaft zusammenlebenden und von dieser Gemeinschaft unter anderem auch wirtschaftlich abhängigen Familienangehörigen. Dies wird zum einen daraus deutlich, dass die in der Bestimmung geregelten Ausnahmefälle sämtlich das Zusammenleben von wirtschaftlich aufeinander angewiesenen und abhängigen Familienmitgliedern betreffen und auch die weiteren in Nr. 3.2. b) des Beschlusses vom 19. November 1999 geregelten weiteren Integrationsvoraussetzungen ("Die Familie verfügt über ausreichenden Wohnraum" und "schulpflichtige Kinder erfüllen die Schulpflicht") die Situation des Zusammenlebens in familiärer Lebensgemeinschaft kennzeichnen.

Auch Sinn und Zweck der erwähnten Altfallregelungen über die Einbeziehung von zwischenzeitlich erwachsen gewordenen Kindern von Asylbewerbern oder ehemaligen Vertriebenenbewerbern sprechen dagegen, auf diese Personen die Voraussetzungen über die Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie in Nr. 3.2. a) des Beschlusses vom 19. November 1999 anzuwenden. In dem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 19. November 1999 und in dem ergänzenden Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. Januar 2000 wird zu erkennen gegeben, dass die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an Kinder von Asylbewerbern und abgelehnten Vertriebenenbewerbern, die als Minderjährige zusammen mit ihren Eltern in das Bundesgebiet eingereist sind, nicht daran scheitern soll, dass sie während des Aufenthaltes im Bundesgebiet volljährig geworden sind, soweit ihre Integration im Hinblick auf die Absolvierung einer Ausbildung oder eine bereits vollzogene berufliche Eingliederung gesichert erscheint. Dieser durch die Erlassregelungen ausdrücklich anerkannten Eigenständigkeit der Kinder aus Asylbewerber- bzw. Vertriebenenbewerberfamilien würde es zuwiderlaufen, wenn die Gewährung eines Aufenthaltsrechtes für sie weiterhin an die Existenzsicherung der gesamten Familie geknüpft wäre. Für eine solche Abhängigkeit besteht zumindest dann kein nachvollziehbarer Grund, wenn der Ausländer - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - nicht mehr mit ihren Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft zusammenlebt, zwischenzeitlich einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgeht und infolgedessen in der Lage ist, den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Es gibt schließlich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass durch die Altfallregelung das Aufenthaltsrecht volljährig gewordener Kinder von Asylbewerbern oder ehemaligen Vertriebenenbewerbern deshalb an die Sicherung des Lebensunterhaltes der gesamten Familie geknüpft werden sollte, weil das volljährige Kind nach Erreichen der Eigenständigkeit nunmehr selbst zum Lebensunterhalt seiner Eltern oder anderer wirtschaftlich abhängiger Familienangehöriger beitragen sollte.

Die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der Kosten des Zulassungsverfahrens hat die Beklagte als unterliegender Teil zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten und der Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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