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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 31.08.2006
Aktenzeichen: 9 UE 1464/06.A
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 26a
AsylVfG § 29 Abs. 3
AsylVfG § 31 Abs. 4
AsylVfG § 34a
Ist für die Durchführung eines Asylverfahrens nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. L 50, S. 1) ein anderer Vertragsstaat zuständig, kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber dem Asylbewerber nach §§ 29a Abs. 3 Satz 2, 26a Abs. 1, 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung in den anderen Vertragsstaat anordnen. Es muss in derartigen Fällen nicht zwingend eine Abschiebungsandrohung nach §§ 29 Abs. 3 Satz 1, 35 Satz 2 AsylVfG ergehen.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

9 UE 1464/06.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrecht

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Seggelke,

am 31. August 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 26. April 2006 - 4 E 1326/05.A(3) - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Er stellte am 27. Oktober 2004 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - im Folgenden: Bundesamt - einen Asylantrag.

Während seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 1. November 2004 gab der Kläger an, dass er sich seit Ende 2000/Anfang 2001 in Italien aufgehalten habe. Er habe dort einen bis März 2005 gültigen Aufenthaltstitel besessen. Von Italien aus sei er nach Deutschland eingereist.

Daraufhin ersuchte das Bundesamt mit Schreiben vom 15. November 2004 die italienischen Behörden um Übernahme des Asylverfahrens. Diesem Ersuchen gaben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 18. Januar 2005 statt.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger in der Bundesrepublik kein Asylrecht zustehe. Gleichzeitig wurde die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dem Kläger stehe gemäß § 26a Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit §§ 29 Abs. 3 S. 2, 34a AsylVfG in Deutschland kein Asylrecht zu, da Italien gemäß Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. L 50 S. 1) - VO (EG) 343/2003 - für die Behandlung des Asylantrages zuständig und der Antragsteller aus Italien, einem sicheren Drittstaat, nach Deutschland eingereist sei. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik nicht inhaltlich geprüft. Deutschland sei verpflichtet, den Kläger nach Italien als zuständigen Mitgliedstaat innerhalb von sechs Monaten nach dessen Zustimmung zur Übernahme des Asylverfahrens zu überstellen. Nach § 31 Abs. 4 AsylVfG in Verbindung mit § 26a AsylVfG sei nur festzustellen gewesen, dass dem Kläger kein Asylrecht zustehe. Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.

Eine für den 14. Juli 2005 vorgesehene Überstellung des Klägers nach Italien scheiterte daran, dass der Kläger nicht aufgegriffen werden konnte. Hiervon wurden die italienischen Behörden noch mit Telefax vom 14. Juli 2005 durch das Bundesamt in Kenntnis gesetzt.

Am 28. Juli 2005 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2005 und suchte gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach.

Mit Beschluss vom 31. August 2005 - 4 G 1325/05.A(3) - ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2005 enthaltene Abschiebungsanordnung an. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Beklagte habe das Asylverfahren des Klägers fälschlicherweise nach § 26a Abs. 1 AsylVfG behandelt und gemäß § 34a AsylVfG die Abschiebung angeordnet. Richtigerweise müsse das Verfahren aber nach § 29 Abs. 3 S. 1 AsylVfG entschieden werden, mit der Folge, dass gemäß § 35 S. 2 AsylVfG die Abschiebung nach Italien hätte angedroht werden müssen.

Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 28. Juli 2005 (sinngemäß) beantragt hatte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 9. Februar 2005 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, beantragte er mit Schriftsatz vom 20. März 2006 unter Rücknahme der Klage im Übrigen

die Aufhebung des Bescheides vom 9. Februar 2005.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 26. April 2006 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2005 auf und stellte das Verfahren ein, soweit die Klage zurückgenommen worden war. Zur Begründung des Urteils im Übrigen wiederholte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen die Gründe seines Beschlusses vom 31. August 2005.

Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Juni 2006 - 9 UZ 1199/06.A - auf Antrag der Beklagten die Berufung gegen das vorgenannte Urteil des Verwaltungsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache insoweit zugelassen, als der Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2005 aufgehoben wurde.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Berufung vorgetragen, zwar sehe § 35 S. 2 AsylVfG in den Fällen des § 29 Abs. 3 S. 1 AsylVfG den Erlass einer Abschiebungsandrohung vor. Diese Regelung hindere jedoch nicht den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG, wenn in der Ausländer aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei, der zugleich nach dem "Zuständigkeitsabkommen" zuständiger Vertragsstaat sei. Dies folge hinlänglich deutlich aus § 29 Abs. 3 S. 2 AsylVfG, der ausdrücklich bestimme, dass § 26a Abs. 1 AsylVfG bei nach § 29 Abs. 3 S. 1 AsylVfG unbeachtlichen Asylanträgen unberührt bleibe. Dieses Ergebnis stehe auch nicht in Widerspruch zu übergeordneten Rechtsvorschriften. Eine Pflicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung mit dem Ziel, dem Betroffenen eine freiwillige Ausreise zur Abwendung der Abschiebung zu ermöglichen, sei Art. 19 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 343/2003 nicht zu entnehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter entsprechender Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 26. April 2006 in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Senat beigezogenen Asylakten Bezug genommen.

II.

Über die Berufung der Beklagten kann der Senat gemäß § 130a S. 1 VwGO durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden zu dieser Verfahrensweise gehört.

Die Berufung der Beklagten gegen das den Bundesamtsbescheid vom 9. Februar 2005 aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. April 2006 hat Erfolg und führt zur Abweisung der Anfechtungsklage.

Der angegriffene Bundesamtsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Bundesamt hat zutreffend nach § 26a Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG festgestellt, dass dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht. Nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Es ist unstreitig, dass der Kläger über Italien in das Bundesgebiet eingereist ist. Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 26a Abs. 2 AsylVfG sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a Abs. 1 AsylVfG. In § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist bestimmt, dass im Falle der Ablehnung eines Asylantrages nach § 26a AsylVfG nur festzustellen ist, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht.

Die Anwendung des § 26a Abs. 1 AsylVfG ist für den hier zu entscheidenden Fall auch nicht aufgrund der Regelung des § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ausgeschlossen. Nach § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ist ein Asylantrag unbeachtlich, wenn auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages ein anderer Vertragsstaat, der ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a AsylVfG ist, die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens besitzt. Die Voraussetzungen der letztgenannten Bestimmung liegen zwar vor.

Denn Italien ist - wie oben bereits ausgeführt - sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a AsylVfG. Ferner besitzt Italien nach Art. 10 Abs. 2 VO (EG) 343/2003 die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers. Somit ist Italien nach Art. 16 Abs. 1 c VO (EG) 343/2003 gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen. Dem entsprechenden Ersuchen nach Art. 17 Abs. 1 VO (EG) 343/2003 hat Italien zugestimmt.

Zwar ergibt sich die Zuständigkeit Italiens nicht auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, sondern aus Europäischem Gemeinschaftsrecht nach Art. 63 Abs. 1 a EGV. Da § 29 Abs. 3 AsylVfG aber auf Grund des damals geltenden Schengener Durchführungsabkommens und des dieses ersetzenden Dubliner Übereinkommens in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen und das letztgenannte Übereinkommen durch die VO (EG) 343/2003 abgelöst wurde (vgl. Art. 24 VO [EG] 343/2003), wendet der Senat § 26a Abs. 3 AsylVfG entsprechend auf die gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsregelungen nach der VO (EG) 343/2003 an (so auch Hailbronner, AuslR, Stand 32. Erg.-Lief. 2003, § 29 AsylVfG Rdnr. 18; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand: Februar 2006, § 29 Rdnrn. 6.3 und 121; a.A. VG Gießen, Beschluss vom 3. Februar 2006 - 4 G 227/06.A -, NVwZ-RR 2006, 427 = InfAuslR 2006, 250).

Obwohl somit für den Asylantrag des Klägers § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gilt, stand es dem Bundesamt frei, den Antrag nach § 26a Abs. 1 AsylVfG zu bescheiden. Dies ergibt sich aus § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, der besagt, dass § 26a Abs. 1 AsylVfG unberührt bleibt. § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG wurde aufgrund eines Änderungsantrags des Innenausschusses des Deutschen Bundestages (vgl. BT-Drs. 12/9484, S. 1 ff. [16, 41, 48]) in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen, der wie folgt begründet wurde:

"Klarstellung, dass die Regelung der §§ 26a, 34a Anwendung finden, wenn der Ausländer aus dem zuständigen Vertragsstaat eingereist ist" (BT-Drs. 12/4984, S. 48).

Es entspricht somit dem im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, dem Bundesamt die Möglichkeit zu eröffnen, auch in den Fällen, in denen für die Durchführung des Asylverfahrens ein anderer Vertragsstaat (oder nach Gemeinschaftsrecht ein anderer Mitgliedstaat) zuständig ist, nach §§ 26a Abs. 1, 31 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 AsylVfG zu verfahren (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. September 1996 - 25 A 790/96.A -, NVwZ 1997, 1141 [1142]). Die Bestimmung des § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG erweitert damit die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Bundesamtes (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2000 - 14 A 4319/99.A -, InfAuslR 2001, 94).

Durch ein derartiges Verständnis der "Unberührtheitsklausel" des § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG wird das gemeinschaftsrechtlich geregelte Zuständigkeitssystem nicht umgangen, da sich die Frage nach dem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat auch bei Anwendung der §§ 26a Abs. 1, 31 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 AsylVfG allein nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts beantwortet (a. A offenbar Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2005, § 29 Rdnr. 93).

Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist auch die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung des Bundesamtes nicht zu beanstanden. Aus der vorgenannten Gesetzesbegründung folgt auch der Wille des Gesetzgebers, dass § 34a AsylVfG in den Fällen des § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gelten soll, in denen ein anderer Staat, der sicherer Drittstaat ist, aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages oder - nach der hier befürworteten entsprechenden Anwendung - einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Bundesamt war danach nicht darauf beschränkt, zur Durchsetzung der Pflicht des Klägers, das Bundesgebiet zu verlassen, nach § 35 Satz 2 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen, sondern konnte die Abschiebung nach Italien anordnen.

Der Erlass einer Abschiebungsanordnung widerspricht auch nicht den Regelungen des Gemeinschaftsrechts. Entgegen der vom Verwaltungsgericht geäußerten Auffassung verstößt der Erlass einer Abschiebungsanordnung in den Fällen, in denen ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung eines Asylverfahrens nach Art. 5 ff. VO (EG) 343/2003 zuständig ist, weder gegen Art. 19 Abs. 1 und 2 der vorgenannten Verordnung noch gegen Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 (ABl. L 222 S. 3) - VO (EG)1560/2003 -.

Insoweit kann zunächst festgehalten werden, dass die VO (EG) 343/2003 keine abschließenden und ins Detail gehenden Vorschriften über das Verfahren enthält, das der einzelne Mitgliedstaat gegenüber Asylbewerbern nach Antragstellung durchzuführen hat, wenn er nach der Verordnung nicht zuständig ist und demnach den Betroffenen auf das Verfahren in dem anderen zuständigen Mitgliedstaat verweisen will, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme zugestimmt hat (siehe Funke-Kaiser, a.a.O., § 29 Rdnr. 121). Art. 19 Abs. 1 VO (EG) 343/2003 besagt lediglich, dass bei Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zur Aufnahme eines Asylantragstellers der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, dem Antragsteller die Entscheidung mitteilt, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die Verpflichtung, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 VO (EG) 343/2003 ist die vorgenannte Entscheidung zu begründen und die Frist für die Durchführung der Überstellung anzugeben und gegebenenfalls der Zeitpunkt und der Ort zu nennen, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Im Übrigen besagt Art. 19 Abs. 3 VO(EG) 343/2003, dass die Überstellung des Asylbewerbers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats erfolgt.

Mit diesen wenigen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts steht der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2005 in Einklang. In ihm wird der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Asylantrag in der Bundesrepublik materiell nicht geprüft wird und Deutschland verpflichtet ist, den Antragsteller innerhalb von sechs Monaten nach der Zustimmung Italiens, die ausweislich des Inhalts des Bescheides am 18. Januar 2005 erklärt wurde, nach Italien zu überstellen. Den Erlass einer Abschiebungsandrohung, die es dem Kläger ermöglichen würde, innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig nach Italien auszureisen, verlangt Art. 19 Abs. 2 VO (EG) 343/2003 nicht. Dies ergibt sich daraus, dass der Zeitpunkt und der Ort, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Staat begibt, nur gegebenenfalls zu nennen sind. Gegebenfalls bedeutet in diesem Zusammenhang, wenn das innerstaatliche Recht eine Ausreise auf eigene Initiative vorsieht. Auch Art. 7 der VO (EG) 1560/2003, der die Modalitäten der Überstellung regelt, sieht die Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist neben der "kontrollierten Ausreise" und der "begleiteten Ausreise" als selbstständige Alternativen der Aufenthaltsbeendigung vor. Die beiden letztgenannten Möglichkeiten der Überstellung werden nicht davon abhängig gemacht, dass dem Asylbewerber vorher die Möglichkeit eingeräumt wird, auf eigene Initiative auszureisen.

Auch die Tatsache, dass nach der innerstaatlichen Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in den sicheren Drittstaat nicht nach §§ 80, 123 VwGO ausgesetzt werden darf, ist mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Art. 19 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 343/2003 bestimmt lediglich, dass gegen die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die "Mitteilung" der Verpflichtung, den Asylbewerber an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Diesem Erfordernis ist nach innerstaatlichem Recht dadurch Genüge getan, dass gegen die Entscheidung Klage erhoben werden kann. Im Übrigen regelt Art. 19 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) 343/2003, dass ein gegen die Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Der letzte Halbsatz zeigt, dass das innerstaatliche Recht die Aussetzung der Vollziehung der Mitteilung durch ein staatliches Gericht gänzlich ausschließen kann.

Es kann auch im Übrigen nicht festgestellt werden, dass die verfahrensmäßige Behandlung eines Ausländers, der einen Asylantrag gestellt hat, für dessen Entscheidung ein anderer Mitgliedstaat nach der VO (EG) 343/2003 zuständig ist, nach der innerstaatlichen Drittstaatenregelung (§§ 26a, 31 Abs. 4, 34a AsylVfG) gegen die vorgenannte Verordnung verstößt.

Insbesondere vermag der Senat keinen Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 343/2003 zu erkennen, wonach jeder Mitgliedstaat das Recht behält, einen Asylbewerber nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften unter Wahrung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention in einen Drittstaat zurück- oder auszuweisen (a. A. Funke-Kaiser, a.a.O., 29 Rdnr. 134 ff.). Es spricht zwar vieles dafür, dass Drittstaat in diesem Sinne nur ein Staat sein kann, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, so dass Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 343/2003 entnommen werden kann, dass eine Anwendung der allgemeinen Drittstaatenregelung im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten ausscheidet. Dies besagt jedoch nur, dass es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt ist, einen Ausländer ohne Beachtung der im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten gültigen Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen der VO (EG) 343/2003 allein auf der Grundlage der innerstattlichen Drittstaatenregelung in einen anderen Mitgliedstaat zu verbringen. Da - wie oben bereits ausgeführt - das Gemeinschaftsrecht aber nicht zwingend verlangt, dass dem Ausländer vor einer zwangsweisen Verbringung in den Mitgliedschaft Gelegenheit zu geben ist, sich freiwillig dorthin zu begeben, sondern sich die Überstellung des Asylbewerbes in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat gemäß Art. 19 Abs. 3 VO (EG) 343/2003 nach den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates erfolgt, kann Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 343/2003 der Anwendung des § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht entgegenstehen, auch wenn es sich dabei um einen Bestandteil der innerstaatlichen Drittstaatenregelung handelt.

Der Bundesamtsbescheid vom 9. Februar 2005 ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil nach der gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz maßgeblichen Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig geworden wäre und eine Überstellung an Italien somit nicht mehr in Betracht käme.

Ein derartiger Übergang der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf die Bundesrepublik hat nach Erlass des Bescheides vom 9. Februar 2005 nicht gemäß Art. 19 Abs. 4 VO (EG) 343/2003 stattgefunden.

Nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 VO (EG) 343/2003 geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung des Asylbewerbers nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Nach Satz 2 derselben Vorschrift kann diese Frist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Die Frist beginnt nach Art. 19 Abs. 3 VO (EG) 343/2003 mit der von dem ersuchten Mitgliedstaat erklärten Annahme des Antrags auf Aufnahme des Asylbewerbers oder der (rechtskräftigen) Entscheidung über einen Rechtsbehelf zu laufen, wenn ein Gericht im Einzelfall nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts entscheidet, dass ein eingelegter Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat (vgl. Art. 19 Abs. 2 S. 2 VO [EG] 343/2003). Da das Verwaltungsgericht Darmstadt mit Beschluss vom 31. August 2005 - 4 G 1325/05.A - die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die im Bescheid vom 9. Februar 2005 enthaltene Abschiebungsanordnung angeordnet hat, wird der Lauf der Sechsmonatsfrist des Art. 19 Abs. 4 VO (EG) 343/2003 hier erst in Gang gesetzt, wenn die die Klage gegen den Bescheid vom 9. Februar 2005 abweisende Entscheidung Rechtskraft erlangt. Dabei ist nach Auffassung des Senats unerheblich, ob das Gericht, das entschieden hat, dass dem gegen den Bescheid eingelegten Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zutreffend angewendet hat.

Es kann dahingestellt bleiben, ob auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Rechtsbehelf für den Fristbeginn nicht abgestellt werden kann, wenn die gerichtliche Entscheidung im Sinne des Art. 19 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 343/2003, wonach dem eingelegten Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung zukommt, erst nach Ablauf der Frist des Art. 19 Abs. 4 VO (EG) 343/2003 ergeht. Nachdem Italien am 18. Januar 2005 dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes vom 15. November 2004 zugestimmt hatte, war zwar zum Zeitpunkt des Ergehens des Beschlusses vom 31. August 2005 die Sechsmonatsfrist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 VO (EG) 343/2003 bereits abgelaufen. Hier galt aber die auf 18 Monate verlängerte Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 2 VO (EG) 343/2003, da der Kläger flüchtig war. Dies folgt daraus, dass ein während der Sechsmonatsfrist vorgenommener Überstellungsversuch erfolglos blieb, weil der Kläger nicht aufgegriffen werden konnte (vgl. dazu auch den in dieser Sache ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 31. August 2005 - 4 G 1325/05.A(3) -).

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers ist nach Erlass des angegriffenen Bescheides schließlich auch nicht nach Art. 9 Abs. 2 VO (EG) 1560/2003 auf die Bundesrepublik übergegangen. Nach dieser Bestimmung ist der Mitgliedstaat, der die Überstellung aus einem der in Art. 19 Abs. 4 der VO (EG) 343/2003 genannten Gründe nicht innerhalb der in Art. 19 Abs. 3 der VO (EG) 343/2003 vorgesehenen regulären Frist von 6 Monaten vornehmen kann, verpflichtet, den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist zu unterrichten; ansonsten fällt die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens dem ersuchenden Mitgliedstaat zu. Das Bundesamt hat mit Telefax vom 14. Juli 2005 und somit innerhalb der Sechsmonatsfrist, die mit der Zustimmung zur Übernahme des Klägers am 18. Januar 2005 zu laufen begann, den italienischen Behörden mitgeteilt, dass die bereits organisierte Überstellung vorübergehend ausgesetzt werden müsse, weil der Kläger untergetaucht sei.

Ob das Bundesamt die italienischen Behörden auch darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass die Überstellung wegen des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 31. August 2005 nicht durchgeführt werden konnte, bedarf keiner weiteren Aufklärung. In Art. 9 Abs. 1 VO (EG) 1560/2003 heißt es zwar, dass der zuständige Mitgliedstaat unverzüglich unterrichtet wird, wenn sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung verzögert. Im Gegensatz zu der Regelung des Art. 9 Abs. 2 VO (EG) 1560/2003 sieht Absatz 1 dieser Vorschrift aber nicht vor, dass im Falle der Nichtunterrichtung die Zuständigkeit für das Asylverfahren dem ersuchenden Mitgliedstaat zufällt.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusse ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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