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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 07.06.2001
Aktenzeichen: 9 UE 1809/97
Rechtsgebiete: HBO 1993, HBO 1977, HessVwVfG


Vorschriften:

HBO 1993 § 6 Abs. 5 Satz 4
HBO 1993 § 68 Abs. 3
HBO 1993 § 70
HBO 1977 § 7 Abs. 5 Satz 2
HessVwVfG § 38
Grundsätzlich sind zwar Nutzungsänderungen nach der Hessischen Bauordnung abstandsflächenrechtlich unerheblich, da in der offenen Bebauung Abstandsflächen unabhängig von der Art der Nutzung der jeweiligen baulichen Anlage einzuhalten sind und auch die Bemessung der einzuhaltenden Abstandsflächen durch die Nutzungsart nicht beeinflusst wird. Etwas anderes gilt nur, wenn die Art der Nutzung der baulichen Anlage - ausnahmsweise - im früheren Baugenehmigungsverfahren für die abstandsrechtliche Prüfung von Bedeutung war.

Für die Gewährung einer Befreiung aus Gründen des Allgemeinwohls nach § 68 Abs. 3 Nr. 1 HBO bedarf es eines atypischen, von dem der zwingenden Vorschrift zu Grunde liegenden Regelfall abweichenden Sachverhalts.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

9 UE 1809/97

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Mogk, ehrenamtlicher Richter Weber, ehrenamtlicher Richter Wegricht

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 13. November 1996 (Az.: 2 E 1491/92 <3>) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung für die Umnutzung eines Garagengebäudes auf dem Grundstücks Gemarkung H , Flur , Flurstück in ein Wohnhaus.

Die Klägerin hat das Eigentum an dem vorgenannten Flurstück, das in einer Länge von ca. 42 m zwischen dem Flurstück und dem G Weg liegt, am 3. September 1992 von ihrem Vater erworben. Der südliche Grundstücksteil ist auf der Grenze des westlich angrenzenden Flurstücks , das im Eigentum der Stadt O steht und das vom Vater der Klägerin langfristig angepachtet ist, mit einer Doppelgarage mit einer Grundfläche von 7.30 m mal 6,99 m bebaut, die mit Bauschein vom 1. Dezember 1978 genehmigt wurde.

Am 10. Januar 1992 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Umnutzung der Doppelgarage in eine Wohnung.

Mit Schreiben vom 20. Februar 1992 teilte das Hessische Forstamt dem Beklagten mit, dass das zur Bebauung vorgesehene Grundstück an die Abt. des Stadtwaldes O grenze. Nach Stürmen im Jahre 1990 seien dort Neukulturen angelegt worden. In einer Tiefe von 10 m bis 15 m sei ein Waldaußenrand mit Bäumen und Büschen 2. Ordnung gepflanzt worden, der eine maximale Höhe von ca. 15 m erreichen werde. Daher sei ein Waldabstand von 15 m zu fordern.

Die Beigeladene zu 1. versagte ihr Einvernehmen zu der beantragten Umnutzung mit Schreiben vom 26. Februar 1992, weil sich das Garagengebäude im Außenbereich befinde und die beabsichtigte Wohnnutzung nicht privilegiert sei. Im Übrigen diene das Grundstück der Klägerin als wegemäßige Erschließung des sich nördlich anschließenden Flurstücks , dessen Eigentümer der Vater der Klägerin sei. Sie - die Beigeladene zu 1. - habe ihr Einvernehmen zur Bebauung des Flurstücks am 7. April 1976 und am 8. März 1977 nur unter der Bedingung erteilt, dass das Grundstück des Vaters der Klägerin über den G Weg und die Wegeparzelle erschlossen werde. Diese Erschließungsfunktion könne das Flurstück nicht mehr wahrnehmen, wenn die beiden für die Wohnnutzung benötigten Stellplätze so angeordnet würden, wie in den Bauvorlagen dargestellt.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 4. April 1992 ergänzend eine Befreiung von der Einhaltung der Abstandsfläche gegenüber dem Flurstück . Zur Begründung berief sie sich darauf, die Schaffung weiteren Wohnraums entspreche wegen der großen Wohnungsnot dem Wohl der Allgemeinheit.

Mit Bescheid vom 1. Juli 1992 lehnte der Beklagte die Genehmigung für die beantragte Nutzungsänderung ab. Zur Begründung führte er aus, die Beigeladene zu 1. habe ihr Einvernehmen versagt, da die Umnutzung als nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich öffentliche Belange beeinträchtige. An die Entscheidung der Beigeladenen zu 1. sei die Bauaufsicht gebunden. Im Übrigen diene das Grundstück der Klägerin der einzig möglichen wegemäßigen Erschließung des Grundstücks des Vaters der Klägerin. Die für die beantragte Wohnnutzung notwendigen Stellplätze auf dem Grundstück der Klägerin seien aber in den Bauvorlagen so angeordnet, dass das Grundstück ihres Vaters nicht mehr ordnungsgemäß erschlossen sei. Ferner verstoße das Vorhaben der Klägerin gegen die Abstandsflächenbestimmungen der Hessischen Bauordnung.

Am 11. Juli 1992 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 1. Juli 1992 Widerspruch ein.

Das Regierungspräsidium Darmstadt wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 1. Oktober 1992 zurück. Es könne dahin gestellt bleiben, ob das Vorhaben nach § 34 BauGB oder nach § 35 BauGB zu beurteilen sei. Das Vorhaben sei jedenfalls deshalb unzulässig, weil der gemäß § 8 Abs. 16 HBO 1990 notwendige Waldabstand nicht eingehalten werde. Dieser betrage 15 m, da die am Waldrand befindlichen Bäume bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung eine entsprechende Höhe erreichen könnten. Der Abstand zwischen dem Waldrand und der Außenwand des Garagengebäudes betrage jedoch höchstens 14 m. Ferner verstoße das Vorhaben gegen § 8 Abs. 1, Abs. 5 HBO 1990, da der Mindestabstand von 2,50 m zwischen dem umzunutzenden Gebäude und der Grenze zum Flurstück nicht eingehalten werde. Schließlich habe die Beigeladene zu 1. ihr Einvernehmen versagt, woran auch die Widerspruchsbehörde gebunden sei.

Bereits am 28. Juli 1992 hatte die Klägerin (Untätigkeits-) Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 1992 erhoben. Zur Begründung dieser Klage trug sie vor, ihr Grundstück befinde sich im unbeplanten Innenbereich, was schon daraus folge, dass das vorhandene Garagengebäude in die Betrachtung einzubeziehen sei. Ihr Grundstück diene auch nicht der wegemäßigen Erschließung des Grundstücks ihres Vaters. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Rechtsgrund sie - die Klägerin -, die das Grundstück lastenfrei erworben habe, ihr Grundstück für diesen Zweck zur Verfügung stellen müsse. Der notwendige Abstand zwischen dem westlich vorhandenen Wald und dem Garagengebäude werde eingehalten. Der abgestufte Waldrand beginne - verglichen mit der Nachbarschaft - in einer Entfernung zur westlichen Garagenwand von 17 m. Zur Zeit gebe es aber bis zu einer Entfernung von 25 m zur Garage ausschließlich klein wachsende Büsche. Hinsichtlich der Nichteinhaltung der notwendigen Abstandsfläche der Garage zum Flurstück habe sie einen Befreiungsantrag gestellt, dem ihr Vater als Pächter des Flurstücks zugestimmt habe.

Die Klägerin beantragte,

unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 1. Oktober 1992 den Beklagten zu verpflichten, sie im Hinblick auf ihren Bauantrag vom 10. Januar 1992 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 13. Mai 1993 hat das Verwaltungsgericht die Stadt H und die Stadt O , jeweils vertreten durch ihren Magistrat, sowie das Land Hessen, vertreten durch das Forstamt Neu-Isenburg, dem Verfahren beigeladen.

Die beigeladene Stadt H beantragte,

die Klage abzuweisen,

Zur Begründung nahm sie Bezug auf die angefochtenen Bescheide. Ergänzend führt sie aus, die Stadt O habe als Eigentümerin des Flurstücks der Neuparzellierung des ursprünglichen Grundstücks und der Bildung des Flurstücks nur zugestimmt, um dem Vater der Klägerin den Nachweis einer ordnungsgemäßen Erschließung des Flurstücks zu ermöglichen.

Die beigeladene Stadt O und das beigeladene Land Hessen stellten keinen Antrag.

Mit Urteil vom 13. November 1996, der Klägerin zugestellt am 4. Februar 1997, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, das Vorhaben der Klägerin entspreche zwar § 34 Abs. 1 BauGB, verstoße aber gegen bauordnungsrechtliche Bestimmungen. Die für das Vorhaben nach § 50 Abs. 6 HBO 1993 in Verbindung mit der Stellplatzsatzung der Stadt H notwendigen Stellplätze könnten weder an der in den Bauvorlagen vorgesehenen Stelle des Grundstücks noch auf einem anderen Grundstücksteil errichtet werden. Die Anordnung der Stellplätze widerspreche § 6 Abs. 11 Nr. 1 b HBO 1993, da unmittelbar an der Nachbargrenze lediglich Stellplätze bis zu einer Gesamtlänge von 8 m errichtet werden dürften, während die beantragten Stellplätze eine Länge von 10,30 m hätten. Ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 6 Abs. 11 Nr. 1 Halbsatz 2 HBO 1993 in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 1 HBO 1993 vorlägen, bedürfe keiner Entscheidung, da die Stellplätze auch aus anderen Gründen nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stünden. Durch die vorgesehene Anordnung entstehe auf dem Grundstück des Vaters der Klägerin - dem Flurstück - ein gefangener Stellplatz, was § 5 Abs. 1 Satz 2 der Stellplatzsatzung der Stadt H widerspreche. Der einzige vorhandene Stellplatz auf dem Flurstück sei eine in der nordöstlichen Grundstücksecke errichtete Garage, die ausschließlich über den G Weg und das Grundstück der Klägerin erschlossen werde. Diese Zuwegung würde durch die von der Klägerin beantragte Errichtung der beiden Stellplätze versperrt. Schließlich halte das Vorhaben auch nicht den gemäß § 6 Abs. 15 HBO 1993 erforderlichen Waldabstand sowie die gemäß § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HBO 1993 erforderliche Abstandsfläche zum Flurstück ein. Gründe für eine Befreiung nach § 68 Abs. 3 HBO 1993 seien nicht ersichtlich. Insbesondere komme eine offenbar nicht beabsichtigte Härte nicht in Betracht, da das Flurstück als Zufahrt zum Flurstück aus dem Ursprungsgrundstück herausgemessen worden sei, und somit eine Bebauung mit einem Wohnhaus nicht beabsichtigt gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 3. Februar 1997, eingegangen beim Verwaltungsgericht Darmstadt am 4. Februar 1997, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, bauplanungsrechtlich sei das Vorhaben nach § 34 BauGB zu beurteilen. Das vorhandene Garagengebäude stelle selbst einen Bebauungszusammenhang mit der nördlich und westlich befindlichen Bebauung her. Der erforderliche Waldabstand werde eingehalten, da der Hochwald erst in einem Abstand zur westlichen Außenwand der Garage von 50 m beginne. Der Waldrand bestehe nur aus niedrigen Büschen. Im Übrigen erachte sie die Vorschrift des § 6 Abs. 15 HBO 1993 wegen eines Verstoßes gegen Art 14 GG für verfassungswidrig. Hinsichtlich der Nichteinhaltung der notwendigen Abstandsfläche zum Flurstück habe der Beklagte im ablehnenden Bescheid vom 1. Juli 1992 zugesichert, dass die notwendige Befreiung bei Vorliegen des gemeindlichen Einvernehmens in Aussicht gestellt werde. Im Übrigen habe sich ihr Vater als Nutzungsberechtigter des Flurstücks mit der Umnutzung einverstanden erklärt. Die Errichtung der zwei hintereinander liegenden Stellplätze entlang der Grenze zum Flurstück sei zulässig, da die Voraussetzungen für eine Befreiung gegeben seien. Dies folge schon daraus, dass bei der vorgesehenen Anordnung der Stellplätze die Belastung für den Nachbarn nicht größer sei, als bei einer zulässigen parallelen Anordnung. Auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Anordnung der Stellplätze auf dem Flurstück sei unzulässig, weil dadurch der notwendige Stellplatz auf dem Flurstück zu einem gefangenen Stellplatz werde, sei unrichtig. Das Flurstück sei auch nicht als Zuwegung zum Grundstück aus dem ursprünglichen Flurstück herausgemessen worden. Dadurch habe der Zugang zur S Straße nicht obsolet werden sollen. Die Bildung des Flurstücks sei vielmehr gleichsam als Option für einen weiteren Zugang des Flurstücks zum G Weg erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 13. November 1996 und des Bescheides des Beklagten vom 1. Juli 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 1. Oktober 1992 den Beklagten zu verpflichten, den Bauantrag vom 10. Januar 1992 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die angefochtenen Bescheide sowie den Inhalt des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt

Die Beigeladene zu 1. beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt im Berufungsverfahren aus, die Garage auf dem Grundstück der Klägerin befinde sich im Außenbereich. Die Umnutzung sei als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 BauGB unzulässig, da die Entstehung einer Splittersiedlung zu befürchten sei. Im Übrigen bezieht sie sich ebenfalls auf den Inhalt der angefochten Entscheidung.

Das beigeladene Land Hessen hat keinen Antrag gestellt, führt aber aus, dass das umzunutzende Garagengebäude den notwendigen Waldabstand nicht einhalte.

Die beigeladene Stadt O hat ebenfalls keinen Antrag gestellt. In der Sache erklärt sie, dass sie als Eigentümerin des Nachbarflurstücks auf die Einhaltung der Abstandsfläche Wert lege.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Gerichtsakte dieses Verfahrens Bezug genommen auf die Bauakten des Beklagten betreffend das streitige Vorhaben, den Bauschein vom 1. Dezember 1978 betreffend die Errichtung der Garage, zwei Bauscheine betreffend die Errichtung eines Zweifamilienhauses auf dem Grundstück des Vaters der Klägerin (Flurstück ) und ferner die Gerichtsakten der Verfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof 9 UE 1066/97 und 9 UE 1067/97 mit Beiakten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage zu Recht abgewiesen, da die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung für die Änderung der Nutzung des Garagengebäudes auf dem Grundstück Gemarkung H , Flur , Flurstück in ein Wohnhaus hat.

Maßgeblich für die Beurteilung der Begründetheit einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1980 - BVerwG 4 C 3.78 -, BVerwGE 61, 128 = NJW 1981, 2426). Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 der Hessischen Bauordnung in der derzeit gültigen Fassung der Bekanntmachung vom 20. Dezember 1993 (GVBl. I S. 655), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 1998 (GVBl. I S. 563) - HBO - ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht.

Die Nutzungsänderung verstößt gegen die bauordnungsrechtliche Abstandsflächenvorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 4 HBO.

Obwohl das Garagengebäude als solches bereits auf Grund einer Baugenehmigung vom 1. Dezember 1978 errichtet wurde, wirft die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung die Genehmigungsfrage auch in Bezug auf die Einhaltung der notwendigen Abstandsflächen erneut auf. Grundsätzlich sind zwar Nutzungsänderungen nach der Hessischen Bauordnung abstandsflächenrechtlich unerheblich, da in der offenen Bebauung Abstandsflächen unabhängig von der Art der Nutzung der jeweiligen baulichen Anlage einzuhalten sind und auch die Bemessung der einzuhaltenden Abstandsflächen durch die Nutzungsart nicht beeinflußt wird. Die Bestimmung des § 6 HBO differenziert hinsichtlich der Abstandsfläche nicht nach Nutzungsarten, sondern in Absatz 5 lediglich nach einzelnen Baugebieten (vgl. auch zum jeweiligen Landesrecht: BayVGH, Urteil vom 26.11.1979 - Nr. 51 XIV 78 -, BRS 36 Nr. 181; Sächsisches OVG, Beschluß vom 15.3.1994 - 1 S 633/93 -, DÖV 1994, 614, 615 = LKV 1995, 119; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluß vom 27.8.1998 - 3 M 65/98 -, BauR 1999, 624 = LKV 1999, 197, 198; a. A. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 7.2.1995 - 1 L 41/94 -).

Etwas anderes gilt aber, wenn die Art der Nutzung der baulichen Anlage - ausnahmsweise - im früheren Baugenehmigungsverfahren für die abstandsrechtliche Prüfung von Bedeutung war. Durch eine Nutzungsänderung werden dann Umstände berührt, die für die Erteilung der ursprünglichen Baugenehmigung maßgeblich gewesen sind, so dass eine neue abstandsrechtliche Prüfung geboten ist. Dies ist zu bejahen, wenn die neue Nutzung an die Stelle einer in der Abstandsfläche privilegiert zulässigen Nutzung tritt.

Dies ist hier der Fall. Die im Jahre 1978 genehmigte Grenzgarage konnte nach § 7 Abs. 5 Satz 2 HBO 1977 bevorzugt im Bauwich zugelassen werden, so dass die Aufgabe der Garagennutzung zugunsten einer Wohnnutzung die Abstandsfrage erneut aufwirft.

Nach § 6 Abs. 5 Satz 4 HBO beträgt die Tiefe der Abstandsflächen, die vor den Außenwänden von Gebäuden freizuhalten sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 HBO) und die auf dem Grundstück selbst liegen müssen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 HBO), mindestens 3 m. Da das Garagengebäude der Klägerin auf der Grenze zum westlichen Nachbargrundstück errichtet wurde, verstößt die beantragte Änderung der Nutzung des Vorhabens mithin gegen die Bestimmung des § 6 Abs. 5 HBO.

Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften nach § 68 Abs. 3 HBO liegen nicht vor.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 68 Abs. 3 Nr. 1 HBO sind nicht gegeben. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde von zwingenden Bestimmungen der Hessischen Bauordnung auf schriftlichen und zu begründenden Antrag befreien, wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Abweichung rechtfertigen. Derartige Gründe liegen entgegen der Auffassung der Klägerin selbst dann nicht vor, wenn im Stadtgebiet der Beigeladenen zu 1. eine Wohnraumknappheit bestünde.

Es bedarf nämlich für die Gewährung einer Befreiung aus Gründen des Allgemeinwohls eines atypischen, von dem der zwingenden Vorschrift zu Grunde liegenden Regelfall abweichenden Sachverhalts (Müller/Weiss u.a., Baurecht in Hessen, Stand: Juni 1997, 2.3.1.1, Seite 14; Allgeier/v. Lutzau, Die Bauordnung für Hessen, § 68 Erl. 68.3; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Mai 1995 -- 7 A 2181/93 --, BRS 57 Nr. 163; Urteil des Senats vom 10. April 2000 - 9 UE 2454/92 - ). Die Notwendigkeit einer Atypik folgt aus dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen zwingender Vorschrift und Befreiung. Mit der Befreiung will der Gesetzgeber die gerechte Lösung von Fallkonstellationen ermöglichen, die vom Normalfall abweichen und die bei Erlass der generalisierenden Regelung nicht mitbedacht werden konnten. Eine Abweichung kann daher nicht für den Regelfall gewährt werden. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass § 68 Abs. 3 Nr. 1 HBO anders als § 68 Abs. 3 Nr. 3 HBO die Gewährung einer Befreiung gerade nicht auf den Einzelfall beschränkt. Denn das Erfordernis der Atypik folgt nicht aus dem Tatbestandsmerkmal des Einzelfalls, sondern aus dem Wesen der Befreiung.

Die von der Klägerin in ihrem Befreiungsantrag zur Begründung genannte "allgemeinen Wohnungsnot" im Gemeindegebiet der Beigeladenen zu 1. stellt eine derartige atypische Ausnahmesituation nicht dar. Es wäre widersprüchlich, für ein gesamtes Gemeindegebiet einen dringenden Wohnbedarf und zugleich für ein jeweils bauordnungsrechtlich unzulässiges Wohnbauvorhaben aus diesem Grund einen atypischen Einzelfall anzunehmen (vgl. zum Letzteren im Hinblick auf eine Befreiung nach § 4 Abs. 1 a Satz 1 und 2 BauGB-MaßnG: Hess. VGH, Urteil vom 24. August 1995 - 3 UE 615/95 -, BRS 57, 241 = NVwZ-RR 1996, 488). Wollte man allein mit Rücksicht auf eine generell oder auch nur im Gemeindegebiet bestehende Wohnungsknappheit von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschrift befreien, würde dies zu einem weitgehenden Leerlaufen dieser Regelung führen.

Auch der Befreiungstatbestand des § 68 Abs. 3 Nr. 3 Halbsatz 1 HBO ist nicht gegeben. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde von der Einhaltung einer Vorschrift befreien, wenn ihre Durchführung im Einzelfall zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Eine unbillige Härte im Sinne dieser Bestimmung ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die objektiven Verhältnisse des Grundstücks, seine Lage, Größe, sein Zuschnitt und seine Bebauung grundstücksbezogen die Abweichung (auch unter Berücksichtigung der Belange des Nachbarn) rechtfertigen. Unbillig kann die Einhaltung der Abstandsfläche deshalb nur sein, soweit die Bebauung oder die sinnvolle Nutzung einer bereits vorhandenen Bausubstanz wegen der objektiven Gegebenheiten des Grundstücks unmöglich gemacht oder unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 C 17.90 -, BVerwGE 88, 191, 198 ff. = BRS 52 Nr. 157 = NJW 1991, 3293, 3295 f.).

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht eine unbillige Härte auf Grund des Zuschnitts des Grundstücks der Klägerin verneint. Denn dieses Grundstück wurde aus dem ursprünglichen Flurstück herausgemessen, um - so der Vortrag der Klägerin - ihrem Vater die Möglichkeit der Schaffung einer zweiten Zufahrt zu dessen Grundstück, dem Flurstück , zu eröffnen. Infolge dessen kann es keine unzumutbare Härte begründen, wenn der Grundstückszuschnitt einer Umnutzung des vorhandenen Garagengebäudes in ein Wohngebäude entgegensteht. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Bausubstanz auf dem Flurstück ohne die Nutzungsänderung nicht mehr sinnvoll - als Garage - genutzt werden könnte. Auch die durch die Einhaltung der Abstandsfläche verhinderte bessere wirtschaftliche Ausnutzung des Grundstücks begründet ebenso wenig eine unbillige Härte wie andere in der Person des Bauherrn liegende Umstände - hier der Wunsch, die höheren Kosten einer anderweitigen Wohnungsbeschaffung zu vermeiden (vgl. dazu auch BayVGH, Urteil vom 14.4.1972 - Nr. 192 I 70 -).

Die Klägerin hat auch nicht etwa deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der Einhaltung der Abstandsflächenbestimmung des § 6 HBO, weil der Beklagte ihr eine dahingehende Zusicherung (§ 38 HessVwVfG) erteilt hätte. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Formulierung in dem ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 1992, eine Befreiung könne nur bei Vorliegen des gemeindlichen Einvernehmens in Aussicht gestellt werden, eine derartige Zusicherung nicht entnommen werden.

Eine Zusicherung liegt nur vor, wenn eine entsprechende Erklärung als hoheitliche Selbstverpflichtung mit Bindungswillen zu dem entsprechenden Verhalten in der Zukunft abgegeben wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1967 - BVerwG VI C 73.64 - BVerwGE 26, 31 [36]; Beschluß vom 22. März 1995 - BVerwG 1 WB 81.94 - Buchholz 316 § 38 VwVfG Nr. 12 m. w. N.). Gegenüber dem Adressaten einer Zusicherung muss unzweifelhaft der Wille der Behörde zum Ausdruck kommen, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 - BVerwG 4 C 28.84 - BVerwGE 74, 15 [17]; Urteil vom 25. Januar 1995 - BVerwG 11 C 29.93 - BVerwGE 97, 323 = DVBl 1995, 746).

Die Formulierung, eine Befreiung könne nur bei Vorliegen des gemeindlichen Einvernehmens "in Aussicht gestellt" werden, besagt - ungeachtet dessen, dass ein gemeindliche Einvernehmen zu der begehrten Nutzungsänderung nicht gegeben ist - nicht, dass die Befreiung bei Eintritt der Bedingung erteilt werden wird, sondern lediglich, dass Aussicht in Form von Hoffnung auf Erhalt einer Befreiung überhaupt nur für diesen Fall besteht. Eine verbindliche Selbstverpflichtung des Beklagten kann dieser Erklärung somit nicht entnommen werden. Es handelt sich vielmehr um einen schlichten Hinweis darauf, dass man die Frage der Erteilung einer Befreiung erst prüfen werde, wenn die Gemeinde dem Vorhaben zugestimmt hat. Dementsprechend enthält der Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 1992 auch keinen Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Befreiung geprüft wurden.

Da die beantragte Genehmigung der Nutzungsänderung der Bestimmung des § 6 Abs. 5 Satz 4 HBO nicht entspricht, kann dahingestellt bleiben, ob das Vorhaben gegen weitere bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Vorschriften verstößt. Da folglich die von der Klägerin als verfassungswidrig gerügte Vorschrift des § 6 Abs. 15 HBO für dieses Verfahren nicht entscheidungserheblich ist, ist bereits aus diesem Grund die beantragte Aussetzung des Verfahrens und Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach hat derjenige die Kosten des Verfahrens zu tragen, der ohne Erfolg ein Rechtsmittel einlegt. Da die Beigeladene zu 1. im Berufungsverfahren einen eigenen Antrag gestellt und sich somit auch einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, erachtet es der Senat der Billigkeit entsprechend, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1., im Gegensatz zu den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. und 3., der unterliegenden Klägerin aufzuerlegen (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 GKG. Danach ist für die Bemessung des Streitwerts das Interesse der Klägerin an der begehrten Genehmigung für die Nutzungsänderung maßgeblich. Dieses Interesse ist nach Nr. 2, Absatz 2 in Verbindung mit Nr. 1 a der Richtlinien des 3. und 4. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs für die Bemessung der Streitwerte in Baurechtssachen vom 1. Januar 1995, denen sich der Senat anschließt, mit 8.000,-- DM zu bewerten. Eine Bodenwertsteigerung wäre für das bereits bebaute schlauchartige Grundstück durch die Erteilung der Nutzungsänderungsgenehmigung nicht zu erwarten.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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