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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 11.12.2000
Aktenzeichen: 9 UE 2200/98.A
Rechtsgebiete: GG, AuslG, EMRK


Vorschriften:

GG Art. 16 A
AuslG § 53 Abs. 4
AuslG § 53 Abs. 6
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
1. Die derzeitige katastrophale Versorgungslage in Äthiopien begründet für eine alleinstehende junge Frau, die als Jugendliche aus Äthiopien geflohen ist und die über kein eigenes Vermögen und in Äthiopien über keinen familiären Rückhalt mehr verfügt, im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien eine konkrete Gefahr für Leib und Leben.

2. In diesem Fällen ist Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.


Tatbestand:

Die am 13. Januar 1980 in Addis Abeba (Äthiopien) geborene Klägerin ist amharischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 12. März 1995 auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte durch ihren Amtsvormund am 9. März 1996 die Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung trug sie vor, ihr Vater sei aktives Mitglied in der AAPO gewesen. In der Fabrik, in der er gearbeitet habe, habe er Spendengelder gesammelt, Mitglieder angeworben und Mitgliederversammlungen abgehalten. Im Februar 1995 sei ihr Vater plötzlich verschwunden; kurz danach sei auch ihre Tante verhaftet worden. Ein Freund ihres Vaters habe sie daraufhin aufgenommen und ihre Flucht nach Deutschland organisiert. Ihre Mutter sei schon bei ihrer Geburt gestorben. Aufnahmebereite Verwandte gebe es in Äthiopien nicht mehr. Im Jahre 1996 - nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland - habe sie erfahren, dass ihr Vater inzwischen ebenfalls verstorben sei.

Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. August 1996 wurde der Asylantrag der Klägerin als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich und die des § 53 AuslG nicht vorlägen. Gleichzeitig wurde die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen; für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise wurde ihre Abschiebung nach Äthiopien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht.

Am 9. Oktober 1996 erhob die Klägerin Klage. Zur Begründung wiederholte sie ihr Vorbringen vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und wies noch einmal darauf hin, dass in ihrer Heimat keine Verwandten mehr lebten; ihr Vater sei AAPO-Aktivist gewesen. Er habe ein Textilgeschäft gehabt und für die AAPO gearbeitet. Eine Freundin, die ebenfalls wie sie Botentätigkeiten für die AAPO ausgeübt habe, sei verhaftet worden. Sie selbst habe damals in einem großen Haus mit Haushälterin gelebt, in dem Haus habe auch ihre Tante gewohnt. Nach dem Verschwinden ihres Vaters sei diese verschleppt worden.

Mit Urteil vom 26. Februar 1998 verpflichtete das Verwaltungsgericht Wiesbaden die Beklagte festzustellen, dass für die Klägerin hinsichtlich Äthiopien Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG vorlägen; zugleich wurden die Nrn. 3 und 4 des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. August 1996 aufgehoben. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Gegen das dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten am 24. März 1998 zugestellte Urteil hat dieser am 2. April 1998 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit das Verwaltungsgericht der Klage auf Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG stattgegeben hat. Die Berufung ist mit Beschluss des Senats vom 8. Juni 1998 zugelassen worden (Az.: 3 UZ 1463/98.A). Zur Begründung seiner Berufung trägt der Bundesbeauftragte vor, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG ab. Die schlechte wirtschaftliche Situation in Äthiopien sowie die für die Klägerin schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt stellten keine Gefährdung dar, die dem äthiopischen Staat zuzurechnen sei.

Der Bundesbeauftragte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 26. Februar 1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, dass die Voraussetzungen von § 53 Abs. 4 AuslG aus den vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil genannten Gründen weiterhin gegeben seien. Hinzu komme, dass im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland nach wie vor die Gefahr bestehe, dass sie wegen der Tätigkeit ihres Vaters für die AAPO von der heutigen EPRDF-Regierung verfolgt werde. Zumindest seien aber in ihrer Person die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG erfüllt.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Verfahrensbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Die Klägerin ist vom Verwaltungsgericht am 26. Februar 1998 angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag (Bl. 41 - 45 der Akte) Bezug genommen.

Die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (1 Aktenhefter) sind beigezogen worden. Des Weiteren ist den Verfahrensbeteiligten am 29. November 1999 und am 25. August 2000 jeweils eine Quellenliste mit Dokumenten und Informationsquellen betreffend Äthiopien übersandt worden; wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Akte sowie die nach Maßgabe der Erkenntnisquellenliste verwerteten Dokumente Bezug genommen.

Entscheidungsgründe :

A.

Die Entscheidung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten hierauf wirksam verzichtet haben. Gemäß §§ 125 Abs. 1, 87 a Abs. 2 und 3 VwGO entscheidet anstelle des Senats der Berichterstatter, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zugelassene Berufung ist auch ansonsten zulässig; sie ist insbesondere in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 VwGO noch genügenden Weise begründet worden. Nach dieser Vorschrift, die auch in gerichtlichen Asylverfahren Anwendung findet und nicht durch § 78 AsylVfG verdrängt wird (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 18. Dezember 1997 - 3 UE 3402/97.A -), reicht es zur ordnungsgemäßen Begründung einer Berufung aus, wenn in der Berufungsbegründung der Streitgegenstand aus der Sicht des Berufungsführers bezeichnet wird und die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthält. Diesen Anforderungen genügt die Bezugnahme auf die Zulassungsschrift in der Berufungsbegründung des Beteiligten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 1997 - BVerwG 9 B 690.97 -, DVBl. 1997, 1325). Da es auch im Berufungsverfahren um die Anwendung und Auslegung von § 53 Abs. 4 und Abs. 6 AuslG geht, bedarf es einer erneuten Wiederholung der schon im Zulassungsverfahren vorgetragenen Gründe im Rahmen der Berufungsbegründung nicht mehr; aus der Bezugnahme ergibt sich nämlich hinreichend deutlich, warum der Beteiligte das angefochtene Urteil für unrichtig hält.

B.

Die Berufung ist begründet, soweit das Verwaltungsgericht der auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG gerichteten Klage stattgegeben und die gegenüber der Klägerin ergangene Abschiebungsandrohung nach Äthiopien (Nr. 4 des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) aufgehoben hat; insoweit war das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin kann in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht verlangen, dass die Beklagte feststellt, dass in ihrer Person Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG (I. 1.) vorliegen. Demnach muss auch die gegenüber der Klägerin ergangene Abschiebungsandrohung Bestand haben (I. 2.).

Unbegründet ist die Berufung hingegen, soweit es um die in dem angefochtenen Urteil nicht direkt ausgesprochene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG geht; insoweit ist das angefochtene Urteil zu ergänzen und die von der Klägerin hilfsweise erstrebte Verpflichtung auszusprechen, da die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG hat (II.). Danach ergeben sich die zu treffenden Nebenentscheidungen (III.).

I.

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf die begehrte Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952 S. 686) zu. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Senats droht der Klägerin keine im Sinne der genannten Vorschrift hinreichend wahrscheinliche Gefahr, dass die Behörden in Äthiopien ihn mittels schwerer Eingriffe in elementare Rechtsgüter unmenschlich oder erniedrigend behandeln werden.

Nach § 53 Abs. 4 AuslG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung von Art. 3 EMRK, die der deutsche Gesetzgeber bereits mit Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II, 685) in innerstaatliches deutsches Recht transformiert hat und die seitdem in der Bundesrepublik Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 - NVwZ 1996, 476; bestätigt durch Urteile vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289, vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 - NVwZ 1997, 685, vom 8. April 1997 - 1 C 12.94 - NVwZ 1997, 1112, vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 - DVBl. 1998, 282 und vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 - DVBl. 1998, 284) muss auch der erkennende Senat davon ausgehen, dass Art. 3 EMRK ebenso wie das Asylrecht nicht vor den allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen und anderen bewaffneten Konflikten schützt, sondern dass eine Verantwortlichkeit des Vertragsstaates grundsätzlich nur für die Folgen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht. Dabei setzt der Begriff der Behandlung ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus. Diese Begrenzung des Schutzbereichs des Art. 3 EMRK ergibt sich, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Oktober 1995 ausführlich dargelegt hat, aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck der Europäischen Menschenrechtskonvention. In Fällen der Abschiebung ist ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK mithin nur dann in Betracht zu ziehen, wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Abgeschobene im aufnehmenden Land einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung unterworfen wird, was bei allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen, nachteiligen Auswirkungen eines unterentwickelten Gesundheitssystems und anderen bewaffneten Konflikten offensichtlich nicht zutrifft, sondern vielmehr grundsätzlich nur eine vom Staat ausgehende oder zumindest von ihm zu verantwortende Misshandlung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK sein kann (so ebenfalls: Hess. VGH, Urteile vom 29. Juli 1996 - 13 UE 2378/96.A, vom 18. Dezember 1997 - 3 UE 3402/97.A - und vom 28. Mai 1998 - 3 UE 755/98.A).

Auch im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - vom 17. Dezember 1996 (Nr. 71/1995/577/ 663 - Ahmed gegen Österreich - InfAuslR 1997, 279) ist mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - NVwZ 1997, 1127 - und vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -) an dieser Auslegung von § 53 Abs. 4 AuslG festzuhalten. Danach ist auch weiterhin davon auszugehen, dass Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung nur gewährt werden kann, wenn der Klägerin im Zielland der Abschiebung (hier Äthiopien) Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation unterworfen zu werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt hat, ergibt sich die Begrenzung des Schutzbereichs von Art. 3 EMRK aus den nach Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl. 1985 II, 926) vorrangigen Gesichtspunkten der gewöhnlichen Bedeutung der Vertragsbestimmungen in ihrem Zusammenhang sowie aus deren Sinn und Zweck unter Berücksichtigung auch der Entstehungsgeschichte, wobei den Erkenntnissen der Konventionsorgane, vornehmlich des EGMR, besonderes Gewicht zukommt. Nach alledem ist bei der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK auch weiterhin von den oben genannten Voraussetzungen auszugehen.

Für die Feststellung dieses Anspruchs gilt der gleiche Prognosemaßstab wie für Art. 16 a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 - Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 173 Seite 17), hier also der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dies gilt unbeschadet dessen, ob im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Äthiopien eine Verfolgung durch die äthiopischen Behörden gegeben war oder unmittelbar bevorstand. Der im Asylrecht für die Fälle politischer Verfolgung geltende so genannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist bei der Anwendung des § 53 Abs. 4 AuslG nämlich auch dann nicht anwendbar, wenn der Schutzsuchende schon einmal Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289). Das auch in § 53 Abs. 4 AuslG enthaltene Element der Konkretheit der Gefahr für diesen Ausländer kennzeichnet jedoch das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation. Des Weiteren gilt, dass der Umstand, dass sich eine Vielzahl von Personen in derselben Situation befindet, die Anwendung von § 53 Abs. 4 AuslG nicht ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996, a.a.O.).

Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, wird deutlich, dass der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien wegen ihrer Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland oder der früheren politischen Betätigung ihres Vaters für die AAPO keine im Sinne des § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK hinreichend wahrscheinliche Gefahr droht, in Äthiopien deswegen durch staatliche Organe oder durch Dritte, für die der Staat verantwortlich ist, mittels schwerer Eingriffe in elementare Rechtsgüter unmenschlich behandelt zu werden. Dies gilt umso mehr, wenn die Klägerin nach Addis Abeba zurückkehrt.

a) Auf der Grundlage der im Rahmen dieses Verfahrens eingeholten Auskünfte und Stellungnahmen sowie unter Würdigung der persönlichen Anhörung der Klägerin vor dem Verwaltungsgericht am 26. Februar 1998 ist bezüglich der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Äthiopien - ergänzend zu den Feststellungen des Senats in seinen Urteilen vom 8. Dezember 1998 (3 UE 1412/98.A - rechtskräftig - ESVGH 49, 159), vom 27. Mai 1999 (3 UE 2606/97.A - rechtskräftig - ) und vom 26. Oktober 1999 (3 UE 2605/97.A - rechtskräftig -), die diesem Verfahren ebenfalls zu Grunde gelegt werden können - von folgenden Tatsachen auszugehen:

Äthiopien ist der älteste unabhängige Staat Afrikas und war - abgesehen von einer nur kurzen italienischen Besetzung zwischen 1936 und 1941 - niemals Kolonie (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 1. April 1998). In Äthiopien leben derzeit ca. 59 Mio. Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Diese ethnische Vielfalt war und ist neben den wirtschaftlichen und sozialen Faktoren eine der Hauptursachen für die bestehenden Konflikte. Die größten Bevölkerungsgruppen Äthiopiens sind die Oromo (ca. 21 Mio. Menschen), die Amhara (ca. 16 Mio. Menschen), die überwiegend im nördlichen Teil der Hochlandregionen und um Addis Abeba herum siedeln, die Tigre (ca. 7 bis 8 Mio. Menschen), die Somal (ca. 2,5 Mio. Menschen) und die Afar (weniger als 100.000 Menschen). Daneben gibt es ca. 75 weitere Bevölkerungsgruppen. In der Vergangenheit waren die Amhara und die Tigre stets die einflussreichsten Bevölkerungsgruppen; aus ihnen entstammten jeweils in früheren Zeiten, als Äthiopien noch eine Monarchie war, die Könige.

Zwischen 1936 und 1941 war Äthiopien italienisch besetzt und wurde während dieser Zeit mit Eritrea und der Kolonie "Italienisch Somaliland" zu der italienischen Kolonie "Ostafrika" vereinigt. Während dieser Zeit ging der seit 1916 regierende Kaiser Haile Selassie ins Exil. Nach Kriegsende wurde Eritrea aufgrund eines Beschlusses der UN im Jahre 1952 offizieller Bestandteil des äthiopischen Staatsverbandes, erhielt allerdings einen Sonderstatus. Diesen Sonderstatus hob der äthiopische Kaiser nach und nach auf; im Jahre 1962 wurde Eritrea dann eine gewöhnliche äthiopische Provinz. Dies war der Auslöser eines bewaffneten Befreiungskrieges eritreischer Aufständischer, der zunächst gegen das Kaiserreich Äthiopien und später auch gegen das kommunistische Militärregime des Mengistu geführt wurde; der eritreische Freiheitskrieg führte im Mai 1991 schließlich zur Vertreibung des Mengistu-Regimes und im Mai 1993 letztlich zur Unabhängigkeit Eritreas (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 1. April 1998).

Aufgrund einer im Jahr 1973 eskalierenden Hungerkatastrophe im Norden Äthiopiens und wegen der aufgestauten Unzufriedenheit in der Bevölkerung über verbreitete Korruption, Repression und Rückständigkeit, die durch die unzureichenden Reformansätze des Kaiserreichs Äthiopien verschärft wurden, kam es im September 1974 zum Putsch gegen den Kaiser Haile Selassie. Ein von jungen Offizieren gebildeter "provisorischer Militärverwaltungsrat" (amharisch: DERG) übernahm die Macht. In den folgenden Jahren setzte sich schließlich nach blutigen Machtkämpfen im Februar 1977 Oberstleutnant Mengistu Haile Mariam durch, der das Land in den folgenden Jahren mit "rotem Terror" überzog. Zwischen 1977 und 1978 sollen den so genannten Säuberungsaktionen des Mengistu-Regimes zwischen 5.000 und 10.000 Menschen zum Opfer gefallen sein. Mengistu ging daran, Äthiopien als sozialistischen Staat marxistisch-leninistischer Prägung umzugestalten, was mit der Verstaatlichung von Banken, Versicherungen und größeren Unternehmen begann und schließlich in einer neuen Arbeitsgesetzgebung sowie in einer Landreform verbunden mit Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen mündete. Diese Sozialisierung war mit einer umfassenden staatlichen Überwachung nahezu aller Lebensbereiche, zunehmender Repression und Willkür verbunden. Dabei wurde die Militarisierung des Landes vor allem mit sowjetischer Unterstützung stark vorangetrieben.

Das Mengistu-Regime setzte den Kampf gegen die Freiheitsbewegungen, insbesondere in Eritrea, fort und lieferte sich einen blutigen Krieg vor allem mit der Eritrean People's Liberation Front (EPLF) und der 1975 gegründeten Tigray People's Liberation Front (TPLF), eine strikt marxistisch-leninistisch ausgerichtete Organisation (amnesty international, Auskunft vom 16. Mai 1997 an VG München). Im Jahre 1990 zeichnete sich die allmähliche militärische Niederlage des Mengistu-Regimes ab; nachdem Verhandlungen mit den Widerstandsbewegungen gescheitert waren, siegten die von der EPLF und der TPLF angeführten Rebellenbewegungen schließlich im Mai 1991 über das DERG-Regime. Mengistu floh am 21. Mai 1991 nach Simbabwe, wo er sich seitdem aufhält. Mit der Einnahme der Hauptstadt Addis Abeba am 28. Mai 1991 endete der Bürgerkrieg.

Die 1988 gegründete und aus der TPLF, der Ethiopian People's Democratic Movement (EPDM), der Oromo People's Democratic Organisation (OPDO) und der Ethiopian Democratic Offiziers Revolutionary Movement (EDORM) bestehende Koalition der Widerstandsgruppen formierte sich zur Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF) und bildete eine Übergangsregierung unter dem Revolutionsführer Meles Zenawi (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 26. September 1991 an VG Ansbach). Die TPLF nahm in der EPRDF von Anfang an eine Schlüsselposition ein und sorgte dafür, dass nach der Regierungsübernahme zunächst alle politischen Gefangenen des Mengistu-Regimes aus der Haft entlassen wurden.

An der von der EPRDF einberufenen Nationalkonferenz vom 1. bis 4. Juli 1991 nahmen 23 unterschiedliche Gruppen der Anti-Mengistu-Opposition teil; das dort beschlossene Übergangsparlament nahm sodann seine Arbeit auf. Die Übergangsregierung wurde aus einer 87 Sitze umfassenden Nationalversammlung gebildet, in der 32 Sitze von der EPRDF gehalten und 6 Sitze für den späteren Beitritt weiterer politischer Gruppierungen offengehalten wurden. Im Übrigen wurden eine Reihe kleinerer ethnischer Gruppen aufgenommen. Als Übergangsverfassung wurde eine Nationalcharta verabschiedet, die freie Wahlen in spätestens zwei Jahren vorsah und neben der Garantie demokratischer Freiheitsrechte des Individuums und Grundsätzen einer künftigen Pressefreiheit den garantierten Zugang zu unabhängigen Gerichten enthielt. Die in Opposition zur EPRDF stehenden Gruppierungen wurden von der Nationalkonferenz ausgeschlossen. Der EPRDF soll es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelungen gewesen sein, die Kontrolle über das ganze Land zu übernehmen. Zum Staatspräsidenten wurde der Führer der EPRDF, Meles Zenawi, gewählt, der ab August 1991 das Land regierte. Anfang 1992 teilte die EPRDF das Land in 14 Verwaltungsregionen auf der Grundlage der ethnischen Vielfalt auf. Im Sommer 1992 trat die OLF (Oromo Liberation Front) aus der Regierung aus.

Bei den mit unlauteren Mitteln und militärischen Einschüchterungen manipulierten Distrikts- und Regionalwahlen im Juni 1992 erzielte die EPRDF ein schlechtes Ergebnis. Insbesondere sollen politische Mitbewerber bei den Wahlen und auch noch danach von den Sicherheitskräften behindert, bedroht, beschossen, vertrieben oder inhaftiert worden sein. Diese Wahlen wurde von der Oromo Liberation Front (OLF), der All Amharas Poeple's Organisation (AAPO), der Islamic Front for the Liberation of Oromia (IFLO), der Oromo Abo Liberation Front (OALF), der Ethiopian Democratic Action Group (EDAG) und der Afar National Liberation Movement (ANLM) boykottiert. Diese Parteien sind der Opposition gegen die EPRDF zuzurechnen. Obwohl im gesamten Land die Wahlen für den 21. Juni 1992 vorgesehen waren, konnte dieser Termin letztlich nur in den Oromo- und Tigre-Regionen sowie in Addis Abeba eingehalten werden. In den anderen Regionen scheiterte die Durchführung der Wahlen entweder an organisatorischen oder an Sicherheitsgründen; insbesondere konnten Wahlbeobachter zahlreiche Unregelmäßigkeiten feststellen.

Des Weiteren wurden ab 1992 in zunehmendem Maße Rechtsverletzungen beobachtet. So sollen nach Berichten des Auswärtigen Amtes Kriminelle immer häufiger "auf der Flucht" erschossen statt einem Richter vorgeführt worden sein; Verhaftungen sollen ohne Haftbefehl und aus rein politischen Gründen erfolgt sein; genehmigte Demonstrationen sollen aufgelöst und deren Veranstalter verhaftet worden sein. Zwar soll sich nach Ansicht des Auswärtigen Amtes die allgemeine Menschenrechtssituation in Äthiopien im Gegensatz zu der Menschenrechtslage während des Mengistu-Regimes seit der Machtübernahme durch die EPRDF verbessert haben; vor allem während der Regionalwahlen 1992 fanden aber noch wiederholt standrechtliche Hinrichtungen und ungeklärte Morde an Oppositionellen statt und bis Herbst 1993 wurden Todesfälle registriert, die von der Regierung mit einem Vorgehen der Ordnungskräfte gegen kriminelle Elemente erklärt wurden. In einigen Fällen kam es zu Untersuchungen hierüber. Immer wieder erklärten Familien ihre Angehörigen als vermisst, nachdem diese verhaftet worden waren; weiterhin wurden vereinzelt Fälle von Folter und unmenschlicher Behandlung gemeldet (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 26. Oktober 1993). In verschiedenen Provinzen sollen Volksgerichte tätig geworden sein, die auch Todesurteile verhängt haben sollen (amnesty international, Bericht Äthiopien-Eritrea vom Januar 1993). Auch heute hat die Zentralregierung insbesondere in den entfernten Regionen immer noch nicht die Möglichkeit, die Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

Nachdem die Versammlungsfreiheit zunächst respektiert wurde und im Sommer 1991 verschiedene Demonstrationen der oppositionellen EPRP gegen die äthiopische Regierung in Äthiopien stattgefunden haben sollen, wurden vor allem im Januar 1993 einzelne Demonstrationen untersagt, eine wurde gewaltsam aufgelöst (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 26. Oktober 1993). Einer Exildelegation der EPRP wurde im Juli 1991 die Einreise verweigert, als diese an der Nationalkonferenz teilnehmen wollte. Amnesty international berichtete, dass oppositionelle Teilnehmer an der von den Oppositionsgruppen veranstalteten "Konferenz für Frieden und Versöhnung in Äthiopien" in Paris im März 1993 entweder keine Ausreiseerlaubnis erhalten haben oder nach Formulierung einer regierungskritischen Resolution aus dem Parlament ausgeschlossen wurden (amnesty international, Auskunft vom 16. Mai 1994 an VG Ansbach). Im Mai 1993 soll ein im Untergrund tätiges führendes EPRP-Mitglied von Regierungskräften erschossen worden sein, als es sich angeblich der Verhaftung widersetzte.

Im Oktober 1993 planten verschiedene Oppositionsgruppen die Durchführung einer "Konferenz für Frieden und Versöhnung" in Addis Abeba; der Konferenztermin wurde auf Dezember 1993 verschoben. Die zur Teilnahme eingereisten Vertreter der EPRP (Ethiopian People's Revolutionary Party), der CoEDF (Coalition of Ethiopian Democratic Forces) und anderer Oppositionsparteien wurden kurz nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Addis Abeba am 16. Dezember 1993 festgenommen. Gegen die Festgenommenen wurde zunächst Anklage wegen Planung einer bewaffneten Revolte oder Rebellion gegen die Regierung erhoben; sie wurden dann jedoch in den Folgemonaten bis auf eine Person, die in Haft blieb und wegen Mitwirkung am sog. "Roten Terror" Ende der 70-er Jahre angeklagt wurde, bis zum Februar 1994 schließlich freigelassen (amnesty international, Auskunft vom 16. Mai 1994 an VG Ansbach). Mitentscheidend hierfür war, dass die Oppositionskonferenz internationale Aufmerksamkeit erregt hatte und die Festnahme der aus dem Ausland eingereisten Delegierten zu großen Protesten diplomatischer Vertreter einiger westlicher Länder führte.

Bis 1993 trat Äthiopien verschiedenen internationalen Pakten und Konventionen bei, u. a. dem VN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie dem für bürgerliche und politische Rechte (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 26. Oktober 1993).

Am 5. Juni 1994 wurden die Wahlen zur konstituierenden (verfassunggebenden) Versammlung durchgeführt. Alle wichtigen Oppositionsparteien nahmen an dieser Wahl nicht teil; stattdessen kandidierten in den Wahlkreisen meist unbekannte, unabhängige Personen. Die Wahlen endeten in einem nahezu vollständigen Monopol der EPRDF. Am 28. Oktober 1994 nahm die Versammlung mit der Erörterung des Verfassungsentwurfs ihre Tätigkeit auf.

Im Dezember 1994 schloss die verfassunggebende Versammlung, die im Juni gewählt worden war - allerdings im Wesentlichen ohne Beteiligung der Opposition -, ihre Beratungen und Diskussionen über den Entwurf einer neuen Verfassung ab, und die neue Verfassung, die auf einem föderativen Viel-Parteien-System beruht und die grundlegenden Menschenrechte garantiert, wurde von der verfassunggebenden Versammlung auch angenommen und ratifiziert. Sie teilte das Land nach einem föderativen System auf ethnischer Basis in neun neue Regionen mit jeweils einem Regionalparlament ein. Die Legislative des Staatenbundes liegt bei den zwei "Houses of Parliament"; das wichtigere Abgeordnetenhaus ist der "Council of People's Representatives" (Rat der Volksvertreter), dessen Mitglieder in den Provinzen per Stimmenmehrheit für fünf Jahre gewählt werden. Der Rat der Volksvertreter wählt aus seinen Mitgliedern den Premierminister. Daneben gibt es den "Federal Council" (Bundesrat), in dem jede ethnische Gruppe durch mindestens ein Mitglied mit einem zusätzlichen Vertreter für jede Million ihrer Angehörigen vertreten ist. Dem Bundesrat, der von den Provinzräten gewählt wird, obliegt die Prüfung der Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Beide Räte wählen auf einer gemeinsamen Sitzung mit Zweidrittelmehrheit den Präsidenten für eine Amtszeit von 6 Jahren.

Am 7. Mai 1995 fanden die Parlaments- und Regionalwahlen technisch überwiegend korrekt statt, allerdings wiederum ohne die Beteiligung der Oppositionsparteien. Im August 1995 wurde nach den Parlamentswahlen die Übergangsregierung durch die neue Regierung unter Premierminister Meles Zenawi abgelöst. Diese löste das Innenministerium auf, unterstellte die Polizei dem Justizministerium und schuf eine neue Behörde für Sicherheit, Einwanderung und Flüchtlinge, die unmittelbar dem Premierminister unterstellt war (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 4. April 1996).

An den Parlamentswahlen vom 7. Mai 1995 beteiligten sich die wichtigsten Oppositionsgruppen nicht. Sie machten geltend, dass sie von der EPRDF und den mit ihr verbündeten regionalen Parteien bereits in der Vorwahlphase durch Verhaftungen von Mitgliedern und Anhängern, der Schließung von Parteibüros oder dem Verbot von Veranstaltungen behindert worden seien. Die EPRDF und die ihr zugeordneten regionalen Parteien erzielten einen Sieg von ca. 98 %. Sie erhielten 483 von insgesamt 550 zu verteilenden Sitzen. Zwar wurde der äthiopischen Regierung und der Wahlkommission von internationalen Beobachtern das Bemühen um technisch korrekte Wahlen bescheinigt; gleichwohl war die Behinderung von Oppositionsgruppen häufig festzustellen, ein Umstand, der auch heute noch zu verzeichnen ist, wobei die Regierung ihre Schritte regelmäßig mit allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen wie der Verhinderung terroristischer Aktivitäten zu begründen sucht. Für die im Jahre 2000 bevorstehenden Parlamentswahlen bleibt abzuwarten, ob die für alle registrierten Parteien nach den gesetzlichen Vorschriften bestehende Möglichkeit der Teilnahme auch tatsächlich wahrgenommen wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 03. April 2000).

Die Aufgaben der Polizei übernahmen zunächst Friedens- und Stabilitätskomitees der EPRDF-Streitkräfte ohne gesetzliche Definition. Der Aufbau einer neuen Polizeitruppe begann mit der Ausbildung von 4.000 Polizisten in Addis Abeba; weitere 10.000 waren vorgesehen.

Mit der Einführung der neuen Verfassung, den Parlamentswahlen, der Bildung gewählter Parlamente auf zentralstaatlicher und regionaler Ebene und der neuen Regierung endete 1995 die Übergangsperiode, die mit der Machtübernahme der EPRDF 1991 begonnen hatte. Inzwischen haben sich die politischen Strukturen weiter konsolidiert. Dabei hat die regierende EPRDF ihren Einfluss auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausgebaut (Auswärtiges Amt, Lageberichte Äthiopien vom 24. April 1997 und vom 20. Mai 1999).

Die fortschreitende Übertragung der staatlichen Befugnisse auf die Regionen entsprechend dem föderativen Prinzip der äthiopischen Verfassung ist in der Praxis allerdings auch heute noch mit Problemen verbunden. Zwischen den Regionen bestehen erhebliche Unterschiede bezüglich der Qualität und Effizienz ihrer Regierung, weil viele Regionen noch nicht in der Lage sind, die ihnen übertragenen Aufgaben sachgerecht wahrzunehmen. Einige von ihnen können kaum als funktionstüchtig bezeichnet werden; insbesondere besteht Unklarheit über Einzelfragen der Gewaltenteilung. Dabei sehen Kritiker der Regierung in dem nur schleppend vollzogenen Aufbau der föderativen Ordnung Äthiopiens eine Bestätigung ihrer Auffassung, dass es sich um eine Strategie der Stärkung Tigrays auf Kosten anderer Regionen und vor allem auch auf Kosten der traditionellen zentralistischen (von Amharen kontrollierten) Einheit Äthiopiens handelt. Die auch für die Menschenrechte wichtigen innenpolitischen Reformprogramme der Regierung werden jedoch systematisch, wenn auch im Ergebnis langsam, weiter vorangetrieben.

Die Neuorganisation der Polizei ist inzwischen nahezu abgeschlossen; zu ihr gehört auch, dass die Polizei sich nicht mehr nur als Vollstreckungsorgan einer traditionell autoritären, rückständigen Verwaltung, sondern als wesentlicher Teil des neuen rechtsstaatlichen Systems betrachten soll. Andererseits ist nach wie vor festzustellen, dass sich die Sicherheitsorgane teilweise über Gerichtsurteile hinwegsetzen. Bei der Bundespolizei ist die Einhaltung von Menschenrechtsstandards stärker ausgeprägt, während in den Regionen dies nicht durchgängig der Fall ist (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

Die Justiz ist das schwächste Glied in der bisher nur nominell rechtsstaatlichen Ordnung. Das Gerichtswesen musste nach dem Ende des Mengistu-Regimes von Grund auf neu aufgebaut werden; es hat sich hinsichtlich Ausbildungsstand der Richter und personeller Ausstattung der Gerichte noch nicht von den massenhaften Entlassungen von Richtern nach dem Ende der DERG-Zeit erholt. Das Problem wurde dadurch noch verschärft, dass die Regierung in jüngster Zeit erneut eine große Zahl von Richtern entlassen und durch wiederum unerfahrene, schlecht ausgebildete Richter ersetzt hat. Es kommt auch immer wieder vor, dass sich Regionalregierungen und Verwaltungen über Gerichtsurteile hinwegsetzen und z. B. Freigesprochene erneut inhaftieren.

Das Strafgesetzbuch für kriminelle Vergehen sieht vor, dass Verhaftete innerhalb von 48 Stunden nach ihrer Verhaftung vor Gericht gestellt werden müssen und dann von einem Richter für 14 Tage in Untersuchungshaft genommen werden können. Diese Untersuchungshaft kann ohne Zeitbegrenzung erneuert werden (amnesty international, Bericht vom 01. April 1998). Nach Abschluss der Untersuchungen muss der Verhaftete innerhalb von 15 Tagen entweder angeklagt oder freigelassen werden. Angesichts des nach wie vor desolaten Zustandes der äthiopischen Justiz sieht die Praxis aber so aus, dass auch heute noch Tausende von Untersuchungsgefangenen keine Chance haben, in vorgeschriebener Frist einem Richter vorgeführt zu werden; viele müssen hierauf vielmehr über Jahre hinweg warten. Das in der Äthiopischen Verfassung niedergeschriebene Recht auf rechtliches Gehör sowie die Möglichkeit der Verteidigung werden in der Praxis regelmäßig stark beschädigt, indem viele Untersuchungsgefangene überhaupt nicht oder erst nach längerer Wartezeit einem Richter vorgeführt werden oder ihnen aus materiellen Gründen kein eigener Verteidiger zur Verfügung steht; zwei Juristenvereinigungen, die insbesondere Frauen und mittellosen Personen Rechtsbeistand gewähren, können das Problem nur partiell lindern (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

Staatlich angeordnete Folter und erniedrigende und unmenschliche Behandlungen durch äthiopische Behörden sind dem Auswärtigen Amt bis auf einen unklaren Fall möglicherweise erniedrigender Behandlung mehrerer AAPO-Anhänger bis Ende 1994 nicht bekannt geworden (amnesty international, Auskunft vom 1. September an VG Schleswig 1994). Im äthiopischen Strafrecht gibt es aber die Todesstrafe, die mit zunehmender Tendenz bei Kapitalverbrechen verhängt wird. Systematische Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien sind dem Auswärtigen Amt ebenfalls nicht bekannt geworden, wohl aber solche, die aus Rückständigkeit der Verwaltung vor allem in den Regionen, sowie der mangelnden Demokratieerfahrung und der noch nicht ausgebildeten Rechtsstaatlichkeit resultieren. Die Äthiopische Verfassung untersagt Folter; gleichwohl kommt es häufig zu Misshandlungen von Personen in der Untersuchungshaft, zumeist durch Schläge oder Handfesseln, die die Durchblutung stören und damit auch bleibende Schäden verursachen. Dem Auswärtigen Amt sind beispielsweise lang anhaltende Fesselungen bekannt; in Einzelfällen wurde auch der Vorwurf der Versagung möglicher medizinischer Hilfe erhoben. Der äthiopische Staat bemüht sich, Misshandlungen oder Foltermaßnahmen als kriminelle Straftaten zu ahnden, was bislang jedoch nur in Einzelfällen geschehen ist. Abgesehen von der Todesstrafe sind in Äthiopien keine unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen vorgesehen. Die Haftbedingungen in äthiopischen Gefängnissen sind allgemein sehr hart und teilweise unmenschlich; es kommt vor, dass Inhaftierte dauerhaft gefesselt oder in Einzelhaft in dunklen Verliesen untergebracht werden. Zudem sind Verhaftungen ohne gerichtliche Anordnung weit verbreitet, auch mehrjährige Inhaftierungen ohne Anklageerhebung und ohne richterliche Anordnung kommen häufig vor (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

Geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen gibt es u. a. in Form von Genitalverstümmelung, die in vielen Landesteilen weit verbreitet und weiterhin nicht strafbar ist, auch wenn die Regierung ihr mit Aufklärung entgegenzuwirken versucht. Vor allem auf dem Land werden Frauen noch zur Frühehe gezwungen und es gibt keinen Schutz vor Gewalt gegen Frauen in der Ehe oder Familie. Auch für die äthiopischen Frauen gilt, dass ihnen ein großer Anteil der schweren körperlichen Arbeit des Alltags zufällt, ohne dass sie deshalb politischen Einfluss haben (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000). Faktisch fehlt in vielen Lebensbereichen damit die Gleichberechtigung der Frau. Diese ist allerdings ein von der Regierung nachdrücklich propagiertes Ziel. In der weitgehend noch traditionell geprägten Gesellschaft Äthiopiens, insbesondere bei der Landbevölkerung, ist die Realität jedoch noch weit von diesem Ziel entfernt. Gewalt gegen Frauen, die in den Städten inzwischen erheblich zurückgegangen ist, ist auf dem Lande noch häufig anzutreffen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 09. April 1998).

Amnesty international berichtet unter Schilderung von Einzelfällen auch von inoffiziellen Haftzentren, in denen die Gefahr von Folter bestehe; außerdem sollen die politischen Häftlinge vermehrt dem Militär unterstellt worden sein und sich zum Teil in Inkommunikado-Haft befinden (amnesty international, Auskunft vom 6. September 1995 an VG Schleswig). Auch nach den Parlamentswahlen von 1995 soll es laut amnesty international zu weiteren Menschenrechtsverletzungen gekommen sein; danach sind willkürliche Festnahmen ohne Anklage und Gerichtsverfahren an der Tagesordnung; es sollen auch Berichte über Folterungen, Tod in der Haft, Fälle von Verschwindenlassen von Personen und über extralegale Hinrichtungen vorliegen. Die politische Opposition beklagt laut amnesty international den Mangel an Möglichkeiten, Kritik an der Regierung zu üben und politische Alternativen zu formulieren; ihre Schriften werden beschlagnahmt und ihre Mitglieder werden verhaftet oder sie verschwinden (amnesty international, Bericht vom 13. Juni 1996). Das Auswärtige Amt bestätigt inzwischen diese Darstellungen von amnesty international und berichtet ebenfalls, dass ein entsprechender Verdacht des Verschwindenlassens von Personen aufkam, als eine größere Zahl Oromos festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht wurde, an dem sie - wie sich später herausstellte - verwarnt und politisch geschult wurden; auch haben die Festnahmen von eritreisch-stämmigen Personen zur Deportation und die Verweigerung des freiwilligen Militärdienstes zum Abtauchen von gefährdeten Personen geführt und Nachfragen wegen möglichen Verschwindenlassens ausgelöst (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

Zu Jahresbeginn 1993 soll es ca. 2000 inhaftierte ehemalige Mitglieder sowie 1500 inhaftierte "hohe Vertreter" des Mengistu-Regimes gegeben haben. Aufgrund der Tätigkeit des im August 1992 ernannten Sonderstaatsanwalts, der die von den Mitarbeitern des Mengistu-Regimes begangenen Verbrechen untersuchte, wurden 1993 ca. 1000 Angehörige der früheren Regierung, der Streitkräfte und der vormals herrschenden Arbeiterpartei Äthiopiens (WPE) ebenso wie 900 Offiziere der ehemaligen äthiopischen Streitkräfte freigelassen (amnesty international, Auskunft vom 1. September 1994 an VG Schleswig). Nachdem die Beweiserhebung in den übrigen Fällen in den letzten Monaten des Jahres 1994 abgeschlossen worden war, begannen am 13. Dezember 1995 die so genannten "DERG-Prozesse", die zunächst nach Verlesung der Anklage auf den 14. März 1995 vertagt wurden und auch heute teilweise noch nicht abgeschlossen sind (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 20. Mai 1999). In Abwesenheit der Angeklagten wurden im November 1999 die ersten Todesurteile wegen Verfehlungen zur Zeit des DERG-Regimes gefällt.

Fälle von strafrechtlicher Sippenhaft können in abgelegenen Regionen nicht völlig ausgeschlossen werden. So wurde im Amhara-Regionalstaat Bauern Land mit der Begründung weggenommen, dass sie oder ihre Eltern mit dem DERG zusammengearbeitet hätten. Mit weiteren Ermittlungsverfahren ist beim Vorwurf von Kapitalverbrechen zu rechnen. Auch werden Denunziationen in der DERG-Zeit, die zu Folter und Tötung von Personen geführt haben, zumindest teilweise heute noch strafrechtlich verfolgt. Andererseits ist mit Repressionen allein wegen des Innehabens öffentlicher Ämter oder wegen besonderer Vergünstigungen (z. B. Stipendien) in der Zeit der DERG-Diktatur nicht zu rechnen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

Bewaffnete Aktivitäten gegen die Regierung kommen weiterhin sporadisch vor, allerdings fast ausschließlich in Oromia und in der Somali-Region. Dort kam und kommt es wiederholt zu Zusammenstößen mit radikal-islamischen Gruppen (z.B. OLF, Al-Ittihad). Nach Ausbruch des Konflikts mit Eritrea haben die in der EUF zusammengeschlossenen, überwiegend amharischen Oppositionsgruppen, eine einseitige und seitdem auch eingehaltene Einstellung ihrer bewaffneten Aktionen gegen die Regierung verkündet (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000).

In den vergangenen Jahren wurde Äthiopien von schweren Ernteausfällen getroffen. Nach Ausbleiben der notwendigen Regenfälle ist es seit Beginn des Jahres 2000 zu einer Zuspitzung der Situation gekommen. Auch anhaltende Trockenheit hat dazu geführt, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht mehr in allen Landesteilen gesichert ist. Am stärksten betroffen sind die nordöstlichen und südöstlichen Landesteile. Die Existenzbedingungen in diesen Regionen sind für die Landbevölkerung nicht nur äußerst hart, sondern sogar lebensbedrohend. Gegenwärtig sind durch eine schwere Hungersnot im Südosten Äthiopiens ca. 8 Mio. Menschen bedroht. Ohne die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen wären diese Menschen dem sicheren Tod preisgegeben, da der äthiopische Staat in Ermangelung einer geeigneten Infrastruktur und wegen des Krieges mit Eritrea nicht in der Lage ist, die notwendige Grundversorgung seiner Bevölkerung in ausreichendem Maße zu sichern (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 3. April 2000). Die medizinische Versorgung ist nur Addis Abeba zufriedenstellend, setzt aber eigene finanzielle Mittel voraus. Außerhalb der Hauptstadt ist eine akzeptable medizinische Versorgung wenn überhaupt nur punktuell gewährleistet. Abgelegene Gebiete sind kaum oder überhaupt nicht medizinisch versorgt.

Trotz der von der äthiopischen Regierung unternommenen Versuche, durch die Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten den wirtschaftlichen Aufbau des Landes voranzutreiben, ist es in Äthiopien nach wie vor schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden. Besondere Bedeutung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz hat auch heute noch die familiäre Einbettung; ohne verwandtschaftliche Beziehungen ist es nach wie vor äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Beschäftigung zu finden, die ein auch nur annähernd ausreichendes Einkommen garantiert. Rückkehrer aus dem Ausland, die über besondere Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen und die sich im Ausland Ersparnisse schaffen konnten, haben im Hinblick auf die relativ starke Kaufkraft von Devisen eine bessere Möglichkeit der Existenzgründung. Allerdings spielen auch insoweit nach wie vor geschlechtsspezifische Besonderheiten eine Rolle; insbesondere haben es alleinstehende Frauen schwer, sich ohne familiären Rückhalt eine Existenzgrundlage zu schaffen. Hinzu kommt, dass infolge der Hungersnot im großen Maße eine Landflucht eingesetzt hat, was dazu führt, dass auch in Addis Abeba in zunehmendem Maße soziale Verelendung zu beobachten ist; die Anzahl der in Addis Abeba lebenden Straßenkinder hat sich in den vergangenen Jahren noch weiter erhöht und liegt derzeit zwischen 40.000 und 50.000 Kindern.

Zu den innenpolitischen Herausforderungen und Problemen sind der latente Konflikt mit dem Sudan und insbesondere der Krieg mit Eritrea hinzugekommen, die mit bewaffneten Operationen der südsudanesischen Widerstandsbewegung SPLA (Sudanese People's Liberation Army) von äthiopischem Boden aus bei Kurmuk und Quizzan im Januar 1997 sowie dem äthiopisch-eritreischen Grenzkrieg, der im Sommer 1998 begann und bis Mitte Dezember 2000 angedauert und nach Schätzungen internationaler Beobachter mehr als 100.000 Menschenleben gekostet hat, jeweils einen Höhepunkt erreichten (Auswärtiges Amt, Lageberichte Äthiopien vom 24. April 1997, vom 20. Mai 1999, vom 3. April 2000 und vom 18. Mai 2000; Institut für Afrika-Kunde, Bericht an das VG Wiesbaden vom 17. November 1998). Am 11. Mai 2000 kam es nach fast einjähriger und auch weitgehend eingehaltener Waffenruhe wieder zu schweren Kampfhandlungen zwischen Äthiopien und Eritrea entlang der gemeinsamen Grenze. Auch intensive Vermittlungsbemühungen einer Mission des UN-Sicherheitsrates konnten den erneuten Ausbruch einer kriegerischen Auseinandersetzung nicht verhindern, wobei beide kriegführende Seiten wechselseitig behaupten, dem Gegner schwere Verluste zugefügt zu haben. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen sind äthiopische Truppen weit auf eritreisches Territorium vorgestoßen. Durch die Kampfhandlungen wurde die Versorgung die von der aktuellen Hungerkatastrophe in beiden Ländern Betroffenen mit Nahrungsmitteln stark beeinträchtigt. Auch haben die erneuten militärischen Auseinandersetzungen insbesondere in Eritrea neue, massive Fluchtbewegungen der Bevölkerung ausgelöst. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes nötigen die krisenhafte Zuspitzung der Kriegssituation und die sich dadurch weiter verschärfende Hungerkatastrophe bei Entscheidungen über Abschiebungen nach Äthiopien zu einer besonders sorgfältigen Prüfung (Auswärtiges Amt, ad hoc-Bericht zur aktuellen Lageentwicklung und Eritrea vom 18. Mai 2000). Inzwischen haben beide kriegführende Staaten am 14. Dezember 2000 einen Friedensvertrag unterzeichnet.

b) Der Senat kann keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Klägerin, die sich weder bis zu ihrer Ausreise aus Äthiopien dort noch danach in der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Weise politisch betätigt und ihre vermeintliche Gegnerschaft zu der in Äthiopien herrschenden EPRDF-Regierung nachhaltig und deutlich zum Ausdruck gebracht hat, befürchten muss, im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien dort von staatlichen Organen aus sonstigen Gründen zielgerichtet misshandelt zu werden. Die Klägerin ist zu keinem Zeitpunkt in Äthiopien in einer der dort tätigen Oppositionsparteien politisch aktiv gewesen; sie hat insbesondere auch weder für das Mengistu-Regime noch für eine der späteren gegen die EPRDF-Regierung gerichteten Oppositionsparteien gekämpft oder politisch gearbeitet. Ihr selbst werden auch keine Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Ebenso wenig muss die Klägerin wegen der Tätigkeit ihres Vaters für die AAPO mit gezielten, konkreten, vom äthiopischen Staat geduldeten Misshandlungen durch Dritte rechnen. Anhaltspunkte dafür, dass sie deswegen von den heute in Äthiopien Regierenden eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren könnte, sind mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht ersichtlich, selbst wenn man berücksichtigt, dass ihr Vater im Jahre 1995 plötzlich verschwunden und kurze Zeit später unter ungeklärten Umständen gestorben ist. Auch für eine unmenschliche oder erniedrigende zielgerichtete Behandlung durch Mitglieder einer staatsähnlichen Organisation liegen hinsichtlich Äthiopiens keine Erkenntnisse vor.

Der Senat ist nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte der auskunftgebenden Stellen zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin auch nicht allein wegen ihrer Asylantragstellung im Bundesgebiet in Äthiopien eine menschenrechtswidrige Behandlung droht. So berichtet beispielsweise das Auswärtige Amt in zahlreichen Stellungnahmen und Lageberichten (zuletzt im Lagebericht Äthiopien vom 03. April 2000), dass der äthiopische Staat zwar die Tätigkeit oppositioneller Gruppen und Bewegungen beobachtet und sich diese Beobachtungen nicht nur auf Äthiopien beschränken, sondern dass auch im Ausland die Tätigkeit oppositioneller Gruppen aufmerksam registriert wird, dass aber eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr, allein wegen einer Asylantragstellung in Äthiopien in menschenrechtswidriger Weise behandelt zu werden, nicht droht. Der äthiopische Staat werde gegen oppositionelle Gruppen regelmäßig nur dann aktiv, wenn diese ihre politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen versuchten, wohingegen die bloße Asylantragstellung ohne auch nach außen dokumentierte und manifestierte oppositionelle Einstellung vom äthiopischen Staat im Allgemeinen nicht zum Anlass genommen werde, gegen den Betreffenden in einer nach § 53 Abs. 4 AuslG relevanten Weise vorzugehen. Die Berichte von amnesty international (Auskunft vom 17. August 1999 an Hess. VGH) und die Auskünfte des Instituts für Afrika-Kunde (Auskunft vom 07. Januar 1999 an VG Wiesbaden) enthalten ebenfalls keine Informationen dahingehend, dass es in Äthiopien allein wegen einer Asylantragstellung zu einer menschenrechtswidrigen Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation kommt.

Die schwierige wirtschaftliche Lage in Äthiopien, der schwebende und noch nicht endgültig beigelegte Grenzkonflikt mit Eritrea oder die in einigen Teilen des Landes drohende Hungersnot sowie die Tatsache, dass die Klägerin in Äthiopien nach den Erkenntnissen des Senats über keine familiären Bande mehr verfügt, stellen ebenfalls keine Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG dar. Insoweit fehlt es schon an hinreichenden Anhaltspunkten für eine gezielte, gegen die Klägerin gerichtete staatliche Vorgehensweise.

2. Soweit das Verwaltungsgericht die in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung aufgehoben hat, kann das Urteil ebenfalls keinen Bestand haben. Auch wenn der Senat der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zugesteht, muss die Abschiebungsandrohung als rechtmäßig bestehen bleiben. In § 41 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AsylVfG sind nämlich die Rechtsfolgen der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG ausdrücklich und abschließend geregelt, so dass - jedenfalls bei der auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage getroffenen Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung - für eine erweiternde Auslegung des § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG kein Raum ist. Vielmehr bewirkt eine Feststellung des Bundesamtes in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG, bei der kein Ermessen der Ausländerbehörde mehr besteht, gemäß § 41 AsylVfG nur eine "zeitweilige Vollziehbarkeitshemmung" der im Übrigen in ihrem Bestand unberührt bleibenden Abschiebungsandrohung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 -, NVwZ 1997, 1132).

II.

Die Klägerin kann sich jedoch ausnahmsweise auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen.

Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer lediglich auf allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die - wie beispielsweise die typischen Bürgerkriegsgefahren - nicht nur ihm persönlich, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG grundsätzlich auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 - NVwZ 1996, 476; Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289).

Allerdings ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform dahin auszulegen und anzuwenden, dass von der Abschiebung eines unter diese Bestimmung fallenden Ausländers nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abzusehen ist, wenn das Verfassungsrecht dies gebietet (BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 - InfAuslR 1996, 289). Ein solcher Fall ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn die oberste Landesbehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung nach § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht hat, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Zu diesen extremen Gefahren für Leib und Leben gehören auch Gefahren, die infolge völliger Unterversorgung der Bevölkerung mit dem elementaren Bedarf des täglichen Lebens entstehen, denn auch ein solcher extremer Mangel kann die Existenz der davon Betroffenen in lebensbedrohlicher Weise gefährden (so auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 1996 - A 16 S 2211/ 95 - bezogen auf die Lebensverhältnisse in Albanien). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG Abschiebungsschutz zu gewähren. Dabei kommt es nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird.

Von einer individuellen, d. h. der Klägerin als Einzelperson drohenden Gefahr - wie dies in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Regelfall verlangt wird - kann nicht ausgegangen werden. Die seit vielen Jahren bekannte schwierige Versorgungslage in Äthiopien betrifft die gesamte in Äthiopien ansässige Bevölkerung. Die Existenzbedingungen in diesem Land, das nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, sind in zunehmendem Maße, insbesondere für große Teile der Landbevölkerung, äußerst hart und, bei weiteren Ernteausfällen, lebensbedrohend. In Äthiopien leben Hunderttausende von Menschen in größter Armut und teilweise sogar an der Hungergrenze. Es existiert auch kein allgemeines staatliches Wohlfahrtssystem, von dem notleidende Menschen Unterstützung erlangen könnten. Vor allem für Personen, die alleinstehend sind, keine weiteren Angehörigen in Äthiopien haben und auch über keine Finanzmittel verfügen, dürfte es sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein, sich nach ihrer Rückkehr dort eine das Existenzminimum sichernde Lebensgrundlage aufzubauen. Allein in der Hauptstadt Addis Abeba gab es im Juni 1995 ca. 40.000 Straßenkinder (mit zunehmender Tendenz) sowie eine Vielzahl von erwachsenen Obdachlosen, die versuchten, auf der Straße zu überleben (amnesty international, Auskunft vom 6. September 1995 an VG Würzburg). An diesem Zustand hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert.

Andererseits wird beim Vorliegen von auch schon geringen Eigenmitteln und beruflicher Erfahrung der Aufbau einer bescheidenen Existenz im privatwirtschaftlichen Sektor durchaus für möglich gehalten, wobei das Vorliegen der erforderlichen Sprachkenntnisse (z. B. amharisch), Parteizugehörigkeit und verwandtschaftliche Beziehungen in aller Regel als notwendig angesehen werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 09. April 1998). Beim Fehlen entsprechender Ausbildung kann eine Beschäftigung als ungelernter Arbeiter oder eine Beschäftigung im Dienstleistungsbereich zwar für die Sicherung der physischen Existenz auf einfachem Niveau ausreichen, allerdings gibt es für derartige Arbeitsplätze eine Vielzahl von Bewerbern (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 17. Juni 1996 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden). Indes treffen all diese Umstände auf große Teile der äthiopischen Bevölkerung zu; besondere Umstände aus der Biographie der Klägerin, die darauf hindeuten könnten, dass die Klägerin als Person gezielt Opfer lebens-, leibes- oder freiheitsgefährdender Maßnahmen staatlicher äthiopischer Stellen oder Dritter werden könnte, sind nicht ersichtlich.

Der Senat ist aber aufgrund der neuesten Auskünfte und Informationen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage in Äthiopien zu der Überzeugung gelangt, dass in Äthiopien inzwischen eine derartige Unterversorgung der Bevölkerung mit den elementaren Bedarfsgütern des täglichen Lebens entstanden ist, dass diese katastrophale Versorgungslage für die alleinstehende in ihrer Heimat über keinerlei familiären Rückhalt verfügende Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien zu einer extremen Gefahr für Leib und Leben der erst 20 Jahre alten Klägerin führen kann.

Zur Zeit wird Äthiopien von einer akuten, nahezu das gesamte Land erfassenden Hungersnot heimgesucht; dies belegen die jüngsten Erkenntnisse und Auskünfte vor allem des Auswärtigen Amtes eindeutig (vgl. zuletzt den Lagebericht Äthiopien vom 03. April 2000). In den südlichen und östlichen Teilen des Landes, wo derzeit ca. 8 Mio. Menschen von einem akuten Hungertod betroffen sind, kann aufgrund von aktuellen Zeitungsberichten sogar von einer sich anbahnenden Hungerkatastrophe gesprochen werden. Bei derartigen Lebensbedingungen dürfte die alleinstehende Klägerin in Äthiopien derzeit nicht in der Lage sein, ihr Überleben zu sichern. In Äthiopien bildet die Familie nach wie vor das soziale Netz; nur im Kreise der Familie kann der Einzelne ein gewisses Maß an Sicherheit erfahren (amnesty international, Auskunft vom 14. Juni 1999 an VG Wiesbaden). Der Klägerin, die als Jugendliche im Alter von 15 Jahren aus Äthiopien ausgereist ist, besitzt in ihrer Heimat keine Angehörigen mehr, an die sie sich wenden könnte. Sie hat in der Bundesrepublik Deutschland einen Großteil ihrer Sozialisation erfahren und absolviert eine Ausbildung zur Altenpflegerin; ihren Lebensunterhalt bestreitet sie aus der Ausbildungsvergütung und - ergänzend - aus Mitteln der Sozialhilfe. Dies hat es der Klägerin nicht erlaubt, irgendwelche finanziellen Rücklagen zu bilden, die sie in die Lage versetzen könnten, in Äthiopien - selbst bei einer Wohnsitznahme in der Hauptstadt Addis Abeba - die Grundlage für ihr Überleben zu legen, geschweige denn, sich mit auch nur geringen Erfolgsaussichten eine eigene Existenz aufzubauen. Alleinstehende, ohne verwandtschaftliche Hilfe oder sonstige Unterstützung nach Äthiopien zurückkehrende Personen haben nahezu keine Chance, sich das zum Überleben notwendige Existenzminimum selbst zu erwirtschaften (amnesty international, Auskunft vom 14. Juni 1999 an VG Wiesbaden und vom 6. September 1995 an VG Würzburg; Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 7. Januar 1999 an VG Wiesbaden). Ohne familiäre Hilfe oder Parteizugehörigkeit ist es in Äthiopien nach wie vor nahezu unmöglich, einen Arbeitsplatz zu finden und sich durch geregelte Arbeit die Grundlage für eine auch noch so bescheidene Existenz zu sichern (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 20. Mai 1999). Das Fehlen staatlicher Unterstützungsprogramme, insbesondere solcher Einrichtungen, die sich speziell um Rückkehrer kümmern (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 3. März 1998 an VG Berlin), dürfte die Existenzsicherung der Klägerin zusätzlich deutlich in Frage stellen. Selbst im Hinblick auf die internationalen Hilfeleistungen kann im Fall der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin hiervon profitieren könnte. Damit ist die Schwelle einer konkreten Existenzgefährdung erreicht.

III.

Da die Klägerin mit ihrer Klage, soweit sie die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG und die Aufhebung der Abschiebungsandrohung begehrt hat, unterlegen ist, der Klägerin aber der Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zuzugestehen war, waren die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 155 Abs. 1 VwGO gegeneinander aufzuheben, wobei die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit auf § 83 b AsylVfG beruht.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO entsprechend.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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