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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.11.2000
Aktenzeichen: 9 UZ 3294/00.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, BGB, JWG, SGB VIII, VwGO


Vorschriften:

AsylVfG § 12 Abs. 1
BGB § 1793 Abs. 1
JWG § 37
SGB VIII § 55
VwGO § 58 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 1
Auch bei Übertragung der Ausübung der Aufgabe des Vormundes durch das Jugendamt auf einen seiner Beamten oder Angestellten (§ 55 Abs. 2 SGB VIII) kann dem Jugendamt als Amtsvormund des Kindes/Jugendlichen wirksam zugestellt werden.

Auf die sich aus den individuellen Besonderheiten eines Klägers ergebende Notwendigkeit der Vertretung in einem Klageverfahren muss in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht hingewiesen werden.


Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor des vorliegenden Beschlusses näher bezeichnete erstinstanzliche Urteil ist gemäß § 78 Abs. 4 AsylVfG statthaft, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Der hier zu entscheidenden Rechtssache kommt die vom Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht zu.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat ein Asylstreitverfahren, wenn es eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und die über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in einem Berufungsverfahren einer Klärung bedarf (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 8. Juli 1999 - 9 UZ 1737/99.A -).

Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage,

"ob im Falle der Zustellung eines Schriftstücks an den durch das Jugendamt im Wege der Amtsvormundschaft gesetzlich vertretenen Minderjährigen die Adressierung an das Jugendamt zur Wahrung der gesetzlichen Zustellungsvorschriften und damit für eine wirksame Zustellung ausreichend ist oder ob es der Zustellung an den Amtsvormund selbst bedarf,"

nicht vor, da es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht bedarf. Diese Frage lässt sich nämlich bereits auf Grund des Gesetzeswortlauts, der Kommentarliteratur und der zu der dem § 55 SGB VIII inhaltsgleichen Bestimmungen des § 32 des Reichsgesetzes über die Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922 (RGBl. I S. 102) - RJWG - und des § 37 des Gesetzes über die Jugendwohlfahrt vom 11. August 1961 (BGBl. I S. 1206) - JWG - ergangenen Rechtsprechung dahin gehend beantworten, dass an das Jugendamt als Behörde auch dann wirksam zugestellt werden kann, wenn es in der betreffenden Sache die Ausübung seiner Aufgaben als Vormund gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII Einzelnen seiner Beamten oder Angestellten übertragen hat.

Das Bundessozialgericht hat zu § 32 RJWG ausgeführt, dass im Falle der Betrauung einzelner Personen mit den vormundschaftlichen Obliegenheiten durch das Jugendamt als Vormund dieses Amtsvormund bleibe. Diese Stellung des Jugendamtes erfordere es im Interesse der Rechtssicherheit und der Klarheit, dass etwa notwendige Zustellungen wirksam auch dem Amtsvormund selbst gegenüber abgegeben werden können, zumal es sich bei der Übertragung jener Obliegenheiten im Wesentlichen um innerdienstliche, im Interesse des Mündels erfolgende Vorgänge handele, die nicht dazu führen dürften, Dritten den Weg zu einer in jeder Beziehung voll wirksamen formgebundenen Abgabe notwendiger Erklärungen usw. zu erschweren (Urteil vom 23. Juni 1960 - 4 RJ 70/58 -, FamRZ 1960, 490 mit zustimmender Anmerkung von Beitzke). Dieser Auffassung hat sich das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 26. Februar 1974 - 1 W 60/74 -, FamRZ 1976, 371) zu der Bestimmung des § 37 JWG angeschlossen und ausgeführt, es könne dahin gestellt bleiben, ob und inwieweit das Jugendamt selbst noch als handlungsbefugt anzusehen sei, wenn es die Ausübung der vormundschaftlichen Obliegenheiten an Einzelne seiner Beamten und Angestellten übertragen habe. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit müsse es in jedem Fall als zulässig angesehen werden, wenigstens Zustellungen an diejenige Stelle zu bewirken, die trotz der Übertragung der Befugnisse der Substanz nach Vormund oder Pfleger bleibt.

Da auch nach dem eindeutigen Wortlaut der heute geltenden Bestimmung des § 55 Abs. 2 SGB VIII im Falle Übertragung der Ausübung der Aufgaben des Vormundes durch das Jugendamt auf Einzelne seiner Beamten und Angestellte keine Delegation der Aufgaben des Jugendamtes stattfindet, wird - entgegen der in der Fragestellung zum Ausdruck kommenden Auffassung des Klägers - nicht der einzelne Bedienstete des Jugendamtes Amtsvormund. Amtsvormund bleibt vielmehr das Jugendamt. Eine andere Auffassung wäre auch nicht mit § 1793 Abs. 1 BGB vereinbar. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass die gesetzliche Vertretungsbefugnis, die dem Bediensteten oder Angestellten in dem durch die Übertragung umschriebenen Rahmen übertragen wird (§ 55 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII), keineswegs die einzige Funktion des Amtsvormundes ist, sondern dieser vielmehr das Recht hat, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen (vgl. Schellhorn in Schellhorn, SGB VIII/KJHG, 2. Aufl. 2000, § 55 Rdnr. 14; Wiesner, SGB VIII, 2. Auflage 2000, § 55 Rdnr. 47). Da mithin das Jugendamt Amtsvormund bleibt, gebieten es Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch unter Geltung des SGB VIII, dieses selbst im Falle der Übertragung der Ausübung der Amtsvormundschaft als richtigen Zustellungsadressaten anzusehen (so Hinz in Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Auflage 1992, § 55 KJHG SGB VIII, Rdnr. 10; anders lautende Auffassungen werden in der Kommentarliteratur zu § 55 SGB VIII - soweit ersichtlich - nicht vertreten).

Die Ausführungen in der Antragsschrift sind nicht geeignet, einen entsprechend den obigen Ausführungen nicht vorhanden Bedarf aufzuzeigen, die Frage, ob auch nach der Übertragung der Aufgaben des Amtsvormundes vom Jugendamt auf einen Bediensteten, Zustellungen wirksam noch an das Jugendamt vorgenommen werden können, in einem Berufungsverfahren nochmals zu klären. Die vom Kläger vertretene Auffassung, eine Zustellung an das Jugendamt sei nach Übertragung der Aufgaben nicht mehr möglich, beruht offensichtlich auf der Fehleinschätzung, dass das Jugendamt durch die Übertragung teilweise seine Funktion als Amtsvormund verliere.

Auch die vom Kläger aufgeworfene Frage,

"ob ein Bescheid, der nur durch einen bestimmten Vertreter des Betroffenen wirksam klageweise angefochten werden kann, auf diese Bedingung in der Rechtsbehelfsbelehrung hinweisen muss, mithin eine Rechtsbehelfsbelehrung ohne diesen Hinweis gem. 58 VwGO nicht die vorgesehene Klagefrist auslöst,"

ist nicht in einem Berufungsverfahren klärungsbedürftig. Diese Frage lässt sich ebenfalls eindeutig auf Grund des Wortlauts der Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO und der hierzu ergangenen Rechtsprechung dahingehend beantworten, dass eine Belehrung jedenfalls über die auf den individuellen Verhältnissen eines Klägers beruhenden Notwendigkeit der Vertretung nicht erfolgen muss.

In § 58 Abs. 1 VwGO heißt es, dass die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen beginnt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Der Hinweis auf weitere Erfordernisse eines Rechtsbehelfs wird in § 58 Abs. 1 VwGO nicht gefordert (so auch BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976 - BVerwG IV C 74.74 -, BVerwGE 50, 248). Die Regelung des § 58 Abs. 1 VwGO bezweckt, den notwendigen Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung umfassend und abschließend zu regeln. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muss es für den notwendigen Inhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung mit dem ausdrücklichen Regelungsinhalt des § 58 Abs. 1 VwGO grundsätzlich sein bewenden haben (so Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 58 Rdnr. 32). Demzufolge wird vom Bundesverwaltungsgericht die Auffassung vertreten, dass es in einer Rechtsbehelfsbelehrung auch keines Hinweises auf den gemäß § 67 Abs. 1 VwGO in Revisionsverfahren bestehenden Vertretungszwangs vor dem Bundesverwaltungsgerichts bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1977 - BVerwG IV C 3.74 -, BVerwGE 52, 226, 231 f.; offengelassen für die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts: BVerwG, Urteil vom 31. Mai 1995 - BVerwG 4 A 1/93 -, NVwZ 1995, 901).

Eine über den Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO hinausgehende Belehrungspflicht könnte sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn die einzuhaltende Form oder der notwendige Vertretungszwang nicht dem entspricht, was man vernünftiger Weise erwarten muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976 - BVerwG IV C 74.74 -, a.a.O.). Davon kann jedoch bei einem auf den individuellen Verhältnissen eines Beteiligten beruhenden Notwendigkeit, sich in einem Klageverfahren vertreten lassen zu müssen, nicht ausgegangen werden. Dies gilt hier umso mehr als der Kläger wegen fehlender Handlungsfähigkeit im Sinne des § 12 AsylVfG bereits in dem Asylverfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gesetzlich durch das Jugendamt der Stadt K. als Amtsvormund vertreten war, sich somit die Notwendigkeit einer der Vertretung auch in einem gerichtlichen Verfahren geradezu aufdrängte.

Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgehen wollte, dass auf generell für bestimmte Rechtsbehelfe bestehende Form- Begründungs- und Vertretungserfordernisse in der Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen werden muss, kann dies nicht gleichermaßen für die ausschließlich in der Person des Klägers bestehende Besonderheit gelten, die sich daraus ergibt, dass er nicht handlungsfähig im Sinne des § 12 Abs. 1 AsylVfG ist. Es ist nicht Aufgabe der entscheidenden Verwaltungsbehörde oder des Gerichts, Untersuchungen über die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs im Einzelfall anzustellen (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO 13. Auflage 2000, § 58 Rdnr. 6). Rechtsbehelfsbelehrungen haben nicht die Aufgabe, den Betroffenen und seinen gesetzlichen Vertretern alle eigenen Überlegungen bezüglich der Art des Vorgehens abzunehmen. Es ist vielmehr sachgerecht, auch den Betroffenen Verantwortung tragen zu lassen. Damit würde es nicht übereinstimmen, wenn in der Frage der konkreten Einlegung eines Rechtsbehelfs von der Vorstellung ausgegangen würde, der Beteiligte sei unfähig, sich über Einzelheiten des Rechtsbehelfs Gedanken zu machen und eventuell auch Erkundigungen einzuziehen (so BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976 - BVerwG IV C 74.74 -, a.a.O.).

Da der Kläger mit seinem Zulassungsantrag erfolglos bleibt, hat er die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben, so dass sich Festsetzung eines Streitwert für dieses Verfahren erübrigt.

Da die Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylVfG, 152 VwGO).

Ende der Entscheidung

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