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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.12.2000
Aktenzeichen: 9 UZ 3323/00.A
Rechtsgebiete: VwGO, AsylVfG


Vorschriften:

VwGO § 58 Abs. 2
VwGO § 116 Abs. 2
VwGO § 117 Abs. 2
VwGO § 117 Abs. 4
VwGO § 118
VwGO § 119
VwGO § 120
VwGO § 138 Nr. 6
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AsylVfG § 78 Abs. 4
1. Beschließt das Gericht die Verkündung durch Zustellung der Entscheidung und veranlasst es sodann, nach der unterschriebene Urteilstenor der Geschäftsstelle übergeben wurde, die förmliche Zustellung des Tenors an die Verfahrensbeteiligten in der äußeren Gestalt eines Urteils (vollständiges Rubrum, Landeswappen, Unterschrift der Richter mit Amtsbezeichnung, Ausfertigungsvermerk), allerdings ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung, wird dadurch ein wirksames Urteil erlassen mit der Folge, dass der gegen Urteile statthafte Rechtsbehelf des Antrags auf Zulassung der Berufung, allerdings in der Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO, gegeben ist.

2. Durch die spätere Zustellung eines mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehenen "vollständigen" Urteiles kann diese Rechtsfolge nicht umgangen werden.

3. Wegen des Fehlens der Entscheidungsgründe ist ein derartiger Zulassungsantrag begründet (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO).


Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg.

Er ist nach § 78 Abs. 4 AsylVfG statthaft, denn er richtet sich gegen ein die Klage abweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts.

Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass ein verwaltungsgerichtliches Urteil noch gar nicht erlassen wurde, sondern dass dem Kläger lediglich durch Übersendung des Urteilstenors eine (formlose) Mitteilung über das Ergebnis der zwar schon ergangenen, aber noch nicht nach außen wirksam gewordenen Entscheidung gemacht werden sollte. Letzteres dürfte zwar Absicht des Verwaltungsgerichts gewesen sein, wie sich dem Akteninhalt entnehmen lässt. Danach hat das Gericht zum Abschluss der mündlichen Verhandlung gemäß § 116 Abs. 2 VwGO beschlossen, dass das Urteil an Stelle der im Gesetz als Regelfall vorgesehenen Verkündung den Beteiligten zugestellt werden soll. Demgemäß hat die zur Entscheidung berufene Richterin auch den Urteilstenor binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben, wie dies im Gesetz für diesen Fall vorgesehen ist (vgl. § 116 Abs. 2 in Verbindung mit § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung). Ohne gesetzliche Grundlage ist indes die weitere Verfahrensweise des Gerichts. Auf Grund einer Verfügung der Berichterstatterin wurde der Urteilstenor an die Beteiligten zugestellt, vermutlich in der Absicht, diese vorab vom Inhalt der getroffenen Entscheidung zu unterrichten und das mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil später, nach endgültiger Abfassung zuzustellen.

Diese (im Gesetz nicht vorgesehene) Verfahrensweise, steht der Zulässigkeit des in diesem Stadium des Verfahrens gestellten Antrags auf Zulassung der Berufung nicht entgegen.

Denn es handelt sich bei der vom Kläger zum Gegenstand seines Zulassungsantrags gemachten Maßnahme des Gerichts um ein Urteil. Dies folgt nach Einschätzung des Senats zweifelsfrei aus der äußeren Form des Hoheitsaktes und den prozessualen Besonderheiten, unter denen er ergangen ist. Die Maßnahme stellt sich äußerlich als Urteil dar, sie trägt diese Bezeichnung, enthält das Landeswappen und entspricht von ihrer Gestaltung her (vollständiges Rubrum, Entscheidungstenor, Unterschrift der Richterin mit Amtsbezeichnung) der Form, in der verwaltungsgerichtliche Urteile üblicherweise ergehen. Dass den Beteiligten nur der Urteilstenor ohne die in § 117 Abs. 2 VwGO im Normalfall vorgesehenen Urteilsbestandteile Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung zugestellt wurde, steht der Qualifizierung der hoheitlichen Maßnahme als Urteil nicht entgegen. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung kann unter bestimmten Voraussetzungen von einer weiteren Darstellung des Tatbestands wie auch der Entscheidungsgründe abgesehen werden (vgl. z.B. §§ 117 Abs. 5, 130b VwGO). Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese vereinfachte Verfahrensweise stets einer ausdrücklichen, am Wortlaut der vorgenannten Bestimmungen orientierten Begründung bedarf, verdeutlicht ihre gesetzliche Verankerung doch, dass jedenfalls der Charakter eines hinsichtlich wesentlicher Teile in Urteilsform ergangenen Hoheitsaktes als Urteil nicht deshalb in Frage gestellt werden kann, weil dem zugestellten Tenor kein Tatbestand und keine Entscheidungsgründe beigefügt sind. Ergänzend sei insoweit auch auf die Regelung des § 313a ZPO verwiesen, wonach im Bereich des Zivilprozesses unter bestimmten Voraussetzungen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe verzichtet werden kann, so dass insgesamt davon auszugehen ist, dass allein das Fehlen dieser Elemente nicht die Annahme rechtfertigt, die vorliegend zu beurteilenden Maßnahme des Verwaltungsgerichts stelle kein Urteil dar. Auch dass eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist, ändert hieran nichts, da eine solche zwar Bestandteil des Urteils ist (vgl. § 117 Abs. 2 Nr. 6 VwGO), ihr Fehlen dem Hoheitsakt jedoch nicht die Urteilseigenschaft nimmt, sondern lediglich die Rechtsfolge des § 58 VwGO auslöst. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde den Beteiligten im Übrigen auch förmlich zugestellt und enthielt nach Angaben des Klägers - wie dies bei Urteilen üblich ist - einen Ausfertigungsvermerk der Geschäftsstelle des Gerichts.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere steht dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Er ist nicht etwa gehalten, mit seinem Rechtsmittel zuzuwarten, bis das Verwaltungsgericht ihm ein "vollständiges", mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehenes Urteil zugestellt hat.

Hat das Verwaltungsgericht nämlich bereits - wie dargestellt - durch Zustellung des Tenors ein Urteil erlassen, so hat die Frist für den Zulassungsantrag (§ 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG) mit dessen Zustellung zu laufen begonnen. Dies kann auch nicht mit dem Hinweis darauf in Frage gestellt werden, der Fristbeginn setze die Zustellung eines "vollständigen", also mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung versehenen, Urteils voraus. Eine solche Argumentation wäre schon deswegen nicht überzeugend, weil die prozessuale Ausgestaltung des Rechts der Rechtsmittelzulassung gerade den Zulassungsgrund der fehlenden Entscheidungsgründe kennt, also offensichtlich voraussetzt, dass auch ein "unvollständiges" Urteil innerhalb der in Lauf gesetzten Antragsfrist mit dem Zulassungsantrag angegriffen werden kann und muss. Das Ansinnen, der Kläger möge mit diesem Rechtsbehelf zuwarten, bis ihm eine mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene Entscheidung zugestellt wird, findet im geltenden Prozessrecht also keine Stütze. Der Kläger ist zwar nicht an die zweiwöchige Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG gebunden, da dem ihm zugestellten Urteil - wie ausgeführt - eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt war (vgl. § 58 VwGO). Andererseits ist er aber nicht etwa gehalten, Wochen oder vielleicht Monate abzuwarten, ob das Verwaltungsgericht - was aus Sicht des Klägers ohnehin nicht mit Sicherheit beurteilt werden kann - noch ein "vollständiges" Urteil "nachsenden" wird. Eine solche Verfahrensweise wäre im Übrigen ohnehin angesichts des bereits ergangenen Urteils mit Blick auf die Regelung der §§ 118 bis 120 VwGO unzulässig, da sie den Rahmen der durch diese Vorschriften gezogenen Grenzen einer Urteilsberichtigung bzw. -ergänzung überschreiten würde.

Der Zulassungsantrag ist auch begründet, denn der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3, 138 Nr. 6 VwGO liegt im Hinblick auf das vorliegend angegriffene Urteil offensichtlich vor, da die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

Das Antragsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung der Berufung bedürfte (§ 78 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Hinweis:

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Berufung unzulässig.

Ende der Entscheidung

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