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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.01.2004
Aktenzeichen: 9 UZ 3444/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 S. 1
VwGO § 60 Abs. 1
1. Eine von einem Rechtsanwalt versehentlich eingelegte Berufung kann nicht in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden.

2. Hat ein Rechtsanwalt versehentlich eine Berufungsschrift unterzeichnet, bemerkt dies aber sofort und ordnet die Fertigung eines Antrags auf Zulassung der Berufung an, den er sodann ebenfalls unterzeichnet, so handelt er sorgfaltswidrig, wenn er beide unterzeichneten Schriftstücke in den Geschäftsgang seiner Kanzlei gibt, ohne den (fehlerhaften) Schriftsatz zu zerreißen oder sonst wie kenntlich zu machen, dass er nicht abgesandt werden soll. Verwechselt eine Kanzleimitarbeiterin sodann die beiden Schriftsätze und faxt entgegen der ihr erteilten Anordnung an Stelle des Antrags auf Zulassung der Berufung die Berufungsschrift an das Gericht, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für den Zulassungsantrag nicht in Betracht, da die Frist nicht schuldlos versäumt wurde.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9 UZ 3444/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Schönstädt

am 9. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 11. September 2003 (Az.: 3 E 448/01[1]) zuzulassen, wird als unzulässig verworfen.

Die Kläger haben die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 16.000 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen die im Tenor des vorliegenden Beschlusses näher bezeichnete erstinstanzliche Entscheidung zuzulassen, ist unzulässig, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Einmonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gestellt wurde.

Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde der Bevollmächtigten der Kläger am 8. Oktober 2003 zugestellt. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hätte daher spätestens am 8. November 2003 beim Verwaltungsgericht eingehen müssen, was indes nicht geschehen ist. Vielmehr ist der Antrag erst am 8. Dezember 2003 und damit verspätet beim Gericht erster Instanz eingegangen.

Die innerhalb der Antragsfrist, nämlich am 5. November 2003, eingegangene Berufungsschrift der Kläger kann nicht in einen fristwahrenden Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmittels umgedeutet werden. Insbesondere in Fällen, in denen Prozessbeteiligte - wie hier - durch rechtskundige Bevollmächtigte vertreten sind - und vertreten sein müssen (vgl. § 67 Abs. 1 VwGO) -, ist für eine solche Umdeutung kein Raum, zumal das Rechtsmittel der Berufung gänzlich anderen prozessualen Voraussetzungen unterliegt als der Antrag, durch den erst die Zulassung einer Berufung erstritten werden soll (vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschlüsse vom 12. März 1998 - BVerwG 2 B 20.98 -, NVwZ 1999, 641, und vom 25. Juli 2001 - BVerwG 3 B 83.01 -, Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 63, OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 1. Oktober 1997 - 2 L 170/97 -, NVwZ 1998, 201; Senatsbeschlüsse vom 19. März 1997 - 13 TG 977/97 - und vom 28. Juli 1998 - 13 TZ 2256/98 -).

Den Klägern kann auch nicht die von ihnen beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gewährt werden.

Eine solche Wiedereinsetzung kann nach § 60 Abs. 1 VwGO nur erfolgen, wenn der säumige Prozessbeteiligte ohne Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle nicht erfüllt, denn die Bevollmächtigte der Kläger, deren Verschulden sich die Kläger nach anerkannter Auffassung zurechnen lassen müssen (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 60 Rdn. 20 mit Nachweisen auf die Rechtsprechung), hat durch eigenes schuldhaftes Verhalten eine wesentliche Ursache dafür gesetzt, dass die Frist nicht eingehalten wurde.

Das schriftsätzliche Vorbringen der Kläger, mit dem sie den Antrag auf Wiedereinsetzung zu stützen suchen, lässt nicht den Schluss zu, dass allein eine Mitarbeiterin der Kanzlei ihrer Bevollmächtigten, nicht aber diese selbst sich fahrlässig verhalten habe.

Die Kläger tragen in diesem Zusammenhang vor, die seit vielen Jahren in der Anwaltskanzlei ihrer Bevollmächtigten beschäftigte, sorgfältig eingearbeitete und angewiesene und zuverlässig arbeitende Angestellte W. habe der Bevollmächtigten entgegen einer anders lautenden Anweisung an Stelle des im Computer abgespeicherten Textbausteins "Antrag auf Zulassung der Berufung" einen Berufungsschriftsatz vorgelegt. Dies sei ihr, der Bevollmächtigten der Kläger, nachdem sie die ausgehende Post schon unterschrieben habe, noch aufgefallen, so dass sie die Angestellte W. angewiesen habe, die bereits gefertigte Berufungsschrift zu vernichten und einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu fertigen. Dies sei geschehen, sie, die Bevollmächtigte, habe diesen Zulassungsantrag geprüft und unterschrieben, der sodann in den speziell den Fristsachen vorbehaltenen Postausgangskorb zur Übermittlung per Telefax gegeben worden sei. Dabei müsse der Mitarbeiterin W. allerdings der Fehler unterlaufen sein, dass sie die so gefertigten Schriftsätze wohl offenkundig verwechselt und den zu vernichtenden Schriftsatz an Stelle des korrigierten und zutreffenden Schriftsatzes an das Gericht gefaxt habe. Sie, die Bevollmächtigte der Kläger, habe dann "bei Fristablauf" noch die Übertragung per Telefax kontrolliert. Aus dem Telefaxprotokoll, das "dem Antrag auf Zulassung der Berufung zugeheftet" gewesen sei, sei aber nicht mehr die Antragstellung abzulesen gewesen, so dass - so die Bevollmächtigte wörtlich - "davon auszugehen war, dass der richtige Rechtsmittelschriftsatz an das Gericht gefaxt wurde".

Dieses Vorbringen, das im Wesentlichen eine Bestätigung in der dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügten Eidesstattlichen Versicherung der Angestellten W. findet, verdeutlicht, dass es gerade die Bevollmächtigte der Kläger war, die durch mangelnde Sorgfalt eine entscheidende Ursache dafür gesetzt hat, dass nicht der Antrag auf Zulassung der Berufung an das Verwaltungsgericht abgesandt wurde, sondern fälschlich die zuvor erstellte und bereits unterschriebene Berufungsschrift.

Das leichtfertige und die vorgenannte Verwechslung wesentlich fördernde Verhalten der Bevollmächtigten der Kläger sieht der Senat darin, dass sie - insoweit die Richtigkeit ihres Vorbringens unterstellt - zwar noch rechtzeitig bemerkte, dass sie einen Schriftsatz unterzeichnet hatte, in welchem fälschlich von dem (unstatthaften) Rechtsmittel der Berufung die Rede war, dass sie diesen Schriftsatz aber sodann nicht sofort vernichtete oder zumindest mit einem Vermerk oder einer Durchstreichung versah, um zu verhindern, dass er durch ein Versehen ihres Büropersonals zur Absendung gelangte. Die Bevollmächtigte der Kläger ließ es somit gleichsam sehenden Auges zu, dass ein von ihr bereits unterschriebenes und in keiner Weise als fehlerhaft gekennzeichnetes Schriftstück ihren Schreibtisch verließ und sodann möglicherweise trotz anders lautender mündlicher Anweisung mit dem anderen, später gefertigten, für die Übersendung an das Verwaltungsgericht bestimmten Schriftsatz verwechselt wurde. Dies zu verhindern, wäre für die Bevollmächtigte der Kläger ein Leichtes gewesen. Der Senat vermag nicht nachzuvollziehen, dass und warum sie ein derartiges Risiko einging, obgleich nichts dagegen sprach, den fehlerhaften und ohnehin nicht mehr benötigten Berufungsschriftsatz umgehend selbst zu vernichten oder in sonstiger Weise deutlich erkennbar zu "entwerten".

Erschwerend, was die mangelnde Sorgfalt der Bevollmächtigten der Kläger angeht, fällt ins Gewicht, dass ein Verfahrensablauf, wie er vorstehend dargestellt wurde, sich nicht nur im vorliegenden Rechtsstreit zugetragen hat, sondern in gleicher Weise in einem anderen vor dem Senat anhängigen ausländerrechtlichen Streitverfahren (vgl. Beschluss vom heutigen Tage im Verfahren 9 UZ 3406/03). Dort wurde - allerdings nicht wie vorliegend am 5. November 2003, sondern am 27. Oktober 2003 - ebenfalls an Stelle des gesetzlich vorgegebene Antrags auf Zulassung der Berufung ein Berufungsschriftsatz per Telefax zu den Gerichtsakten gereicht und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand später mit denselben Erklärungen wie im vorliegenden Verfahren begründet. Dies belegt, dass das zuvor als sorgfaltswidrig eingeschätzte Verhalten der Bevollmächtigten der Kläger kein einmaliger Vorgang war, sondern doch eher als Ausdruck eines generell nachlässigen Umgangs mit fehlerbehafteten, aber bereits unterschriebenen Schriftstücken gewertet werden muss, der nicht im Interesse eines geordneten Kanzleiablaufs liegen kann.

Hinzu kommt, dass sich die Bevollmächtigte der Kläger auch im weiteren Ablauf des zur Fristversäumung führenden Geschehens nicht so verhielt, wie es von einem sorgsam arbeitenden Rechtsanwalt zu erwarten gewesen wäre. Wenn sie es offenbar für notwendig hielt, "bei Fristablauf" (was immer mit dieser Zeitbestimmung gemeint sein könnte), die Übertragung per Telefax zu kontrollieren, so konnte eine solche Kontrolle nur dann einen Sinn entfalten, wenn auch erkennbar war, welches Schriftstück mit welchem Antrag Gegenstand der Übersendung per Telefax war. Dies mag in Fällen anders sein, in denen nur ein einziger Schriftsatz angefertigt wurde und sich die Kontrolle daher darauf beschränken kann, ob am maßgeblichen Tage in dem jeweiligen Verfahren ein Schriftstück an das Gericht übermittelt wurde. Im vorliegenden Falle lagen die Umstände indes gänzlich anders: Die Bevollmächtigte war sich bewusst - oder hätte sich jedenfalls bewusst sein müssen -, dass sie zwei verschiedene, von ihr unterzeichnete Schriftsätze in den Geschäftsgang ihrer Kanzlei gegeben hatte, nämlich einen fehlerhaften und einen ordnungsgemäßen Schriftsatz. Wenn sie sich anlässlich ihrer Kontrolle der Telefaxausgänge dennoch mit der Erkenntnis begnügte, dass "bei Fristablauf" im vorliegenden Verfahren ein Schriftsatz an das Verwaltungsgericht gefaxt wurde, ohne - so ihr Vorbringen - die darin enthaltene konkrete Antragstellung lesen zu können, so bestärkt dies den Eindruck mangelnder eigener Sorgfalt der Bevollmächtigten der Kläger. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Anmerkung im Wiedereinsetzungsgesuch, sie, die Bevollmächtigte, habe nach der zuvor geschilderten Kontrolle der Telefaxübertragung davon ausgehen können, dass der "richtige Rechtsmittelschriftsatz" an das Gericht gefaxt wurde.

Da die Kläger angesichts des Verhaltens ihrer Bevollmächtigten somit nicht ohne Verschulden gehindert waren, die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO einzuhalten, kann ihnen die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

Die Kosten des erfolglosen Verfahrens auf Zulassung der Berufung haben die Kläger nach § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 14 Abs. 1 und 3, 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 124a Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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