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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.07.2002
Aktenzeichen: 9 UZ 454/02.A
Rechtsgebiete: AsylVfG 1992


Vorschriften:

AsylVfG 1992 § 26 Abs. 2
Das Kind eines Asylberechtigten kann nicht gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG als asylberechtigt anerkannt werden, wenn es in seiner Heimat mit dem politisch Verfolgten und in Deutschland als asylberechtigt anerkannten Elternteil nicht in familiärer Gemeinschaft gelebt hat.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9. Senat

9 UZ 454/02.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Schneider

am 29. Juli 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 2001 (Az.: 8 E 2259/01.A [2]) wird abgelehnt.

Die Beigeladene hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Antrag der Beigeladenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die nach ihren Angaben am 20. Juli 1978 geborene Beigeladene eritreischer Abstammung, die der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehört, reiste - ebenfalls nach eigenen Angaben - im Februar 1996 nach Deutschland ein und stellte am 28. Februar 1996 einen Asylantrag. Der Vater der Klägerin, der in Eritrea nicht mit ihrer Mutter, sondern mit einer anderen Frau verheiratet war und mit dem die Klägerin vor ihrer Flucht nicht in familiärerer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, wurde bereits im April 1981 in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erkannte die Klägerin wegen mit Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsgefahr mit Bescheid vom 8. März 1996 als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen. Auf die Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hob das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit vorliegend angegriffenem Urteil vom 20. Dezember 2001 diesen Bescheid auf, da der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Sie könne sich auch nicht mit Erfolg auf die Regelung des § 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG berufen, da sie als nichteheliches Kind ihres Vaters nicht in dessen Familienverband gelebt habe und es daher an einer von diesem Vater abzuleitenden Gefährdungslage fehle. Sie sei außerhalb der Familie ihres Vaters aufgewachsen, dieser habe das Land verlassen, als sie noch ein Kleinkind gewesen sei. Ein persönlicher Kontakt habe schon seit mindestens 15 Jahren nicht mehr bestanden, so dass auch kein Bedürfnis zur Familienintegration ersichtlich sei.

Nach Zustellung dieses Urteils am 23. Januar 2001 hat die Beigeladene am 5. Februar 2001 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfen, ob die Einräumung von Familienasyl für ein leibliches Kind gemäß § 26 AsylVfG allein deswegen ausgeschlossen sei, weil dieses Kind mit dem stammberechtigten Vater vor seiner bzw. vor dessen Ausreise nicht in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat, oder ob es für einen Anspruch auf Familienasyl allein auf das Verwandtschaftsverhältnis ankomme - so offenbar Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 14. Februar 2001 - 11 E 40098/96.A (3) -, und daher unerheblich sei, ob Stammberechtigter und Kind im Heimatland in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt haben.

II.

Der Antrag ist nach § 78 Abs. 4 AsylVfG statthaft, bleibt indes in der Sache ohne Erfolg. Für die Beantwortung der von der Beigeladenen aufgeworfenen Rechtsfrage bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Vielmehr ergibt sich die Lösung des von ihr aufgeworfenen Problems aus einer schlichten Gesetzesanwendung unter Berücksichtigung der zur Frage des Familienasyls bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die ohne Zweifel zu dem vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Ergebnis führt. In Fällen dieser Art besteht kein Bedürfnis nach Durchführung eines Berufungsverfahrens, sondern die Rechtsfrage kann unmittelbar im Zulassungsverfahren einer Beantwortung zugeführt werden.

Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nrn. 3 und 4 AsylVfG werden Kinder eines Asylberechtigten, die im Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährig sind, ebenfalls als Asylberechtigte anerkannt.

Ein Kind, das vor seiner Ausreise aus dem Heimatland mit dem asylberechtigten Elternteil nicht in einer familiären Lebensgemeinschaft gelebt hat, unterfällt dieser Regelung nicht.

Dies ergibt sich zwar nicht mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Wortlaut des Gesetzes, der nur auf die Eigenschaft als minderjähriges Kind abstellt, jedoch nach Auffassung des Senats zweifelsfrei aus dem gesetzgeberischen Zweck der Einräumung des Familienasyls wie ihn beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht zutreffend unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung zu § 7a AsylVfG 1990 umrissen hat (vgl. Beschluss vom 2. Februar 1996 - BVerwG 9 B 762.95 - mit Bezugnahme auf Urteil vom 21. Januar 1992 - BVerwG 9 C 63.91 -, BVerwGE 89, 309). Danach soll das Familienasyl zum einen die Funktion entfalten, das minderjährige Kind vor der aus der familiären Gemeinschaft mit den verfolgten Eltern erwachsenen Verfolgungsgefahr zu schützen, zum andern soll es dazu beitragen, dass für das mit den - als Asylberechtigte anerkannten - Eltern in der Kleinfamilie zusammen lebende Kind rechtlich gleiche Rahmenbedingungen für den Prozess der Einordnung in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG stellt somit eine gesetzliche Regelung zugunsten minderjähriger Kinder dar, die schon zuvor durch die Rechtsprechung eingeleitet und vorbereitet wurde. So ist etwa das Bundesverwaltungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 13. Januar 1987 - BVerwG 9 C 53.86 -, BVerwGE 75, 304) von der (widerleglichen) Vermutung ausgegangen, dass minderjährigen Kindern eines politisch Verfolgten die Gefahr eigener politischer Verfolgung drohe. Tragender Gesichtspunkt für diese Vermutung sei - ebenso wie im Verhältnis zwischen Ehegatten (dazu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 2. Juli 1985 - BVerwG 9 C 35.84 - NVwZ 86, 487 = DVBl. 86, 98 = InfAuslR 85, 274) - eine potentielle Gefährdungslage, die daraus resultiere, dass unduldsame Staaten dazu neigten, an Stelle des politischen Gegners, dessen sie nicht habhaft werden können, auf diesem besonders nahe stehende und von ihm abhängige Personen zurückzugreifen und sie gewissermaßen stellvertretend für den Hauptadressaten von Verfolgungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Zu diesem potentiell besonders gefährdeten Personenkreis gehörten - so das Bundesverwaltungsgericht in der damaligen Entscheidung - auch minderjährige Kinder politische Verfolgter. Daher sei es gerechtfertigt, die für Ehegatten politische Verfolgter streitende (widerlegliche) Vermutung eigener politischer Verfolgung auch auf ihre leiblichen oder diesen rechtlich gleich gestellten minderjährigen Kinder zu erstrecken, da auch diese in gleicher Weise wie Ehegatten politisch Verfolgter wirksames Druck- und Beugemittel in der Hand unduldsamer Verfolgerstaaten sein könnten. In gleicher Weise hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer Entscheidung zu § 7a AsylVfG 1990 - der Vorläufernorm des heutigen § 26 AsylVfG - darauf abgestellt, dass Ehegatten und minderjährige Kinder politisch Verfolgter im Regelfall allein wegen ihrer engen familiären Verbundenheit mit diesen gefährdet seien.

Diese auf die Regelung des § 26 AsylVfG gleichsam hinführende Rechtsprechung macht hinreichend deutlich, dass es - auch wenn die Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift insoweit wenig aussagekräftig sind (vgl. BT-Drucks. 12/2718, S. 60) - gerade der Gesichtspunkt der engen familiären Verbundenheit ist, der eine erhöhte Gefährdung des vom Gesetz begünstigten Personenkreises nach sich zieht und es daher rechtfertigt, diese Personen ohne besondere Prüfung eigener Verfolgungsgefahr als Asylberechtigte anzuerkennen. Hieran hält der Senat auch in Kenntnis der Gesetzesmaterialien zu § 7a AsylVfG 1990 fest, auf die die Beigeladene zur Stützung ihrer abweichenden Auffassung verweist. Dort (BT-Drucks. 11/6960, S. 29 f.) ist ausgeführt, dass die Regelung des § 7a Abs. 3 AsylVfG zum einen der Entlastung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Verwaltungsgerichtsbarkeit diene, da sie die Möglichkeit eröffne, von einer u.U. schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen eines Asylberechtigten abzusehen. Zum anderen sei die Regelung sozial gerechtfertigt, weil sie die Integration der nahen Familienangehörigen der in Deutschland als asylberechtigt aufgenommenen politisch Verfolgten fördere.

Diese die Einführung einer Vorschrift über die Gewährung von Familienasyl begleitenden Auswirkungen sind fraglos von Bedeutung, eine Entlastung der mit Asylanerkennung befassten Behörden und Gerichte liegt geradezu auf der Hand. Dennoch vermag ihre Erwähnung in den Gesetzesmaterialien nicht den Blick darauf zu verstellen, dass in erster Linie und entscheidend die Nähe des Verwandten zum Verfolgungsgeschehen und seine eigene Gefährdung als Folge familiärer Verbundenheit mit dem "Hauptadressaten" staatlicher Repressalien als die sachliche Rechtfertigung des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG angesehen werden muss. Gerade diese Nähe zum Verfolgungsgeschehen und die familiäre Verbundenheit mit dem politische Verfolgten fehlt jedoch in Fällen, in denen das minderjährige Kind vor seiner Flucht aus dem Heimatland mit dem in Deutschland als asylberechtigt anerkannten Elternteil in keiner familiären Gemeinschaft gelebt hat. In Ansehung eines solchen Kindes, das in einem gänzlich anderen Familienverband lebt und daher dem politisch verfolgten Elternteil nicht in gleichem Maße nahe steht wie ein mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebendes Kind, kann jedenfalls nicht mit dem gleichen Grad an Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es als Druck- und Beugemittel benutzt werden könnte, um auf diese Weise den politisch missliebigen Elternteil schmerzlich zu treffen oder seiner habhaft zu werden. Ein solches minderjähriges Kind kann sich folglich nicht mit Erfolg auf die Vergünstigung des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG berufen, sondern kann nur als asylberechtigt anerkannt werden, wenn gerade in seiner Person asylrechtlich relevante Verfolgungsgründe gegeben sind (ebenso Schnäbele in GK-AsylVfG 1992 § 26 Rdn. 78).

Diese Auffassung findet letztlich auch eine Stütze in der vorherrschenden Interpretation des § 26 Abs. 1 AsylVfG, in der das Familienasyl des Ehegatten eines als asylberechtigt Anerkannten unter der Voraussetzung normiert ist, dass (u.a.) die Ehe schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG). Insoweit wird es als nicht ausreichend angesehen, dass die Eheleute in ihrem Heimatland formal eine Ehe eingegangen sind. Vielmehr kann sich auf die Vergünstigung des Familienasyls nur der Ehegatte berufen, der mit dem politische Verfolgten im Heimatland tatsächlich auch in einer ehelichen Lebensgemeinschaft gelebt hat (vgl. z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 1992 - BVerwG 9 C 61.91 -, NVwZ 93, 792 = DVBl. 93, 327 = DÖV 93, 390 = InfAuslR 93, 152; Schnäbele in GK-AsylVfG 1992, § 26 Rdn. 63). Zur Rechtfertigung dieser Auffassung wird zum einen auf den Wortlaut des Gesetzes (Ehe muss im Heimatland "bestanden" haben), zum anderen auf den Sinn der Regelung abgestellt, wonach (nur) ein dem politisch Verfolgten und dem Verfolgungsgeschehen besonders nahe stehender Verwandter in den Genuss der Regelung über das Ehegattenasyl kommen solle und diese Nähe nicht allein durch das Institut der Ehe, sondern erst durch die gelebte Ehegemeinschaft hergestellt werde. Entsprechendes gilt für das Familienasyl minderjähriger Kinder: Nicht ihre Eigenschaft als Kinder, sondern erst deren Leben gerade in familiärer Gemeinschaft mit dem politisch Verfolgten begründet die Nähe, die es rechtfertigt, von einer individuellen Prüfung von Asylgründen abzusehen und stattdessen die Asylberechtigung aus der des verfolgten Elternteils abzuleiten.

Die Beigeladene hat die Kosten des erfolglosen Antragsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Weil Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 83a Abs. 1 AsylVfG) bedarf es keiner Festsetzung eines Streitwerts für das Antragsverfahren.

Da ihre Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet, kann der Beigeladenen die begehrte Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 3, 80 AsylVfG, 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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