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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 02.12.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 98/05
Rechtsgebiete: SGB IX
Vorschriften:
SGB IX § 71 I | |
SGB IX § 81 I 9 |
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 24. November 2004 - 4 Ca 167/04 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat.
Die Beklagte betreibt ein Verkehrsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Bei der Beklagten bestehen 202 Arbeitsplätze, von denen auf 18 Schwerbehinderte in Vollzeit beschäftigt werden. Bei der Beklagten ist eine Schwerbehindertenvertretung gebildet.
Der 1978 geborene Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 50 als Schwerbehinderter anerkannt. Er hat eine Berufsausbildung zum Zerspannungsmechaniker sowie eine Umschulung zum Industriekaufmann abgeschlossen. Im Januar 2004 beabsichtigte die Beklagte die Stelle eines Kundenberaters/einer Kundenberaterin in ihrer Mobilitätszentrale zu besetzen. Sie meldete die interne Stellenausschreibung, wegen deren Inhalt auf Bl. 40 d.A. verwiesen wird, am 23. Januar 2004 der Agentur für Arbeit.
In seiner Bewerbung vom 26. Januar 2004 (Bl. 5 d.A.) wies der Kläger auf seine Schwerbehinderung hin.
Die Beklagte lud den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch ein, an dem auch die Schwerbehindertenvertreterin teilnahm. Die Beklagte wählte vier Mitarbeiter aus, die mit den Bewerbern Vorstellungsgespräche führten und diese bewerteten. Auch die Schwerbehindertenvertreterin nahm eine Bewertung vor. Dabei erzielte der Kläger das Ergebnis: 4. Platz, 2. Platz, 3. Platz, 2. Platz und die später eingestellte Frau A die Bewertung: 1. Platz, 3. Platz, 1. Platz und 3. Platz. Nach dem Bewertungssystem der Beklagten ist die beste Bewertung diejenige, mit der insgesamt niedrigsten Platzierungspunktzahl. Danach war Frau A mit 8 Punkten besser als der Kläger, der 11 Punkte aufwies. Mit Schreiben vom 11. März 2004 teilte die Beklagte dem Kläger Folgendes mit:
"Bei Ihrem Besuch haben wir Sie als einen qualifizierten Fachmann und als sehr angenehmen Gesprächspartner kennen gelernt. Deshalb konnten wir uns eine Zusammenarbeit mit Ihnen auch gut vorstellen.
Wir hatten Sie auch in die engere Wahl gezogen, uns dann aber doch für einen anderen Bewerber entschieden, der genauer unseren Anforderungen entsprach. Dass unsere Entscheidung nicht auf Sie fiel, liegt keinesfalls in Ihrer Person oder Qualifikation begründet.
Wir bedauern es außerordentlich, Ihnen absagen zu müssen, weil Sie von Ihrer Art her sehr gut in unser Unternehmen passen würden."
Mit seiner am 03. Mai 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger einen Entschädigungsanspruch nach § 81 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB IX geltend gemacht.
Er hat behauptet, er habe die Stelle wegen seiner Schwerbehinderung nicht erhalten. Im Übrigen habe die Beklagte seine Bewerbung ohne ausreichende Begründung abgelehnt. Diese lasse nämlich nicht erkennen, warum der Kläger nicht berücksichtigt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 3.883,56 brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe sich für die Bewerberin A entschieden, weil diese im Gegensatz zum Kläger über eine langjährige kaufmännische Berufserfahrung verfüge. Zudem habe sie - unstreitig - im Rahmen des Vorstellungsverfahrens insgesamt die beste Bewertung aller Bewerber erhalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass in dem Ablehnungsschreiben der Beklagten keine Gründe für die Absage genannt würden. Der Zweck des § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX, die Entscheidung des Arbeitgebers transparent zu machen und eine Überprüfung zu ermöglichen, werde hierdurch nicht erfüllt. Die Beklagte habe erstmals im Prozess dargelegt, aus welchen Gründen sie sich für die Bewerberin A entschieden habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 24. November 2004 - 4 Ca 167/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die dem Kläger gegebene Begründung, ein anderer Bewerber habe ihren Anforderungen genauer entsprochen, sei ausreichend. Schon aus datenschutzrechtlichen Gründen sei die Beklagte nicht verpflichtet, die genaue Dauer der Berufserfahrung, die konkrete Vorbildung und bisherigen Tätigkeiten bevorzugter Mitbewerber bekannt zu geben. Im Übrigen sei bei Verletzung der Begründungspflicht aus § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ein Entschädigungsanspruch nicht vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
A.
Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstands (§§ 64 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
B.
Die Berufung ist nicht begründet.
I.
Klage ist zulässig
Die Klage ist bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Höhe der von ihm begehrten Forderung in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Für den Fall der Diskriminierung eines schwerbehinderten Stellenbewerbers bei der Einstellung sieht § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB IX eine Entschädigung in angemessener Höhe vor. § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX beschränkt den Entschädigungsanspruch auf 3 Monatsverdienste, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Der vom Kläger gestellte Antrag entspricht daher der Formulierung in § 81 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB IX und ist insoweit nicht zu beanstanden (vgl. auch BAG 15. Februar 2005 - 9 AZR 635/03 - AP SGB IX § 81 Nr. 7 zu A. d.Gr.).
II.
Die Klage ist nicht begründet.
1.
Weder aus § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX noch aus § 81 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX ergibt sich ein Entschädigungsanspruch des Klägers, soweit er rügt, die Beklagte habe die Gründe für die Ablehnung seiner Bewerbung ihm nicht hinreichend dargelegt. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil die Beklagte nicht verpflichtet war, dem Kläger überhaupt eine Begründung für ihre ablehnende Entscheidung zu geben. Insbesondere ergibt sich eine derartige Verpflichtung nicht aus § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX.
a) Bei der Auslegung einer Norm ist von deren Wortlaut auszugehen. Zu berücksichtigen ist ferner der Gesamtzusammenhang der Regelung (Systematik). Schließlich ist der Sinn und Zweck der Norm festzustellen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 64.A Einleitung RN 50 ff).
b) Nach dem Wortlaut von § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX sind alle Beteiligten vom Arbeitgeber über "die getroffene Entscheidung" unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Welche Entscheidung hiermit gemeint ist, lässt sich dem Wortlaut von § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht entnehmen. Insoweit kann Satz 9 nur im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Absatzes 1 verstanden werden. Daraus ergibt sich, dass eine generelle Begründungspflicht der Entscheidung des Arbeitgebers gegenüber dem abgelehnten Bewerber nicht vorgesehen ist. Dies ergibt sich aus der Systematik der Norm. § 81 Abs. 1 SGB IX ist so aufgebaut, dass die Vorschrift zunächst Regelungen enthält, die sich an alle Arbeitgeber wenden, die freie Arbeitsplätze besetzen möchten (Sätze 1 - 6). In dem sich nach Satz 6 anschließenden Teil des Absatzes 1 werden sodann besondere Verpflichtungen für diejenigen Arbeitgeber aufgestellt, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen. Diese Arbeitgeber müssen das in Satz 7 - 9 vorgesehene kollektive Erörterungsverfahren mit der Schwerbehindertenvertretung unter Anhörung des betroffenen schwerbehinderten Menschen durchführen und sodann alle Beteiligten (also Schwerbehindertenvertretung und Bewerber) über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unterrichten. Auch der Sinn und Zweck der Norm spricht dafür, dass die Begründungspflicht nur diejenigen Arbeitgeber betrifft, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen und die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Entscheidung nicht einverstanden ist. Durch die Verfahrensregelungen der Sätze 7 - 9 soll erreicht werden, dass der Arbeitgeber seine ablehnende Entscheidung gegenüber einem schwerbehinderten Bewerber nochmals überdenkt. Insbesondere die Verpflichtung, die gegenüber dem behinderten Bewerber ablehnende Entscheidung begründen zu müssen, zwingt den Arbeitgeber dazu, sich im Einzelnen mit der Qualifikation der Bewerber zu befassen und seine Entscheidung zu verobjektivieren. Insofern kann auch eine Verpflichtung zur Begründung der Entscheidung dazu führen, dass der Arbeitgeber seinen möglicherweise vorschnell gefassten Entschluss revidiert und den Behinderten einstellt. Erfüllt der Arbeitgeber dagegen die ihm nach § 71 Abs. 1 SGB IX obliegende Beschäftigungspflicht, belegt dies, dass er Schwerbehinderte bei der Einstellung nicht benachteiligt. In diesen Fällen ist es nicht geboten, ihn einem Begründungszwang hinsichtlich der von ihm getroffenen Auswahlentscheidung bei einer zu besetzenden Stelle zu unterwerfen. Auch das Bundesarbeitsgericht hat am 15. Februar 2005 (9 AZR 635/03 - AP SGB IX § 81 Nr. 7, zu B. IV. 1. b) bb) (2) d.Gr.) entschieden, dass die sich aus § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ergebende Verpflichtung nur diejenigen Arbeitgeber trifft, die die gesetzliche Beschäftigungsquote nicht erfüllen (so auch Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand Dezember 2004, § 81 Rz 49; a.A.: GK-SGB IX-Großmann, 2005, § 81 Rz 178).
2.
Nach § 71 SGB IX muss die Beklagte auf mindestens 10 Arbeitsplätzen schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Tatsächlich beschäftigt sie sogar 18 Schwerbehinderte. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, ihre ablehnende Entscheidung in Bezug auf die Bewerbung des Klägers näher zu begründen.
3.
Unabhängig hiervon, war die seitens der Beklagten dem Kläger gegebene Begründung für ihre ablehnende Entscheidung (noch) ausreichend. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 11. März 2004 mitgeteilt, dass sie sich für einen anderen Bewerber entschieden hat, "der genauer unseren Anforderungen entsprach". Die Beklagte hat damit deutlich gemacht, dass wesentlich für ihre Einstellungsentscheidung die fachliche Qualifikation der Bewerber war und sie dem Kläger einen in diesem Sinn geeigneteren Bewerber vorgezogen hat.
Daraus, dass sie dem Kläger mitteilte, "dass unsere Entscheidung nicht auf Sie fiel, liegt keinesfalls in ihrer Person oder Qualifikation begründet", folgt nicht, dass sie die Auswahlentscheidung unter Außerachtlassung der Qualifikation der Bewerber traf; vielmehr ist dies so zu verstehen, dass der Kläger zwar "an sich" geeignet und damit hinreichend qualifiziert für die ausgeschriebene Stelle war, aber ein anderer Bewerber noch geeigneter war.
Diese Begründung ist - wie das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung erkannt hat (S. 10 ff. der Entscheidungsgründe) - ausreichend. Die Berufungskammer schließt sich dem ausdrücklich an.
4.
Der Kläger wird auch nicht dadurch diskriminiert, weil er der bessere Bewerber als die tatsächlich eingestellte Person gewesen wäre. Die Beklagte hat die Vorstellungsgespräche durch vier Mitarbeiter führen lassen, die jeweils ein "Ranking" der Bewerber vorgenommen haben. Die Bewerberin mit der niedrigsten Gesamtplatzierungsnummer, Frau A, hat sodann die Stelle erhalten. Hinsichtlich der Person des Klägers ist im Protokoll des Vorstellungsgesprächs vermerkt: "Noch nicht im Team gearbeitet, keine kaufmännische Erfahrung, sehr unsicher, gute Zeugnisse". Demgegenüber heißt es bei Frau A: "2 Kinder, späte Ausbildung, freundliches offenes Wesen, schlechte Prüfung, überwiegend im Verkauf tätig" (vgl. Bl. 43 d.A.) Dies lässt erkennen, dass bei der Auswahlentscheidung besonderer Wert auf die kommunikationsbezogene Qualifikation der Bewerber gelegt wurde. Angesichts dieser Fakten ist die von der Beklagten getroffene Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden. War damit Frau A die fachlich qualifiziertere Bewerberin, kommt es nicht darauf an, dass nach der internen Stellenausschreibung der Beklagten Schwerbehinderte bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt werden. Der schlechter qualifizierte Bewerber verfügt nämlich nicht über eine "entsprechende Eignung". Dies ist nur der Fall, wenn beide Bewerber gleich qualifiziert sind.
C.
Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG. Insbesondere ist die Rechtsfrage, ob einen Arbeitgeber, der die gesetzliche Beschäftigungsquote erfüllt, Verpflichtungen nach § 81 Abs. 1 Satz 7 - 9 SGB IX treffen, vom Bundesarbeitsgericht bereits entschieden (Urteil vom 15. Februar 2005 - 9 AZR 635/03). Im Übrigen ist die Beurteilung dieser Rechtsfrage hier nicht entscheidungserheblich, da - wie ausgeführt - die Beklagte ihrer Begründungspflicht in ausreichendem Umfang nachgekommen ist. Weitere Zulassungsgründe sind aus Sicht der Kammer nicht erkennbar.
Ende der Entscheidung
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