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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 09.06.2008
Aktenzeichen: 1 SHa 1/08
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 12
ZPO § 17
ZPO § 29
ZPO § 35
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ArbGG § 48 Abs. 1a
Nach dem 31. März 2008 ist die Verweisung des Rechtsstreits eines Außendienstangestellten, der nach seiner Ansicht im Gerichtsstand des Erfüllungsortes geklagt hat, offensichtlich rechtswidrig und für das Gericht, an das verwiesen worden ist, nicht bindend, wenn vor Verweisungen die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1a ArbGG tatsächlich dargelegt worden sind.
Tenor:

Zum für die Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits 12 Ca 2481/08 Arbeitsgericht Düsseldorf = 5 Ca 96/08 Arbeitsgericht Offenbach am Main örtlich zuständigen Gericht wird das Arbeitsgericht Offenbach am Main bestimmt.

Gründe:

Der Kläger war auf Grund eines schriftlichen "Beratervertrages" vom 25. August 2006 seit dem 1. September 2006 zunächst befristet bis zum 31. August 2007 für die Beklagte in der Weise tätig, dass er ihr seine sämtlichen Kenntnisse im Bereich des "Xxxxxxxxx Xxxxx Xxxxxxx Xxxxxxx" zur Verfügung stellte (Bl 18 und 19 d. A.). Für die ersten 12 Monate wurde eine Vergütung von 2.000,00 € brutto monatlich und eine Umsatzprovision in Höhe von 5 v. H. vereinbart (Anhänge 1 und 2 vom 25. August 2006 und vom 27. Februar 2007, Bl. 20 und 21 d. A.) Daneben wurden zwei Verträge über die Gewährung eines Darlehns an den Kläger geschlossen (Bl. 22 - 24 d. A.). Auf einer ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Visitenkarte wurde der Kläger als "Area Sales Manager" bezeichnet (Bl. 25 d. A.). Der Kläger betreute die Märkte der Beklagten in der A, B, C, D, E, F und G von einem Büro in seiner Wohnung aus. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Sie kündigte das Rechtsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 10. März 2008, zugegangen am 11. März 2008, ordentlich zum 31. August 2008 (Bl. 26 d. A.).

Mit der gegen diese Kündigung am 1. April 2008 bei dem Arbeitsgericht Offenbach als dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes eingereichten und der Beklagten am 4. April 2008 zugestellten Kündigungsschutzklage kündigt der Kläger den Antrag an,

festzustellen. dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 10. März 2008 nicht beendet wird.

Auf den Hinweis des Arbeitsgerichts Offenbach, dass für den Sitz der Beklagten in Düsseldorf das Arbeitsgericht Düsseldorf örtlich zuständig sei, wiederholte der Kläger innerhalb der ihm bis zum 18. April 2008 eingeräumten Frist seine Ansicht, dass das Arbeitsgericht Offenbach Gerichtsstand des Erfüllungsortes sei (Bl. 32 d. A.). Das Arbeitsgericht Offenbach am Main hat den Rechtsstreit mit einem Beschluss vom 22. April 2008 an das Arbeitsgericht Düsseldorf verwiesen (Bl. 33 - 35 d. A.). Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Parteien mit einem Schreiben vom 29. April 2008 darauf hingewiesen, dass es den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Offenbach für willkürlich und deshalb nicht bindend betrachte (Bl. 37 und 38 d. A.), und die Sache nach zustimmender Stellungsnahme des Klägers (Bl. 39 d. A.) mit Beschluss vom 23. Mai 2008 dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt (Bl. 46 - 48 d. A.).

Für die Beklagte hat am 14. April 2008 gegenüber dem Arbeitsgericht Offenbach mit dem Briefkopf der Beklagten (Bl. 30 d. A.) und am 7. Mai 2008 gegenüber dem Arbeitsgericht Düsseldorf per Fax auf Briefpapier einer "H Gruppe" (Bl. Bl. 40 und 41 d. A.) und per Brief mit dem Briefkopf einer "H Holding GmbH" (Bl. 43 und 44 d.

A.) ein Assessor jur. I der "Rechtsabteilung der H Gruppe" vorgetragen.

II. Nachdem sowohl das Arbeitsgericht Offenbach als auch das Arbeitsgericht Düsseldorf sich mit rechtskräftigen, weil gem. §§ 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, 17 a Abs. 2 und 3 GVG unanfechtbaren, Beschlüsse für örtlich unzuständig erklärt haben, hat das Hessische Landesarbeitsgericht gem. § 36 Abs. 2 ZPO als das Landesarbeitsgericht, in dessen Bezirk das Arbeitsgericht Offenbach am Main als das zunächst mit der Sache befasste Gericht liegt, weil gemeinsames zunächst höheres Gericht der Arbeitsgerichte Offenbach am Main und Düsseldorf das Bundesarbeitsgericht wäre (BAG Beschl. v. 14.07.1998 - 5 AS 22/98 - NZA 1998, 1189, 1190), auf die Vorlage des Arbeitsgerichts Düsseldorf das örtlich zuständige Arbeitsgericht zu bestimmen. Die Vorlage ist in dem hier gegebenen Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch ohne Antrag einer Partei von Amts wegen zulässig, um einen Verfahrensstillstand zu vermeiden (BGH Beschl. v. 31.01.1979 - IV ARZ 111/78 - NJW 1979, 1048; v. 07.03.1991 - I ARZ 15/91 - MDR 1991, 1199; HessLAG Beschl. v. 24.07.2006 - 1 SHa 11/06 - rkr., unter II der Gründe).

Als örtlich zuständig für die Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits ist das Arbeitsgericht Offenbach zu bestimmen.

1. Dabei kann dahinstehen, ob das Arbeitsgericht Offenbach am Main entgegen seiner Ansicht als besonderer Wahl-Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. § 29 Abs. 1 ZPO zuständig ist, weil die Klägerin ihr Wahlrecht zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf und dem gegebenen Gerichtsstand des Erfüllungsortes Arbeitsgericht Offenbach am Main, § 35 ZPO, bezüglich des Letzteren ausgeübt hat. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Offenbach am Main folgt allerdings nicht bereits daraus, dass das Arbeitsgerichts Offenbach am Main den Inhalt des Begriffs "Erfüllungsort" verkannt und von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der des ihm übergeordneten Hessischen Landesarbeitsgerichts abgewichen ist.

Für Arbeitsverhältnisse gilt für die Verpflichtungen beider Parteien ein einheitlicher Erfüllungsort (BAG Urt. v. 09.10.2002 - 5 AZR 307/01 - EzA § 29 ZPO Nr. 1 unter I 2 c aa; v. 20.04.2004 - 3 AZR 301/03 - EzA § 29 ZPO Nr. 2 unter A II 2 d aa), nämlich der des wirtschaftlichen und technischen Mittelpunktes der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers (BAG Beschl.. v. 26.09.2000 - 3 AZN 181/00 - NZA 2001, 286, 287; Urt. v. 20.04.2004, aaO, ebd.). Das ist regelmäßig auch für Kündigungsschutzklagen der Ort, wo die Arbeitsleistung vertragsgemäß zu erbringen ist (BAG Beschl. v. 03.11.1993 - 5 AS 20/93 - NZA 1994, 479, 480, unter III; s. auch Urt. v. 12.06.1986 - 2 AZR 398/85 - AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen unter B V 3 b, st. Rspr.; v. 09.10.2002, aaO, ebd; v. 20.04.2004, aaO, ebd.; HessLAG Beschl. v. 24.07.2006, aaO, unter II 1; nahezu einhellige Meinung, vgl. Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 2 Rn 39; Düwell/Lipke/ Krasshöfer, ArbGG, 2. Aufl., § 2 Rn 56; Schwab/Weth/Walker, ArbGG, 2004, § 2 Rn 230; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 29 Rn 25 "Arbeitsvertrag"; Opolony, Der Arbeitsgerichtsprozess, Rn 192; Nägele, Das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren, 2004, S. 174; Dewender, DB 2005, 1110, 1111). Einfache Rechtswidrigkeit reicht nicht aus, um die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses als nicht gegeben anzusehen (BAG Beschl. v. 01.07.1992 - 5 AS 4/92 - AP § 36 ZPO Nr. 39, st. Rspr.; v. 19.03.2003 - 5 AS 1/03 - MDR 2003, 1010; BGH Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02 - NJW 2002, 1498; vgl. GK-ArbGG/Bader, § 48 Rn 77 - 79; HessLAG Beschl. v. 05. 11 2003 - 1 AR 31/03; v. 11.07.2006 - 1 SHa 25/06 - m. krit. Anmerkung Gravenhorst jurisPR-ArbR 48/2006, Nr. 6; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. § 48 Rn 65; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 48 Rn 26; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rn 14; Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, 28. Aufl., § 281 Rn 12).

2. Das Arbeitsgericht Düsseldorf ist an den an sich unanfechtbaren und grundsätzlich bindenden Verweisungsbeschluss des Arbeitsgericht Offenbach am Main vom 22. April 2008 nicht gebunden, weil dieser willkürlich, weil offensichtlich rechtswidrig, ist (BAG Beschl. v. 01.07.1992 - 5 AS 4/92 - AP § 36 ZPO Nr. 39, st. Rspr.; v. 19.03.2003 - 5 AS 1/03 - MDR 2003, 1010; BGH Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02 - NJW 2002, 1498; vgl. GK-ArbGG/Bader, § 48 Rn 77 - 79; HessLAG Beschl. v. 05. 11 2003 - 1 AR 31/03; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. § 48 Rn 65; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 48 Rn 26; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rn 14; Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, 28. Aufl., § 281 Rn 12).

a) Zum einen hat das Arbeitsgericht Offenbach am Main das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, Art. 103 Abs. 1 GG. Das Arbeitsgericht Offenbach am Main hätte den Kläger auf seine, des Gerichts, Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit und auf die in Betracht kommende Verweisung nach Düsseldorf hinweisen müssen, wenn es die Darlegungen des Klägers hinsichtlich der Annahme des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO nicht für ausreichend erachten wollte. Eine Partei muss auch ohne besonderen gerichtlichen Hinweis nicht damit rechnen, dass ein Gericht erster Instanz von einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung trotz entgegenstehender Bitten des Revisionsgerichts (insbesondere BAG Beschl. v. 06.01.1998 - 5 AS 24/97 - n. v., unter II 3; v. 10.07.1995 - 5 AS 12/95 - n. v., unter II 2 b) und auch obergerichtlichen Rechtsprechung abweicht, und in diesem Fall vor einer ihr nachteiligen Entscheidung ihr insoweit Gelegenheit zur Äußerung haben.

Hier hat das Arbeitsgericht Offenbach am Main nur darauf hingewiesen, dass es den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Düsseldorf in Hinblick auf den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten gem. §§ 12, 17 ZPO zu verweisen gedenkt, nicht aber auf seine abweichende Auffassung zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes bei Außendienstmitarbeitern, und das auch dann nicht, als der Kläger in seiner Stellungnahme nochmals auf seine entgegengesetzte Meinung unter Wiederholung seines entsprechenden Tatsachenvortrags hingewiesen hat. Die abweichende "ständige Rechtsprechung" der Kammer 5 des Arbeitsgerichts Offenbach am Main musste, zumal sie nicht veröffentlicht ist, weder dem Kläger noch seinem Prozessbevollmächtigten bekannt sein.

b) Zum anderen hat das Arbeitsgericht Offenbach am Main eine Gesetzesänderung, die zwar nicht bereits vor längerer Zeit erfolgt ist, die aber seit vielen Jahren diskutiert worden und in Angleichung an europäisches Recht gem. Art. 19 Nr. 2 a EuGVVO (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, AblEG Nr. L 12 S. 1) gerade deshalb erfolgt ist, um solche Verweisungen wie hier in Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu unterbinden (vgl. Bergwitz, NZA 2008, 443, 445 f.; Reinhard/Böggemann, NJW 2008, 1263, 1265 f.), nicht zur Kenntnis genommen (BGH Beschl. v. 19. 01-1993 - X ARZ 845/92 - NJW 1993, 1273; v. 10.09.2002 - X ARZ 217/02 - NJW 2002, 3634, 3635 f.), nämlich die Einführung des Gerichtstandes des Arbeitsortes gem. § 48 Abs. 1a ArbGG durch Art. 2 Nr. 5 SGGArbGGÄndG vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung ab dem 1. April 2008.

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Anrufung des Arbeitsgerichts Offenbach am Main noch nur auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gestützt hat; entscheidend ist, dass sein entsprechender Tatsachenvortrag nach erfolgter Gesetzesänderung auch für den Gerichtsstand des Arbeitsortes ausreicht.

c) Der für die Beklagte gehaltene Vortrag ist unbeachtlich. Dabei kann dahinstehen, ob ein Assessor der Rechtsabteilung der H Gruppe vor Inkrafttreten der Änderung des § 11 ArbGG in der Fassung des Art. 11 Nr. 1 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840) zum 1. Juli 2008 für die Beklagte in einem Gerichtsverfahren als Prozessvertreter tätig werden darf. Der Berücksichtigung Das Vorbringen ist schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil der Assessor, der nicht Verbandsvertreter gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist, keine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat, §§ 80 Abs. 1, 88 ZPO, und auch nicht zur Prozessführung einstweilen zugelassen worden ist. Der Mangel ist von Amts wegen zu beachten, § 88 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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