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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 1 Sa 1065/04
Rechtsgebiete: RaSchO
Vorschriften:
RaSchO § 9 VIII |
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 23. April 2004 - 4 Ca 192/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung einer Abfindung.
Die am 28. März 1950 geborene Klägerin ist ledig und hat keine Kinder. Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 24. Oktober 1990 war sie seit dem 01. November 1990, zunächst befristet bis zum 30. November 1991, in dem bis zum 30. Juni 2004 von der Beklagten unterhaltenen Kindergarten als Kindergartenhelferin beschäftigt (AV I, Bl. 16 - 19 d.A.). Dieser Arbeitsvertrag wurde jedenfalls durch den Arbeitsvertrag vom 16. Juni 1992 ab dem 01. September 1992 auf unbestimmte Zeit fortgesetzt (AV II, Bl. 20 - 23 d.A.). Dieser Vertrag lautet, soweit hier von Interesse:
"...
§ 11
Für die Kündigung des Angestelltenverhältnisses gelten die Bestimmungen des BAT.
Abweichend von § 53 Abs. 3 BAT ist eine Kündigung des Dienstgebers zulässig: ...
...
§ 14
Sonstige Vereinbarungen:
Die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, Dienst- und Vergütungsordnungen (in Kraft gesetzte Beschlüsse der Bistums-KODA) des Bistums x, sind in ihrer jeweiligen Fassung Bestandteil dieses Vertrages.
..."
Die vertragliche Vergütung der Klägerin betrug zuletzt € 2.077,29 brutto im Monat. In dem Kindergarten waren jedenfalls mehr als 3 voll beschäftigte Mitarbeiterinnen tätig. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 25. September 2003, der Klägerin zugegangen am 26. September 2003, ordentlich zum 30. Juni 2004 (Bl. 24 d.A.), weil sie den Kindergarten zu diesem Zeitpunkt schließen wollte. Die Beklagte untersteht der Diözese x. Die in dieser gebildete Kommission für die Ordnung des diözesanen Arbeitsrechts ("Bistums-KODA") beschloss am 28. Oktober 2002 die "Ordnung über den Rationalisierungsschutz im Bistum x (Rationalisierungsschutzordnung, RaSchO, Bl. 71 - 76 d.A.). Mit der am 13. Oktober 2003 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 20. Oktober 2003 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt und den Klageantrag später hilfsweise auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung nach der Rationalisierungsschutzordnung ausgedehnt.
Die Klägerin hat die Kündigung für unwirksam gehalten und gemeint, für den Fall ihrer Wirksamkeit stehe ihr eine Abfindung zu. Den in § 9 Abs. 8 RaSchO vorgesehenen Ausschluss des Anspruchs auf Zahlung einer Abfindung für den Fall einer Kündigungsschutzklage hat sie für unwirksam, die RaSchO im Übrigen aber gleichwohl für wirksam gehalten.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. September 2003, ihr am 26. September 2003 zugegangen, nicht zum 30. Juni 2004 aufgelöst wird;
2. die Beklagte zu verurteilen, sie für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. über den 30. Juni 2004 hinaus zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Erzieherin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen;
3. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, an sie am 01. Juli 2004 € 20.772,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit diesem Tag zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht gewesen, nach § 9 Abs. 8 RaSchO bestehe kein Zahlungsanspruch der Klägerin.
Das Arbeitsgericht Hanau hat mit einem am 23. April 2004 verkündeten, der Klägerin am 18. Mai 2004 zugestellten Urteil - 4 Ca 192/03 (Bl. 88 - 101 d.A.) - die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 17. Juni 2004 Berufung eingelegt und diese unter Weiterverfolgung des Hilfsantrags als Hauptantrag nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20. August 2004 am 19. August 2004 begründet.
Die Klägerin wiederholt und vertieft unter Auseinandersetzung mit der Ansicht des Arbeitsgerichts, dass seine Bejahung der Wirksamkeit des § 9 Abs. 8 RaSchO aus § 1 a KSchG hergeleitet hat, ihren erstinstanzlichen Vortrag zur Unwirksamkeit dieser Regelung (Bl. 126 - 131 u. 155 - 158 d.A.).
Sie beantragt,
unter Abänderung des am 23. April 2004 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Hanau - 4 Ca 192/03 - die Beklagte zu verurteilen, an sie € 20.772,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 01. Juli 2004 zu zahlen.
Die Beklagte bittet darum, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens erster Instanz, insbesondere zur Unanwendbarkeit der Rationalisierungsschutzordnung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien und zur Wirksamkeit des § 9 Abs. 8 RaSchO, das angefochtene Urteil (Bl. 138 - 141, 176 u. 177 d.A.).
Zu dem Inhalt des angefochtenen Urteils und der genannten Schriftstücke im Übrigen und im Einzelnen wird auf die angegebenen Blätter der Akte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 23. April 2004 - 4 Ca 192/03 - ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 lit. b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO.
II.
In der Sache kann sie keinen Erfolg haben, weil sie unbegründet ist. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage, soweit sie gem. § 528 ZPO hinsichtlich des als Hauptantrag weiterverfolgten erstinstanzlichen Hilfsantrags der Überprüfung durch das Berufungsgericht unterliegt, abgewiesen, weil sie unbegründet ist.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von € 20.772,90 brutto nebst Zinsen gegen die Beklagte. Auf die Höhe der von der Klägerin begehrten Zahlung einschließlich der beanspruchten Zinsen kommt es nicht an, weil die Klägerin schon dem Grunde nach keinen solchen Anspruch hat.
1.
Zwar findet die Rationalisierungsschutzordnung entgegen der Ansicht der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien fiel gem. § 1 RaSchO unter deren betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich. Bei der Schließung des Kindergartens handelte es sich um eine von § 2 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. b RaSchO erfasste Maßnahme, nämlich die Aufgabe eines Tätigkeitsgebiets - des Betriebs des Kindergartens - durch Stilllegung dieser Einrichtung der Beklagten, die zur Beendigung des Dienstverhältnisses der Parteien geführt hat.
Die Rationalisierungsschutzordnung war auch als solche auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Die Parteien hatten in § 14 AV II "Sonstige Vereinbarungen" vom 16. Juni 1992 vereinbart, dass die in Kraft gesetzten Beschlüsse der Bistums-KODA in ihrer jeweiligen Fassung Bestandteil des Arbeitsvertrags der Parteien sind. Bei der Rationalisierungsschutzordnung handelt es sich um einen in Kraft gesetzten Beschluss der Bistums-KODA. Zudem findet sich das Wort "keine" bezüglich sonstiger Vereinbarungen, das unter § 14 AV I noch zusätzlich enthalten war und zu Auslegungsschwierigkeiten hätte führen können, in § 14 AV II nicht mehr.
Schließlich ist die Anwendbarkeit der Rationalisierungsschutzordnung nicht durch § 11 AV II ausgeschlossen. Allerdings ist es richtig, dass die Bezugnahme in § 14 AV II auf in Kraft gesetzte Beschlüsse der Bistums-KODA dahingehend zu verstehen ist, dass diese nur insoweit gelten sollten, als die Parteien nicht einzelvertraglich etwa anderes vereinbart hatten. In § 11 AV II haben die Parteien für die - ordentliche - Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages Bezug genommen und lediglich in Abs. 2 die Bestimmungen über die ordentliche Unkündbarkeit, auf die es hier nicht ankommt, wieder eingeschränkt. Es kann dahinstehen, ob diese Regelung Bestimmungen der Rationalisierungsschutzordnung über das bei der beabsichtigten Beendigung von Arbeitsverhältnissen einzuhaltende Verfahren gegenüber vorrangig wäre. Weder der Arbeitsvertrag noch der Bundes-Angestelltentarifvertrag enthalten Vereinbarungen oder Vorschriften über die Zahlung einer Abfindung an die Klägerin bei wirksamer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Verweisung auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag in § 11 AV II kann gem. § 133 BGB auch nicht dahingehend verstanden werden, dass die Parteien einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Abfindung hätten ausschließen wollen.
2.
Der Anspruch der Klägerin ist allerdings durch § 9 Abs. 8 Unterabs. 1 RaSchO ausgeschlossen, weil sie gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat. Diese Bestimmung ist wirksam. § 9 Abs. 8 RaSchO findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nur kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Anwendung, d.h. er gilt zwischen den Parteien als Vertragsrecht (BAGE 66, 314, 320, ständige Rechtsprechung; Urteil vom 26.05.1993 - 4 AZR 358/92 - AP Nr. 2 zu § 12 AVR Caritasverband, unter II. 1. a); vom 16.10.2002 - 4 AZR 447/01 - AP Nr. 12 zu § 12 AVR Caritasverband, unter II. 1.). Diese Vereinbarung verstößt weder gem. § 138 BGB gegen die guten Sitten, was auch die Klägerin selbst nicht annimmt, noch gegen gesetzliche Vorschriften, § 134 BGB.
a) Art. 19 Abs. 4 GG richtet sich, was die Klägerin übersieht, nur gegen die öffentliche Gewalt und steht zivilrechtlichen Vereinbarungen über den Ausschluss der Klagemöglichkeit nicht entgegen. Es ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage auch ohne Gegenleistung verzichten kann (sog. pactum de non petendo), z.B. in einer Ausgleichsquittung (BAGE 32, 6, 11, ständige Rechtsprechung; Urteil vom 20.06.1985 - 2 AZR 427/84 - AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972, unter B. I. 1.; KR-Friedrich, 7. Aufl., § 4 Rz 299), umso mehr wie hier gegen Zahlung einer Abfindung, die im Fall der Klägerin zudem die üblichen Sätze gem. §§ 9, 10 KSchG erheblich übersteigt.
Dass § 9 Abs. 8 RaSchO nicht an der Erhebung einer Kündigungsschutzklage und an der Beendigung des Kündigungsrechtsstreits durch Vereinbarung eines Abfindungsvergleichs hindert, zeigt der vorliegende Fall. Der Vergleich der Parteien, den diese erstinstanzlich unter Widerrufsvorbehalt geschlossen hatten, ist lediglich daran gescheitert, dass die Klägerin ihn widerrufen hat. § 1 a KSchG n.F. hat für die Zeit ab dem 01. Januar 2004 an dieser Rechtslage nichts geändert, sondern diese nur deutlich gemacht, wobei es gleichgültig ist, ob man die Vorschrift für rechtspolitisch verfehlt hält und den unter Erfüllung der in ihr genannten Voraussetzungen entstehenden Anspruch auf Zahlung einer Abfindung als gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Anspruch ansieht.
b) Etwas anderes ergibt sich nicht aus den von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. In dem Urteil vom 20. Dezember 1983 - 1 AZR 442/82 (NZA 1984, 53, 54) - hat das Bundesarbeitsgericht eine solche Vereinbarung nicht für inhaltlich unzulässig gehalten, sondern nur als Teil eines Sozialplans, weil sie die kollektive Regelungsmacht der Betriebspartner überschreite, da § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Betriebspartner im Sozialplan zum Ausgleich oder wenigstens der Milderung durch eine Betriebsänderung den Arbeitnehmer entstehender Nachteile verpflichte und diesen nicht sozusagen im Gegenzug neue Nachteile aufbürden dürfe. Entsprechend hat das Bundesarbeitsgericht in dem Urteil vom 07. Mai 1987 - 2 AZR 271/86 (NZA 1988, 15, 16) - die auf einer Betriebsvereinbarung beruhende Vereinbarung einer Abfindung in einem Auflösungsvertrag für den Fall, dass der Arbeitnehmer dauerhaft in sein Heimatland zurückkehre, bei Vorliegen einer Betriebsänderung als Umgehung der §§ 111, 112 BetrVG und deshalb unwirksam angesehen. In beiden Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht aber die Zulässigkeit der einzelvertraglichen Vereinbarung eines Ausscheidens gegen Zahlung einer Abfindung unter Verpflichtung der Hinnahme einer Kündigung betont (BAG, Urteil vom 20.12.1983, a.a.O., 54; vom 07. Mai 1987, a.a.O., 16).
Die Bedenken des Bundesarbeitsgerichts gegen eine Klausel wie § 9 Abs. 8 RaSchO in einem Sozialplan lassen sich auf die Vereinbarung der Geltung einer von der Bistums-KODA der Diözese x beschlossenen Arbeitsvertragsrichtlinie nicht übertragen. Nun ist zwar die Geltung gerade des § 9 Abs. 8 RaSchO zwischen den Parteien nicht unmittelbar frei vereinbart worden, sondern durch die generelle Verweisung auf die Geltung aller von der Bistums-KODA beschlossenen und vom Bischof in Kraft gesetzten Arbeitsvertragsrichtlinien in der jeweiligen Fassung Inhalt des Arbeitsvertrags geworden. Es kann aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bistums-KODA bei Beschluss arbeitsvertraglicher Regelungen und der Bischof bei deren Inkraftsetzung nicht in derselben Weise inhaltlich beschränkt sind wie die Betriebspartner eines privatrechtlichen Betriebs insbesondere durch § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei der Vereinbarung eines Sozialplans. Das folgt schon daraus, dass die Bistums-KODA nicht wie ein Betriebsrat von den Arbeitnehmern gewählt wird, sondern lediglich die Mitglieder der Arbeitnehmerseite, denen aber eine gleiche Anzahl von Mitgliedern der Arbeitgeberseite gegenübersteht. Dieses paritätisch besetzte Gremium hat insgesamt nicht nur die Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen, sondern die Interessen beider Seiten zum Ausgleich zu bringen. Keine Seite kann der anderen eine Mehrheitsentscheidung in Form des Spruchs einer Einigungsstelle, § 112 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 BetrVG aufzwingen. Allein dadurch hat der Inhalt einer solchen Arbeitsvertragsrichtlinie die tatsächliche Vermutung für sich, dass er einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Arbeitsvertragsparteien darstellt. Anders als ein Sozialplan wirkt ein Beschluss der Bistums-KODA auch nicht unmittelbar und zwingend, §§ 112 Abs. 1 Satz 4, 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, sondern er muss zu seiner Geltung zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart werden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Berufung der Klägerin erfolglos bleibt.
Die Revision ist zuzulassen, da die Sache wegen der Vielzahl der im Bereich des Bistums x von der Regelung betroffenen Arbeitnehmer grundsätzliche Bedeutung hat, § 72 Abs. 2 ArbGG.
Ende der Entscheidung
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