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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 02.06.2006
Aktenzeichen: 10 SaGa 565/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 102 III
BetrVG § 102 V
BetrVG § 118 I
ZPO § 940
Auch wenn der Betriebsrat im Tendenzbetrieb der ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung eines Tendenzträgers ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 3 Ziffern 1 und 3 BetrVG widersprochen hat, besteht jedenfalls dann zugunsten des gekündigten Tendenzträgers kein Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, wenn der Arbeitgeber aus Tendenzgründen statt des gekündigten Arbeitnehmers einen anderen Arbeitnehmer beschäftigen will oder die Weiterbeschäftigung erst nach einer Versetzung möglich ist.
Tenor:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2006 - 6 Ga 69/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob der Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagter) verpflichtet ist, den Verfügungskläger (im Folgenden: Kläger) auf der Grundlage von § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu beschäftigen.

Der am 13. Dezember 1951 geborene Kläger, welcher von Beruf Gymnasiallehrer ist, war zunächst vom 01. August 1986 bis zum 30. September 2001 und sodann, nachdem er auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, erneut ab dem 01. Februar 2002 bei dem Beklagten als Reha-Ausbilder zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von zuletzt € 3.783,00 beschäftigt. Wegen des gesamten Inhalts des zwischen den Parteien am 01. Februar 2002 unterzeichneten Arbeitsvertrages wird auf Bl. 6 - 7 d.A. Bezug genommen.

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, der die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung behinderter Menschen verfolgt. In den Einrichtungen des Beklagten werden behinderte Menschen oder von Behinderung bedrohte Menschen in vielfältigster Weise gefördert und qualifiziert, um auf diese Weise die Voraussetzungen für eine nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit zu erlangen. Träger der Rehabilitationsmaßnahmen sind die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der Renten- und Unfallversicherung sowie die Berufsgenossenschaften. Mit diesen Trägern werden die jeweiligen Rehabilitationsmaßnahmen unterschiedlicher Dauer und unterschiedlicher Zielsetzung vereinbart. Die Rehabilitationsträger vergüten die vereinbarten Maßnahmen.

Aufgrund einer seit dem Jahr 2003 rückläufigen Anmeldung und Belegungssituation vereinbarte der Beklagte unter dem 16. Dezember 2005 mit dem bei ihm gewählten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan, in welchem u. a. der Abbau von 95 der 290 Vollzeitstellen - auch durch den Ausspruch von 54 betriebsbedingten Kündigungen - vorgesehen ist.

Mit Schreiben vom 05. Januar 2006, welches dem Betriebsrat am 10. Januar 2006 zuging, hörte der Beklagte den bei ihm bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses an. Wegen des Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 55 d.A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2006 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung u.a. mit der Maßgabe, dass diese für den Kläger eine besondere Härte darstelle, dass in der vorgelegten Sozialauswahl mindestens eine Kollegin fehle, dass der Kläger auf anderen Arbeitsplätzen etwa in Wiesbaden und Aschaffenburg oder auch in weiteren zu gründenden Geschäftsstellen und zudem nach einer durchzuführenden Fortbildung weiter beschäftigt werden könne. Wegen des gesamten Inhalts des Widerspruchsschreibens wird auf Bl. 19 - 21 d.A. Bezug genommen. Zwischen den Parteien ist unstreitig geworden, dass mit der vom Betriebsrat in seinem Schreiben behaupteten, nicht in die Sozialauswahl einbezogenen Mitarbeiterin die Mitarbeiterin E - für den Beklagten erkennbar - gemeint war. Diese Mitarbeiterin verfügt neben ihrer Ausbildung als Textileinzelhandelskauffrau über einen Fachhochschulabschluss Textil-Betriebswirtin BTE und bildet neben den Bereichen Informationsverarbeitung, Bürowirtschaft und Deutsch, die auch vom Kläger abgedeckt werden, darüber hinaus in erheblichem Umfang im Bereich betriebswirtschaftliches Rechnungswesen aus. Sie ist am 27. Juli 1964 geboren und seit dem 11. Dezember 1995 beim Beklagten beschäftigt; ihr im Rahmen der Sozialauswahl gebildeter Punktwert ist fast identisch mit dem Punktwert des Klägers. Aufgrund der reduzierten Ausbilderzahl beabsichtigt der Beklagte, diese Mitarbeiterin weiter zu beschäftigen, da sie alle notwendigen Ausbildungsbereiche umfangreich und flexibel abdeckt.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2006 kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. März 2006. Mit Schreiben vom 07. März 2006 lehnte der Beklagte eine Weiterbeschäftigung des Klägers ab.

Mit am 30. Januar 2006 bei Gericht eingegangener Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und seine Weiterbeschäftigung begehrt. Mit am 08. März 2006 bei Gericht eingegangener Antragsschrift hat der Kläger seine Weiterbeschäftigung im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei aufgrund des qualifizierten Widerspruchs des Betriebsrats verpflichtet, ihn über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen. Dem stehe auch der Tendenzschutz des § 118 BetrVG nicht entgegen, da die Kündigung allein aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen worden sei. Aus dem Verfügungsanspruch sei auch ohne weitere Begründung der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund abzuleiten. Der Darlegung weiterer Umstände als des drohenden Zeitablaufs bedürfe es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 102 Abs. 5 BetrVG nicht. Jede Zeitspanne der Nichtbeschäftigung stelle bereits eine Gefährdung des Beschäftigungsanspruchs dar.

Der Kläger hat beantragt,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, ihn über den 31. März 2006 hinaus bis zu einer Entscheidung des Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main mit dem Aktenzeichen 6 Ca 671/06 zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß Anstellungsvertrag vom 01. Februar 2002 weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, es fehle bereits an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsanspruch. Auf § 102 Abs. 5 BetrVG könne der Kläger sein Begehren nicht stützen, da diese Vorschrift gem. § 118 BetrVG keine Anwendung finde. Als karitativen und erzieherischen Zwecken dienende Einrichtung führe der Beklagte einen Tendenzbetrieb. Der Kläger sei als Reha-Ausbilder Tendenzträger. Durch die Zuerkennung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs könnte der Betriebsrat Einfluss darauf nehmen, mit welchen Tendenzträgern ein Tendenzunternehmen künftig seine Tendenzzwecke erfülle. Soweit der Betriebsrat in seinem Widerspruchsschreiben davon ausgehe, der Kläger könne eine etwa fehlende Ausbildung durch Berufserfahrung ausgleichen, habe dieses Ansinnen Tendenzbezug; der Beklagte müsse allein entscheiden können, welche Qualifikation er bei Tendenzträgern zur Erfüllung seiner Aufgaben voraussetze. Auch liege ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats nicht vor, da dieser nicht ausreichend begründet sei. Das Vorliegen einer besonderen Härte sei kein Widerspruchsgrund im Sinn von § 102 Abs. 3 BetrVG. Der Hinweis auf die nicht in die Sozialauswahl einbezogene Kollegin sei unsubstantiiert. Die behaupteten freien Stellen seien zum Zeitpunkt des Widerspruchs entweder nicht mehr oder noch nicht aktuell gewesen, was der Betriebsrat auch gewusst habe; zudem seien diese Stellen ausschließlich intern ausgeschrieben worden und würden an der Sozialauswahl, bezogen auf den Kläger, nichts ändern. Schließlich könne der Antrag des Klägers auch deshalb keinen Erfolg haben, da es an der Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes fehle.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 22. März 2006 den Antrag zurückgewiesen. Es hat u. a. ausgeführt, dass zugunsten des Klägers davon auszugehen sei, dass ein Verfügungsanspruch auf Weiterbeschäftigung gem. § 102 Abs. 5 BetrVG bestehe. Der vom Betriebsrat erklärte Widerspruch sei ordnungsgemäß im Sinn des § 102 Abs. 3 BetrVG begründet worden. Ein solcher ordnungsgemäßer Widerspruch liege dann vor, wenn der Widerspruch es als möglich erscheinen lasse, dass einer der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Widerspruchsgründe geltend gemacht werde und der Widerspruch sich nicht auf die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränke. Zwar bestünden Bedenken, ob der Widerspruch im Hinblick auf die gerügte Sozialauswahl ordnungsgemäß sei. In seinem Widerspruch habe der Betriebsrat jedoch auch darauf hingewiesen, dass der Kläger ggf. als Integrationsberater in der Geschäftsstelle Wiesbaden eingesetzt werden könnte. Dieser Widerspruchsgrund lasse sich § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG zuordnen. Dem Weiterbeschäftigungsanspruch stehe auch § 118 BetrVG nicht entgegen. Zwar sei der Beklagte ein Tendenzbetrieb und der Kläger ein Tendenzträger. Die Kündigung des Klägers sei jedoch betriebsbedingt und ohne jeden Tendenzbezug ausgesprochen worden. Die Zuerkennung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs habe daher lediglich Einfluss auf die Zahl der Personen, mit denen der Arbeitgeber seine Zwecke verfolge, nicht jedoch auf die Tendenz selbst. Letztlich könne diese Frage jedoch dahinstehen, da der Kläger das Bestehen eines Verfügungsgrundes nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht habe. Auch unter Berücksichtigung des Fixschuldcharakters des Beschäftigungsanspruchs und der Zielsetzung des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG müssten die gesetzlichen Voraussetzungen gem. §§ 935, 940 ZPO hinsichtlich des Verfügungsgrundes vorliegen. Der Gesetzgeber habe für die Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers die einstweilige Verfügung nicht ausdrücklich vorgesehen. Deshalb sei der Arbeitnehmer verpflichtet, Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, aus denen sich herleiten lasse, dass er durch die Nichtbeschäftigung Beeinträchtigungen erleiden würde, die über sein bloßes Interesse an (rechtzeitiger) Erfüllung hinausgingen. Derartige Tatsachen habe der Kläger nicht behauptet. In Anbetracht der weiteren Tatsache, dass Kammertermin im Kündigungsschutzverfahren bereits auf den 12. Juli 2006 anberaumt sein, führe auch eine ggf. zu Unrecht verweigerte Beschäftigung bei Versagen einer einstweiligen Verfügung nicht zu einer gravierenden Beeinträchtigung des Klägers.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 18. April 2006 zugestellt worden. Die Berufung des Klägers ist einschließlich der Berufungsbegründung am 28. März 2006 bei Gericht eingegangen.

Der Kläger wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, dass es entgegen der Meinung des Arbeitsgerichts zur Begründung der Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung im Rahmen des Verfügungsgrundes nicht der Darlegung weiterer Umstände als des drohenden Zeitablaufs bzw. des Verlustes des Arbeitsplatzes des gekündigten Arbeitnehmers bedürfe. Das Sicherungsinteresse ergebe sich aus der Rechtsnatur des Verfügungsanspruchs. Die Darlegung des Verfügungsgrundes sei nach Sinn und Zweck des § 102 Abs. 5 BetrVG überflüssig. Um die faktische Ausgliederung des Arbeitnehmers aus dem Betrieb zu verhindern, habe der Gesetzgeber unter der Voraussetzung, dass aufgrund eines ordnungsgemäßen Widerspruchs des Betriebsrats eine gewisse Erfolgsaussicht für die erhobene Kündigungsschutzklage bestehe, dem Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsanspruch zugebilligt. Die Initiativlast für die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht habe der Gesetzgeber demgegenüber dem Arbeitgeber auferlegt. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen eines Verfügungsgrundes vor, da beim Kläger die Gefahr der faktischen Erschwerung seiner Wiedereingliederung bestehe, wenn er nicht im Wege einer einstweiligen Verfügung weiter beschäftigt werde. Dem Kläger seien überwiegend Ausbildungsmaßnahmen übertragen gewesen, die zum Teil ein Jahr, in vielen Fällen zwei Jahre dauerten. Während der Qualifizierungsphase sei der Kläger mindestens 6 Monate in der gleichen Gruppe eingesetzt gewesen. Er habe dabei nicht nur Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, sondern auch die persönliche Beratung und Betreuung der Rehabilitanden übernommen. Um diese Aufgaben erfüllen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen zu können, sei eine längerfristige Arbeit mit den gleichen Teilnehmern vorauszusetzen. Außerdem drohe der Verlust seiner Position als Leiter des ECDL-Prüfungszentrums, wenn er mehrere Monate aus dem Betrieb ausscheide.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 22.03.2006 - 6 Ga 69/06 - abzuändern und dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, den Verfügungskläger über den 31.03.2006 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main mit dem Aktenzeichen 6 Ca 671/06 zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß Anstellungsvertrag vom 01.02.2002 weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist weiterhin der Ansicht, ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats läge nicht vor. Darüber hinaus stünde § 118 BetrVG dem Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers unabhängig von dem Kündigungsgrund entgegen. Jedenfalls greife der Tendenzschutz ein, wenn es um die Vergleichbarkeit anderer Arbeitnehmer gehe, da der Beklagte als Tendenzträger das Recht habe, diejenigen Qualifikationsanforderungen festzulegen, die er von seinen Tendenzträgern erwarte. Die Mitarbeiter E und F fielen aus der Sozialauswahl heraus, da sie über besondere Kenntnisse verfügten; so sei das auch mit dem Betriebsrat erörtert worden. Daraus ergebe sich zugleich, dass die Kündigung nicht gänzlich ohne Tendenzbezug sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 02. Juni 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511, 922 Abs. 1 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes, § 64 Abs. 2 ArbGG, keinen Bedenken. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig. Die Berufung und die Berufungsbegründung sind zwar vor dem Zeitpunkt der Zustellung des Urteils bei Gericht eingegangen. Das ist jedoch unschädlich. Die Berufungsbegründung muss sich mit den tragenden Gründen des angefochteten Urteils auseinandersetzen, was auch für eine Berufungsbegründung gilt, die - wie vorliegend - vor Zustellung des Urteils erstellt wird. Allerdings können sich aus dem Prozessablauf und den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung hinreichende Anhaltspunkte für diejenigen Gründe ergeben, auf die das Arbeitsgericht seine Entscheidung stützen wird. Mit ihnen kann sich die Berufungsbegründung auch vor Zustellung des Urteils auseinandersetzen. Jedenfalls ist die Berufungsbegründung nicht schon deshalb unzulässig, weil sie vor der Zustellung des Urteils erstellt worden ist (vergl. zur Revisionsbegründung vor Zustellung des Berufungsurteils BAG 16. April 2003 - 4 AZR 367/02 - NZA 2004, 114; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004; § 66 Rn. 15). Die Berufungsbegründung des Klägers wird diesen Anforderungen gerecht.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Dem Kläger steht ein Weiterbeschäftigungsanspruch - sei es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens oder lediglich entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag bis zur Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren - nicht zu. Der Widerspruch des Betriebsrats löst nämlich keine Weiterbeschäftigungspflicht gem. § 102 Abs. 5 BetrVG aus, da insoweit die Eigenart des Betriebes des Beklagten gem. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entgegensteht.

Das Gericht geht zunächst davon aus, dass der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung ordnungsgemäß im Sinn von § 102 Abs. 3 BetrVG widersprochen hat. Wie bereits das Arbeitsgericht festgestellt hat, kommt, soweit der Betriebsrat auf Beschäftigungsmöglichkeiten etwa in Wiesbaden oder Aschaffenburg verweist, der Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Ziffer 3 BetrVG in Betracht. In der Berufungsinstanz ist zudem unstreitig gestellt worden, dass es für den Arbeitgeber erkennbar war, dass mit der vom Betriebsrat gerügten Sozialauswahl die Arbeitnehmerin E gemeint war. Insoweit kommt der Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Ziffer 1 BetrVG in Betracht, auch wenn der Arbeitnehmer im Widerspruch nicht konkret benannt ist (BAG 09. Juli 2003 - 5 AZR 305/02 - EzA § 102 BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht Nr. 1). Da der Kläger zudem rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und seine Weiterbeschäftigung gegenüber dem Beklagten begehrt hat, ist er an sich gem. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG vom Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Allerdings bestimmt § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG u. a., dass auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend u. a. karitativen und erzieherischen Bestimmungen dienen, die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung finden, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebes dem entgegensteht. Aufgrund dieser Vorschrift entfällt im vorliegenden Fall der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers.

Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass es sich bei dem Beklagten um einen Tendenzbetrieb handelt, welcher karitative und erzieherische Zwecke im Sinn des § 118 BetrVG verfolgt. Es ist darüber hinaus auch nicht streitig, dass der Kläger als Reha-Ausbilder Tendenzträger ist, da er direkt mit der Verwirklichung der erzieherischen Bestimmungen des Beklagten betraut ist. Unstreitig ist darüber hinaus, dass die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung aus betrieblichen Gründen erfolgt ist.

Von einem Teil der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG im Tendenzbetrieb dann bestehen kann, wenn der Arbeitgeber nicht aus Tendenzgründen, sondern aus sonstigen Gründen die Kündigung erklärt (Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 9. Aufl. 2004, § 188 Rn 96; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmeier, BetrVG, 22. Aufl. 2004, § 118 Rn 39; wohl auch: Schaub/Koch/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl. 2005, § 214 Rn 34, welche den Weiterbeschäftigungsanspruch auch gewähren wenn die Kündigung aus tendenzbedingten Gründen ausgesprochen wurde, sofern die Tendenzverwirklichung nicht beeinträchtigt wird; a.A.: Richardi/Thüsing/Annuß, BetrVG, 10. Aufl. 2006, § 118 Rn 166; Hess/Schlochauer/ Worzalla/Glock, BetrVG, 6. Aufl. 2003, § 118 Rn 49). Dem folgt das Gericht in dieser Allgemeinheit nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Widerspruchsgründe des Betriebsrats im Tendenzbetrieb zu begrenzen sind und es darüber hinaus dem Arbeitgeber unbenommen ist, im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Beschäftigung Tendenzerwägungen dem Widerspruch des Betriebsrats entgegenzusetzen.

Mit dem Bundesarbeitsgericht wird davon ausgegangen, dass auch für Tendenzträger die Mitbestimmungsrechte nur insoweit ausgeschlossen werden, wie ihnen die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebes entgegensteht. Das ist nicht bei allen Maßnahmen der Fall, von denen der Tendenzträger betroffen wird. Vielmehr muss es sich grundsätzlich um eine tendenzbezogene Maßnahme handeln (BAG 27. Juli 1993 - 1 ABR 8/93 - NZA 1994, 329). Letztlich kommt es darauf an, ob die Ausübung des Beteiligungsrechts die Tendenzverwirklichung ernstlich beeinträchtigen kann. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass die Versetzung von Tendenzträgern immer eine tendenzbezogene Maßnahme darstellt, da es insoweit um die Freiheit des Arbeitgebers geht, Personen seines Vertrauens mit denjenigen Arbeiten zu betrauen, die bestimmend für die Verwirklichung der geistig-ideellen Zielsetzung sind. Das Bundesarbeitsgericht stellt ausdrücklich fest, dass die geistig-ideelle Zielsetzung ernstlich gefährdet wäre, wenn der Betriebsrat bei einer Versetzung eines Tendenzträgers nach § 99 Abs. 2 BetrVG seine Zustimmung verweigern könnte, weil mit dieser Zustimmungsverweigerung der Arbeitgeber außer Stande gesetzt wird, Personen seines Vertrauens, die er für besonders qualifiziert hält, mit den entsprechenden Aufgaben zu betrauen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats habe unabhängig davon zurückzutreten, ob der Betriebsrat sich auf tendenzbedingte Zustimmungsverweigerungsgründe berufe oder nicht (BAG 27. Juli 1993, a.a.O.).

Wenn dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht gem. § 99 BetrVG bei der Versetzung von Tendenzträgern zu verweigern ist, da dadurch zwangsläufig die Tendenzverfolgung beeinträchtigt wird, so kann dem Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsanspruch nicht zustehen, wenn der Betriebsrat einer Kündigung gem. § 102 Abs. 3 Ziffer 3 BetrVG widerspricht. § 102 Abs. 3 Ziffer 3 BetrVG gewährt dem Betriebsrat ein Widerspruchsrecht, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiter beschäftigt werden kann. Dementsprechend hat auch im vorliegenden Fall der Betriebsrat auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten u. a. in Wiesbaden und Aschaffenburg hingewiesen. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass dem Betriebsrat insoweit sein Widerspruchsrecht nicht zu versagen ist (vgl. Richardi/Thüsing/Annuß, BetrVG, § 118 Rn 166), löst dieser Widerspruch jedenfalls keine Weiterbeschäftigungspflicht aus, denn eine solche Verpflichtung des Beklagten, den Kläger etwa nach Wiesbaden oder Aschaffenburg zu versetzen, beeinträchtigt den Beklagten in der Verfolgung seiner Tendenz.

Auch aufgrund des Hinweises des Betriebsrats in seinem Widerspruchsschreiben, dass im Verhältnis zur Mitarbeiterin E die Grundsätze der Sozialauswahl nicht eingehalten seien, ist ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nicht zu begründen. Zwar beschränkt der Betriebsrat seinen Widerspruch insoweit auf die Sozialdaten des Klägers und der Mitarbeiterin E, ohne aus seiner Sicht in die Tendenz des Beklagten einzugreifen. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht schon frühzeitig gesehen, dass jedenfalls bei den Kündigungsgründen eine Aufspaltung in tendenzbezogene und nicht tendenzbezogene Gründe nicht praktikabel ist (BAG 07. November 1975 - 1 AZR 282/74 - AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG 1972). Mayer-Maly geht darüber hinaus davon aus, dass die Feststellung eines Gegensatzes zwischen wirtschaftlichen und tendenzbezogenen Aspekten verfehlt ist, da auch im Tendenzbetrieb wirtschaftliche Gesichtspunkte oft starken Tendenzbezug aufweisen (Anm. zu BAG AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG 1972). Was für den Kündigungsgrund und die daraus abzuleitenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gilt, ist auch im Rahmen der Beurteilung der Reichweite des Widerspruchsrechts des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 3 BetrVG zu berücksichtigen. Widerspricht der Betriebsrat gem. § 102 Abs. 3 Ziffer 1 BetrVG mit der fehlerhaften Sozialauswahl, so kann es dem Arbeitgeber jedenfalls nicht verwehrt sein, diesem Widerspruchsgrund unter konkreter Darlegung, dass nicht allein die Frage der Sozialauswahl, sondern auch die Frage der Tendenzverwirklichung betroffen ist, entgegenzutreten. Anderenfalls würde der Betriebsrat über diesen Widerspruchsgrund Einfluss auf die Tendenzverwirklichung des Arbeitgebers erlangen. Es ist auch Folgendes zu berücksichtigen: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht bei der Einstellung eines Tendenzträgers kein Zustimmungsverweigerungsrecht im Sinn von § 99 BetrVG (Schaub/Koch/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, § 214 Rn 34). Der Arbeitgeber soll nämlich frei sein bei seiner Entscheidung, mit welchen Personen er die Tendenz verwirklichen will. Ohne dass dieses im Rahmen des lediglich summarischen einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden werden muss, spricht Einiges dafür, dass diese Handlungsfreiheit des Tendenzbetriebes in Bezug auf die Auswahl der Tendenzträger auch im Rahmen des § 102 Abs. 3 und Abs. 5 BetrVG zu berücksichtigen ist und die Beschäftigungspflicht zurücktritt, wenn es um die Beschäftigung von Tendenzträgern geht.

Im vorliegenden Fall ist bezogen auf die Sozialauswahl zwischen dem Kläger und der Arbeitnehmerin E streitig, ob die unstreitig vorhandene besondere Qualifikation der Arbeitnehmerin E durch die langjährige Praxis des Klägers aufgewogen wird und deshalb der Kläger in der Sozialauswahl zu bevorzugen ist. Der Beklagte beabsichtigt, die Arbeitnehmerin E weiter zu beschäftigen, da er mit ihr die notwendigen Ausbildungsinhalte bei reduzierter Ausbilderzahl umfangreich und flexibel abdecken kann. Es geht mithin erkennbar - wie auch im Rahmen der Einstellung eines Tendenzträgers - um die Frage, mit welchen Personen und mit welchen vorauszusetzenden Qualifikationen der Beklagte künftig die Verwirklichung seiner Tendenz betreiben will. Sofern dem Kläger insoweit ein Beschäftigungsanspruch zugestanden würde, wäre der Beklagte in der Verwirklichung seiner Tendenz fremdbestimmt, da der Beklagte die zu beschäftigende Person und die vorauszusetzende Qualifikation - ggf. auch im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG - nicht mehr vorgeben könnte.

Sofern den obigen Ausführungen nicht gefolgt wird, scheitert der Antrag des Klägers jedenfalls daran, dass kein Verfügungsgrund besteht. Entgegen einem erheblichen Teil der Stimmen in Rechtsprechung und Literatur (vergl. etwa LAG Hamm 24. Januar 1994 - 19 Sa 2029/93 - juris; ErfK/Kania, 5. Aufl. 2004 § 102 BetrVG Rn. 36 m.w.N.) geht das Gericht davon aus, dass nach allgemeinen Regeln ein Verfügungsgrund vorliegen muss, wenn ein Arbeitnehmer im einstweiligen Verfügungsverfahren seinen Beschäftigungsanspruch aus § 102 Abs. 3 und 5 BetrVG durchsetzen will. Anders als für den Entpflichtungsantrag des Arbeitgebers, für welchen in § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG ausdrücklich das einstweilige Verfügungsverfahren vorgesehen ist, hat der Gesetzgeber für die Durchsetzung des Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers keine Regelung getroffen, die von den §§ 935, 940 ZPO abweicht ( vergl. auch LAG München 16. August 1995 - 9 Sa 543/95 - LAGE Nr. 22 zu § 102 BetrVG Beschäftigungspflicht; LAG Baden-Württemberg 30. August 1993 - 15 Sa 35/93 - NZA 1995, 683).

Der Verfügungsgrund gem. § 940 ZPO setzt voraus, dass eine einstweilige Verfügung zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis dann zulässig ist, wenn eine entsprechende Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gefahren oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Bei der Anwendung dieser Vorschrift muss der sog. Justizgewährungsanspruch berücksichtigt werden, wonach der Staat dem Bürger auch im Zivilprozess zu einem wirksamen, umfassenden und effektiven Rechtsschutz verhelfen muss. Dementsprechend ist eine sog. Befriedigungsverfügung ausnahmsweise dann zulässig, wenn sie zur Erfüllung des rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs auf effektiven Rechtsschutz erforderlich ist (vgl. LAG München 18. September 2002 - 5 Sa 619/02 - NZA-RR 2003, 269).

Macht der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen Beschäftigungsanspruch geltend, so sind an die Voraussetzungen des Verfügungsgrundes umso geringere Anforderungen zu stellen, je stärker der Verfügungsanspruch ist. Ist der Beschäftigungsanspruch zweifelsfrei gegeben und kommt deswegen auch im Hauptsacheverfahren keine andere Entscheidung über den Beschäftigungsanspruch in Betracht, so ist mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes regelmäßig auch der für den Erlass einer Beschäftigungsverfügung erforderliche Verfügungsgrund gegeben (LAG München 18. September 2002, a.a.O.; LAG München 10. Februar 1994 - 5 Sa 969/93 - NZA 1994, 997).

Wie oben dargelegt, ist der Beschäftigungsanspruch des Klägers jedenfalls nicht zweifelsfrei gegeben. Wenn und soweit der Verfügungsanspruch zweifelhaft ist, sind an den Verfügungsgrund die "normalen" gesetzlichen Anforderungen zu stellen. Der Kläger muss daher konkret darlegen und glaubhaft machen, zur Abwendung welcher wesentlichen konkreten Nachteile die einstweilige Verfügung zu erlassen ist. Der Kläger hat zwar einige Nachteile behauptet und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, wie etwa die faktische Erschwerung der Wiedereingliederung nach längerer Zeit der Nichtbeschäftigung, der Verlust an Vertrauen im Rahmen einer ganzheitlichen Betreuung bei einzelnen Rehabilitanden und bei den jeweiligen Gruppen sowie der drohende Verlust der Funktion als Leiter des ECDL-Prüfungszentrums. Damit allein ist jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Reha-Ausbilder im Falle des Obsiegens im Kündigungsschutzverfahren wesentlich erschwert ist. Es ist lediglich dargetan, dass der Verlust einer Zusatzfunktion droht und dass nach einer Arbeitsunterbrechung die Kontakte zu den Rehabilitanden und den Gruppen wieder neu aufgebaut werden müssen, wie das ohnehin im zeitlichen Ablauf der Ausbildung immer wieder zu geschehen hat. Als wesentliche Nachteile kann das nicht angesehen werden.

Der Kläger trägt die Kosten seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels, § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben, § 72 Abs. 4 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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