Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 20.04.2007
Aktenzeichen: 11 Ta 631/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
ZPO § 150
1. Die Entscheidung über die Aufhebung eines Aussetzungsbeschlusses hat nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen. Die ermessensleitenden Erwägungen sind in dem Aufhebungsbeschluss offenzulegen.

2. Wie bei der Anordnung der Aussetzung gehören zu den Umständen des Einzelfalles jedenfalls

- Beschleunigungsgebote des ArbGG;

- Stand der beiden Verfahren, insbesondere des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche Dauer

- und damit die voraussichtliche Dauer im Falle der weiteren Aussetzung;

- die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klagepartei auch in jenem Rechtsstreit;

- ob bereits ein Urteil zu Gunsten der Klagepartei ergangen ist und wie ggf. die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu beurteilen sind;

- die wirtschaftliche Situation beider Parteien;

- die Notwendigkeit für die Klagepartei, ihre Ansprüche mit Hilfe eines gerichtlichen Titels durchsetzen zu müssen;

- das Verhalten der Klagepartei.


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 2006 - 3 Ca 1025/06 - aufgehoben.

Die erforderliche Anordnung wird der Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main übertragen.

Gründe:

I.

Die Beklagte wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Aufhebung eines Aussetzungsbeschlusses.

Der am 15. März 1975 geborene Kläger wurde bei der Beklagten, einer 100%igen Tochter der A, ab dem 1. Juli 1999 als Sachbearbeiter Einheitsbewertung beschäftigt. An Vergütung erhielt der Kläger zuletzt € 2.858,68 brutto im Monat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Februar 2004 außerordentlich fristlos und mit weiterem Schreiben vom gleichen Tage vorsorglich ordentlich zum 31. März 2004, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Auf die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Frankfurt am Main mit einem am 27. Oktober 2005 verkündeten Urteil - 3 Ca 1308/04 - fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigungen nicht beendet worden ist und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 30. September 2004 in Höhe von € 23.695,11 brutto abzüglich gezahlter € 1.579,08 netto und abzüglich an Arbeitslosengeld erhaltener € 7.635,12 netto. Die weitere Klage und die Widerklage wurden abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist vor der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen 11 Sa 2215/05 anhängig. Aufgrund eines im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2006 verkündeten Beschlusses hat die Berufungskammer ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt und nunmehr Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 19. Juli 2007 anberaumt.

In dem vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger von der Beklagten mit der am 10. Februar 2006 erhobenen und anschließend erweiterten Klage zuletzt seine Weiterbeschäftigung als Sachbearbeiter Einheitsbewertung und Zahlung weiteren Annahmeverzugslohnes für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis einschließlich 30. Juni 2006 in Höhe von € 66.697,15 brutto abzüglich an Arbeitslosengeld erhaltener € 17.256,13 netto nebst Zinsen verlangt. Mit einem am 27. Juli 2006 verkündeten, rechtskräftigen Teilurteil - 3 Ca 1025/06 (Bl. 210 bis 217 d. A.) - hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main dem Weiterbeschäftigungsbegehren entsprochen und die Verhandlung im vorliegenden Rechtsstreit, soweit nicht bereits durch Teilurteil entschieden, mit dem ebenfalls am 27. Juli 2006 verkündeten Beschluss vom 13. Juli 2006 - 3 Ca 1025/06 (Bl. 221 bis 224 d. A.) - bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 3 Ca 1308/04 ausgesetzt. Gegen den ihm am 4. Oktober 2006 (Bl. 226 d. A.) zugestellten Beschluss hat der Kläger am 17. Oktober 2006 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht sofortige Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet (Bl. 231 bis 233 d. A.). Mit Beschluss vom 23. November 2006 - 3 Ca 1025/06 (Bl. 250 bis 252 d. A.) - hat die Kammer des Arbeitsgerichts der sofortigen Beschwerde des Klägers abgeholfen und den Aussetzungsbeschluss vom 13. Juli 2006 aufgehoben. Gegen den ihr am 5. Dezember 2006 (Bl. 253a d. A.) zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 19. Dezember 2006 sofortige Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet (Bl. 271 bis 273 d. A.). Der Kläger verteidigt den angefochtenen Beschluss (Bl. 282 und 283 d. A.). Der Vorsitzende des Arbeitsgerichts hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten gegen die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses nicht abgeholfen (Bl. 277 d. A.).

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 2006 - 3 Ca 1025/06 - ist gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 252 ZPO, 78 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie gem. §§ 569 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 572 Abs. 2, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, 78 ArbGG frist- und formgerecht eingelegt worden. Wird der Gegner, wie vorliegend die Beklagte, durch die Abhilfe beschwert, ist ihm hiergegen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 78 Rn 29).

2.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg, weil sie begründet ist. Der angefochtene Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 2006 - 3 Ca 1025/06 - ist aufzuheben. Die erforderlichen Anordnungen sind dem Arbeitsgericht zu übertragen, § 572 Abs. 3 ZPO.

a)

Gem. § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Neben der Feststellung der Vorgreiflichkeit i.S.d. § 148 ZPO bedarf es damit auf der zweiten Stufe einer Abwägung der Vor- und Nachteile einer Aussetzung des Rechtsstreits. Diese Entscheidung, ob bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Aussetzung angeordnet wird, steht regelmäßig im Ermessen des Gerichts (St. Rspr., u. a. BAG, Urt. v. 27. April 2006 - 2 AZR 360/05, NZA 2007, 229, 231, unter B.II). Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung durch das Gericht offenzulegen (LAG Hessen, Beschl. v. 6. April 2004 - 1 Ta 106/04, AR-Blattei ES 160.7 Nr. 223). Diese Grundsätze gelten auch bei der Frage, ob gem. § 148 ZPO die Verhandlung in einem Rechtsstreit auf Zahlung von Vergütung aus Annahmeverzug, dessen Erfolg von der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängt, bis zur rechtskräftigen Erledigung des Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer Kündigung wegen dessen Vorgreiflichkeit auszusetzen ist. Auch wenn der Vergütung angesichts ihrer Existenz sichernden Funktion ein besonderes Gewicht zukommt, bedarf es regelmäßig einer Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalles (mit eingehender Begründung: Hess. LAG, Beschl. v. 6. April 2004 - 1 Ta 106/04, aaO; Beschl. v. 4. September 2006 - 19 Ta 361/06, m.w.N.; Beschl. v. 5. Januar 2007 - 8 Ta 577/06). Zu den im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen gehören dabei insbesondere (Hess. LAG, Beschl. v. 6. April 2004 - 1 Ta 106/04, aaO; Beschl. v. 25. August 2006 - 17 Ta 563/06, Beschl. v. 4. September 2006 - 19 Ta 361/06; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Februar 1998 - 7 Ta 56/89, LAGE § 148 ZPO Nr. 21):

- Beschleunigungsgebote des ArbGG,

- Stand der beiden Verfahren, insbesondere des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche Dauer,

- und damit die voraussichtliche Dauer der Aussetzung,

- die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klagepartei auch in jenem Rechtsstreit,

- ob bereits ein Urteil zu ihren Gunsten ergangen ist und wie ggf. die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu beurteilen sind,

- die wirtschaftliche Situation beider Parteien,

- die Notwendigkeit für die Klagepartei, ihre Ansprüche mit Hilfe eines gerichtlichen Titels durchsetzen zu müssen,

- das Verhalten der Klagepartei.

Da die Aufhebung der Aussetzung wie deren Anordnung im Ermessen des Gerichts steht (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 150 ZPO Rn. 2), sind die zuvor genannten Umstände auch bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aussetzungsbeschlusses zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt dabei lediglich, ob das die Aussetzung aufhebende Gericht ermessensfehlerhaft entschieden hat (BFH, Beschl. v. 17. Januar 1995 - VII B 124/94, Juris; für die Anordnung der Aussetzung: Hess. LAG, Beschl. v. 5. März 2007 - 1/6 Ta 48/07).

b)

Vorliegend streiten die Parteien vor dem Arbeitsgericht noch um Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 30. Juni 2006. Das Bestehen dieses Anspruchs ist vom Ausgang des derzeit in der Berufung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht - 11 Sa 2215/05 - anhängigen Rechtsstreits über die Wirksamkeit der beiden Kündigungen der Beklagten vom 4. Februar 2004 abhängig. Damit liegt Vorgreiflichkeit i.S.d. § 148 ZPO vor und die Entscheidung, ob die mit Beschluss vom 13. Juli 2006 angeordnete Aussetzung aufzuheben ist, liegt - ebenso wie die zuvor getroffene Anordnung über die Aussetzung selbst - im Ermessen des Arbeitsgerichts.

Der die zunächst mit Beschluss vom 13. Juli 2006 ausgesprochene Anordnung der Aussetzung gem. § 148 ZPO aufhebende Beschluss vom 23. November 2006 lässt hingegen die auch insoweit geforderte Ermessensausübung nicht erkennen. Das Arbeitsgericht hat bei der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens in dem Beschluss über die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses lediglich darauf abgestellt, nach der nunmehr beabsichtigten Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht sei mit einer raschen zeitnahen Klärung des Kündigungsrechtsstreits durch das Hessische Landesarbeitsgericht nicht mehr zu rechnen und eine weitere Aussetzung sei dem Kläger nicht mehr zumutbar. Zwar ist der Stand des vorgreiflichen Verfahrens und dessen voraussichtliche Dauer als Gesichtspunkt in die Ermessensentscheidung einzubeziehen, aber nicht alleine. Die zunächst getroffene Aussetzungsentscheidung hatte das Arbeitsgericht daneben damit begründet, es seien die Umstände hierfür überwiegend, denn es bestehe die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen und der Kläger erhalte Arbeitslosengeld, so dass auch in finanzieller Hinsicht ein akuter Handlungsbedarf zur Tenorierung weiterer Lohnansprüche über die bereits durch erstinstanzliches Urteil im Kündigungsschutzprozess zugesprochenen Beträge nicht bestehe. Diese Umstände sind jedoch unverändert. Nach wie vor besteht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, wie auch der Kläger weiterhin seit dem 2. Februar 2005 Arbeitslosengeld II bezieht. Angesichts dessen lässt der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. November 2006 einschließlich des Nichtabhilfebeschlusses vom 22. Dezember 2006, der lediglich auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verweist, eine die zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles insgesamt abwägende Entscheidung über die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses vom 13. Juli 2006 nicht erkennen.

c)

Da das Beschwerdegericht nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Arbeitsgerichts setzen kann, ist die Sache an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (Hess. LAG, Beschl. v. 4. September 2006 - 19 Ta 361/06 und 6. April 2004 - 1 Ta 106/04, aaO; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Februar 1998 - 7 Ta 56/89, LAGE Nr. 21 zu § 148 ZPO; Hauck/Helml, ArbGG, 3. Aufl.; § 78 Rn 9; aA Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, aaO, § 78 Rn 33). Im Rahmen der Abhilfeentscheidung über die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Aussetzungsbeschluss vom 13. Juli 2006 hat das Arbeitsgericht sein Ermessen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, auch dem nunmehr in dem vorgreiflichen Kündigungsrechtsstreit der Parteien am 19. Juli 2007 vor der Berufungskammer anberaumten weiteren Verhandlungstermin, auszuüben, seine daraus resultierende Entscheidung zu treffen und die ermessensleitenden Erwägungen den Parteien in seinem Beschluss offenzulegen (Hess. LAG, Beschl. v. 6. April 2004 - 1 Ta 106/04, aaO; Hess. LAG, Beschl. v. 4. September 2006 - 19 Ta 361/04).

III.

Eine Kostenentscheidung hat nicht zu erfolgen, denn die entstandenen Kosten sind als Teil der Kosten des Rechtsstreits ggf. bei der Entscheidung der Hauptsache zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704).

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist kein gesetzlicher Grund gegeben, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar, § 574 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück