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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2005
Aktenzeichen: 12/4 TaBV 127/04
Rechtsgebiete: BetrVG, GG, BGB
Vorschriften:
BetrVG § 103 | |
GG Art. 5 I | |
BGB § 626 I |
Tenor:
Auf die Beschwerde des Betriebsrats und der Beteiligten zu 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juli 2004 - Aktenzeichen: 11 BV 315/04 - abgeändert:
Der Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird gegen diesen Beschluss nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die antragstellende Arbeitgeberin (Beteiligte 1) begehrt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter 2) zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds A (Beteiligte 3).
Die Beteiligte 1) betreibt auf dem B Flughafen zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte, darunter mehrere Duty-Free-Shops (DFS) und beschäftigt dort etwa 700 Mitarbeiter. Der Beteiligte 2) ist der für den B Betrieb gewählte Betriebsrat. Die Beteiligte 3) steht seit dem 1.7.1989 in einem Arbeitsverhältnis zur Beteiligten 1), ist im DFS-Bereich als Verkaufsaufsicht tätig und seit 1994 Mitglied des Beteiligten 2).
Die Beteiligte 1) kündigte mit dem Ziel der Kostenreduzierung mehrere mit dem Beteiligten 2) geschlossene Betriebsvereinbarungen, die die Zahlung von Zuschlägen und weiteren Sonderzahlungen an die Mitarbeiter zum Gegenstand hatten. Die Verhandlungen über den erneuten Abschluss dieser Vereinbarungen mit geringeren Leistungen an die Mitarbeiter scheiterten an den unterschiedlichen Ansichten beider Seiten über die Notwendigkeit von Kostenreduzierungen im Betrieb.
In dieser Situation verfaßten einige - auf derselben Führungsebene wie die Beteiligte 3) tätige - Führungskräfte der Beteiligten 1) unter dem 11.4.2004 einen offenen Brief an den Beteiligten 2), in dem sie das Ergreifen von Sparmaßnahmen zur Erhaltung des Standorts als notwendig bezeichneten und den Beteiligten 2) aufforderten, "seine wenig konstruktive Verhandlungshaltung aufzugeben und mit akzeptablen, kreativen Vorschlägen erneut das Gespräch mit der Betriebs- und Geschäftsleitung zu suchen". Für den weiteren Inhalt des offenen Briefes wird auf Bl. 25 d.A. Bezug genommen.
Bei Dienstantritt am 25.4.2004 fanden elf der Unterzeichner des offenen Briefes in ihren Hausbriefkästen im Betrieb die anonym eingeworfene Kopie einer Zeichnung vor, die eine Ansammlung von unterschiedlich gekleideten Personen zeigte, deren Gesichter sämtlich zu einheitlich geformten Hinterteilen verfremdet waren. Ihre Kleidung und Kopfbedeckung machte sie im Wesentlichen als Vertreter staatlicher Institutionen und gesellschaftlicher Gruppen wie Militär, Polizei, Justiz, Politik, Kirchen und Universitäten, weiter auch als Burschenschaftler, US-amerikanische Kapitalisten, Neonazis und Revolutionsarmisten erkennbar. In einer Sprechblase in der Mitte war zu lesen: "Wir sind, was volkt".
Durch die Aufnahme einer Videokamera, die in diesem Betriebsbereich installiert ist, bestand seit dem 27.4.2004 der Verdacht, dass es sich bei der anonymen Verteilerin der Zeichnung um die Beteiligte 3) handelte. Da sie zu der Zeit arbeitsunfähig und zur Führung eines persönlichen Gesprächs während der Arbeitsunfähigkeit nicht bereit war, forderte die Beteiligte 1) sie am 5.5.2004 schriftlich auf, zu dem Vorgang Stellung zu nehmen. In ihrer Antwort vom 7.5.2004 räumte sie ein, die Zeichnung während ihrer Nachtschicht verteilt zu haben. Für den weiteren Inhalt des Schreibens wird auf Bl. 30 d.A.) Bezug genommen. Die Zeichnung war die Titelzeichnung auf dem Schutzumschlag des Buches "Wir sind, was volkt (Vom Ur-Sprung in der deutschen Schüssel, ein satirisches Schizogramm)" von Martin Buchholz. Die Beteiligte 3) hatte sie von dort kopiert.
Die Beteiligte 1) entschied, wegen dieses Vorgangs das Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten 3) außerordentlich zu kündigen und forderte den Beteiligten 2) mit Schreiben vom 10.5.2004 (Bl. 32 - 34 d.A.) auf, der beabsichtigten Kündigung zuzustimmen. Mit Schreiben vom 13.5.2004 (Bl. 35 - 36 d.A.) verweigerte der Beteiligte 2) die Zustimmung. Am 14.5.2004 reichte die Beteiligte 1) den Zustimmungsersetzungsantrag beim Arbeitsgericht Frankfurt ein.
Die Beteiligte 1) hat die Ansicht vertreten, die eingeworfene Zeichnung habe beleidigenden und herabwürdigenden Charakter. Die Entfremdung der Gesichter als "Arschgesichter" solle den Eindruck vermitteln, dass die abgebildeten Personen vollkommen kritiklos und blind einer bestimmten Meinung folgten. Die Form der Darstellung spreche ihnen jede vernünftige und achtenswerte Geisteshaltung ab. Die Verwendung auch nationalsozialistischer Symbole verstärke diese Aussage dahin gehend, dass ihre Geisteshaltung nicht nur dumpf und kritiklos, sondern sogar menschenverachtend und verbrecherisch sei. Mit der Übergabe der Zeichnung an die Mitarbeiter habe die Beteiligte 3) ausgedrückt, dass sie ihnen ebenfalls die in der Zeichnung angeprangerte Geisteshaltung unterstelle und ihre Unterzeichnung des offenen Briefes Ausdruck derselben sei. Dieses grob beleidigende Verhalten der Beteiligten 3) habe den Betriebsfrieden zutiefst gestört und mache jede weitere Zusammenarbeit mit ihr unzumutbar.
Die Beteiligte 1) hat beantragt,
die Zustimmung des Beteiligten 2) zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten 3) zu ersetzen.
Die Beteiligten 2) und 3) haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Beteiligte 2) hat in der Übergabe der Zeichnung keinen ausreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung gesehen. Die Beteiligte 3) hat behauptet, mit der Zeichnung habe sie die Mitarbeiter wachrütteln und persönliche Gespräche mit ihnen vorbereiten wollen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt hat mit Beschluss vom 1.7.2004 die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten 3) ersetzt. Es hat in der Übergabe der Zeichnung an die Unterzeichner des offenen Briefes eine grobe Beleidigung und nicht mehr hinnehmbare Mißachtung der Persönlichkeit gesehen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beteiligte 3) die Zeichnung dazu genutzt habe, um den betreffenden Kollegen mitzuteilen, dass sie sie aufgrund der Unterzeichnung des offenen Briefes als "Arschgesichter" und Teil einer kritiklosen Masse einschätze, die unreflektiert die Position der Geschäftsführung übernommen haben. Durch die massive Verletzung der Persönlichkeit der Kollegen habe sie den Betriebsfrieden in nicht mehr hinzunehmender Weise gestört. Für die weitere Begründung wird auf Ziff. II der Gründe des arbeitsgerichtlichen Beschlusses Bezug genommen (Bl. 62 - 66 d.A.)
Der Beschluss des ersten Rechtszuges ist den Beteiligten 2) und 3) jeweils am 19.8.2004 zugestellt worden. Der Beteiligte 2) hat gegen den Beschluss am 31.8.2004 Beschwerde eingelegt und sie gleichzeitig auch begründet. Die Beteiligte 3) hat am 13.9.2004 ebenfalls Beschwerde eingelegt und diese am 30.9.2004 begründet.
Der Beteiligte 2) vertritt die Auffassung, dass das Verhalten der Beteiligten 3) schon deshalb nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen könne, weil es sich im betriebsverfassungsrechtlichen Bereich bewegt habe. Es sei die Antwort auf die Angriffe der Kollegen gegen den Beteiligten 2) im offenen Brief vom 11.4.2004 gewesen. Daneben sei es aber auch als wichtiger Grund nicht ausreichend, sondern vielmehr noch durch das Recht zur freien Meinungsäußerung aus Art. 5 GG gedeckt. Er sieht die Beteiligte 3) dazu berechtigt, eine öffentlich verbreitete Karikatur zu kopieren und sie im betriebsverfassungsrechtlichen Meinungskampf zu verwenden. Sowohl die verfremdende zeichnerische als auch die spielerische sprachliche Darstellung seien offenkundig satirisch und ironisch gemeint. Sie machten deutlich, dass die Karikatur nicht echte Identitäten und Persönlichkeiten zeigen will, sondern bestimmte Meinungen und Haltungen einer amorphen Masse gekennzeichnet werden sollen. Da die Karikatur so keinen individuellen Bezug zu einzelnen Arbeitnehmern aufweise, könne sie nicht ansatzweise als Beleidigung oder Verleumdung einzelner Arbeitnehmer bezeichnet werden. Angesichts des Umstands, dass die verschiedensten Symbole gezeigt werden, könne auch die Abbildung von SS-Runen oder eines Hakenkreuzes auf einem tätowierten Oberarm nicht in den Vordergrund gestellt und zu einer Verschärfung des Vorwurfs herangezogen werden.
Auch die Beteiligte 3) vertritt die Auffassung, sie habe allein als Betriebsratsmitglied gehandelt und mit dem Einwurf der Karikatur auf die im offenen Brief vom 11.4.2004 geäußerten Vorwürfe reagiert. Die Kündigung könne zudem durch die Vornahme einer Versetzung vom DFS-Bereich in den Inlandsbereich vermieden werden. Alle Mitarbeiter, denen die Karikatur übergeben wurde, seien wie die Klägerin Führungskräfte im DFS-Bereich. Da ein mögliches Fehlverhalten der Beteiligten 3) auf keinen Fall als besonders schwerwiegend zu beurteilen sei, hätte der einmalige Vorfall zunächst nur zu einer Abmahnung führen dürfen. Bei der Bewertung des Verhaltens komme das Arbeitsgericht zu einer Überinterpretation, wenn es die Darstellung der Gesichter als Hinterteile damit gleichsetze, die Beteiligte 3) tituliere ihre Kollegen als "Arschgesichter". Ihr sei es allein auf den Text angekommen. Sie habe anprangern wollen, dass die Kollegen nach einseitiger Information durch die Geschäftsführung deren Meinung zur eigenen erhoben haben, ihr also folgten. Mit der Verwendung einer satirischen Zeichnung habe sie die Mitarbeiter wachrütteln wollen.
Die Beteiligten 2) und 3) beantragen,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 1.7.2004 - 11 BV 315/04 - abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.
Die Beteiligte 1) beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beteiligte 1) wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie bleibt dabei, dass durch die gewählte Darstellung der Gesichtszüge ausnahmslos aller abgebildeten Personen deutlich gemacht werde, dass jede dieser Personen ein "Arsch" ist, dem eine vernünftige und achtenswerte Geisteshaltung abgesprochen wird. Den Bezug zu den einzelnen Mitarbeitern habe die Beteiligte 3) durch den Einwurf in deren jeweils persönlichen Hausbriefkasten selbst hergestellt. Die Zeichnung habe von den Empfängern nicht anders verstanden werden können, als dass sie selbst als "Arsch" tituliert werden. Die Beteiligte 3) habe mit der Übergabe der Zeichnung allein den Zweck verfolgt, den Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass ihre Geisteshaltung dumpf, kritiklos und in jeder Hinsicht ablehnenswert sei, sowie die Mitarbeiter durch den Gebrauch des Wortes "Arsch" herabzuwürdigen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung komme weder eine Versetzung anstelle der Kündigung, noch zunächst nur eine Abmahnung in Betracht.
II.
Die Beschwerden der Beteiligten 2) und 3) sind gem. § 87 Abs.1 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beteiligten 2) und 3) sind beschwert, weil sie im ersten Rechtszug unterlegen sind. Des weiteren sind sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs.2, 89, 86 Abs.1 ArbGG, 518, 519 ZPO).
Die Beschwerde ist auch in der Sache erfolgreich. Die gem. §§ 103 BetrVG, 15 Abs. 1 KSchG zu ersetzende Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds A konnte mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs.1 BGB nicht ersetzt werden.
Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach § 15 KSchG unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Die Zustimmung ist zu ersetzten, wenn das Gericht einen wichtigen Grund als gegeben ansieht. Für die Annahme eines wichtigen Grundes müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BAG Beschl. v. 10.2.1999, Az. 2 ABR 31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969 m.w.Nachw.).
Ein solcher wichtiger Grund, der es der Arbeitgeberin unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, war im anonymen Einwerfen der Karikatur von R. Hachfeld, die eine Gruppe von Personen - Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und staatlicher Institutionen - zeigt, deren Gesichter sämtlich als Hinterteile verfremdet dargestellt sind und die mit dem Satz beschriftet ist: "wir sind, was volkt", in die Hausbriefkästen mehrerer Kollegen, die einen offenen Brief mit Kritik am Verhalten des Betriebsrat unterzeichnet hatten, nicht zu sehen.
Das Verhalten der Beteiligten 3) scheidet allerdings nicht schon deshalb als wichtiger Grund aus, weil die Beteiligte 3) etwa allein in Ausübung ihrer Amtspflichten gehandelt oder ihr Handeln zumindest im Zusammenhang mit ihrer Amtstätigkeit gestanden hätte (vgl. dazu FKHE BetrVG 22. Aufl. § 103 Rn.30). Hier wäre ein Zusammenhang zur Amtstätigkeit zwar denkbar, da die Beteiligte 3) die Karikaturen als ihre Reaktion auf die im offenen Brief der Kollegen gegen den Betriebsrat vorgebrachte Kritik in die Briefkästen eingeworfen hat. Er ist jedoch aufgrund des anonymen Handelns der Beteiligten 3) zu verneinen. Sie hat damit jede mögliche Verbindung und Verknüpfung ihres Handelns mit dem Betriebsratsamt selbst abgeschnitten. Zur Amtsausübung gehört denknotwendig, dass nach außen erkennbar in Ausübung eines Amtes oder Mandats gehandelt wird.
Ein wichtiger Grund war vielmehr deshalb nicht gegeben, weil das Handeln der Beteiligten 3) durch das Grundrecht zur freien Meinungsäußerung aus Art. 5 GG gedeckt ist und deshalb keine grobe Beleidigung der betroffenen Kollegen darstellt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Beschl. v. 16.10.1998, Az 1 BvR 1685/92 EzA zu § 611 BGB Abmahnung Nr.40; Beschl. v. 10.10.1995, Az 1 BvR 1476/91 NJW 1995, 3303-3310; BAG Urt. v. 17.7.2000, Az. 2 AZR 927/98; Urt. v. 10.10.2002, Az 2 AZR 418/01 ezA zu § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr.1), der sich die Kammer anschließt, können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und seiner Repräsentanten, aber auch von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs.1 GG) berufen. Das beruht darauf, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen schützt, und dass dieses Grundrecht im Übrigen nicht schrankenlos gewährt, sondern insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs.2 GG beschränkt ist und in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden muss.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art 5 Abs.1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist, und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Der Grundrechtsschutz bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form einer Äußerung. Allein, dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie noch nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit.
Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos geschützt. Sie findet u.a. in den allgemeinen Gesetzen sowie im Recht der persönlichen Ehre eine Schranke Art 5 Abs.2 GG). Berührt eine arbeitsgerichtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so verlangt Art. 5 Abs.1 GG, dass die Gerichte die grundrechtsbeschränkende Norm ihrerseits wieder im Lichte der Meinungsfreiheit auslegen und anwenden, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Ist eine Äußerung weder als Schmähung noch als Formalbeleidigung einzustufen, hat das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände eine Abwägung zwischen den Belangen der Meinungsfreiheit einerseits und des Rechtsguts, in dessen Interesse die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, andererseits, vorzunehmen (BVerfG v. 16.10.1988).
Ausgehend von diesen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zunächst festzustellen, dass die in der Karikatur enthaltene Aussage weder als Formalbeleidigung, noch als Schmähkritik einzustufen ist. Ein Verständnis der Zeichnung dahingehend, sie belege ihre Empfänger mit dem Schimpfwort "Arschgesicht" und rücke sie in die Nähe verbrecherischer und menschenverachtender Nazis, stellt zwei Elemente isoliert in den Vordergrund und wird der Komplexität und offensichtlichen satirischen Überspitzung der zeichnerischen Darstellung in Verbindung mit der hinzugefügten, wortspielerisch verfremdeten Textzeile nicht gerecht.
Die Zeichnung bildet nicht konkrete Personen ab, sondern - erkennbar an den verschiedenen Kopfbedeckungen - ein breites Spektrum von Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen und staatlicher Institutionen. Dazu gehören politische Extreme (Neonazis wie revolutionäre Maoisten), etablierte (konservative) Gruppen (Kirchen, Burschenschaften, Unternehmer, US-amerikanische Kapitalisten) und Institutionen staatlicher Macht (das politische und das Bildungssystem, Polizei, Justiz und Bundeswehr). Die Verfremdung der Gesichter zu Hinterteilen im Zusammenhang mit der Textzeile kann zweifach gedeutet werden; einmal im Sinne einer Beschreibung des Istzustands des durch seine gesellschaftlichen wie staatlichen Repräsentanten dargestellten Volkes, zum anderen, aufgrund des Textes, aber auch im Sinne einer Warnung an dieses Volk vor dem, worauf es sich zubewegt.
Zeichnerisch dargestellt wird ein Volk, das nicht selbst denkt und für sich spricht, sondern einer Macht und den von ihr verbreiteten Ideen und Zielen angepaßt und unkritisch folgt und sich damit - grob ausgedrückt - als arschkriecherisch erweist. Eine solche Aussage ist gegenüber dem Adressaten sicherlich verletzend und persönlich herabsetzend; denn er muss sich als Teil dieses so beschriebenen Volkes sehen. Aufgrund der durch ein Wortspiel verfremdeten Textzeile "wir sind, was volkt" ist die Deutung der Karikatur als Beschreibung eines Zustands, als dessen Teil sich auch der Empfänger sehen muss, jedoch nicht zwingend, sondern ermöglicht auch, hier nur eine Warnung an den Empfänger zu sehen; denn als Teil des Wortspiels wird das Wort "volkt" gleichzeitig auch in der Bedeutung von "folgt" verwendet. Die Aussage könnte dann auch so umschrieben werden, dass man auf dem Weg zu dem ist und in der Zukunft folgen werde, was die Karikatur abbildet, wenn man kritiklos alles "von oben" hinnimmt, nicht kritischer hinschaut und selbst nachdenkt. Diese Möglichkeit der Deutung der Karikatur muss in die Bewertung des der Beteiligten 3) zu machenden Vorwurfs einbezogen werden; denn bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet der Schutz der Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Beschl. v. 10.10.1995 a.a.O.), nicht auf die schwerwiegendste Deutung abzustellen. Das BVerfG fordert, dass sich die Gerichte insbesondere nicht durch eine isolierte Betrachtung des inkriminierten Teils der Äußerung anderen Alternativen verschließen dürfen. Vielmehr müssen bei der Bewertung der sprachliche Zusammenhang und die außertextlichen Begleitumstände des konkreten Einzelfalls, soweit sie für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar waren, berücksichtigt werden. Bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Ehrenschutz ist dem Ehrenschutz dann der Vorrang zu geben, wenn in der umstrittenen Äußerung kein Beitrag zur Sache liegt, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht. Ergibt sich dagegen aus dem situativen Kontext, dass die Behandlung einer die (betriebliche) Öffentlichkeit berührenden Frage im Vordergrund steht, soll eine Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit bestehen.
Unstreitig hat sich der betriebliche Kontext der Äußerung - obwohl anonym eingeworfen - für die Empfänger der Karikatur sehr schnell ergeben, als feststand, dass die Empfänger sämtlich Unterzeichner des offenen Briefes an den Betriebsrat vom 11.4.2004, in dem diese sich mit heftiger Kritik am Betriebsrat (Verharren in alten Denkschablonen, wenig konstruktive Haltung, Abwesenheit akzeptabler und kreativer Vorschläge) im Rahmen einer innerbetrieblichen betriebsverfassungsrechtlichen Auseinandersetzung zu Wort gemeldet hatten. Es war damit klar erkennbar, dass der Einwurf der Karikatur die Antwort eines(r) - noch anonymen - Mitarbeiters(in) war, der (die) sich dagegen mit der Botschaft, die Unterzeichner übernähmen ungeprüft die Position des Arbeitgebers und wollten sich zudem mit ihrer Aktion der Arbeitgeberin anbiedern, zur Wehr setzte. Durch diesen erkennbaren Kontext wird sichtbar, dass es dem (der) anonymen Einwerfer(in) nicht um eine schlichte Diffamierung der Empfänger ging, sondern (er) sie damit einen - wenn auch geschmacklosen - Beitrag zur betrieblichen Diskussion liefern wollte. Es ist der Beteiligten 3) zu glauben, dass sie als Mitglied des Betriebsrats von der Kritik an der Haltung des Betriebsrats bei den Verhandlungen neuer Betriebsvereinbarungen mit dem Ziel der Senkung von Sonderzahlungen sehr betroffen war und den Unterzeichnern als Antwort nicht eine schlichte Diffamierung als "Arschgesichter" zukommen lassen wollte, sondern es ihr vorrangig um einen - deutlich satirisch überzeichneten - Beitrag in der Sache ging, mit dem sie die von ihr empfundene Haltung der Unterzeichner des offenen Briefes in dieser betrieblichen Auseinandersetzung brandmarken wollte.
So gesehen erscheint das Handeln der Beteiligten 3) noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und die Ehre der Empfänger durch diesen einmaligen Akt nicht in einem solchen Maße herabgesetzt, dass das Verhalten der Beteiligten 3) - ohne vorherige Abmahnung - als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung als an sich geeignet erscheint.
Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, weil gemäß § 12 Abs.5 ArbGG gerichtliche Gebühren und Auslagen nicht erhoben werden.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 92 Abs.1, 72 Abs.2 ArbGG liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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