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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 27.07.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 1677/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
Spricht der Arbeitgeber nach erfolgter Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung aus, die dem Arbeitnehmer zugeht, bedarf es einer erneuten Anhörung des Betriebsrats, wenn er wegen erkannter Formmängel dieser Kündigung eine auf den selben Sachverhalt gestützte weitere Kündigung ausspricht.

Das Anhörungsverfahren entfaltet nur für die konkrete Kündigung Wirksamkeit, für die es eingeleitet worden ist. Das Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende Anhörung des Betriebsrats sind mit dem Zugang der Kündigung verbraucht.


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 14. Juli 2006, Az.: 4 Ca 316/05, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier vom Beklagten als Insolvenzverwalter ausgesprochener betriebsbedingter ordentlicher Kündigungen.

Der Kläger ist seit 1984 als Förster bei der Schuldnerin, einem Forstbetrieb, beschäftigt und verdiente zuletzt EUR 3.600,00 brutto monatlich. Die Schuldnerin beschäftigte mehr als 5 Arbeitnehmer. Es bestand ein Betriebsrat. Der Beklagte ist der vom Amtsgericht Friedberg mit Beschluss vom 15.3.2005 eingesetzte Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 27.10.2005, dem Kläger zugegangen am 29.10.2005, aus betriebsbedingten Gründen, wegen des Wegfalls seines Arbeitsplatzes, zum 31.1.2006. Mit Schreiben vom 11.11.2005 sprach er eine erneute betriebsbedingte Kündigung aus und berief sich dafür auf denselben Grund.

Vor Ausspruch der ersten Kündigung informierte der Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 24.10.2005 über die beabsichtigte Kündigung (Bl. 190 d.A.). Der Betriebsrat widersprach der Kündigung am 31.10.2005 (Bl. 192 d.A.). Vor Ausspruch der erneuten Kündigung wiederholte der Beklagte die Anhörung des Betriebsrats nicht.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vorbringens beider Parteien und der gestellten Anträge in erster Instanz wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Hanau hat mit Urteil vom 14.07.2006 der Klage stattgegeben. Für die Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen (Bl. 264 - 271 d.A.)

Der Beklagte hat gegen das ihm am 5.09.2006 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 2.10.2006 Berufung eingelegt und sie rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.11.2006 am 17.11.2006 begründet.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass es vor Ausspruch der zweiten Kündigung vom 11.11.2005 keiner erneuten Anhörung des Betriebsrats bedurfte. Er behauptet, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der ersten Kündigung am 25.10.2005 über die Kündigungsgründe auch mündlich informiert worden sei. Zum Wegfall des Arbeitsplatzes behauptet der Beklagte, für die forstwirtschaftliche Bearbeitung von 5.500 ha Waldfläche bei einem Hiebsatz von 3400 genüge die Beschäftigung eines Försters. Das sei der Arbeitnehmer XXXXXXXX. Für den Kläger gebe es daneben keinen Beschäftigungsbedarf mehr. Seine Tätigkeit bestehe schon seit Jahren im Aufhängen von Nistkästen und ähnlichem. Er verrichte keine Tätigkeiten mehr, die für den Bestand des Betriebes unverzichtbar seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 14.07.2006 - 4 Ca 316/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b, c ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO).

In der Sache selbst ist die Berufung jedoch unbegründet. Die Kündigungen vom 27.10.2005 und vom 11.11.2005 sind unwirksam und haben das Arbeitsverhältnis nicht beendet, weil der Betriebsrat vor Ausspruch der ersten Kündigung nicht ordnungsgemäß und vor Ausspruch der zweiten Kündigung überhaupt nicht gemäß § 102 Abs. BetrVG angehört worden ist. Da die Kündigungen unwirksam sind, ist die Beklagte zudem zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündiungsschutzverfahrens als Förster verpflichtet.

1. Gemäß § 102 Abs. 1 S. 1 u. 2 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Dabei hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung bzw. ohne ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Das gilt auch für die Kündigung durch den Insolvenzverwalter (BAG 20.5.1999 NZA 99, 1039).

a. Die Anhörung zur Kündigung vom 27.10.2005 war fehlerhaft, weil der Beklagte die Kündigung vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG ausgesprochen hat, ohne dass eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung vorlag. Diese ging vielmehr erst am 31.10.2005 beim Beklagten ein. Erst danach war das am 24.10.2005 eingeleitete Anhörungsverfahren abgeschlossen und der Beklagte zum Ausspruch der Kündigung berechtigt. Eine vor Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unheilbar nichtig (BAG 1.04.1976 EzA zu § 102 BetrVG Nr. 23)

b. Der Beklagte hat den Betriebsrat vor Ausspruch der zweiten Kündigung vom 11. 11.2005 überhaupt nicht angehört. Obwohl die Kündigung, nachdem der Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Anhörung zur ersten Kündigung erkannt hatte, zeitnah aus demselben Grund ausgesprochen wurde wie die vom 27.10.2005, hätte der Beklagte den Betriebsrat erneut vorher anhören müssen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der weitaus überwiegenden Meinung in der Literatur (BAG Urteil v. 10.11.2005 - 2 AZR 623/04 EzA zu § 626 BGB 2002 Nr. 11; Urteil v. 16.9.1993 - 2 AZR 267/93 BAGE 74,185; KR-Etzel § 102 BetrVG Rz. 57 a; BBDW-Bader § 1 KSchG Rz. 353; HaKo-Griebeling § 102 BetrVG Rz. 38) ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Das Anhörungsverfahren entfaltet nur für die Kündigung Wirksamkeit, für die es eingeleitet worden ist. Einer - erneuten - Anhörung bedarf es schon immer, wenn der Arbeitgeber bereits nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat, d.h., wenn die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber damit seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue (weitere) Kündigung aussprechen will. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt. Dieses Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung sind mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht. Das gilt insbesondere auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Etwas anderes kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht verwirklicht hat.

Hier ist dem Kläger die erste Kündigung vom 27.10.2005 am 29.10.2005 zugegangen. Damit war die Anhörung vom 24./25.10.2005 verbraucht und es hätte der Durchführung eines erneuten Anhörungsverfahrens bedurft.

Da die Kündigungen bereits mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG unwirksam sind, braucht der Frage, ob die Kündigungen auch aus betriebsbedingten Gründen gemäß § 1 Abs. 2, 3 KSchG sozial gerechtfertigt sind, nicht mehr nachgegangen zu werden.

2. Der Beklagte ist verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Förster weiter zu beschäftigen.

Zu den Rechten aus dem Arbeitsverhältnis gehört auch ein klagbarer Anspruch auf Weiterbeschäftigung, den der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts aus § 611 BGB i.V.m. § 242 BGB, Art 1 u. 2 GG abgeleitet hat (BAG GS EzA zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9). Der Beschäftigungsanspruch besteht während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses und ist zu bejahen, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen. Das Interesse des Arbeitnehmers überwiegt in der Regel ab dem Zeitpunkt, zu dem im Kündigungsschutzverfahren ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht.

Die Voraussetzungen für den Weiterbeschäftigungsanspruch sind hier erfüllt. Die Unwirksamkeit der Kündigungen ist in zwei Instanzen festgestellt worden. Überwiegende, gegen die Weiterbeschäftigung sprechende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers bestehen nicht. Insbesondere ist die Beschäftigung des Klägers als Förster wegen des Wegfalls des Arbeitsplatzes dem Beklagten nicht unmöglich geworden. Da der Forstbetrieb fortgeführt wird, fallen weiterhin im Tätigkeitsfeld des Klägers liegende Arbeiten an, mit denen der Kläger beschäftigt werden könnte. Der Beklagte hat zudem den Beschäftigungsbedarf für nur noch einen Förster nicht schlüssig dargelegt. Vor Beginn der Zwangsverwaltung beschäftigte der Betrieb bei insgesamt 8.800 ha Wald vier Förster. Das ist im Durchschnitt pro 2.200 ha ein Förster. Der Förster A bearbeitete unter der Zwangsverwaltung bereits 4.200 ha allein. Hier behauptet der Beklagte lediglich mit dem Hinweis auf einen Hiebsatz von 3400, aber ohne weitere Erklärungen, dass Herr A ebenso 5.500 ha bearbeiten könne, was den Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers zur Folge habe. Der Hinweis auf den Hiebsatz von 3400, den es für den Wald schon immer gab, erklärt nicht, weshalb künftig ein Förster allein in der Lage sein soll, 5.500 ha zu bearbeiten, wenn früher für je 2.200 ha ein Förster im Betrieb beschäftigt worden ist. Um das nachvollziehbar zu machen, hätte es weiterer Erklärungen des Beklagten bedurft.

Der Beklagte hat gemäß § 97 ZPO die Kosten seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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