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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 30.09.2008
Aktenzeichen: 12 Sa 292/08
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 234

Entscheidung wurde am 06.04.2009 korrigiert: der Volltext der Entscheidung wurde wegen fehlerhafter Konvertierung nicht unterstützter Zeichen komplett ersetzt
1. Geben mehrere Verfahrensbevollmächtigte sich widersprechende Verfahrenserklärungen gleichzeitig oder nicht ausschließbar gleichzeitig ab (hier: Berufungsrücknahme und Berufungsbegründungsschrift am vorletzten Tag der Frist), so sind beide als sich gegenseitig ausschließend wirkungslos.

2. Der Umstand, dass der erste Prozessbevollmächtigte noch eine wirksame Prozesserklärung abgeben konnte, wäre durch eine auch im Außenverhältnis wirksame Beendigung des Mandatsverhältnisses durch eine der beiden Bevollmächtigten zu verhindern gewesen. Dazu hätte es gemäß § 87 Abs. 1 ZPO sowohl der Anzeige des Erlöschens des bisherigen Mandatsverhältnisses als auch der Bestellung eines anderen Anwalts bedurfte. Aus den Mitteilungen muss klarwerden, dass der neue Bevollmächtigte an die Stelle des alten tritt. Da solche Mitteilungen durch die Prozessbevollmächtigten schuldhaft unterblieben sind und der Kläger sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO dieses Verschulden zurechnen lassen muss, konnte Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden.


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24.01.2008 - 19 Ca 8536/07 - wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers auf Zahlung von zusätzlichem Gehalt, Zulagen und Sondervergütungen für den Zeitraum Juli 2002 bis Juni 2007.

Der Kläger ist seit dem 14.03.1994 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Sachbearbeiter in Teilzeit (24 Stden/Wo.) beschäftigt. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung fanden auf das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit die Tarifverträge des privaten Bankgewerbes Anwendung.

Die Beklagte trat zum 31.12.2000 aus dem Arbeitgeberverband aus und nahm mit der Gewerkschaft ver.di Verhandlungen über einen Haustarifvertrag auf. Am 29.06.2001 schlossen beide zunächst eine Vereinbarung/Übergangsregelung, gefolgt von einer Vereinbarung zur Gehaltsanpassung vom 15.04.2002, für deren beider Inhalt auf Bl. 13 - 16 d. A. Bezug genommen wird. Am 21.06.2002 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di, jeweils mit Wirkung zum 1.07. 2002, sowohl einen Anerkennungstarifvertrag (Bl. 17 - 18 d. A.) als auch einen Gehaltstarifvertrag (Bl. 19 - 28) ab. Letzterer beinhaltet in §§ 2, 3 ein neues Eingruppierungssystem nach Funktionsgruppen und Gehaltsbändern sowie in § 11 eine Übergangsregelung zum Ausgleich von Differenzen in der Vergütungshöhe zwischen dem alten und dem neuen Eingruppierungs- und Vergütungssystem.

Das bisherige Vergütungssystem nach dem MTV für das private Bankgewerbe sah eine Eingruppierung und Vergütung nach Tarifgruppen (TG) und Berufsjahren (BJ) mit einem Berufsjahressprung jeweils zum 1.1. eines Jahres vor. Der Kläger war im Jahre 2001 in die TG 6/BJ 8 eingruppiert. Den Berufsjahressprung zum 1.1.2002 nach BJ 9 vollzog die Beklagte nicht mehr. Der Kläger reichte darauf am 28.12.2004 Klage auf Zahlung der daraus folgenden Gehaltsdifferenzen für den Zeitraum Januar bis Juni 2002 ein. Nachdem das Verfahren zeitweise ausgesetzt war, verurteilte das Arbeitsgericht Frankfurt die Beklagte mit rechtskräftigem Urteil vom 15.03.2007 (19/21 Ca 11821/04) zur Zahlung der erhöhten Vergütung.

Am 1.11.2007 hat der Kläger die vorliegende Klage eingereicht, mit der er nunmehr, gestützt auf die Übergangsregelung in § 11 GehaltsTV vom 21.06.2002, Differenzen in der Vergütung für den Zeitraum Juli 2002 bis Juni 2007, die er in erster Instanz auf € 10.172,49 brutto beziffert ha, geltend macht. Für die Berechnung der Höhe der Forderung wird auf die Klageschrift und den Schriftsatz des Klägers vom 17.12.2007 Bezug genommen (Bl. 3 - 5, 31 - 36 d. A.). Mit Schriftsatz vom 17.12.2007 hat er die Klage teilweise zurückgenommen und einen Antrag auf Zahlung von lediglich noch € 905,81 brutto angekündigt. Im Kammertermin hat er wieder den Antrag aus der Klageschrift gestellt.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vorbringens beider Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 24.01.2008 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe den mit der Klage geltend gemachten Anspruch nicht schlüssig begründet.

Das arbeitsgerichtliche Urteil ist der B-Rechtsschutz GmbH, die den Kläger in erster Instanz vertreten hat, am 1.02.2008 zugestellt worden. Am 27.02.2008 hat der Rechtsanwalt E. A für den Kläger eine Berufungsschrift beim Landesarbeitsgericht eingereicht. Am 3.03.2008, einem Montag, ist eine weitere Berufungsschrift, diesmal von der B Rechtsschutz GmbH, beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom 31.03.2008, der am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, hat die B Rechtsschutz GmbH die Rücknahme der Berufung erklärt (Bl. 140 d. A.). Ebenfalls am 31.03.2008 ist per Fax um 16.07 Uhr eine vom RA A verfasste Berufungsbegründung beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Nachdem das Landesarbeitsgericht unter dem 3.04.2008 den Klägervertretern vom Eingang der sich widersprechenden Erklärungen Mitteilung gemacht hatte, hat RA A am 14.04.2008 vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die Berufungsbegründungsschrift erneut eingereicht.

Der Kläger ist zum Wiedereinsetzungsantrag der Ansicht, dass die sich widersprechenden Erklärungen mit der Folge ihrer Wirkungslosigkeit aufheben, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie zur selben Zeit beim Landesarbeitsgericht eingegangen seien. Er behauptet, RA A habe mit Schreiben vom 13.03.2008 gegenüber der B Rechtsschutz GmbH die Kündigung des Mandats für die Berufungsinstanz ausgesprochen, obgleich er davon ausgegangen sei, das Mandat bestehe ohnehin nicht mehr. Dieses Schreiben habe die B Rechtsschutz GmbH spätestens am 19.03.2008 erhalten. Die Berufungsrücknahme durch den B sei für ihn unvorhersehbar erfolgt, was zur Wiedereinsetzung führe müsse.

Zum Klageanspruch führt der Kläger aus, dieser werde auf § 11 GehaltsTV vom 21.06.2002 gestützt. Er behauptet, nach der Neueingruppierung zum 1.07.2002 in Gehaltsstufe 4 e eine niedrigere Vergütung erhalten zu haben als ihm bis zum 30.06.2002 zugestanden habe. Die daraus für den Zeitraum Juli 2002 bis Juni 2007 folgenden monatlichen Vergütungsdifferenzen ergäben die Klageforderung. Für die Berechnung der Forderung nimmt er Bezug auf die Klageschrift vom 31.10.2007 und die Anlage K 1 zur Berufungsbegründungsschrift. Eine Verwirkung oder Verjährung des Anspruchs komme wegen der zeitweiligen Aussetzung des Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht Frankfurt 19/21 Ca 11821/04, in dem eine für das vorliegende Verfahren maßgebliche Frage geklärt worden sei, nicht in Betracht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24.01.2008 - 19 Ca 8536/07 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 9.421,75 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

den Kläger des Rechtsmittels für verlustig zu erklären und ihm die Kosten der Berufung aufzuerlegen;

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Berufung von der B Rechtsschutz GmbH wirksam zurückgenommen worden sei und das Verfahren beendet habe. Der B sei zum Zeitpunkt seiner Berufungsrücknahme noch Bevollmächtigter des Klägers gewesen. Die Beendigung des Mandatsverhältnisses setze auch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Gericht voraus. Außerdem könne nicht von der Gleichzeitigkeit beider Erklärungen der Prozessbevollmächtigten ausgegangen werden. Vielmehr sei anzunehmen, dass die Berufungsrücknahme im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Gerichtsterminen schon im Laufe des Vormittags abgegeben oder eingeworfen worden, während das Fax des RA A erst um 16.07 Uhr eingegangen sei.

Die Klageansprüche hält die Beklagte für weitgehend verjährt und verwirkt. Außerdem stehe ihrer Geltendmachung die Verfallfrist in § 18 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vom 15.11.1996 (Bl. 42 d A.) entgegen. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe nach Inkrafttreten des neuen Tarifvertrages und der Neueingruppierung eine Vergütung in derselben Höhe wie bis zum 30.06.2002 erhalten. Wenn die Neueingruppierung zu einem niedrigeren Vergütungsanspruch geführt haben sollte, habe er die Differenz im Wege einer übertariflichen Ausgleichzahlung erhalten. Welche Vergütungsdifferenzen der Kläger beanspruche, vermöge sie aus seinen Ausführungen nicht nachzuvollziehen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers war wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist des § 61 Abs. 1 ArbGG als unzulässig zu verwerfen.

Der Kläger hat die am 1.04.2008 abgelaufene zweimonatige Berufungsbegründungsfrist des §§ 66 Abs. 1 ArbGG versäumt. Die Berufungsbegründung ist wirksam erst zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung am 14.04.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß §§ 233, 234 ZPO war dem Kläger nicht zu gewähren, weil die Bevollmächtigen des Klägers die Versäumung der Frist schuldhaft verursacht haben und der Kläger sich das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Hierzu gilt im Einzelnen:

Die Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger versäumt, weil die am 31.03.2008 um 16.07 Uhr per Fax übersandte Berufungsbegründungsschrift des RA A nicht ausschließbar gleichzeitig mit der am selben Tage überbrachten Berufungsrücknahme durch die B Rechtsschutz GmbH beim LAG eingegangen ist. Geben nämlich mehrere Verfahrensbevollmächtigte sich widersprechende Verfahrenserklärungen gleichzeitig oder nicht ausschließbar gleichzeitig ab, so sind sie als sich gegenseitig ausschließend wirkungslos (OLG München Beschluss v. 26.04.2006 34 Wx 168/05 ZMR 2006, 714). Berufungsbegründung und Rücknahme der Berufung sind zwei sich widersprechende Erklärungen, die eine zielt auf die Fortsetzung des Verfahrens, die andere auf seine Beendigung ab. Beide Erklärungen sind hier am 31.03.2008 beim LAG eingegangen. Der Zeitpunkt des Eingangs der Berufungsbegründung ist mit 16.07 Uhr exakt bestimmbar, der Eingang der Berufungsrücknahme ist es hingegen nicht. Aus dem Eingangsstempel ergibt sich weder eine genaue Uhrzeit noch die Art des Zugangs, sei es durch Abgabe bei der Poststelle oder Einwurf in den Briefkasten. Die Annahme der Beklagten, die Berufungsrücknahme sei im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Gerichtsterminen am Vormittag eingeworfen oder abgegeben worden, ist reine Spekulation. Von daher ist nicht ausschließbar, dass beide Erklärungen gleichzeitig beim LAG eingegangen sind.

Dieser Umstand führt sowohl zur Unwirksamkeit der Berufungsrücknahme als auch zur Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist.

Dem Kläger war auf seinen Antrag vom 14.04.2008 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu versagen, weil seine Prozessbevollmächtigten die Versäumung der Frist, dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbar, schuldhaft verursacht haben.

Die Berufungsbegründungsfrist wurde durch den Umstand versäumt, dass die gleichzeitig eingereichte Berufungsrücknahme durch die B Rechtsschutz GmbH zur Unwirksamkeit der Erklärungen in der Berufungsbegründungschrift geführt hat. Das wäre durch eine auch im Außenverhältnis wirksame Mitteilung von der Beendigung des Mandatsverhältnisses zur B Rechtsschutz GmbH gemäß § 87 ZPO zu verhindern gewesen.

Grundsätzlich kann sich eine Partei gemäß § 84 ZPO durch mehrere Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Werden von ihnen mehrere Berufungen eingereicht, führt das trotzdem nur zur Anhängigkeit eines Rechtsmittels und dazu, dass die Rücknahme der Berufung durch einen Bevollmächtigten zum Verlust des Rechtsmittels insgesamt führt (Musielak/Ball ZPO § 516 Rn. 12) oder, wie bei der vorliegenden Konstellation gleichzeitig eingegangner prozessualer Erklärungen, zur Wirkungslosigkeit beider Erklärungen. Das Mandatsverhältnis zur B Rechtsschutz GmbH war zum Zeitpunkt der von ihr erklärten Berufungsrücknahme noch nicht beendet, ihre Erklärung daher nicht von vornherein wirkungslos. Angesichts der genannten Möglichkeit des § 84 ZPO ist weder die Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten noch die Kündigung des Mandatsverhältnisses im Innenverhältnis - hier durch Schreiben des RA A an die B Rechtsschutz GmbH vom 13.03.2008 - ausreichend, ein Mandatsverhältnis im Außenverhältnis zum Gericht oder der Gegenpartei zu beenden. Es bedarf dazu gemäß § 87 Abs. 1 ZPO der Anzeige sowohl des Erlöschens des bisherigen Mandatsverhältnisses als auch der Bestellung eines anderen Anwalts. Es muss aus den Mitteilungen klar werden, dass der neue Bevollmächtigte an die Stelle des bisherigen tritt (BGH Beschluss vom 30.05.2007 XII ZB 82/06; Musielak/Weth ZPO § 87 Rn. 3, 5). Dieser Wechsel in der Bevollmächtigung ist jedoch bis zur Berufungsrücknahmeerklärung der B Rechtsschutz GmbH weder von dieser selbst noch von dem neuen Bevollmächtigten, RA A, dem Gericht oder der Beklagten ausdrücklich angezeigt worden noch ergeben sich entsprechende Hinweise aus der Berufungsschrift des neuen Bevollmächtigten vom 25.02.2008 oder seiner Berufungsbegründungsschrift. Gleiches gilt für die Berufungsschrift der B Rechtsschutz GmbH vom 3.03.2008 und die Berufungsrücknahme vom 31.03.2008.

Durch ihr Versäumnis, das Mandatsverhältnis des Klägers zur B Rechtsschutz GmbH entsprechend den Voraussetzungen des § 87 ZPO im Außenverhältnis zu beenden, haben sie jeweils ihren Teil dazu beigetragen, dass die Erklärung der Berufungsrücknahme am 31.03.2008 zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt hat. Die Nichtbeachtung des § 87 ZPO stellt sich sowohl bei RA A als auch bei der B Rechtsschutz GmbH als schuldhaft dar; denn in beiden Fällen sind erfahrene und mit der Vertretung in Berufungssachen vertraute Rechtsanwälte bzw. Verbandsvertreter tätig geworden.

Der Kläger hat gemäß 64 Abs. 6 ArbGG, 97 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.



Ende der Entscheidung

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