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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2008
Aktenzeichen: 12 Ta 383/08
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 62 Abs. 2
ZPO § 569 Abs. 1
ZPO § 750
ZPO § 793
ZPO § 888
1. Ein Weiterbeschäftigungstitel hat einen vollstreckbaren Inhalt, wenn er ein Berufsbild angibt, dem unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit und bestehender Ausbildungsordnungen bestimmte Tätigkeiten zugeordnet werden können. Die Zuordnung konkreter Tätigkeiten unterliegt dann dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Die Verurteilung zur Beschäftigung als Industriemechaniker genügt diesen Anforderungen.

2. Der Einwand der Unmöglichkeit der Beschäftigung ist im Zwangsvollstreckungsverfahren grundsätzlich zu beachten, wenn der Arbeitsplatz nach Urteilserlass weggefallen ist oder objektive Umstände in der Person des Gläubiger einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Das Gleiche gilt, wenn der endgültige Wegfall der tenorierten Beschäftigung unstreitig oder offensichtlich ist. Die Berücksichtigung des Unmöglichkeitseinwands kann darüber hinaus jedoch nicht zur Überprüfung der materiellen Richtigkeit des arbeitsgerichtlichen Urteils führen. Das Vollstreckungsverfahren hat allein zum Gegenstand, die Zuständigkeit der Zwangsvollstreckung auf der Grundlage des vorliegenden vollstreckbaren Titels zu überprüfen.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 25.08.2008 - 5 Ca 440/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Schuldnerin wendet sich mit ihrer am 2.09.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen einen ihr am 27.08.2008 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach, durch den sie zu der im arbeitsgerichtlichen Urteil vom 23.04.2008 (Az. 5 Ca 440/07) ausgesprochenen Verpflichtung, den Gläubiger zu unveränderten Bedingungen als Industriemechaniker weiter zu beschäftigen, durch Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, angehalten worden ist.

Das Arbeitsgericht ist in seinem Urteil vom 23.04.2008 von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses des Gläubigers von RA Dr. A als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. B GmbH auf die Schuldnerin und seinem Fortbestehen mit der Schuldnerin ausgegangen und hat daneben die Kündigungsschutzklage des Gläubigers gegen eine Kündigung des Insolvenzverwalters vom 20.11.2007 abgewiesen, weil sie wegen des schon vorher stattgefundenen Betriebsübergangs auf die Schuldnerin ins Leere gehe. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen (Bl. 142 - 158 d.A.). Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts haben Gläubiger und Schuldnerin Berufung beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingelegt, über die bislang noch nicht entschieden ist.

Die Schuldnerin ist der Auffassung, der Titel, der zur Beschäftigung zu unveränderten bzw. den bisherigen Bedingungen als Industriemechaniker verurteile, habe in zweifacher Hinsicht keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Zum einen werde nicht klar, mit welchen konkreten Tätigkeiten der Gläubiger zu beschäftigen sei; denn der Terminus Industriemechaniker beschreibe kein Tätigkeitsgebiet, sondern einen Ausbildungsberuf. Er sei schillernd, vage und mehrdeutig. Um welche Tätigkeiten es sich dabei im Einzelnen handele, werde nicht klar. Zum anderen vermittle sich auch nicht, was unter den bisherigen oder unveränderten Bedingungen zu verstehen sei. Die Schuldnerin kenne weder den früheren Arbeitsvertrag des Gläubigers mit der früheren Gemeinschuldnerin noch die Tätigkeit, die er dort ausgeübt habe. Auch Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils gäben darüber keinen näheren Aufschluss.

Daneben behauptet die Schuldnerin, die weitere Beschäftigung des Gläubigers sei ihr unmöglich. Sie verfüge über keinen Maschinenbaubetrieb und daher auch über keinen Arbeitsplatz für einen Industriemechaniker, egal mit welchem Tätigkeitsgebiet. Sie verfüge lediglich über einen Büroraum und einen Sozialraum für ihre Arbeitnehmer, die bei unterschiedlichen Kunden tätig seien. Da die Beschäftigung des Gläubigers ihr objektiv unmöglich sei, verstoße der Zwangsmittelbeschluss des Arbeitsgerichts sowohl gegen das Rechtsstaatsprinzip als auch gegen das Willkürverbot.

Die Schuldnerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 15.08.2008, Az. 5 Ca 440/07, aufzuheben und den Antrag des Gläubigers zurückzuweisen.

Der Gläubiger beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Der Gläubiger verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung. Er hält das Tätigkeitsgebiet eines Industriemechanikers für ohne Weiteres bestimmbar. Er behauptet, die Schuldnerin führe den Betrieb der Gemeinschuldnerin auf dem früheren Betriebsgelände in denselben Werkshallen weiter und produziere für die bisherigen Kunden. So bestehe weiter eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Gläubiger, sogar auf seinem alten Arbeitsplatz, an dem er für den Kunden C Baugruppen vormontiert habe. Selbst wenn die Schuldnerin, wie sie behauptet, nur Personaldienstleisterin sei, müsste sie der Beschäftigungspflicht dadurch nachkommen, dass sie nach Kunden Ausschau hält, bei denen Industriemechaniker als Leiharbeitnehmer gebraucht werden.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 793 ZPO an sich statthaft und wurde innerhalb der in § 569 Abs. 1 ZPO normierten Zweiwochenfrist eingelegt.

In der Sache selbst hat die Beschwerde keinen Erfolg; denn der Beschluss des Arbeitsgerichts ist weder im Ergebnis noch in der Begründung zu beanstanden.

Der Antrag auf Verhängung von Zwangsmitteln ist nach § 888 ZPO gerechtfertigt. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung (Titel, Klausel, Zustellung) liegen vor. Bei der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung handelt es sich nach fast einhelliger Auffassung um die Verurteilung zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung.

Der arbeitsgerichtliche Titel ist zur Vollstreckung auch geeignet, weil die Leistungspflicht der Schuldnerin darin hinreichend bestimmt ist. Sie ergibt sich bereits aus dem Tenor des arbeitsgerichtlichen Urteils, wonach der Gläubiger als Industriemechaniker zu beschäftigen ist. Inhalt und Umfang der Beschäftigungspflicht müssen aus dem Titel ohne Weiteres erkennbar sein. Das ist der Fall, wenn der Titel die Art der zu leistenden Beschäftigung nach Verkehrsüblichkeit und Herkommen für einen Dritten eindeutig erkennen lässt (Hessisches LAG 16.05.2003 - 16 Ta 158/03 -; LAG Frankfurt 27.11.1992 - LAGE § 888 ZPO Nr. 30). Dafür genügt die Aufnahme eines Berufsbildes in den Tenor, wenn sich diesem unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung, bestehender Tarifverträge oder Ausbildungsverordnungen bestimmte Tätigkeiten zuordnen lassen (AR-Blattei SD (Nungeßer) Weiterbeschäftigungsanspruch Rz. 238). Es ist nicht erforderlich, jede einzelne geschuldete Tätigkeit in den Titel aufzunehmen. Die Zuweisung konkreter Aufgaben im Einzelfall ist vom Arbeitsanfall abhängig und unterliegt dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Das ist umso mehr der Fall, wenn die Angabe im Titel identisch ist mit der Vereinbarung im Arbeitsvertrag, auf deren Grundlage der Arbeitnehmer in der Vergangenheit ohne Streit über seinen Aufgabenbereich beschäftigt worden ist. Die Angabe Industriemechaniker im Tenor des Urteils genügt diesen Bestimmtheitsanforderungen. Beide Parteien haben Ausbildungsverordnungen und Ausbildungspläne vorgelegt, aus denen das Aufgabengebiet eines Industriemechanikers zwanglos abgeleitet werden kann. Zudem entspricht der Tenor des Urteils der Vereinbarung über den Gegenstand der Tätigkeit im Arbeitsvertrag des Gläubigers, in den die Schuldnerin nach dem Urteil des Arbeitsgerichts im Wege des Betriebsübergangs eingetreten ist.

Dass im Titel weiter ausgeführt ist, der Gläubiger sei "zu den bisherigen" und "zu unveränderten Bedingungen" zu beschäftigen, ohne dass diese im Tenor oder in Tatbestand und Entscheidungsgründen näher ausgeführt sind, steht der Bestimmtheit des Titels nicht entgegen. Da aus dem Weiterbeschäftigungstitel nur der Beschäftigungsanspruch, nicht aber die damit zusammenhängenden Ansprüche auf Entgelt, Zuwendungen etc. vollstreckt werden, erfüllt die Schuldnerin ihre Verpflichtung aus dem Titel bereits dadurch, dass sie den Gläubiger in Ausübung ihres Direktionsrechts, wie ausgeurteilt, als Industriemechaniker weiterbeschäftigt (LAG Baden-Württemberg 21.02.2007 - 17 Ta 1/07). Die Vollstreckungsfähigkeit des Titels ist allein durch die Aufnahme des Terminus Industriemechaniker in den Tenor hergestellt.

Die Einwendung der Schuldnerin, die titulierte Weiterbeschäftigung der Schuldnerin sei ihr unmöglich geworden, ist hier unbeachtlich. Der Einwand der Unmöglichkeit ist im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO grundsätzlich zu beachten. Im Falle eines Titels auf Beschäftigung kann Unmöglichkeit dann eintreten, wenn der Arbeitsplatz, auf dem die Beschäftigung geschuldet ist, nach Urteilserlass weggefallen ist oder objektive Umstände in der Person des Gläubigers einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Das Gleiche gilt, wenn der endgültige Wegfall der tenorierten Beschäftigung unstreitig oder offenkundig ist; denn dann fehlt es an der Grundlage für die geschuldete Leistung. Nicht zu überprüfen ist im Verfahren nach § 888 ZPO allerdings die materielle Richtigkeit des arbeitsgerichtlichen Urteils. Das Zwangsvollstreckungsverfahren ist nicht dazu da, die Entscheidungen im Erkenntnisverfahren zu korrigieren. Es hat allein zum Gegenstand, die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung auf der Grundlage des vorliegenden vollstreckbaren Titels zu überprüfen (Hess. LAG Beschluss v. 22.8.2003 Az. 16 Ta 407/03; Hess LAG 13.12.2005 - 12 Ta 381/05 u. 25.06.2007 - 12 Ta 194/07; Thüringer Landesarbeitsgericht 5.01.2005 - 1 Ta 148/04 - juris ; LAG Baden-Württemberg 21.02.2007 - 17 Ta 1/07 - juris; a.A., aber abzulehnen nur LAG München v. 14.2.2006 - 10 Ta 493/05 - juris). Das hat zur Folge, dass alle Umstände, die schon vor Urteilserlass eingetreten, im Erkenntnisverfahren vorgetragen und vom Gericht im Rahmen der Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsanspruch gewürdigt worden sind bzw. von der Schuldnerin hätten vorgebracht werden können, im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens unbeachtlich sind.

Die Schuldnerin verweist für die Unmöglichkeit der Beschäftigung auf dieselben Gründe, die sie bereits im Erkenntnisverfahren über den Beschäftigungsanspruch ausgeführt hat. Diese Ausführungen können nicht berücksichtigt werden, weil die Schuldnerin damit nichts anderes als die Fehlerhaftigkeit des arbeitsgerichtlichen Urteils im Hinblick auf die titulierte Weiterbeschäftigung rügt. Ob das Arbeitsgericht hier angesichts der von der Schuldnerin vorgetragenen Gründe zu Recht zur Weiterbeschäftigung verurteilt hat, ist eine Frage der Richtigkeit des materiellen Anspruchs und nicht der Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung. Diese Frage ist daher nicht im Zwangsvollstreckungsverfahren, sondern im Rahmen des Berufungsverfahrens oder bei der Entscheidung eines Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu überprüfen. Der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit ist auch weder zwischen den Parteien unstreitig oder gar offenkundig, sondern im Gegenteil äußerst umstritten.

Auch unter Heranziehung der Entscheidung des LAG Hamm (Beschluss vom 10.01. 2008 - 7 Ta 10/08) käme man im vorliegenden Fall kein anderes Ergebnis in Betracht. Sie fußt auf denselben Rechtsgrundsätzen. Auch dort wird davon ausgegangen, dass die Vollstreckung aus dem Titel durch materielle Einwendungen nicht beeinträchtigt wird, sondern solange statthaft bleibt, wie der Titel selbst existiert und seine Vollstreckungsfähigkeit nicht eingeschränkt wird. Das Gericht gelangt dann zur Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zum einen, weil der auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Titel mit Rechtskraft des Urteils kein Vollstreckungstitel iSd. § 750 ZPO mehr sei, und zum anderen, weil die objektive Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung nach dem arbeitsgerichtlichen Urteil unstreitig bzw. gar offenkundig sei. Für diesen Fall der offenkundigen bzw. unstreitigen objektiven Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung führt die hier von der Beschwerdekammer zum Einwand der Unmöglichkeit ausgeführte Ansicht zu keinem anderen Ergebnis.

Die Schuldnerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gem. §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 ZPO zu tragen.

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 78 S. 2, 72 Abs. 2 ArbGG) war nicht ersichtlich. Damit ist der Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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