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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.02.2009
Aktenzeichen: 13 Sa 1162/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 615
BGB § 387
BGB § 388
BGB § 394
Ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto stellt einen Vergütungsvorschuss des Arbeitgebers dar. Diesen hat der Arbeitnehmer bei Ausscheiden auszugleichen, wenn der Arbeitnehmer allein darüber entscheiden konnte, ob und in welchem Umfang das negative Zeitguthaben entstanden ist.

Im Streitfall muss der Arbeitnehmer entweder beweisen, dass das entstandene negative Zeitguthaben wegen der entsprechenden Weisungen des Arbeitgebers entstanden ist oder, dass er vor Ende des Arbeitsverhältnisses seine Arbeitskraft vergeblich angeboten hat, um das negative Zeitguthaben auszugleichen.


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 02. April 2008 - 6 Ca 7554/07 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um restliche Vergütungsansprüche des Klägers.

Der Kläger war vom 01. Juli 2003 bis 31. Juli 2007 als Gas- und Wasserinstallateur für den von der Beklagten betriebenen Sanitär- und Heizungstechnikbetrieb im Kundendienstbereich zu einer Bruttostundenvergütung in Höhe von zuletzt 14,70 € tätig. Er steht seit etwa 5 bis 6 Jahren in einem privaten Insolvenzverfahren.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien war nicht tarifgebunden. Es endete durch Eigenkündigung des Klägers.

In dem schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 3, 4 d. A.) ist u. a. folgendes vereinbart:

"§ 5 Arbeitszeit/Zeitkonto

Die Arbeitszeit richtet sich nach der betriebsüblichen Zeit und beträgt derzeit im Durchschnitt werktäglich 7,4 Stunden ohne Berücksichtigung von Pausen...

Im 12-Monatszeitraum beträgt die Arbeitszeit durchschnittlich 37 Wochenstunden. Es werden 160,95 Stunden pro Monat ausgezahlt. Die Verrechnung der fehlenden bzw. Überstunden erfolgt über ein Zeitkonto. Das Zeitkonto darf plus 130 Stunden und minus 50 Stunden nicht überschreiten. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird das Zeitkonto ausgeglichen...

§ 8 Ausschlussklausel

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb eines Monats nach Zugang der letzten Lohnabrechnung geltend gemacht werden; andernfalls sind sie verwirkt..."

Für die Monate April 2007 bis Juli 2007 vergütete die Beklagte dem Kläger ausweislich der im Rechtsstreit vorgelegten Unterlagen folgende Arbeitsstunden:

April 2007 113,34 Stunden

Mai 2007 149,20 Stunden

Juni 2007 149,40 Stunden

Juli 2007 113,80 Stunden

Mit seiner der Beklagten am 05. Oktober 2007 zugestellten Klage hat der Kläger im ersten Rechtszug zum Einen die Zahlung der Differenz zwischen den bezahlten Arbeitsstunden der Monate April 2007 bis Juli 2007 zur arbeitsvertraglich vorgesehenen Monatsarbeitszeit von 160,95 Stunden verlangt sowie zusätzlich für 149,10 Stunden die vereinbarte Vergütung unter Verweis auf die in der Arbeitszeitkontenabrechnung vom 07. August 2007 ausgewiesenen Plusstunden (Bl. 6 d. A.).

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, ihm stehe nach dem Arbeitsvertrag für die Zeit von April 2007 bis Juli 2007 monatlich eine Vergütung von 160,95 Stunden zu. Er habe jederzeit in diesem Umfang monatlich zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestanden. Soweit Minusstunden aufgetreten seien, seien diese allein darauf zurückzuführen, dass ihm keine, auch keine "artfremden" Arbeiten, zu deren Ableistung er bereit gewesen wäre, zugewiesen worden seien.

Der Kläger hat beantragt.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.816,49 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger über die gezahlte Vergütung hinaus keine weitere Vergütung zu beanspruchen habe. Sie habe die Plusstunden des Klägers berechtigterweise mit einer entsprechenden Zahl an Minusstunden, die der Kläger trotz ernstlicher Aufforderung zum Abbau nicht zurückgeführt habe, verrechnet. Die Saldierung der Stunden gemäß § 5 des zitierten Arbeitsvertrages sei an § 3 des einschlägigen Manteltarifvertrages für das Sanitär- und Heizungstechnikhandwerk angelehnt und aus diesem Grunde üblich und normal. Der Kläger habe auch keine einzige Verdienstabrechnung je beanstandet.

Durch Urteil vom 02. April 2008 hat das Arbeitsgericht die Klage hinsichtlich der begehrten Zahlung von 149,10 Überstunden abgewiesen und die Beklagte im Übrigen zur Zahlung der "Differenzvergütung" für die Monate April 2007 bis Juli 2007 in Höhe von 1.762,68 € brutto verurteilt, im Wesentlichen mit der Begründung, § 5 des zitierten Arbeitsvertrages lasse eine Verrechnung tatsächlich geleisteter Arbeitsstunden mit gezahlten Arbeitsstunden bei Ausscheiden eines Arbeitnehmers jedenfalls in dem hier vorliegenden Umfang nicht zu. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidung des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 50 bis 60 d. A.).

Gegen dieses der Beklagten am 23. Juni 2008 zugestellte Urteil hat diese mit einem am 22. Juli 2008 beim erkennenden Gericht eingegangen Schriftsatz - soweit unterlegen - Berufung eingelegt und diese mit einem am 25. August 2008 (Montag) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie ist weiter der Ansicht, es sei die Pflicht des Klägers gewesen, die Minusstunden, die sich über eineinhalb Jahre angesammelt hätten, rechtzeitig auszugleichen. Sie, die Beklagte, habe ihn immer wieder erfolglos dazu aufgefordert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 02. April 2008 - 6 Ca 7554/07 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er habe seine Arbeitskraft immer angeboten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 09. Dezember 2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 8 Abs. 2 ArbGG; 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 ArbGG) keinen Bedenken. Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG; 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache hat die Berufung Erfolg.

Die Klage ist auch hinsichtlich der im zweiten Rechtszug noch streitbefangenen Restvergütung für die Monate April bis Juli 2007 unbegründet und abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf den der Höhe nach unstreitigen Betrag von 1.762,68 € brutto, insbesondere nicht als Vergütung aus dem Arbeitsverhältnis (§§ 611 ff BGB).

Als Vergütung für geleistete Arbeit kann der Kläger den Betrag nicht verlangen, denn die der Vergütung entsprechenden Arbeitsstunden hat er zweifelsfrei nicht erbracht.

Dem Kläger steht die begehrte Vergütung auch nicht unter dem dann noch allein in Frage kommenden Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 615 Satz 1; 293 ff BGB) zu, denn der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, wann er wie und in welchem Umfang der Beklagten angeboten hat, die unstreitig vorliegenden Minusstunden einzuarbeiten.

Diese Pflicht des Klägers ergibt sich aus der im Tatbestand zitierten einzelvertraglichen Arbeitszeitkontovereinbarung. Sie enthält die ausdrückliche Abrede, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Zeitkonto auszugleichen ist. Dies bedeutet, dass ein entstandenes Zeitminus mit Restlohnansprüchen verrechnet werden darf (LAG Rheinland-Pfalz vom 12. März 1998, ARST 1998, 169). Dies ist hier geschehen.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann die Berufungskammer insoweit keine Unklarheit im Vertragstext erkennen. Die vereinbarte Verrechnung ist eindeutig und lebensnah. Auch der Kläger konnte nicht erwarten, dass er bei Ausscheiden mit einem Zeitminus die überzahlte Vergütung grundsätzlich behalten darf. Unerheblich ist es auch, dass die Vertragsklausel eine Begrenzung des Zeitkontos auf plus 130 und minus 50 Stunden vorsieht. Wenn diese Grenze bei den Minusstunden überschritten wird, kann dies nicht bedeuten, dass der Arbeitnehmer die entsprechend zuviel gezahlte Vergütung nicht zurückzahlen muss. Dies ergibt die ergänzende Vertragsauslegung nach Maßgabe von Treu und Glauben.

Aber selbst wenn man von einer entsprechenden Unklarheit der Vertragsklausel und sogar deren Unwirksamkeit ausgehen wollte, führte die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze zum selben Ergebnis.

Bei einem negativen Zeitguthaben des Arbeitsnehmers handelte es sich der Sache nach um einen Lohn- oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers. Eine Zahlung durch den Arbeitgeber ist dann ein Vorschuss, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig waren, dass es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird (BAG vom 11. Juli 1961, BAGE 11,188). Eine solche Absprache liegt hier vor. Mit der Vereinbarung der Parteien über das Arbeitszeitkonto hat der Kläger konkludent seine Einwilligung dazu erteilt, dass im Falle eines negativen Kontostandes die darin liegende Vorwegleistung der Beklagten mit späteren Vergütungsforderungen verrechnet wird (BAG vom 13. Dezember 2000, NZA 2002, 390).

Die einvernehmliche Einrichtung eines Arbeitszeitkontos enthält weiter vorbehaltlich ausdrücklicher gegenteiliger Regelungen die konkludente Abrede, dass das Konto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen ist. Gelingt es nicht, ein negatives Guthaben rechtzeitig durch entsprechende Mehrarbeit auszugleichen, besteht vielmehr bei Vertragsende ein Negativsaldo, so hat der Arbeitnehmer das negative Guthaben finanziell auszugleichen. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers folgt eben daraus, dass es sich insoweit um eine Vorschussleistung des Arbeitgebers handelt. Der Arbeitnehmer kann mangels anderslautender Vereinbarung nicht davon ausgehen, der Arbeitgeber wolle auf eine finanzielle Erstattung verzichten, wenn der Ausgleich eines negativen Zeitguthabens durch Mehrarbeit nicht mehr möglich ist (BAG, a. a. O.).

Diese Grundsätze erfahren allerdings insoweit eine Einschränkung, als es der Arbeitnehmer sein muss, der allein darüber entscheidet, ob ein negatives Zeitguthaben entsteht. Anderenfalls könnte der Arbeitgeber das von ihm zu tragende Wirtschaftsrisiko unter Umgehung des § 615 BGB auf den Arbeitnehmer abwälzen (BAG, a. a. O.; LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 26. März 2008 - 2 Sa 314/07 -, zitiert nach juris).

Für die Darlegungs- und Beweislast bleibt es allerdings bei den allgemeinen Grundsätzen (vgl. dazu BAG vom 13. Februar 2002, DB 2002, 1112). Danach hat der Kläger als Anspruchsteller die Voraussetzungen für sein Begehren darzulegen und zu beweisen. Im vorliegenden Fall müsste also der Kläger entweder darlegen oder auch beweisen, dass die in der Vergangenheit entstanden Minusstunden allein aufgrund entsprechender Weisungen der Beklagten entstanden sind, oder darlegen und beweisen, dass er wegen der unstreitig entstandenen Minusstunden die Beklagte in Annahmeverzug gesetzt hat, entweder durch ein tatsächliches oder durch ein wörtliches Arbeitsangebot. Sein Vortrag, er habe seine Arbeitskraft "immer" angeboten und "es seien nicht so viele Aufträge vorhanden gewesen", ist ungenügend, gerade auch im Hinblick auf den ausdrücklichen gegenteiligen Vortrag der Beklagten. Der Kläger war über seine Gehaltsabrechnungen und die zum Teil von ihm selbst vorgelegten Arbeitszeitkontoauszüge regelmäßig über seine Arbeitzeiten im Bilde und kann sich deshalb auch nicht darauf berufen, die Beklagte habe ihn über sein Zeitminus im Unklaren gelassen.

Die Beklagte dürfte darum den rechnerisch unstreitigen Wert des negativen Zeitguthabens des Klägers als von ihr erbrachte Vorschussleistung mit den Lohnansprüchen für die Monate April bis Juli 2007 verrechnen. Da ein Vorschuss eine vorweggenommene Vergütungstilgung darstellt, bedarf es zur Verrechnung keine Aufrechnung und Aufrechnungserklärung nach den §§ 387, 388 BGB. Auch § 394 BGB findet keine Anwendung (BAG vom 13. Dezember 2000, a. a. O.).

Der Kläger hat als Unterlegener die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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