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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 13 Ta 80/06
Rechtsgebiete: ZPO, RVG VV


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
RVG VV Nr. 3201
Auch bei einem zunächst nur "fristwahrend" eingelegten Rechtsmittel darf der Rechtsmittelgegner sofort einen Anwalt mit seiner Vertretung beauftragen, ohne gegen die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen.

Dies gilt dann nicht, wenn die Parteien ein sogenanntens "Stillhalteabkommen" geschlossen haben, mit dem der Berufungsgegner verspricht, sich solange nicht zu den Rechtsmittelakten zu legitimieren, bis sich der Rechtsmittelkläger darüber klar geworden ist, ob er das Rechtsmittel durchführt oder nicht.

Dies gilt sogar dann, wenn der Rechtsmittelführer die Verlängerung der Rechtsmittelfrist beantragt, solange daraus nicht der Schluss gezogen werden kann, dass der Rechtsmittelführer das Rechtsmittel jetzt doch durchführen wird.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25. Januar 2006 - 4 Ca 1127/04 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Nach erstinstanzlichem Prozessverlust legte der Kläger beim erkennenden Gericht am 14. September 2005 Berufung ein (Az: 5 Sa 1693/05). Mit gleichem Datum schrieben die Klägervertreter an den Vertreter der Beklagten mit der Bitte, sich einstweilen nicht im Berufungsverfahren zu legitimieren, da die Berufung zunächst nur fristwahrend eingelegt sei. Der Beklagtenvertreter antwortete den Klägervertretern daraufhin mit Schreiben vom 16. Oktober 2005 wie folgt:

"Entsprechend Ihrer Bitte habe ich mich kollegialiter noch nicht beim Landesarbeitsgericht gemeldet. Für eine baldige Mitteilung darüber, ob die Berufung weiter verfolgt wird, wäre ich Ihnen dankbar."

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2005 beantragten die Klägervertreter die Verlängerung der Berufungsbegründungfrist um einen Monat, da sie den Kläger im ersten Rechtszug noch nicht vertreten hatten und sich in die Akte einarbeiten mussten.

Am 16. November 2005 nahm der Kläger sodann die Berufung zurück. Entsprechend wurden ihm durch Beschluss vom 17. Oktober 2005 die Kosten der Berufung auferlegt.

Am 19. Dezember 2005 beantragte die Beklagte die Kostenfestsetzung gegen den Kläger wie folgt:

 Gegenstandswert: Betrag
1,1 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV RVG371,80 €
Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Umsatzsteuer 16 % gem. Nr. 7008 VV RVG62,69 €
Gesamtsumme Honorar454,49 €

Durch Beschluss vom 25. Januar 2006 wies der Rechtspfleger den Kostenfestsetzungsantrag zurück unter Hinweis auf das aus seiner Sicht zwischen den Parteien zustandegekommene Stillhalteabkommen, das einer Kostenfestsetzung entgegenstünde. Nach Zustellung dieses Beschlusses am 28. Januar 2006 legte die Beklagte, eingegangen am 08. Februar 2006, sofortige Beschwerde ein mit Ansicht, auch bei nur fristwahrender Berufungseinlegung könne der Berufungsgegner eine 1,1-fache Verfahrensgebühr abrechnen.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde am 15. Februar 2006 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist gemäß den §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2 ZPO; 11 Abs. 1 RPflegerG; 78 ArbGG statthaft, der Beschwerdewert von mehr als 200,00 EUR ist erreicht. Auch im Übrigen ist die Beschwerde zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (§ 572 Abs. 1 ZPO).

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Die Beklagte kann von dem Kläger die Erstattung der begehrten Kosten nicht verlangen. Der Rechtspfleger hat den Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.

Nach dem Gesetz (§ 91 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese Pflicht reicht so weit, wie die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Es entspricht inzwischen höchstrichterlicher Rechtsansicht - hierauf wiest die Beklagte zutreffend hin - ,dass der Berufungsgegner, selbst wenn ein Rechtsmittel ausdrücklich nur "fristwahrend" eingelegt wurde, grundsätzlich sofort einen Anwalt mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren beauftragen kann, ohne gegen die Grundsätze des § 91 ZPO zu verstoßen (BGH v. 17. Dezember 2002 - X ZB 9/02 -, JurBüro 2003, 257; BAG v. 16. Juli 2003 - 2 AZB 50/02 -, NZA 2003, 1293). Dem folgt die erkennende Kammer seit langem (vgl. Kammerbeschlüsse. v. 20. Oktober 2003 - 13 Ta 387/03 und 13 Ta 388/03 -, vom 30. Oktober 2003 -13 Ta397/03-, vom 29. März 2004 - 13 Ta 61/04 -, vom 17. Juni 2004 - 13 Ta 197/04 - und vom 4. Oktober 2005 - 13 Ta 339/05 - ;ebenso auch LAG Berlin vom 20. August 2003, - 17 Ta 6060/03 -, MDR 2004, 58; vgl. auch: Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 91, Stichwort "Berufung"). Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen.

Eine derartige Einschränkung lässt sich auch § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht entnehmen. Es muss genügen, dass der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten darf (BGH, a.a.O.).

Diese Grundsätze gelten jedoch dann nicht, wenn die Parteien ein so genanntes Stillhalteabkommen geschlossen haben, also eine Vereinbarung, nach der sich der Vertreter der Berufungsbeklagten so lange nicht zu den Akten der zweiten Instanz legitimieren soll, bis sich der Berufungskläger darüber klar geworden ist, ob er die Berufung tatsächlich durchführen will oder nicht. Auch hierüber besteht - entgegen der Ansicht der Beklagten - weitgehende Einigkeit (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Auflage 2004, Nr. 3200 VV Randziffer 54 - 56 m. w. N.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 63. Auflage 2005, § 91 Randziffer 160; KG vom 09. Mai 2005, JurBüro 2005, 418; OLG Zweibrücken vom 12. November 2001 - 4 W 60/01 -, zitiert nach Juris; Sächsisches LAG vom 04. April 2000 - 9 Sa 64/00 -, zitiert nach Juris; OLG Karlsruhe vom 28. April 1999, NJW - RR 2000, 512; OLG Karlsruhe vom 02. Juni 1998 - 3 W 29/98-, zitiert nach Juris; OLG Düsseldorf vom 09. Februar 1995, NJW - RR 1996, 54). Streit herrscht allenfalls insoweit noch über die Frage, ob das Schweigen des Rechtsmittelbeklagten auf eine entsprechende "Stillhaltebitte" schon bindend wirkt oder nicht (vgl. dazu Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert//Müller-Rabe, a. a. O., Randziffer 57 m. w. N. und OLG Düsseldorf, a. a.O.). Hierauf kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht an. Der Beklagtenvertreter hat in seinem Schreiben vom 16. Oktober 2005 ausdrücklich sein Einverständnis mit Begehren der Klägervertreter erklärt und sich damit vertraglich gebunden. Die Beklagte muss sich hieran auch insoweit festhalten lassen, als ihr damit versagt ist, die eigenen Kosten gegen den Rechtmittelführer festsetzen zu lassen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger im vorliegenden Falle am 17. Oktober 2005 die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hat. Dadurch wird das Stillhalteabkommen jedenfalls im vorliegenden Fall nicht gegenstandslos bzw. beendet. Dies könnte man allenfalls dann annehmen, wenn sich aus dem Verlängerungsgesuch herleiten lässt, dass die Berufung nun doch durchgeführt wird, wenn z. B. das Gesuch mit umfangreichen Nachforschungen begründet wird, die zur Berufungsbegründung notwendig seien (so OLG Karlsruhe vom 28. April 1999, a. a. O.; OLG Hamm Rpfg 1991, 477). Im vorliegenden Fall war das Verlängerungsgesuch begründet mit der Notwendigkeit, sich in den für die -neuen- Klägervertreter zunächst noch fremden Fall einarbeiten zu müssen. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Berufung trotz des Hinweises auf die erst nur fristwahrende Einlegung jetzt doch in jedem Fall durchgeführt werden wird.

Die Beklagte blieb also bis zur Berufungsrücknahme am 16. November 2005 an ihr Stillhalteabkommen gebunden. Die begehrte Kostenfestsetzung gegen den Kläger kommt nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung für die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus Nr. 8613 der Anlage 1 zu § 34 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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