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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 27.01.2004
Aktenzeichen: 13 TaBV 113/03
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, BeschSchG


Vorschriften:

BetrVG § 103
BGB § 626 Abs. 1
BeschSchG § 2
Bei monatelanger sexueller Belästigung durch körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 BeschSchG) kann das Arbeitsverhältnis regelmäßig auch ohne vorherige Abmahnung außerordentlich gekündigt werden.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen; 13 TaBV 113/03

Verkündet laut Protokoll am 27. Januar 2004

In dem Beschlussverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 13 in Frankfurt am Main auf die mündliche Anhörung vom 27. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Henkel als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Eisenberg und Jach als Beisitzer beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Hanau vom 13. Februar 2003 - 3 BV 5/02 - wird abgeändert:

Die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlich Kündigung des Beteiligten zu 3) wird ersetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. begehrt die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. betreibt 12 Elektrofachmärkte in der Bundesrepublik Deutschland, u.a. auch einen Markt in .... Der Beteiligte zu 2. ist der in diesem Markt gebildete Betriebsrat, dessen Mitglied der Beteiligte zu 3. ist. Mit Schreiben vom 11. Mai 2002, dem Betriebsrat am gleichen Tage zugegangen, beantragte die Antragstellerin gegenüber dem Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3., Herrn ..., geb. am 14, August 1946, Mitarbeiter im Verkauf "Weiße Ware".

Als Gründe für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Herrn .... führte die Antragstellerin in dem zit. Schreiben aus, Herr ... habe die Auszubildende ..., geb. am 12. Februar 1981, mehrfach sexuell belästigt. Am Abend des 06. Mai 2002 habe sich noch während der Ladenöffnungszeit folgender Vorfall ereignet. Frau ... habe Mikrowellengeräte in das Regal eingeräumt. Herr ... sei direkt auf sie zugekommen und habe gesagt: "Ich darf nicht schwer heben, ich darf nur Frauen anfassen," Er habe dabei beide Arme nach vorne gestreckt und die Hände auf Höhe der Brüste von Frau ... gehalten, Frau ... habe sich zur Seite gedreht, als die Hände von Herrn ... nur noch wenige Zentimeter von ihren Brüsten entfernt waren. Wäre sie nicht zur Seite gegangen, hätte Herr ... ihr mit beiden Händen an die Brüste gefasst. Als Frau ... zu Herrn ... gesagt habe, er solle das sein lassen, habe er nur gelacht und sei weggegangen. Herr ... sei zu diesem Zeitpunkt unbeobachtet gewesen. Bereits in der Zeit, als Frau ... noch ein Praktikum bei der Antragstellerin absolviert habe, habe Herr .. ihr regelmäßig an das Gesäß gegriffen. Frau ... habe Herrn ..., schon damals deutlich gemacht, dass sie so etwas nicht wolle und Herr ..., das sein lassen solle. Die ersten Vorfälle seien im Januar des Jahres 2001 gewesen. Die sexuellen Belästigungen hätten sich seit Beginn des Ausbildungsverhältnisses im August vergangenen Jahres gehäuft. Seitdem greife Herr ... fast täglich Frau ... mit der Hand an das Gesäß, Dabei mache Herr ... auch Aussagen wie; "Ich würde dich gerne gegen meine Frau austauschen. Die ist schon ziemlich alt, du bist aber noch jung." Außerdem habe er ihr Namen wie "Zuckerbiene" und dergleichen gegeben. Frau ... habe gegenüber Herrn ... mehrfach deutlich gemacht, dass sie ein solches Verhalten nicht wolle. Noch am Abend des 06. Mai 2002, so ist in dem Schreiben vom 11. Mai 2002 weiter ausgeführt, habe Frau ... den Zeugen ... über die Verhaltensweisen von Herrn ... informiert. Frau ... sei zu ihrem eigenen Schutz bis auf weiteres in die Abteilung "Braune Ware" umgesetzt worden. Bereits am 07. Mai 2002, also dem ersten Tag nach ihrer Umsetzung, sei Herr ... zu ihr in die Abteilung gekommen. Er sei auf sie zugegangen und habe seinen Arm um sie legen wollen. Dabei habe er sie wieder als "meine Zuckerbiene" bezeichnet. Frau ... habe sich zur Seite gedreht, so dass er sie nur an der Schulter berührt habe. Am 08. Mai 2002 und 10, Mai 2002 habe Frau ... die Vorfälle nochmals glaubhaft geschildert. Daraufhin sei, Herr ..., angesprochen worden. der sämtliche Vorwürfe abgestritten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Wortlaut des Schreibens der Antragstellerin vom 11. Mai 2002 an den Betriebsrat (Bl. 4 ff. d.A.) verwiesen. Mit Schreiben vom 14. Mai 2002 (Bl. 8 d.A.), verweigerte der Betriebsrat die gewünschte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Herrn ....

Die Antragstellerin hat mit dem am 17. Mai 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Zustimmungsersetzungsantrag die Ansicht vertreten, es komme nach Abwägung der beiderseitigen Interessen lediglich eine außerordentliche Kündigung des Herrn ... in Betracht.

Sie hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligten zu 2.) zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds (Beteiligter zu 3.) zu ersetzen.

Die Beteiligten zu 2. und 3. haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat hat gerügt, sein Mitglied sei nicht umfassend zu den Vorwürfen angehört worden. Auch habe es keine in Anwesenheit beider Beteiligten durchgeführte Anhörung gegeben. Herr ... hat behauptet, sämtliche erhobenen Anschuldigungen entbehrten jeglicher Grundlage. Es handele sich um wissentlich falsche Anschuldigungen von Frau ....

Mit Beschluss vom 13. Februar 2003 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, selbst wenn alle Herrn ... gegenüber erhobenen Vorwürfe zuträfen, wäre nach Abwägung aller Umstände eine Abmahnung angemessen und ausreichend gewesen, Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen (Bl. 96 - 103 d.A.).

Gegen diesen, der Antragstellerin am 25. Juli 2003 zugestellten Beschluss hat diese beim erkennenden Gericht am 08. August 2003 mit Schriftsatz gleichen Datums Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10. September 2003, eingegangen am gleichen Tage, begründet.

Die Antragstellerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und ist insbesondere der Ansicht, das Verhalten des Herrn gegenüber Frau ... lasse auf eine klare Negativprognose schließen, die nichts anderes als die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfordere

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Hanau vom 13. Februar 2003 - 3 BV 5/02 - abzuändern und die Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligten zu 2.) zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds ... (Beteiligter zu 3.) zu ersetzen.

Die Beteiligten zu 2. und 3. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen den erstinstanzlichen Beschluss. Die Vorwürfe von Frau seien frei erfunden, um wieder in die Abteilung "Braune Ware" zurückversetzt zu werden. Sie beruhten auf der bekannten Neigung von Frau ..., sich mit Produkten ihrer regen Fantasie interessant zu machen. Auf die vorliegende Weise solle die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats beeinträchtigt werden. Es sei bezeichnend, dass die vorhandenen Überwachungskameras die Vorfälle nicht aufgezeichnet hätten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Beschwerdeverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift des Anhörungstermins vom 27. Januar 2004 Bezug genommen.

Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 27. Januar 2004 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ....

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird ebenfalls Bezug genommen auf die Niederschrift des Anhörungstermins vom 27. Januar 2004 (Bl. 220 - 231 d.A.). Die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hanau 5900 Js 9422/02 und 5900 Js 9043/02, die die wechselseitigen Anzeigen von Frau ... und Herrn ... wegen Beleidigung bzw. falscher Verdächtigung zum Gegenstand haben, waren zu Beweiszwecken, die Akte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hanau 11 Js 5385.3/96 war zu Erörterungszwecken Gegenstand der Anhörung.

II.

Die nach den §§ 87, 89, 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und nach Maßgabe der oben unter I. mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Das Arbeitsgericht hat die begehrte Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats und Beteiligten zu 2. zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung seines Mitglieds ... des Beteiligten zu 3., zu Unrecht verweigert. Die verweigerte Zustimmung ist zu ersetzen (§ 103 Abs. 2 BetrVG).

Der Antrag ist nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1, 84 ArbGG zulässig. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 103 Abs. 2 BetrVG streitig.

Die Antrags- und Beteiligtenbefugnis der Verfahrensbeteiligten ergibt sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 103 Abs. 2 BetrVG.

Der Betriebsrat hat innerhalb von 3 Tagen nach Erhalt des Zustimmungsbegehrens der Antragstellerin am 11. Mai 2002 unter dem 14. Mai 2002 die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung seines Mitglieds, Herrn ... verweigert. Die Antragstellerin hat sodann rechtzeitig innerhalb der 2-wöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB analog (BAG vom 18. August 1977, 07 Mai 1986, 22. Januar 1987, AP Nr. 10, 18, 24 zu § 103 BetrVG), nämlich am 17. Mai 2002, den vorliegenden Antrag auf Ersetzung der verweigerten Zustimmung gestellt.

Gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber dann einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (BAG vom 22. August 1974, AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972; BAG vom 27, Januar 1977, AP Nr. 7 zu § 103 BetrVG; zuletzt: BAG vom 10. Februar 1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969; BAG vom 10. Januar 2000, AP Nr. 40 zu § 103 BetrVG 1972 und vom 08. Juni 2000, AP Nr. 3 zu § 2 BeschSchG m.w.N.). Nach Überzeugung der Beschwerdekammer sind die Voraussetzungen für die gerichtliche Zustimmung gegeben.

Die rechtliche Prüfung ob, gemessen an § 626 Abs. 1 BGB, eine fristlose Kündigung wirksam ist, erfolgt nach ständiger Rechtsprechung in zwei Stufen: Zunächst ist zu klären, ob der streitgegenständliche Sachverhalt generell geeignet ist, eine außerordentliche Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu bewirken. Gegebenenfalls ist dann die weitere Frage zu beantworten, ob unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen dem Kündigenden eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses (zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist) nicht mehr zumutbar war.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Beschwerdekammer davon überzeugt, dass sich Herr ... schon seit Ende 2001 immer wieder der Zeugin ... genähert und ihr an das Gesäß gegriffen hat mit Begriffen wie "Zuckerbienchen" u.a., obwohl die Zeugin ihm soweit wie möglich aus dem Weg gegangen ist. Am 06. Mai 2002, etwa gegen Mittag, hat sich Herr ... wieder der Zeugin ... in der Kleingeräteabteilung des Marktes der Antragstellerin genähert mit dem Satz, "er dürfe nicht schwer heben, nur sie (die Zeugin ...) anfassen". Dabei kam er mit auf der Höhe der Brüste der Zeugin vorgestreckten Händen auf diese zu. Die Zeugin konnte sich einer Berührung nur durch Zurückweichen bis zu einem Regal gerade noch entziehen. Dabei sagte sie ihm, er solle das lassen. Auch am nächsten Tag, dem 07. Mai 2002, näherte sich Herr ..., wieder der Zeugin, die mittlerweile in die Abteilung "Braune Ware" versetzt worden war, und wollte sie umarmen. Auch dieser Berührung entzog sich die Zeugin durch eine ausweichende Bewegung. Die Beschwerdekammer hält die dahingehende Aussage der Zeugin für glaubhaft und die Zeugin selbst für glaubwürdig. Ihre Aussage deckt sich im Wesentlichen mit den Angaben, die sie am 15. Mai 2002 für ihre Anzeigeerstattung bei der Polizeistation in Geinhausen gemacht hat, auch wenn die dort protokollierten Erklärungen etwas drastischer und detaillierter waren. Dies ist aber angesichts des Zeitablaufs zwischen der damaligen Erklärung und ihrer Vernehmung vor der Beschwerdekammer verständlich. Üblicherweise werden die emotionalen Anteile bei der Wiedergabe eigener Erlebnisse geringer, je mehr Zeit vergeht. Die Aussage der Zeugin deckt sich auch mit dem, was sie dem Zeugen ... noch am 06. Mai 2002 im Personalbüro der Antragstellerin erzählte. Dies hat der Zeuge ... in seiner Vernehmung vor der Beschwerdekammer ebenfalls glaubhaft bestätigt. Die Bekundungen des Zeugen ... stimmen im Kern mit denen der Zeugin ... überein, geringfügige Abweichungen im Detail, die aus der Sicht des Zeugen bedeutungslos waren, wie auch zugestandene Erinnerungslücken für bestimmte aus der Sicht des Zeugen eher zweitrangige Aspekte unterstreichen die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Die exakt "passgenaue" Übereinstimmung der Aussagen zweier Zeugen ließe dagegen eher auf eine abgesprochene Aussage schließen.

Noch weitere Gesichtspunkte sprechen für die Glaubwürdigkeit der Zeugin .... Wenn die Zeugin, wie der Betriebsrat und Herr ... behauptet haben, die fraglichen Vorfälle frei erfunden hätte, um Herrn ... "eins auszuwischen" oder rücksichtslos ihre eigenen Interessen durchzusetzen (Versetzung in die Abteilung "Braune Ware"), hätte sie nach der Lebenserfahrung keine Vorfälle behauptet, die "nur" auf das Berühren ihres Gesäßes und den Versuch, ihre Brüste zu berühren, hinausliefen, wobei sie die tatsächliche Berührung noch durch eigenes Tun vereitelt hat. Vielmehr hätte es nahe gelegen, drastischere "vollendete" Vorfälle zu konstruieren, um Herrn ... deutlich in ein schlechtes Licht zu rücken. Zu einer vorsätzlich falschen Verdächtigung passt auch überhaupt nicht die Erklärung des Zeugen ..., die sich wiederum mit der der Zeugin ... deckt, die Zeugin habe zunächst von sich aus keine Anstalten gemacht hat, die fraglichen Vorfälle ihren Vorgesetzten zu melden. Es war vielmehr der Zeuge ..., dem auffiel, dass die Zeugin ein Gesicht machte "wie sieben Tage Regenwetter" und seinerseits auf eine Erklärung drang. Auch dann hat die Zeugin zunächst nichts erzählen wollen und erst auf entsprechendes Nachfragen unter Tränen von den Übergriffen des Herrn ... berichtet. Dieses Verhalten lässt sich endgültig nicht mehr mit der Behauptung des Betriebsrats und Herrn in Einklang bringen, die Zeugin ... habe sich alles nur ausgedacht, um Herrn ... in Schwierigkeiten zu bringen und sich ihre Arbeit wunschgemäß zu gestalten.

Auch die von dem Zeugen ... glaubhaft bekundete emotionalen Anteilen seines damaligen Gesprächs mit der Zeugin ... sprechen gegen ein "Komplott" zu Lasten des Herrn .... Die Nachfrage des Zeugen ... ob die Zeugin ... jemanden hätte, mit dem sie darüber reden könne und die geschilderten Zweifel der Zeugin, ob sie sich überhaupt ihren Eltern anvertrauen könne, machen die Bekundungen plastisch, lebensnah und sprechen klar gegen eine kühl geplante Aktion zu Lasten des Herrn ....

Schließlich sind auch die Versuche des Betriebsrats und des Herrn ... gescheitert, die Zeugin ... als Person mit blühender Fantasie darzustellen und damit ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Es hat sich nicht bestätigt, dass die Zeugin Mitarbeitern ein Verhältnis angedichtet oder damit geprahlt hat, mit wem im Markt sie schon geschlafen hätte. Der hierzu benannte Zeuge ... wusste davon nichts, konnte aber bekunden, dass allgemein im Markt der Antragstellerin viel Gerüchte willkürlich in Umlauf gesetzt würden und dass dies keiner so recht ernst nehme und ein Mitarbeiter sogar schon den Markt verlassen habe, "weil ihm das Getratsche zu viel" wurde. Die Beschwerdekammer übersieht bei dieser Aussage des Zeugen nicht, dass dieser seit Juni 2003 mit der Zeugin befreundet ist und daher seine Aussage nicht frei von eigenen Interessen sein mag. Dennoch ergaben sich auch aus dem sonstigen Akteninhalt oder anderen Zeugenbekundungen im vorliegenden Verfahren wie auch den beigezogenen Strafakten keine objektiven Anhaltspunkte, die die Glaubwürdigkeit der Zeugin ... zweifelhaft erscheinen ließe. Die in das Wissen der Zeugin ... gestellte Behauptung, die Zeugin ... habe den Eindruck erweckt, sie wolle "sich etwas einfallen lassen", um wieder in die Abteilung "Braune Ware" rückversetzt zu werden, sind für sich genommen schon kaum geeignet, die Zeugin ... als Lügnerin in bezug auf die hier streitigen Vorfälle erscheinen zu lassen. Überdies hat die Zeugin ... plausibel erklärt, warum die Zeugin offenbar verärgert darüber war, dass sie - die Zeugin ... - am 07. Mai 2002 wieder in die Abteilung "Braune Ware" zurückkam, während die Zeugin ... in der Kleingeräteabteilung bleiben musste. Den Grund hierfür - die Vorfälle um Herrn ... - kannte die Zeugin ... zu diesem Zeitpunkt noch nicht und hat insoweit offenbar irgendwelche Spekulationen angestellt. Die Beschwerdekammer konnte nach alledem von der Vernehmung der Zeugin ... absehen.

Schließlich ist es dem Betriebsrat und Herrn auch nicht gelungen, die Aussage der Zeugin ... mit dem Hinweis zu erschüttern, die Vorfälle hätten eigentlich von den im Markt installierten Überwachungskameras aufgenommen und auf den entsprechenden Videobändern festgehalten werden müssen. Letzten Endes ist es nach der Beweisaufnahme unklar geblieben, wann wo welche Kameras installiert waren und auf welchen Beobachtungswinkel sie eingestellt waren. Der Gedanke, dass die Antragstellerin hier möglicherweise Videoaufzeichnungen zurückhält, erscheint aber auch schon als solcher lebensfremd. Gäbe es sie tatsächlich, hätte sie die Antragstellerin entweder vorgelegt, um die Übergriffe des Zeugen eindeutig zu belegen, oder auf das vorliegende Verfahren bei der aus der Sicht der Antragstellerin riskanten Beweislage verzichtet, wenn Videobänder zweifelsfrei die Unschuld des Herrn ... ergeben hätten.

Nach alledem sind die gegenüber Herrn ... erhobenen Vorwürfe zur Überzeugung der Beschwerdekammer bewiesen. Seine Versuche, die Glaubwürdigkeit der Zeugin ... und des Zeugen ... zu erschüttern, sind gescheitert.

Damit stellt das Verhalten des Herrn ... gegenüber der Zeugin ... eine Vertragsverletzung dar, die an sich geeignet ist, die außerordentliche Kündigung zu bewirken. Wer während der Arbeitszeit sexuelle Übergriffe gegenüber seinen weiblichen Mitarbeitern, speziell Auszubildenden, vornimmt und insbesondere tätliche Belästigungen verübt, verletzt nicht nur die Ehre und das Ansehen dieser Mitarbeiterinnen, sondern handelt auch gröblich den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gibt diesem damit regelmäßig einen Grund zur fristlosen Kündigung. Dies folgt schon aus dem Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vom 24. Juni 1994 (BGBl. I, S. 1406). Nach ihm stellt die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar (§ 2 Abs. 3 BeschSchG). Ziel des Gesetzes ist die Wahrung der Würde von Frauen und Männern durch den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (§ 1 Abs. 1 BeschSchG). Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt. Dazu gehören sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, sowie sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen, die von dem Betroffenen erkennbar abgelehnt werden (§ 2 Abs. 2 BeschSchG). Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BeschSchG hat der Arbeitgeber bei sexueller Belästigung die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

Die im zweiten Schritt sodann gebotene Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen lässt keine Gesichtspunkte zu Tage treten, die bei den aus der Sicht der Beschwerdekammer erwiesenen Übergriffen des Herrn ... die beabsichtigte außerordentliche Kündigung ungerechtfertigt erscheinen ließe.

Insbesondere kann die Antragstellerin entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht auf eine Abmahnung des Herrn ..., als ausreichende Sanktion für die Verstöße gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten aus dem Beschäftigtenschutzgesetz verwiesen werden. Eine Abmahnung war hier entbehrlich. Zwar ist auch bei Störungen im Vertrauensbereich, wie sie die festgestellten sexuellen Belästigungen zweifelsfrei darstellen, das Abmahnungserfordernis stets zu prüfen und eine Abmahnung jedenfalls dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, wenn ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen. Eine Abmahnung hat jedoch nicht stets schon dann Vorrang vor einer Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten ist. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist nämlich eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat. Dieser Fall ist hier anzunehmen und mit der Schwere des Vertragsverstoßes zu begründen (vgl. zu den Kriterien einer Abmahnung bei sexueller Belästigung auch LAG Niedersachsen vom 21. Januar 2003, NZA-RR 2004, 19; Sächsisches LAG vom 10. März 2000, NZA-RR 2000, 468 m.w.N.). Das Verhalten des Herrn ... hat strafrechtliche Relevanz. Nicht ohne Grund hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hanau unter dem 12. November 2002 Anklage erhoben. Das Amtsgericht Geinhausen hat durch Beschluss vom 25. April 2003 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Termin zur Hauptverhandlung steht für den 01. März 2004 an (vgl. die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hanau 5900 Js 9422/02). Bei Straftaten im Betrieb kommt eine Abmahnung in aller Regel nicht in Betracht. Sie führen allgemein zu einer endgültigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses. Dem Arbeitgeber kann - von extremen Ausnahmefällen abgesehen - nicht zugemutet werden, eine Straftat im Betrieb zunächst nur durch eine Abmahnung zu sanktionieren und auf eine Wiederholung zu warten, um dann schließlich kündigen zu können (vgl. z.B, BAG vom 17. Mai 1984, 03. April 1986, 12. August 1999, AP Nr. 14, 18, 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es sich bei dem Verhalten des Herrn ... nicht um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat, sondern um monatelange sich immer wiederholende sexuelle Belästigungen nicht nur verbaler, sondern auch tätlicher Art. In solchen Fällen kann ein Arbeitgeber auf eine Abmahnung verzichten. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats kommt es insoweit auch nicht - erst recht nicht konstitutiv - auf eine Anhörung des "Beschuldigten" an.

Auch im Übrigen ergibt die gebotene Abwägung aller Umstände nichts, was die beabsichtigte außerordentliche Kündigung letztlich unwirksam erscheinen ließe.

Der Beschwerdekammer ist bewusst, dass Herr ... wegen seines fortgeschrittenen Lebensalters wohl nur noch mit größten Schwierigkeiten eine andere Beschäftigung finden wird. Auf der anderen Seite steht aber das berechtigte Interesse der Antragstellerin, Vorfälle der beschriebenen Art auch für die Zukunft zu unterbinden. § 4 BeschSchG verpflichtet sie sogar dazu. Eine in ihren Auswirkungen mildere Form der Problemlösung ist nicht erkennbar. Insbesondere wäre es entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht möglich, die Zeugin ... hierfür in eine andere Abteilung als die des Herrn ... zu versetzen. Dies verkennt die räumlichen Gegebenheiten bei der Antragstellerin, die eine klare Trennung der Zeugin und des Herrn im Arbeitsalltag nicht zulässt. Alle Abteilungen gehen ineinander über und sind für jeden Mitarbeiter frei zugänglich. Im Übrigen ist die Wirkungslosigkeit einer solchen Maßnahme bereits bewiesen. Die Antragstellerin hat die Zeugin am 07. Mai 2002 von Herrn "wegversetzt", was diesen nicht gehindert hat, sich noch am gleichen Tag erneut der Zeugin zu nähern und zu versuchen, ihren Arm um sie zu legen.

Die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Herrn ... ist nach alledem zu ersetzen.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 1 ArbGG) ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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