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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 15/2 Sa 1840/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 305 I
Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge; Ordentliche Änderungskündigugng unwirksam wegen durch Bezugnahme auf BAT vereinbarter Unkündbarkeit; Auslegung des Passus "einschließlich der für ... geltenden Zusatzbestimmungen"
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2005 - 17/20 Ca 44/05 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß der Änderungskündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2004 unwirksam ist.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung.

Der am 10. Juli 1955 geborene Kläger (verheiratet, zwei Kinder, wobei der Kläger einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig ist) ist bei der Beklagten (früher: A.) seit dem 01. Januar 1985 beschäftigt. Seit 1988 übt er die Tätigkeit eines Frachtagenten im Bereich BVD-F aus, in der Tariflohngruppe V b-K BAT mit einem durchschnittlichen Monatsbruttogehalt von zuletzt etwa 3.150,00 Euro. In dem maßgeblichen schriftlichen Arbeitsvertrag vom 01. November 1984, wegen dessen weiterer Einzelheiten auf die zu den Gerichtsakten gereichte Kopie (Blatt 13/14 d.A.) verwiesen wird, heißt es u. a.:

"Der Arbeitsvertrag richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) einschließlich der für die B. geltenden Zusatzbestimmungen, den betrieblichen Regelungen und den Dienstvorschriften."

Der Kläger ist nicht Mitglied der C.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig etwa 13.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie betrieb u. a. die Abfertigung von Luftfracht am Flughafen D. in der Abteilung Bodenverkehrsdienste - Fracht (BVD-F), in der ca. 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - darunter der Kläger - beschäftigt waren. Die Beklagte nahm in dieser Abteilung zum einen mit eigenem Personal die von Frachtführern im Auftrag von Luftverkehrsgesellschaften angelieferte Luftfracht entgegen, lagerte sie zwischen, kommissionierte die Luftfracht nach Angaben der Luftverkehrsgesellschaft, verwog sie und stellte sie zur Verladung in Flugzeuge bereit (so genannter Export). Zum anderen übernahm die Beklagte Luftfracht auf Paletten oder in Containern von Luftverkehrsgesellschaften, die aus Flugzeugen entladen worden war. Die Beklagte lagerte auch diese Fracht vorübergehend ein, bis sie von einem Frachtführer oder einem Endkunden der Luftverkehrsgesellschaft abgeholt wurde (so genannter Import). Zu der Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Abteilung BVD-F gehörte weder die Verladung der Fracht in die Flugzeuge noch die Entladung der Flugzeuge. Für diese Flugzeugabfertigung bestand und besteht bei der Beklagten eine eigene Abteilung.

Die Abteilung BVD-F besaß eine große Halle auf dem Flughafengelände mit Lager- und Büroraum sowie eine Wiegestation direkt vor der Halle zwischen der Halle und dem Vorfeld mit Büro- und Unterkunftscontainern. Sie besaß Flurförderfahrzeuge, insbesondere Gabelstapler zum Transport von Packstücken, Paletten und Containern vornehmlich innerhalb der Halle, Lagereinrichtungen in der Halle sowie eine übliche Büroausstattung und ein EDV-System zur administrativen Abwicklung der Frachtabfertigung.

Am 14. April 2003 beschloss der Vorstand der Beklagten zur Vermeidung sich erhöhender Verluste, den Bereich BVD-F in die hundertprozentige Tochter der Beklagten E. zu verlagern. Während die Beklagte durch Verbandsmitgliedschaft an den BAT und den BMT-G gebunden ist und mit allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Arbeitsverträgen die Geltung dieser Tarifwerke zwecks Gleichstellung vereinbart, unterliegt die Tochtergesellschaft nicht diesen Bindungen und kann daher auf dem Markt kostengünstiger auftreten. Der konzerninternen Verlagerung stimmte der Aufsichtsrat am 24. September 2003 zu. Auf Grund der innerbetrieblichen Diskussion und der Verhandlungen mit dem Betriebsrat zeichnete sich jedoch ab, dass die Mehrzahl der Beschäftigten der Abteilung BVD-F einem Betriebsübergang widersprechen werde. Die Beklagte richtete daher in dem Bereich Bodenverkehrsdienste die neue Abteilung Frachtservice ein (BVD-FS). In dieser Abteilung sollten die Beschäftigten aus der Abteilung BVD-F aufgefangen werden, die einem Betriebsübergang widersprechen würden. Die in der neuen Abteilung BVD-FS beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten dann im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei der E. eingesetzt werden. Zwischenzeitlich hat die E. umfirmiert und heißt heute F..

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2003 (Kopie Blatt 30 bis 32 d.A.) unterrichtete die Beklagte den Kläger und alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Abteilung BVD-F über den bevorstehenden Betriebsübergang. Der Kläger widersprach - wie 544 weitere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die Tochtergesellschaft (vgl. Kopie der Erklärung des Klägers vom 12. November 2003, Blatt 34 d. A.).

Unter dem Datum des 19. Dezember 2003 schlossen der G., dessen Mitglied die Beklagte ist, und H. -, vertreten durch die Landesbezirksleitung Hessen, die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 (Kopie Blatt 43 bis 48 d.A.) ab. Dabei handelt es sich erklärtermaßen um eine Sonderregelung zum Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und zum BMT-G für die Beschäftigten der Abteilung Frachtservice bei der Beklagten. Dieser Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Tochtergesellschaft widersprochen haben. Er sieht u. a. vor, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet sind, ihre Arbeitsaufgaben bei einem Entleiherbetrieb wahrzunehmen. Nach diesem Tarifvertrag ist die Vergütung bei einer Beschäftigung in der Abteilung Frachtservice (BVD-FS) geringer als bisher.

Unter dem Datum des 22. Dezember 2003 erteilte das Landesarbeitsamt Hessen der Beklagten die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern.

Die Beklagte übertrug durch eine vertragliche Vereinbarung sämtliche Betriebsmittel der Abteilung BVD-F mit Wirkung zum 01. Juli 2004 auf die I.. Zum gleichen Zeitpunkt wurden sämtliche Kundenverträge der Frachtabteilung auf diese Tochtergesellschaft übertragen. Der bisherige Leiter der Frachtabfertigung, Herr J., wurde nunmehr Geschäftsführer der K.. Die Halle mit dem Lagerraum und dem Büroraum sowie die außerhalb der Halle gelegene Wiegestation nebst Büro und Unterkunftscontainer gingen in den Besitz dieser Gesellschaft über. Die bisherige Frachtabteilung BVD-F existiert nicht mehr, die Organisation ist aufgelöst, es existieren bei der Beklagten keine Betriebsmittel und keine Kundenbeziehungen mehr - die entsprechenden Tätigkeiten werden von der L. erbracht.

Mit Schreiben vom 08. Dezember 2004 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten Änderungskündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Gleichzeitig beantragte die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrates zu einer mit der Änderungskündigung beabsichtigten Versetzung. Wegen der Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf die zu den Gerichtsakten gereichte Kopie (Blatt 26 bis 29 d. A.) Bezug genommen. Das Anhörungsschreiben ging dem Betriebsrat am 08. Dezember 2004 zu.

Der Betriebsrat nahm zu der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 14. Dezember 2004 (Kopie Blatt 49/50 d. A.), der Beklagten zugegangen am 14. Dezember 2004, Stellung.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 (Kopie Blatt 15 bis 18 d. A.) - dem Kläger zugegangen am 17. Dezember 2004 - kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2005. Gleichzeitig bot sie dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Abteilung Frachtservice zu den entsprechend der Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 741 geänderten Bedingungen ab dem 01. Juli 2005 an.

Der Kläger nahm das Angebot mit Schreiben vom 30. Dezember 2004 (Kopie Blatt 20 d. A.) unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Die Beklagte erhielt dieses Schreiben am 03. Januar 2005.

Der Kläger hat die Änderungskündigung für sozial ungerechtfertigt gehalten und die Betriebsratsanhörung für fehlerhaft erachtet.

Der Kläger hat daher vor dem Arbeitsgericht auf die am 04. Januar 2005 per Fax eingegangene und der Beklagten am 16. Januar 2005 zugestellte Klage beantragt,

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2004 sozial nicht gerechtfertigt ist.

Die Beklagte hat demgegenüber beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Änderung der Arbeitsbedingungen sei wirksam und nicht sozial ungerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 28. September 2005 (Blatt 198 bis 212 d. A.) die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 7.200,00 EUR festgesetzt. Auf dieses Urteil wird zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes und bezüglich der Entscheidungsgründe Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse bejaht. Aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung der Beklagten sei der Arbeitsplatz des Klägers entfallen, und die Möglichkeit der Beschäftigung des Klägers auf einem anderen freien gleichwertigen Arbeitsplatz sei nicht gegeben gewesen. Auch scheitere die Wirksamkeit der Kündigung nicht an einer fehlerhaften Sozialauswahl oder einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung, tarifrechtliche Bedenken bestünden nicht.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Kläger am 05. Oktober 2005 zugestellt worden. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist am 13. Oktober 2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Berufungsbegründung ist am 02. Dezember 2005 eingegangen.

Der Kläger hält das Urteil des Arbeitsgerichts für unzutreffend. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht dringende betriebliche Erfordernisse angenommen, insoweit sei sein erstinstanzlicher Vortrag aus dem Schriftsatz vom 20. Juni 2005 in weiten Teilen nicht berücksichtigt worden. Auch habe das Arbeitsgericht fehlerhaft einen Betriebsübergang angenommen, rechtsfehlerhaft seien eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und eine fehlerhafte Sozialauswahl verneint worden. Schließlich hielten die Ausführungen und Begründungen zur Anwendbarkeit und Wirksamkeit der Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 741 rechtlicher Überprüfung nicht stand. Für den Vortrag des Klägers im Berufungsrechtszug im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 02. Dezember 2005 (Blatt 225 bis 235 d. A.) sowie die Schriftsätze vom 03. Mai 2006 (Blatt 260 bis 266 d. A.) und vom 10. Mai 2006 mit Anlagen (Blatt 275 bis 281 d.A.).

Der Kläger beantragt daher,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2005 - 17/20 Ca 44/05 - festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2004 sozial nicht gerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.

Demgegenüber beantragt die Beklagte,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Auseinandersetzung mit dem zweitinstanzlichen Klägervortrag das angefochtene Urteil. Sie hält ihr Vorgehen für korrekt. Für die Details des Beklagtenvortrags in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 05. Januar 2006 (Blatt 246 bis 257 d. A.) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2006 (Blatt 282/283 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg, die Klage ist begründet.

Die zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsbedingungen sind durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2004 nicht entsprechend den in der Änderungskündigung genannten Bedingungen und zum darin genannten Zeitpunkt geändert worden: Die Änderung der Arbeitsbedingungen ist aus anderen Gründen rechtsunwirksam, wobei der klägerische Antrag von Anfang an im Sinne des § 4 Satz 2 KSchG zu verstehen war (§§ 133, 157 BGB, die auch im Prozessrecht entsprechend gelten) und in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2006 nur klarstellend angepasst worden ist (vgl. das Protokoll, Blatt 282 d.A.).

Die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen, die der Kläger fristgerecht unter Vorbehalt angenommen (§ 2 Satz 1 und 2 des gem. §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 anwendbaren KSchG) und fristgerecht klageweise angegriffen (§ 4 Satz 1 und 2 KSchG i.V.m. § 253 Abs. 1, 167 ZPO) hat, wie die Angaben im Tatbestand ergeben, folgt daraus, dass der Kläger im Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung den Schutz der sog. Unkündbarkeit genoss, ihm daher nicht ordentlich - auch nicht im Wege einer ordentlichen Änderungskündigung wir hier vorliegend (vgl. BAG Urteil vom 27. September 2001 - 6 AZR 404/00 - EzA § 1 TVG Nr. 44; vgl. auch etwa Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl., Rz. 332 mit weit. Nachw. aus der Rechtsprechung in Fußnote 149) - gekündigt werden konnte.

Nach dem im Tatbestand zitierten Arbeitsvertrag gelten für das Arbeitsverhältnis des Klägers, der nicht Gewerkschaftsmitglied ist, im Wege der Vereinbarung die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT), wobei es insoweit nicht weiter darauf ankommt, ob es sich dabei um eine zeitdynamische Verweisung handelt (vgl. dazu etwa BAG Urteil vom 09. November 2005 - 6 AZR 128/05- ). Dessen § 53 Abs. 3 sieht vor, dass der Angestellte nach einer Beschäftigungszeit von fünfzehn Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des vierzigsten Lebensjahres unkündbar ist, und beide Voraussetzungen erfüllte der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung. Die Folge ist, dass dem unkündbaren Angestellten nicht ordentlich, sondern nur aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Gründen fristlos gekündigt werden kann (§ 55 Abs. 1 BAT), wobei andere wichtige Gründe - insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse - den Arbeitgeber nicht zur Kündigung berechtigen (§ 55 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 BAT). Eine außerordentliche fristlose Kündigung ist indes weder ausgesprochen noch hier Streitgegenstand, ebenso ist nicht eine Änderungskündigung zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe ausgesprochen worden, wie sie § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 und Unterabs. 2 BAT für zwei besondere Konstellationen vorsieht.

Die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 ändert an der dargestellten Unkündbarkeit des Klägers nichts. Zwar ist darin in § 2 Abs. 6 (Blatt 88 d.A.) eine erweiterte Möglichkeit von Änderungskündigungen vorgesehen, und die §§ 53 Abs. 3, 55 Abs. 2 BAT sollen danach insoweit keine Anwendung finden. Doch gilt die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 mangels Tarifbindung auf Seiten des Klägers (§ 3 Abs. 1 TVG) nicht unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG), und die Geltung der Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 741 ist nicht vereinbart.

Eine ausdrückliche diesbezügliche Vereinbarung existiert nicht, und der Passus im Arbeitsvertrag, dass sich der Arbeitsvertrag auch nach den für die M. geltenden Zusatzbestimmungen zum BAT, den betriebsüblichen Regelungen und den Dienstvorschriften richtet, erfasst die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 nicht.

Die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 ist weder als betriebsübliche Regelung noch als Dienstvorschrift zu sehen, sie lässt sich aber auch nicht als Zusatzbestimmung zum BAT, geltend für die Beklagte, verstehen.

Bei dem im Tatbestand zitierten zweiten Absatz des Arbeitsvertrages (mit der Bezugnahme auf den BAT u.s.w.) handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB, worüber nach den Erörterungen im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer auch kein Streit zwischen den Parteien besteht. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BAG Urteil vom 09. November 2005 - 5 AZR 128/05 - mit weit. Nachw.).

Legt man diesen Maßstab zugrunde, erfasst der zweite Absatz des Arbeitsvertrages die Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 nicht. Nach den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders (= der Beklagten) unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise, also auch unter Einbeziehung der Interessen der Beklagten an möglichst einheitlichen Strukturen in ihrem Bereich, ist unter einer Zusatzbestimmung nur eine Bestimmung zu verstehen, die - abgeschlossen von Tarifvertragsparteien des BAT bzw. von deren Nachfolgeorganisationen auf derselben Ebene - die Bestimmungen des BAT für den Bereich der Beklagten ergänzt und/oder auch in den nicht zentralen Teilen modifiziert. Der durchschnittliche Vertragspartner des Verwenders muss also nicht damit rechnen, dass über die Formulierung "Zusatzbestimmungen" ihm irgendwann wesentliche im BAT festgeschriebene Positionen genommen werden, erst recht nicht durch tarifvertraglichen Regelungen, die auf anderer Ebene abgeschlossen werden: Der Begriff der "Zusatzbestimmung" ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der "ändernden oder ersetzenden Tarifverträge", wie er ansonsten häufig in Bezugnahmeklauseln erscheint. Die tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 ist hingegen nicht von den Tarifvertragsparteien des BAT (oder deren Nachfolgeorganisationen) auf derselben Ebene abgeschlossen, sondern auf Arbeitgeberseite von dem Hessischen Arbeitgeberverband der Gemeinden und Kommunalverbände, wobei offen bleiben kann, wie es rechtlich zu bewerten ist, dass auf Seiten von N. die Landesbezirksleitung Hessen in Vertretung gehandelt hat. Darüber hinaus handelt es sich nicht um eine ergänzende Regelung oder eine Regelung, die lediglich nicht zentrale Teile des BAT modifiziert. Die tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 741 - ausdrücklich als Sonderregelung bezeichnet - greift vielmehr in die zentrale Regelung der §§ 53, 55 BAT ein.

Die dargestellte Lösung hat nichts mit der Frage der Gleichstellungsabrede zu tun. Die tradierte Rechtsprechung zu Gleichstellungsabrede (dazu die Darstellung und die Nachweise im BAG-Urteil vom 14. Dezember 2005 - 4 AZR 536/04 -, unter I.2.a) der Gründe) bedeutet nicht, dass immer dann, wenn nur eine einzelvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vorliegt, alle späteren einschlägigen Tarifverträge aller Art automatisch als mit in Bezug genommen gelten. Vielmehr ist vorrangig wie hier geschehen der Umfang der Bezugnahmeklausel festzustellen (vgl. dazu auch BAG Urteil vom 15. März 2006 - 4 AZR 75/05 -). Von daher ist auch nicht näher auf das bereits angesprochene Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2005 - 4 AZR 536/04 - und die Frage der Reichweite des § 305c Abs. 2 BGB - Unklarheitenregelung - vor dem Hintergrund des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB einzugehen (zur Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB auch BAG Urteil vom 09. November 2005 - 5 AZR/ 128/05 -, dort ohne Einschränkungen) - eines Zurückgreifens auf die Unklarheitenregelung bedarf es nicht.

Die unterlegene Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Revision gegen dieses Urteil wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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