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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 15 Sa 1343/06
Rechtsgebiete: BetrVG 1972


Vorschriften:

BetrVG 1972 § 37 Abs. 2
Zu den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit von Betriebsratstätigkeit, die in Einzelfällen über die Teilfreistellung hinaus ausgeführt wird.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Juni 2006 - 7 Ca 5730/05 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Arbeitszeitkonto des Klägers, des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, der im streitbefangenen Zeitraum (März bis September 2005) für Betriebsratstätigkeit zur Hälfte seiner Arbeitszeit freigestellt war, weitere Zeiten gutzuschreiben, die aus Sicht des Klägers für notwendige Betriebsratstätigkeiten in Einzelfällen aufzuwenden waren.

Der Kläger hat erstinstanzlich insbesondere behauptet, die Zeit seiner hälftigen Freistellung (19,25 Stunden pro Woche zuzüglich einer Pause von 0,5 Stunden) sei im Wesentlichen von Standardtätigkeiten ausgefüllt gewesen: etwa Vorbereitungen von Sitzungen, Teilnahme an Sitzungen, Mitarbeitergespräche, Telefonate und Sprechstunden. Darüber hinaus sei es jedoch erforderlich gewesen, an einzelnen Tagen im Zeitraum von März bis September 2005 weitere Betriebsratstätigkeiten auszuführen. Für die Einzelheiten der Tätigkeiten und deren jeweilige Dauer wird Bezug genommen auf die Seiten 6 bis 10 des Schriftsatzes vom 30. November 2005 (Blatt 54 bis 58 d.A.). Es handele sich um zusammen 37 Stunden, die einer Vergütungssumme von 775,89 Euro entsprächen.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, die am 07. März 2005 für den Betriebsrat geleistete Tätigkeit von 7,5 Stunden als Arbeitszeit seinem Zeitkonto gut zu schreiben,

2. den Beklagten zu verurteilen, die am 04. April 2005, 11. April 2006 sowie am 14. April 2005 für den Betriebsrat

3. geleistete Tätigkeit in Höhe von insgesamt 8 Stunden als Arbeitszeit seinem Zeitkonto gut zu schreiben,

4. den Beklagten zu verurteilen, die am 02. Juni 2005 für den Betriebsrat geleistete Tätigkeit von 5 Stunden als Arbeitszeit seinem Zeitkonto gut zu schreiben,

5. den Beklagten zu verurteilen, die am 22. August 2005 in Höhe von 0,75 Stunden und am 26. August 2005 in Höhe von zwei Stunden, mithin in Höhe von insgesamt 2,75 Stunden für August 2005, als Arbeitszeit seinem Zeitkonto gut zu schreiben, und

6. den Beklagten zu verurteilen, ihm für den 09. September 2005 7,75 Stunden sowie für den 19. September 2005 eine Stunde und für den 22. September 2005 fünf Stunden, mithin insgesamt 13,75 Stunden für den September 2005, als Arbeitszeit seinem Zeitkonto gut zu schreiben

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der klägerische Vortrag sei insgesamt unzureichend.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 28. Juni 2006 (Blatt 72 bis 89 d.A.) den Beklagten antragsgemäß verurteilt, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 775,89 Euro festgesetzt sowie die Berufung zugelassen. Auf dieses Urteil wird zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie bezüglich der Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Beklagten am 05. August 2006 zugestellt worden. Der Beklagte hat dagegen mit Schriftsatz vom 15. August 2006 - beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 16. August 2006 - Berufung eingelegt. Die Berufung ist mit weiterem Schriftsatz, der am 07. September 2006 eingegangen ist, begründet worden.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für unzutreffend. Er steht nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die Klage in vollem Umfang unbegründet sei. Der Kläger habe die Erforderlichkeit ergänzender Betriebsratsarbeit über die Teil-Freistellung im Umfang von 19,25 Wochenstunden hinaus nicht hinreichend dargelegt, wozu insbesondere auf den Beschluss des 7. Senates des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Februar 1997 verwiesen werde. Für den diesbezüglichen zweitinstanzlichen Vortrag des Beklagten im Detail wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 06. September 2006 (Blatt 97 bis 102 d.A.) sowie den Schriftsatz vom 20. November 2006 (Blatt 127 bis 130 d.A.).

Der Beklagte beantragt daher in der Berufungsinstanz,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt - Aktenzeichen: 7 Ca 5730/05 - vom 28 Juni 2006, zugestellt am 07. August 2006, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt demgegenüber,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt unter Auseinandersetzung mit dem zweitinstanzlichen Vortrag des Beklagten und unter Vertiefung des eigenen erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Für den Klägervortrag in der Berufungsinstanz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen (einschließlich der Beweisangebote) wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 09. November 2006 (Blatt 119 bis 126 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass der Beklagte die in den Klageanträgen aufgeführten Stunden (insgesamt 37 Stunden, die einer Vergütungssumme von 775,89 Euro entsprechen) seinem Arbeitszeitkonto gutschreibt, wobei, wie die mündliche Verhandlung vom 28. November 2006 vor der Berufungskammer als unstreitig ergeben hat, das Arbeitszeitkonto ohne Begrenzung auf Kalenderjahre fortlaufend fortgeschrieben wird, so dass diese Stunden im Ergebnis vergütet werden und die gewählte Antragstellung sich als zutreffend erweist.

Der Anspruch gründet sich auf § 616 Satz 1 BGB i.V.m § 611 Abs. 1 BGB, soweit es um den 22. August 2005 geht (0,75 Stunden), nämlich die Teilnahme des Klägers am Gütetermin vor dem Arbeitsgericht im vorliegenden Rechtstreit aufgrund der Anordnung des persönlichen Erscheinens (vgl. dazu Blatt 14 d.A.). Es lag eine unverschuldete Verhinderung des Klägers an der Arbeitsleistung aus Gründen in seiner Person für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit vor. Auf diesen Aspekt war in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006 unwidersprochen hingewiesen worden (vgl. Blatt 132 d.A.). Der Ausspruch "für den Betriebsrat geleistete Tätigkeit" in Ziffer 4 des Urteilstenors des Arbeitsgerichts ist daher insoweit gegenstandslos.

Im Übrigen gründet sich der Anspruch auf § 37 Abs. 2 BetrVG i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB.

Dabei geht es nicht um eine anteilige zusätzliche ständige Freistellung des Klägers über seine Freistellung mit der Hälfte der Arbeitszeit gem. § 38 BetrVG hinaus, eine Frage, mit der sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 12. Februar 1997 - 7 ABR 40/96 - (AP Nr. 19 zu § 38 BetrVG 1972, zu 2. der Gründe) befasst und das insoweit recht strenge Voraussetzungen aufgestellt hat.

Es geht vielmehr allein um die Frage, ob ein teilfreigestelltes Betriebsratsmitglied wie der Kläger Anspruch auf Vergütung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB zusätzlich auch dann hat, wenn es im Einzelfall in der Zeit seiner anderweitigen Tätigkeit Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen hat. Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen (Wedde, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 10. Aufl., § 37 Rz. 43), belastet dies doch den Arbeitgeber erheblich weniger als eine zusätzliche teilweise Dauerfreistellung. Voraussetzung ist natürlich, dass die zusätzliche Arbeitsversäumnis tatsächlich erforderlich war, und dies hat das Betriebsratsmitglied - hier der Kläger - jedenfalls bei begründeten Zweifeln des Arbeitgebers, wie sie der Beklagte bereits erstinstanzlich vorgetragen hat, wie sonst in den Fällen des § 37 Abs. 2 BetrVG substantiiert darzulegen (zum Umfang der Darlegungslast Weber, in: GK-BetrVG, 8. Aufl., § 37 Rz. 49 mit weit. Nachw. aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts).

Da die Vergütung für Betriebratstätigkeit im Einzelfall, die über die Teilfreistellung hinaus erforderlich ist, wie eben angesprochen den Arbeitgeber weniger belastet als eine zusätzliche anteilige Dauerfreistellung, ist es grundsätzlich richtig, die Anforderungen an die Darlegungen bezüglich der Erforderlichkeit nicht so hoch anzusetzen wie im zitierten Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Februar 1997 (a.a.O.) geschehen (Fitting, BetrVG, 23. Aufl., § 38 Rz. 22). Dies korrespondiert damit, dass das Bundesarbeitsgericht zu Recht dem Betriebsrat nicht mehr an Darlegungen aufbürdet als prozessual unabdingbar geboten (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - AP Nr. 105 zu § 37 BetrVG 1972). Die Anforderungen an den Umfang der Darlegung der Erforderlichkeit wird sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu richten haben, nämlich danach, wie die Teilfreistellung geregelt ist und wie sich die zusätzlich wahrzunehmenden Aufgaben dazu verhalten. Dabei mag es sein, dass sich in manchen Fällen die Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit dem zumindest annähern, was das Bundesarbeitsgericht im zitierten Beschluss vom 12. Februar 1997 (a.a.O.) fordert. Hier jedoch bleibt es bei den "normalen" Anforderungen im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG (dazu auch BAG Urteil vom 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - AP Nr. 105 zu § 37 BetrVG 1972).

Dies folgt aus der Tatsache, dass die mündliche Verhandlung als unstreitig ergeben hat, dass der Kläger und der Betriebsrat die halbe Freistellung des Klägers auf bestimmte Zeiten an bestimmten Wochentagen verteilt haben und dass dies vom Beklagten dauerhaft jedenfalls so akzeptiert worden ist. Gibt es eine derartige letztlich einvernehmlich praktizierte ständige Handhabung der Freistellung (auch im Interesse des Arbeitgebers, der dann weiß, wann das teilfreigestellte Betriebsratsmitglied jedenfalls in aller Regel für die Arbeitsleistung zur Verfügung steht), ist es ausreichend, wenn wie geschehen vom Kläger substantiiert und in sich überzeugend dargetan ist, wann, warum und aus welchen Gründen er über die standardisierten Zeiten hinaus Betriebsratstätigkeiten auszuführen hatte - diese Frage ist in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006 ausdrücklich angesprochen worden, wobei vom Vorsitzenden auch deutlich gemacht worden ist, dass diese Frage möglicherweise entscheidende Bedeutung gewinnen könne. Die Frage der Umverteilung bzw. Flexibilisierung der Betriebsratstätigkeiten ansonsten stellt sich zumindest in einer derartigen Konstellation wie hier gegeben nicht.

Der Kläger ist dieser seiner Verpflichtung zur Darlegung im Rahmen des Rechtsstreits nachgekommen, wie dies bereits das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat. Es ist im Detail für die einzelnen Tage nachvollziehbar und auch für Dritte überzeugend dargestellt, wann der Kläger in welchem zeitlichen Umfang welche Tätigkeiten ausgeübt hat und warum der Kläger diese Tätigkeiten auch außerhalb der standardisierten Zeiten seiner Teilfreistellung für erforderlich gehalten hat und halten durfte. Insoweit gibt es nach wie vor keinen substantiierten Gegenvortrag des Beklagten im Detail, so dass für die Entscheidung von dem klägerischen Vortrag auszugehen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO). Soweit der Beklagte speziell die Abwesenheit des Klägers am 07. März 2005 für nicht erforderlich hält (auf Seite 7 des erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 14. Juli 2005 = Blatt 21 d.A.), sind die Darlegungen der Beklagten nicht in der Lage, das, was der Kläger vorträgt, in Frage zu stellen. Die gegen den Klägervortrag von dem Beklagten im Übrigen angeführten Argumente erweisen sich angesichts der dargestellten hier maßgebenden Grundsätze zum Umfang der Darlegungslast bezüglich der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit nicht als durchgreifend.

Der Beklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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