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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.06.2002
Aktenzeichen: 15 Sa 1604/01
Rechtsgebiete: KSchG, ZA-NATO-Truppenstatut, BGB


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
ZA-NATO-Truppenstatut Art. 56 Abs. 1 a
ZA-NATO-Truppenstatut Art. 56 Abs. 8
BGB § 611 Weiterbeschäftigung
Wird die Bundesrepublik Deutschland als Prozessstandschafterin für die Vereinigten Staaten von Amerika auf Weiterbeschäftigung verklagt, stehen einer entsprechenden Verurteilung weder Art. 56 ZA-NATO-Truppenstatut noch die Tatsache entgegen, dass sich die Verurteilung gegen die Prozessstandschafterin richtet.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 15 Sa 1604/01

Verkündet laut Protokoll am 25.06.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 15 in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Dr. Bader als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... Arndt ... und Wilhelm als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. Mai 2001 - 6 Ca 369/00 - wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin wird das genannte Urteil teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Übersetzerin weiterzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung vom 14. Dezember 2000 zum 30. Juni 2001 (Kopie Blatt 4 d.A., worauf für den Wortlaut Bezug genommen wird und woraus sich die Kündigungsgründe ergeben: zusammengefasst wird der Klägerin vorgeworfen, sie sei nicht in der Lage, ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit hinreichend zu erbringen). Außerdem begehrt die Klägerin die Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Kündigung.

Für den erstinstanzlichen Sach- und Streitstand wird Bezug genommen auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 16. Mai 2001 (Blatt 203 bis 205 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2000, der am selben Tage beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 04. Januar 2001 zugestellt worden ist, hat die Klägerin Feststellungsklage bezüglich der genannten Kündigung erhoben. Sie hat vor dem Arbeitsgericht letztlich beantragt,

festzustellen, dass das bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Streitkräfte vom 14. Dezember 2000 beendet worden ist,

und

für den Fall des Obsiegens den Beklagten zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Übersetzerin weiter zu beschäftigen.

Demgegenüber hat die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 16. Mai 2001 (Blatt 202 bis 209 d.A.) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Streitkräfte vom 14. Dezember 2000 nicht beendet worden ist, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat dabei von den Kosten des Rechtsstreits 25 % der Klägerin und 75 % der Beklagten auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf DM 20.396,-- festgesetzt. Auf dieses Urteil wird auch hinsichtlich der Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Das Urteil ist der Klägerin am 11. September 2001 und der Beklagten am 18. September 2001 zugestellt worden. Die Klägerin hat dagegen mit Schriftsatz vom 04. Oktober 2001 - eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 05. Oktober 2001 - Berufung eingelegt. Diese Berufung ist mit weiterem am 29. November 2001 eingegangenem Schriftsatz begründet worden, nachdem auf den Antrag vom 05. November 2001 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 05. Dezember 2001 verlängert worden war. Die Beklagten hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2001 - eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tage - Berufung eingelegt. Diese Berufung ist mit weiterem am 12. Dezember 2001 eingegangenem Schriftsatz begründet worden, nachdem auf den Antrag vom 10. Oktober 2001 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Dezember 2001 verlängert worden war.

Die Beklagte hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts bezüglich der Kündigung für unzutreffend. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die von den US-Streitkräften ausgesprochene Kündigung wirksam sei und das Arbeitsverhältnis der Klägerin beendet habe. Die Klägerin sei mündlich am 03. November 1999 und schriftlich am 07. Juni 2000 wegen der mangelhaften Übersetzungen abgemahnt worden, sie habe aber ihre fehlerhaften Leistungen fortgesetzt. Für die Einzelheiten des diesbezüglichen zweitinstanzlichen Vortrages der Beklagten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (einschließlich der Beweisangebote) wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 10. Dezember 2001 (Blatt 230 bis 235 d.A.).

Die Beklagte beantragt dementsprechend,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. Mai 2001 - 6 Ca 369/00 - die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Klägerin beantragt demgegenüber,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil betreffend die Kündigung unter Auseinandersetzung mit dem zweitinstanzlichen Beklagtenvortrag und unter Intensivierung des eigenen Sachvortrages aus erster Instanz. Sie meint, es habe keine wirksame Abmahnung vorgelegen. Für die Einzelheiten des Vortrages der Klägerin dazu im Berufungsrechtszug in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 27. März 2002 (Blatt 245 bis 246 d.A).

Die Klägerin ist weiter der Ansicht, das Arbeitsgericht habe zur Frage der Weiterbeschäftigung unrichtig entschieden, es habe den Stellenwert der gesetzlichen Prozessstandschaft verkannt. Dazu wird wegen der Details des Vortrags verwiesen auf den Schriftsatz vom 28. November 2001 (Blatt 224 bis 227 d.A.).

Die Klägerin beantragt daher,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. Mai 2001 - 6 Ca 369/00 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, sie bis zur Rechtskraft einer Entscheidung zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Übersetzerin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt diesbezüglich,

die Berufung der Klägerin vom 04. Oktober 2001 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16. Mai 2001 - 6 Ca 369/00 - zurückzuweisen.

Sie tritt der Sichtweise der Klägerin entgegen und verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts in dem klageabweisenden Teil. Sie meint, die Beklagte als Prozessstandschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika könne nicht zur Weiterbeschäftigung verurteilt werden. Für die diesbezüglichen Ausführungen im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 07. Januar 2002 (Blatt 239 bis 241 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die gegen die Kündigung gerichtete Feststellungsklage ist zulässig. Sie ist zutreffend gegen die Beklagte als Prozessstandschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet (Art. 56 Abs. 8 ZA-NATO-Truppenstatut). Das von § 256 Abs. 1 ZPO geforderte Feststellungsinteresse ist - das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist unstreitig anwendbar (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 [in der maßgebenden Fassung] KSchG) - bereits im Hinblick auf die §§ 4 Satz 1, 7 KSchG zu bejahen.

Die nach den Angaben im Tatbestand fristgerecht erhobene Klage (§ 4 Satz 1 KSchG i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO) gegen die Kündigung vom 14. Dezember 2000 ist begründet.

Die von den US-Streitkräften ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, weil sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG).

Dass die Kündigung aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt wäre, lässt sich nicht feststellen. Die der Klägerin angelasteten Fehlleistungen ergeben auch in der Summe und unter Würdigung der vorlegten Unterlagen nicht das Bild, dass sie persönlich und/oder fachlich nicht zur Ausübung der Tätigkeit einer Übersetzerin geeignet wäre. Überdies muss es als fraglich erscheinen, ob die Arbeitgeberin sich auf ein fehlende Eignung beziehen könnte, da sie die Klägerin in dem Wissen, dass sie keine gelernte Übersetzerin ist, entsprechend eingestellt und eingesetzt hat. Die Frage, ob bei einer personenbedingten Kündigung keine Abmahnung zu fordern wäre, kann nach den vorstehenden Ausführungen auf sich beruhen.

Soweit die Kündigung auf Verhaltensgründe - Schlechtleistung - gestützt wird, fehlt es an der erforderlichen vorausgegangen tragfähigen und einschlägigen Abmahnung, die der Klägerin hätte vor Augen führen können, dass sie bei einer Fortsetzung der Fehlleistungen mit einer Kündigung zu rechnen haben würden (vgl. Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG-Kommentar, § 1 KSchG Rz. 190 und § 626 BGB Rz. 25 a mit weit. Nachw.). Dafür, dass eine korrekte Abmahnung keinen Erfolg versprochen hätte, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte (zu dieser Frage Löwisch, KSchG, 8. Aufl., § 1 Rz. 102). Die mündliche Abmahnung vom 03. November 1999 (vgl. dazu den entsprechenden Vermerk als Anlage 2 zum Beklagtenschriftsatz vom 23. Februar 2001 = Blatt 49 d.A.) lässt in ihrer völligen Pauschalität nicht erkennen, welche Fehlleistungen konkret beanstandet und der Klägerin vorgehalten worden sein sollen (insoweit Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG, § 1 Rz. 192), ebenso nicht, dass der Klägerin klar gemacht worden wäre, dass Bestand oder Inhalt des Arbeitsverhältnisses bei Fortsetzung der Fehlleistungen gefährdet sei (dazu etwa BAG Urt. vom 10. November 1988 - 2 AZR 215/88 - EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 18), so dass die erforderliche Warn- und Ankündigungsfunktion der Abmahnung hiermit nicht erfüllt war. Die Abmahnung vom 07. Juni 2000 wegen Nichtbefolgung der schriftlichen dienstlichen Anordnung vom 10. Januar 2000 (Kopie Blatt 127/128 d.A., Anlage 6 zum Beklagtenschriftsatz vom 23. Februar 2001) betrifft sonstige Dienstpflichten, aber nicht Fehlleistungen in Übersetzungen, also nicht denselben Pflichtenkreis (dazu Hess. LAG Urt. vom 07. Juli 1997 - 16 Sa 2328/96 - ARSt 1998, 131), so dass sie deswegen nicht die gebotene Warn- und Ankündigungsfunktion erfüllen konnte. Die weitere Abmahnung vom 07. Juni 2000 wegen der Arbeitsleistungen (Kopie Blatt 123/124 d.A., Anlage 5 zum Beklagtenschriftsatz vom 23. Februar 2001) schließlich enthält gleichfalls keine hinreichend konkreten Beanstandungen von Fehlleistungen, so dass sie ebenfalls ihre Funktion nicht erfüllen konnte. Es werden darin weithin nur pauschale zusammenfassende Vorwürfe gemacht, ohne diese konkret darzustellen oder jedenfalls an Hand von Beispielsfällen zu belegen. Soweit die Frage der Groß- und Kleinschreibung angesprochen ist, bleibt zu undeutlich, was eigentlich gerügt werden soll.

Die Berufung der Klägerin ist gleichfalls zulässig, und sie hat auch in der Sache Erfolg.

Da die Klägerin mit dem Feststellungsantrag obsiegt, hat die Klägerin Anspruch auf Weiterbeschäftigung - diese ist im Antrag und im Tenor ausreichend klar und konkret umschrieben (Die geschuldete Tätigkeit als Übersetzerin bei der Militärpolizeistation in Gießen und die Vergütung in Höhe von DM 5.099,-- brutto pro Monat stehen fest) - bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung (BAG GS vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9). Entgegenstehende und überwiegende schutzwürdige Arbeitgeberinteressen sind nicht erkennbar.

Die für die US-Streitkräfte bestehenden Sonderregelungen stehen dem nicht entgegen. Art. 56 Abs. 1 c ZA-NATO-Truppenstatut, der den Ausschluss der tatsächlichen Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern vorsah, ist gestrichen, und Art. 56 - vgl. zunächst dessen Abs. 1 a - ZA-NATO-Truppenstatut sieht weder selbst Einschränkungen hinsichtlich des (Weiter-)Beschäftigungsanspruchs vor, noch sind derartige Einschränkungen im entsprechenden Abschnitt des Unterzeichnungsprotokolls enthalten (vgl. dazu auch KR-Weigand, 6. Aufl., Art. 56 NATO-ZusAbk Rz. 31).

Im Übrigen ist die Beklagte als Prozessstandschafterin (Art. 56 Abs. 8 Satz 1 und 2 ZA-NATO-Truppenstatut) entsprechend zu verurteilen. Zwar kann die Beklagte, wie sie zu Recht feststellt, die Klägerin nicht selbst beschäftigen, doch ist dies ja auch gar nicht das Ziel der Weiterbeschäftigungsklage der Klägerin. Es führt aber die Beklagte den Prozess an Stelle der Vereinigten Staaten von Amerika, und damit kann sich eine Verurteilung nur gegen die Beklagte richten, und sie muss dies auch, soll effektiver Rechtsschutz gewährt werden. Das ändert nichts daran, dass materiell verpflichtet die Vereinigten Staaten von Amerika sind und bleiben, und erforderlichenfalls muss die Beklagte das in ihrer Macht Stehende tun, um die Vereinigten Staaten von Amerika zur Erfüllung der Weiterbeschäftigungsverpflichtung anzuhalten (parallel BAG Urt. vom 29. Januar 1986 - 4 AZR 479/84 - AP Nr. 2 zu § 48 TVAL II mit zust. Anm. Beitzke; vgl. auch GK-ArbGG/Bader, § 11 Rz. 41; KR-Weigand, 6. Aufl., Art. 56 NATO-ZusAbk Rz. 31 mit weit. Nachw.). Nähere Ausführungen zur Frage der Vollstreckung sind hier nicht geboten (dazu etwa BAG Urt. vom 15. Mai 1991 - 5 AZR 115/90 - EzA § 1004 BGB Nr. 3).

Die Beklagte hat als die insgesamt unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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