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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.09.2003
Aktenzeichen: 15 Sa 309/03
Rechtsgebiete: TVG, VTV-Bau 1999


Vorschriften:

TVG § 1 Tarifverträge: Bau
TVG § 4 Abs. 2
TVG § 5 Abs. 4
VTV-Bau 1999 § 1 Abs. 2 Abschn. II
VTV-Bau 1999 § 1 Abs. 2 Abschn. VII
VTV-Bau 1999 § 21
Zur Frage der Tarifpluralität und zur Frage nach dem spezielleren Tarifvertrag (anders als von BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - § 1 TVG Tarifverträge: Bau hier der VTV-Bau nicht als der speziellere Tarifvertrag gesehen).
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes ! Urteil

Aktenzeichen: 15 Sa 309/03

Verkündet laut Protokoll am 16. September 2003

In dem Berufungsverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 15, in F auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2003 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. B, als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter E und den ehrenamtlichen Richter S als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts W vom 11. Dezember 2002 - 6 Ca 1007/02 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob der Beklagte dem Kläger Auskünfte bezüglich gewerblicher Arbeitnehmer für den Zeitraum von März 2001 bis Mai 2002 einschließlich zu erteilen und ob er dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Auskunftserteilung eine Entschädigung in Höhe von 16.450,-- Euro (aus Sicht des Klägers etwa 80 % der mutmaßlichen Beiträge) zu zahlen hat.

Der Kläger in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit ist die tarifvertraglich bestimmte Einzugsstelle aller Sozialkassen des Baugewerbes; er führt das gemeinsame Beitragskonto eines jeden tarifunterworfenen Arbeitgebers, und im Hinblick darauf sind ihm die baugewerblichen Arbeitgeber auskunftspflichtig.

Der Beklagte unterhält einen Betrieb, in dem in den Jahren 2001 und 2002 arbeitszeitlich überwiegend vorgefertigte Türen und Fenster aus anderen Materialien als aus Holz auf Baustellen eingebaut wurden. Seit dem 01. März 2001 ist er Mitglied des Wirtschaftsverbandes H.

Dieser hat unter dem Datum des 30. Juni 1995 mit der IG Metall einen Manteltarifvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk - Saar - abgeschlossen (nachfolgend: MTV). Für den vollständigen Wortlaut dieses Tarifvertrages, der für die Jahre 2001 und 2002 ungekündigt galt, wird auf die zu den Gerichtsakten gereichte Kopie (Blatt 6 bis 11 d.A.) Bezug genommen. Der Tarifvertrag erfasste alle Lohn- und Gehaltsempfänger des Tischlerhandwerks, soweit nicht speziellere Tarifverträge vorgehen, und galt räumlich für das Gebiet des Saarlandes. Der fachliche Geltungsbereich war wie folgt festgelegt:

"für alle Betriebe des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks (Tischler-/Schreinerhandwerk) und den Betrieben der Handwerksordnung, Anlage B, Nr. 24 und 50 (Einbau von genormten Baufertigteilen und Bestattern), soweit diese Mitglied des Wirtschaftverbandes sind."

Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, der Betrieb des Beklagten sei in den Jahren 2001 und 2002 dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) - vgl. § 1 Absatz 2 VTV - in den für den genannten Zeitraum maßgeblichen jeweiligen Fassungen, in welchen der VTV durchgehend für allgemeinverbindlich erklärt worden war, unterfallen. Ein Fall von Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität sei nicht gegeben. Zunächst fielen unter die Anlage B Nr. 24 der Handwerksordnung nur holzverarbeitende Betriebe. In jedem Falle aber handele es sich bei dem VTV um den spezielleren Tarifvertrag, da dieser auf Betriebe zugeschnitten sei, die Arbeitnehmer auf wechselnden Baustellen beschäftigten.

Der Kläger hat erstinstanzlich nach der Verbindung zweier Rechtsstreite (mit den Aktenzeichen 6 Ca 1007/02 und 6 Ca 2275/02) unter dem führenden Aktenzeichen 6 Ca 1007/02 mit Beschluss vom 11. Dezember 2002 (Blatt 70 d.A.) letztlich beantragt,

die Beklagtenseite zu verurteilen,

1. ihm auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung -(SGB VI) Versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten von März 2001 bis Mai 2002 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind,

2. für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an ihn folgende Entschädigung zu zahlen:

16.450,-- Euro.

Demgegenüber hat der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, nicht auskunftspflichtig zu sein. Er hat sich darauf berufen, dass der MTV anwendbar und der speziellere Tarifvertrag sei, womit der VTV nicht zur Anwendung komme. Außerdem sei der eingeklagte Betrag zu hoch, die entsprechende Bruttolohnsumme sei erheblich geringer gewesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11. Dezember 2002 (Blatt 92 bis 101 d.A.) die Klage abgewiesen. Dabei hat es die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 16.450,-- Euro festgesetzt. Auf dieses Urteil wird zur weiteren Darstellung des Sach- und Streit Standes und auch bezüglich der Entscheidungsgründe Bezug genommen: Das Arbeitsgericht hat den MTV für anwendbar erachtet und ihn als den spezielleren Tarifvertrag angesehen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Kläger am 06. Februar 2003 zugestellt worden. Dieser hat dagegen mit Schriftsatz vom 24. Februar 2003, der am 28. Februar 2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 06. April 2003 - eingegangen per Fax am 07. April 2003 (= Montag) - begründet.

Der Kläger hält das Urteil des Arbeitsgerichts für unzutreffend. Er hält an seiner Auffassung fest, dass der Beklagte auskunftspflichtig sei. Der Kläger verweist zunächst darauf, dass Nr. 24 der Anlage B der Handwerksordnung unter der "Gruppe der Holzgewerbe" aufgeführt sei, womit die arbeitszeitlich überwiegenden und nicht auf Holzteile bezogenen Tätigkeiten im Betrieb des Beklagten nicht erfasst würden. Außerdem sei der VTV in jedem Falle der speziellere Tarifvertrag. Für die Einzelheiten des Vertrages des Klägers im Berufungsrechtszug in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 06. April 2003 (Blatt 115 bis 118 d.A.).

Der Kläger beantragt demgemäß im Berufungsrechtszug,

das Urteil des Arbeitsgerichts W vom 11. Dezember 2002 - 6 Ca 1007/02 - abzuändern und den Beklagten nach den zuletzt gestellten klägerischen Anträgen I. Instanz zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt demgegenüber,

die Berufung voll umfänglich zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt im Ergebnis unter Auseinandersetzung mit dem zweitinstanzlichen Klägervortrag das angefochtene Urteil. Er sieht sich nach wie vor nicht als auskunftspflichtig. Für den Vortrag des Beklagten im Berufungsrechtszug in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 09. Mai 2003 (Blatt 120 bis 123 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Der Anspruch auf Auskunft könnte sich allein auf § 21 Abs. 1 und 3 VTV (i.V.m. §§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG) gründen, doch lässt sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer nicht festzustellen, dass der Betrieb des Beklagten in den Jahren 2001 (ab dem 01. März 2001) und 2002 dem VTV unterfallen wäre: Ein spezieller Tarifvertrag hat den VTV auf Grund von Tarifpluralität verdrängt.

Zwar ist nach dem beiderseitigen Vortrag zunächst unproblematisch davon auszugehen, dass der Betrieb des Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 an sich dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV (§ 1 Abs. 2 VTV) unterfiel.

Nach § 1 Abs. 2 VTV unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages "Betriebe des Baugewerbes". Das sind u.a. solche Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt 1) oder Betriebe, die - soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst - nach ihrer durch die Art d er betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen - der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt II) oder die gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt III).

Zu den erfassten betrieblichen Tätigkeiten zählen u.a. die in § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV aufgeführten Tätigkeiten.

Nach demerkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien ist danach ein Betrieb dem Baugewerbe im tariflichen Sinne dann zuzuordnen, wenn seine betrieblichen Tätigkeiten entweder in der Einzelaufstellung (§ 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV) genannt sind oder unter die allgemeinen Bestimmungen der Abschnitte I bis III des § 1 Abs. 2 VTV fallen (ständige Rechtsprechung seit BAG AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Ob ein Betrieb unter den vorbeschriebenen Geltungsbereich der Bautarifverträge fällt, richtet sich dabei danach, ob arbeitszeitlich überwiegend bauliche Tätigkeiten oder baufremde Arbeiten im Sinne des Tarifvertrages erbracht werden; nicht maßgeblich sind dagegen Wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz oder Verdienst oder handels- oder gewerberechtliche Kriterien (vgl. etwa BAG AP Nr. 13, 24, 81, 82, 87, 88 und 123 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 11. Dezember 1996 - 10 AZR 376/96 - AP Nr. 199 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Dabei wiederum ist von der überwiegenden Arbeitszeit innerhalb eines Kalenderjahres auszugehen, soweit sich die Tätigkeiten des Betriebes mindestens über ein Kalenderjahr erstrecken (vgl. BAG A P Nr. 82 und 106 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Sofern arbeitszeitlich überwiegend eine oder mehrere der in den Bespielen des Abschnitts V des § 1 Abs. 2 VTV genannten Tätigkeiten ausgeführt werden, ist nicht mehr zu prüfen, ob die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis II des § 1 Abs. 2 VTV erfüllt sind (BAG Urteil vom 11. Dezember 1996 - 10 AZR 376/96 - AP Nr. 199 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Im Übrigen ist die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV zu beachten, wonach bestimmte Betriebe vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen sind.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien unterfiel der Betrieb des Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 § 1 Abs. 2 VTV, wobei ein Wille der Tarifvertragsparteien des VTV, anderweitig an speziellere Tarifverträge gebundene Arbeitgeber nicht zu erfassen, nicht ersichtlich ist (BAG Urteil vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 611/92 -AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Die in den Jahren 2001 und 2002 jeweils arbeitszeit lieh überwiegend ausgeführten Tätigkeiten werden, soweit sie nicht ohnehin als Trocken- und Montagebauarbeiten oder Fertigbauarbeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 13 und 37 VTV einzustufen sind, jedenfalls von § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV erfasst. Der Vortrag der Parteien ergibt im Übrigen ungeachtet der darin geregelten Rückausnahme nichts für ein Eingreifen des Ausnahmetatbestandes in § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 11 VTV. Nach dem Vortrag der Parteien bestand die Betriebstätigkeit lediglich aus der Montage von Türen und Fenstern. Sieht man diese Tätigkeiten als Tätigkeiten, die sowohl § 1 Abs. 2 VTV als auch dem Schreinerhandwerk zuzuordnen sind, d.h. als sog. "Sowohl-als-auch"-Tätigkeiten (zu deren rechtlicher Behandlung etwa BAG Urteil vom 16. Mai 2001 - 10 AZR 438/00 -), ist nicht ersichtlich, dass mindestens 20 % der Gesamtarbeitszeit an typischen Schreinerhandwerkstätigkeiten angefallen sind, dass die Arbeiten zu mindestens 20 % von gelernten Arbeitnehmern des Schreinerhandwerks ausgeführt worden sind oder ein entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann - z.B. einen Meister - des Schreinerhandwerks bestand (dazu etwa BAG Urteil vom 23. August 1995 - 10 AZR 105/95 - EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 79; BAG Urteil vom 22. Januar 1997 - 10 AZR 223/96 - BAGE 85, 81 ff.).

Der Betrieb des Beklagten wurde jedoch ab dem 01. März 2001 darüber hinaus vom fachlichen (betrieblichen) Geltungsbereich des MTV erfasst, wobei es insoweit nicht darauf ankommt, ob auch typische Tätigkeiten des Schreinerhandwerks ausgeführt wurden. Es geht hier anders als bei der Abgrenzung im Rahmen des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV nur darum, ob die ausgeführten Tätigkeiten vom fachlichen Geltungsbereich des fraglichen Tarifvertrages erfasst werden.

Die vom Betrieb des Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 jeweils arbeitszeitlich überwiegend ausgeführten Tätigkeiten fielen unter Nummer 24 der Anlage B zur Handwerksordnung. Zwar ist als Überschrift das Holzgewerbe angesprochen, doch bezieht sich dies auf die historisch gewachsene Abgrenzung, nicht aber darauf, dass damit ausschließlich Arbeiten an oder mit Holz erfasst werden. Dies folgt daraus, dass im Schreinerhandwerk mittlerweile gerichtsbekannt auch im Bereich der typischen Schreinertätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang das Holz durch andere Materialien ersetzt worden ist, womit es korrespondiert, dass der MTV das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk erfasst. Es sind unter Würdigung des klägerischen Vertrags keine tragfähigen Gründe dafür ersichtlich, warum das nicht entsprechend zu gelten hat, soweit es um die Anwendung der Nummer 24 der Anlage B der Handwerksordnung geht und soweit - wie hier - der Einbau von Fenstern und Türen betroffen ist. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts auf den Seiten 6 und 7 oben des angefochtenen Urteils (Blatt 97/98 d.A.).

Der MTV war, wie die Angaben im Tatbestand belegen, auch nach seinem räumlichen und persönlichen Geltungsbereich einschlägig. Diesen Tarifvertrag hatte auf Arbeitgeberseite der W abgeschlossen, und diesem gehört der Beklagte ab dem 01. März 2001 an.

Damit war der Beklagte für die Jahre 2001 und 2002 kraft Allgemeinverbindlichkeit (§§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG) an den VTV gebunden, andererseits ab dem 01. März 2001 kraft Verbandszugehörigkeit an den MTV: Es war eine Situation von sog. Tarifpluralität entstanden, die dahingehend aufzulösen ist, dass nach dem Grundsatz der Spezialität dem sachnäheren Tarifvertrag der Vorzug zu geben ist und damit der sachfremdere Tarifvertrag zurücktreten muss (bislang gefestigte Rechtsprechung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts: BAG Urteil vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 611/92 - AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, zu 4 der Gründe; ebenso BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau). Insoweit kommt es bezüglich des fachlichen/betrieblichen Geltungsbereichs auf gesamten tarifvertraglich vorgesehenen Geltungsbereich an (BAG Urteil vom 26. Januar 1994, a.a.O., zu 5 der Gründe). Die Regelungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes vermögen an diesen Grundsätzen nichts zu ändern (vgl. dazu auch den Schlussabsatz der Entscheidungsgründe).

Als der speziellere Tarifvertrag ist der MTV anzusehen, wenngleich beide Tarifverträge gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte sowie Auszubildende erfassen und sich daher vom persönlichen Geltungsbereich her die Frage, welches der speziellere Tarifvertrag ist, nicht klar beantworten lässt.

Zwar erfasst der MTV durch die umfassende Einbeziehung des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks einen von Material und Tätigkeitsbereichen her durchaus weiten Bereich. Andererseits bezieht er sich auf den räumlich engeren Bereich - dies ist durchaus von Bedeutung, wobei es keine Rolle spielt, dass die beiden Tarifverträge von unterschiedlichen Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden sind (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) -, und es ist in Rechnung zu stellen, dass der VTV seinerseits gem. § 1 Abs. 2 Abschnitt IV auch das Aufstellen von Gerüsten und Bauaufzügen sowie Bauten- und Eisenschutzarbeiten und technische Damm-(Isolier-)Arbeiten u.a. an und auf Land-, Luft- und Wasserfahrzeugen erfasst. Weiter muss man berücksichtigen, dass gem. § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV u.a. folgende Arbeiten erfasst werden: Aptierungs- und Drainierungsarbeiten (einschließlich Grabenräumungs- und Faschinierungsarbeiten), Brunnenbauarbeiten, chemische Bodenverfestigungen, Erdbewegungsarbeiten (einschl. z.B. Wegebauarbeiten, Deichbauarbeiten und Sportanlagenbau), Gleisbauarbeiten, Kanalbauarbeiten, Rammarbeiten, Tunnelbauarbeiten, Spreng-, Abbruch- und Entrümmerungsarbeit en und schließlich Wasserwerksarbeiten, Wasserhaltungsarbeiten, Wasserbauarbeiten (z.B.: Wasserstraßenbau, Wasserbeckenbau und Schleusenanlagenbau).

Angesichts dessen ist der vom MTV erfasste Bereich der engere und speziellere, der weniger umfassende Bereich, was auch angesichts des Ausnahmekatalogs des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV gilt (zu diesem Argument BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) - dieser Ausnahmekatalog nimmt im Übrigen nach seiner Fassung gerade nicht bestimmte Tätigkeiten aus, sondern nur bestimmte Betriebe, wenn in ihnen arbeitszeitlich mehr als 50 % an dem Ausnahmegewerk zuzuordnenden Tätigkeiten verrichtet werden. Der MTV kann damit besser auf die spezifischen Fragen im erfassten Bereich eingehen als der bundesweit geltende VTV mit seinem angesprochenen Geltungsbereich (vgl. zu dieser Begründung BAG Urteil vom 24. Januar 1990 - 4 AZR 561/89 - AP Nr. 126 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 611/92 - AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Er bezieht sich primär auf die Verarbeitung von Holz bzw. auf die Verarbeitung anderer Werkstoffe an der Stelle von Holz oder in Verbindung damit, ist also schon von daher vom Ansatz enger als der VTV, auch wenn die Palette der verarbeiteten Materialien im Ergebnis nahezu so breit wie im VTV-Bereich sein mag und auch wenn etwa Wohnwagenbau und der Innenausbau von Verkehrs- und Transportmitteln ebenfalls erfasst werden können (vgl. entsprechend Kammerurteil vom 10. Dezember 2002 - 15 Sa 252/02 - ). Und anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht am 25. Juli 2001 entschiedenen Fall (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 -AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) erfasst der MTV nicht etwa auch reine Handelsbetriebe.

Ebenfalls anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht am 25. Juli 2001 entschiedenen Fall (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) lässt sich die Eigenschaft des VTV (i.V.m. dem BRTV) als des spezielleren Tarifvertrags auch nicht damit begründen, dass der MTV anders als der BRTV nur vergleichsweise "dünne" Regelungen für Montagearbeiten außerhalb des Betriebs enthalte. Auf Seite 11 unter Ziffer X (Blatt 11 d.A.) enthält der MTV durchaus detaillierte Regelungen zu diesem Fragenkreis, und es ist auch angesichts der einschlägigen BRTV-Regelungen nicht zu sehen, dass dies nicht die sachgerechte, auf die erfassten Betriebe zugeschnittene Regelung sein soll. Wenn Parallelregelungen zu §§ 9 und 14 BRTV fehlen, spricht dies dafür, dass die MTV-Tarifvertragsparteien derartige Regelungen für ihren Bereich nicht für erforderlich gehalten haben. Die vom Kläger angeführten Unterschiede in den Urlaubsregelungen des VTV einerseits und des MTV andererseits sind schließlich nicht geeignet, das gewonnene Gesamtergebnis in Frage zu stellen.

Jedenfalls aber lässt sich angesichts des sehr umfassenden VTV-Geltungsbereichs in der gebotenen Gesamtwürdigung nicht konstatieren, dass der VTV der speziellere Tarifvertrag sein könnte (anders das BAG im Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 -AP Nr. 242 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau.), und wollte man von einer verbleibenden unklaren Situation ausgehen, müsste dann der engere räumliche Geltungsbereich den Ausschlag geben, hier also wiederum zu Gunsten des MTV.

Da kein Anspruch auf Auskunft gegeben ist, entfällt auch der daran geknüpfte Entschädigungsanspruch.

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Revision gegen dieses Urteil wird gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht soll auf diese Weise Gelegenheit bekommen, die ansatzweise im Urteil vom 25. Juli 2001 (BAG Urteil vom 25. Juli 2001 - 10 AZR 599/00 - AP Nr. 242 zu § 1 Tarifverträge: Bau) dargestellte Sichtweise weiterzuenrwickeln. Daneben besteht damit gegebenenfalls die Möglichkeit, die Frage der Tarifpluralität erneut aufzugreifen und die Auswirkungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes, dies bislang ohne fundierte Aufarbeitung des Problemkreises vom 9. und vom 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts unterschiedlich gesehen werden, zu klären.

Ende der Entscheidung

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