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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.03.2003
Aktenzeichen: 16 Sa 1220/02
Rechtsgebiete: GG, TVG, GWB, EG, VTV/Maler


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
TVG § 5
GWB § 1
EG Art. 81
VTV/Maler § 1 II
1. Die Herausnahme von im Saarland ansässigen Betrieben aus dem räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk v. 23.11.1992 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Die tarifvertraglichen Regelungen des VTV/Maler verstoßen weder gegen § 1 GWB noch gegen das europarechtliche Kartellverbot des Art. 81 EG (früher Art. 85 EGV)


Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 16 Sa 1220/02

Verkündet laut Protokoll am 10. März 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 16, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... Hattesen als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Kroth und die ehrenamtliche Richterin Tonn als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 18.06.2002 - Ca 2528/01 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Auskunftsverpflichtungen der Beklagten nach den Tarifverträgen für das Maler- und Lackiererhandwerk.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Maler- und Lackiererhandwerks; seine Aufgabe besteht u.a. darin, von den tarifunterworfenen Arbeitgebern Beiträge für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen an Urlaubsentgelt sowie Urlaubsgeld und Zusatzversorgung einzuziehen. In diesem Zusammenhang sind die tarifunterworfenen Arbeitgeber dem Kläger monatlich sowohl zur Erteilung der zur Berechnung der Beitragszahlungen erforderlichen Auskünfte wie zur Beitragszahlung verpflichtet.

Der Beklagte unterhält einen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks mit Sitz in ...

Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte schulde ihm entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen Auskunftserteilung hinsichtlich der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. dem Kläger auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft zu erteilen

a) über die Zahl der im Betrieb der Beklagten in dem Monat April 2001 beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die eine nach den Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter in der jeweils gültigen Fassung versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten,

b) über die Höhe der Bruttolohnsummen, die den gewerblichen Arbeitnehmern insgesamt in dem genannten Monat gezahlt wurden und über die Höhe der fällig gewordenen Beiträge;

2. dem Kläger auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft zu erteilen

a) über die Zahl der im Betrieb der Beklagten in dem Monat April 2001 beschäftigten technischen und kaufmännischen Angestellten, die eine nach den Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten in der jeweils gültigen Fassung Versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten,

b) über die Höhe der fällig gewordenen Beiträge für die technischen und kaufmännischen Angestellten;

3. für den Fall, dass die Beklagte die Auskunft nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erteilt, an den Kläger folgende Entschädigung zu zahlen:

zu Nr. 1.: € 3.037,07 zu Nr. 2.: € 26,59 Gesamtbetrag: € 3.063,66

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, sie sei nicht beitragsverpflichtet, weil die tarifvertraglichen Regelungen deshalb unwirksam seien, weil Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks, die ihren Betriebssitz im Saarland hätten, nicht zu Beitragszahlungen verpflichtet seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 18.06.2002 stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 12 - 19 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 10.03.2003 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Sie verfolgt ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter und trägt vor, die tarifvertraglichen Regelungen verstießen sowohl gegen nationales Recht wie gegen Europarecht.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung, verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertieft seine Auffassung, wonach Bedenken gegen die Wirksamkeit der tarifvertraglichen Regelungen nicht beständen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 10.03.2003 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) keinerlei Bedenken. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur begehrten Auskunftserteilung verurteilt.

Anspruchsgrundlage für das Auskunftsverlangen ist § 5 Nr. 2 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk (VTV/Maler) vom 23.11.1992 in der für das Kalenderjahr 2001 gültigen Fassung. Die in dieser Tarifnorm bezeichneten Auskünfte schuldet die Beklagte, weil der VTV/Maler für sie im Klagezeitraum galt. Ob die Beklagte Mitglied einer der tarifvertragschließenden Verbände des VTV/Maler war oder ist spielt keine Rolle. Denn der VTV/Maler war schon immer für allgemeinverbindlich erklärt, so dass seine Rechtsnormen auch für die nicht tarifunterworfenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten (§§ 5 Abs. 4, 4 Abs. 2 TVG). Die Beklagte unterhielt im Klagezeitraum unstreitig auch einen Betrieb, der unter den betrieblichen Geltungsbereich des § 1 II VTV/Maler fiel. Ihre danach bestehende Auskunftsverpflichtung hat sie bislang nicht erfüllt.

Entgegen der Ansicht der Beklagten bestehen gegen die Wirksamkeit der tarifvertraglichen Regelungen keine Bedenken.

Die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene und durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung übernommene Herausnahme der im Saarland ansässigen Betriebe aus dem räumlichen Geltungsbereich des VTV/Maler verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Tarifvertragsparteien sind im Hinblick auf die Regelung des Geltungsbereichs eines Tarifvertrages wegen der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend frei. Der Staat darf den Koalitionen keinen Regelungsauftrag für bestimmte Regelungsgebiete, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes mit auf den Weg geben (vgl. MünchArbR/Löwisch/Rieble, Band 3, 2. Aufl. 2000, § 246 RdZiff. 97). Denn die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch einen Handlungsrahmen der Tarifvertragsparteien. Dieser ist aber nur gewährleistet, wenn Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei entscheiden können, welchen Geltungsbereich sie ihren tariflichen Regelungen zugrunde legen wollen, d.h. auch, für welches räumliche Gebiet sie bestimmte Regelungen schaffen wollen. Begrenzt wird diese Regelungsfreiheit allein durch das Willkürverbot, das verletzt ist, wenn für die Unterschiedlichkeit der Regelung keinerlei plausible Erklärung möglich erscheint (vgl. BAG 30.08.2000, NZA 2001, 613).

Die Tarifvertragsparteien haben dadurch, dass sie Betriebe mit Sitz im Saarland von Auskunfts- und Beitragspflichten gegenüber dem Kläger ausgenommen haben, den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Die Herausnahme des Saarlandes aus dem räumlichen Geltungsbereich des VTV/Maler hat, wie das Arbeitsgericht zutreffend unter Bezugnahme auf die Entscheidung des LAG Frankfurt am Main vom 05.06.1973 (3 Sa 112/72) ausgeführt hat, historische Gründe, nämlich die durch die Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg bedingten Besonderheiten des Wirtschaftsstatusses des Saarlandes mit seiner engen Verbindung zur benachbarten französischen Wirtschaftszone. Bereits das schließt die Annahme von Willkür aus, zumal die Tarifvertragsparteien des Maler- und Lackiererhandwerks für Betriebe im Saarland eigene Tarifverträge abgeschlossen, also von ihrer Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht haben.

Weil die tarifvertragliche Regelung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, tut es auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht. Denn durch diese werden lediglich Normen des Tarifvertrages auf Außenseiter erstreckt und so der Personenkreis der Normunterworfenen über die durch Mitgliedschaft in den tarifvertragschließenden Verbänden markierten subjektiven Grenzen der Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien hinaus erweitert (vgl. BVerfG 24.05.1977, AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Allein diese Erstreckung kann zu keinem Gleichheitsverstoß führen, wenn der Tarifvertrag selbst nicht gleichheitswidrig ist. Die im Tarifvertrag vorgenommene, nicht zu beanstandende Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs setzt sich nämlich lediglich für die nicht Organisierten fort (vgl. BAG 23.11.1988, AP Nr. 100 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Kammerurteil vom 15.10.2001 - 16 Sa 1148/01).

Die tarifvertraglichen Regelungen verstoßen auch nicht gegen § 1 GWB. Denn der Gesetzgeber des GWB hat den Arbeitsmarkt mit der Formulierung des § 1 "Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen" bewusst aus dem Gesetz ausgenommen und damit zudem einem verfassungsrechtlichen Gebot Genüge geleistet (vgl. BAG 27.06.1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MünchArbR/Löwisch/Rieble, a.a.O., § 247 RdZiff. 6). Entsprechendes gilt für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung.

Die tarifvertragliche Regelung und ihre Allgemeinverbindlichkeitserklärung verstoßen auch nicht gegen europarechtliche Bestimmungen. Tarifverträge zwischen Vereinigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern unterfallen nicht dem europarechtlichen Kartellverbot. Ein Verstoß von Tarifverträgen gegen Art. 81 EG (früher Art. 85 EGV) scheidet aus, weil die EU- weit anerkannte Tarifautonomie zwangsläufig wettbewerbsrechtliche Folgewirkungen zeigt und jede Kartellkontrolle die sozialpolitische Kompetenz der Tarifpartner in Frage stellte (vgl. EuGH 21.09.1999, NZA 2000, 201 "Stichting"; vgl. auch BAG 28.03.1990, AP Nr. 25 zu § 5 TVG). Nichts anderes gilt bezüglich der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Denn durch diese macht der Staat lediglich von seiner, dem europäischen Kartellrecht entrückten sozialpolitischen Kompetenz Gebrauch (vgl. EuGH 21.09.1999, a.a.O.; MünchArbR/Löwisch/Rieble, a.a.O., § 247 RdZiff. 16).

Soweit die Beklagte demgegenüber meint, das europarechtliche Kartellverbot müsse nur im Hinblick auf Vereinbarungen von Tarifvertragsparteien über Löhne und Arbeitsbedingungen beiseite treten und daraus folgert, das Kartellverbot gelte für die hier in Rede stehenden tarifvertraglichen Vorschriften, übersieht sie, dass es sich bei den Leistungen der tarifunterworfenen Arbeitgeber an den Kläger der Sache nach um Leistungen für die Arbeitnehmer handelt, weil der Kläger keine andere Funktion hat als die einer überbetrieblichen Verrechnungsstelle (vgl. Kammerurteil vom 20.08.1990 - 16 Sa 281/90). Das bedeutet nichts anderes, dass durch die tarifvertraglichen Regelungen über das Sozialkassenverfahren im Maler- und Lackiererhandwerk im Ergebnis nichts anderes als die Arbeitsbedingungen der in dieser Branche beschäftigten Arbeitnehmer - unter Einschaltung einer gemeinsamen Einrichtung - geregelt werden.

Entsprechend ist die Beklagte zur Erteilung der geforderten Auskünfte verpflichtet. Der Ausspruch über die Entschädigungssumme beruht auf § 61 Abs. 2 ArbGG. Der Höhe nach entspricht der Betrag nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers ca. 80% der mutmaßlichen Beiträge. Das ist ausreichend und angemessen (vgl. BAG 19.07.2000, AP Nr. 232 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision war nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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