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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 16 Sa 1486/07
Rechtsgebiete: TVG, VTV/Bau


Vorschriften:

TVG § 1
VTV/Bau § 1 Abs. 2
Ein Betrieb, von dem durch sog. Partliner Kanalrohrsanierungen durchgeführt werden, fällt unter den betrieblichen Geltungsbereich der Bautarifverträge.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 4. Juli 2007 - 7 Ca 2556/06 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Zahlungsverpflichtungen des Beklagten nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes für den Zeitraum Januar 2003 bis November 2004 sowie Januar bis Oktober 2005.

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Der Beklagte unterhielt bis jedenfalls Oktober 2006 einen Betrieb, von dem Kanalrohrsysteme überwacht, gereinigt und saniert wurden. Dabei wurden Abwasserkanalrohre mit Hilfe einer in Kanalschächten eingelassenen ferngesteuerten Videokamera auf etwaige Schäden überprüft, verunreinigte Abwasserkanalrohre mit Hochdruckwassergeräten durchspült und von etwaigen Hindernissen befreit, Undichtigkeiten an den Rohren mit einem in das Rohrsystem eingeführten sog. Partliner beseitigt und mit Hilfe eines in den Kanal eingelassenen, mit einem Fräskopf ausgestatteten ferngesteuerten Geräts Einwachsungen und Ablagerungen beseitigt. Zur Winterbauförderung wurde der Beklagte nicht herangezogen.

Die Klägerin hat in zwei vom Arbeitsgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtsstreiten die Ansicht vertreten, der Beklagte habe im gesamten Klagezeitraum einen baugewerblichen Betrieb im Sinne der Bautarifverträge unterhalten, weil vom Betrieb des Beklagten in allen Kalenderjahren des Klagezeitraums zu mehr als 50% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Kanalsanierungsarbeiten durchgeführt worden seien und zwar mittels Partlinersystemen in der Form des Abfräsen von in das Abflussrohr hineinragender Teile, des Entfernens von Wurzeleinwuchs und Ablagerungen sowie des Beseitigens sonstiger Abflusshindernisse und der Abdichtung schadhafter Kanalrohre, ferner Kanalinspektionen mittel ferngesteuerter Videokameras und Schadensdokumentation als Vorbereitungstätigkeit zur anschließenden Sanierung. Entsprechend schulde der Beklagte zum einen die sich aus seinen eigenen Beitragsmeldungen ergebenden Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum Januar bis November 2004 und Oktober 2005 in Höhe von € 105.989,95 für gewerbliche Arbeitnehmer und € 1.243,03 für Angestellte. Hinsichtlich der Berechnung des Klägers wird auf dessen Schriftsatz vom 17. November 2006 (Bl. 7 bis 9 d.A.) Bezug genommen. Weiter schulde der Beklagte einen Betrag von € 512,92. Dieser ergebe sich daraus, dass der Beklagte ihr für den Zeitraum Januar bis Oktober 2005 geringere Bruttolöhne gemeldet habe als im arbeitnehmerbezogenen Meldeverfahren gegenüber der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse angegeben. Unter Berücksichtigung des tariflichen Beitragssatzes errechne sich eine zusätzliche Beitragsforderung von € 512,92. für gewerbliche Arbeitnehmer. Hinsichtlich der Berechnung wird auf die Klageschrift im mitverbundenen Verfahren 7 Ca 189/07 ArbG Wiesbaden (dort Bl. 1 bis 3 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagte zu verurteilen, ihr € 107.745,90 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ansicht vertreten, sein Betrieb sei im Klagezeitraum kein baugewerblicher im tariflichen Sinne gewesen. Reine Sanierungstätigkeiten wie das Ausbessern oder Abdichten schadhafter Rohrleitungssystem hätten weniger als 50% der betrieblichen Tätigkeit ausgemacht. Darüber hinaus handele es sich bei derartigen Arbeiten ohnehin nicht um bauliche im tariflichen Sinne. In jedem Fall verstoße seine Heranziehung zur Beitragszahlung gegen Art. 3 GG, weil ein Großteil seiner Mitbewerber nicht am Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teilnehme.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 04. Juli 2007 stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 487 bis 59 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 26. Mai 2008 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Er vertieft seine Ansicht, wonach Sanierungsarbeiten nicht unter die von den Tarifvertragsparteien in den betrieblichen Geltungsbereichsbestimmungen genannten Rohrleitungsbauarbeiten fielen und meint, jedenfalls die Tätigkeiten der Rohr- und Kanalinspektion seien keine baulichen Tätigkeiten, weil es sich dabei um reine Prüfarbeiten handele. Eine Einordnung als Vorbereitungsarbeiten zu Sanierungsarbeiten lasse außer Acht, dass solche Tätigkeiten auch unabhängig von den Vorliegen oder dem Verdacht auf Schäden durchgeführt würden. Dies sei z.B. bei der Neuerstellung von Rohr- und Kanalleitungssystemen der Fall. Im Übrigen sei es nicht zwangsläufig der Fall, dass nach Prüftätigkeiten bei Verdacht auf Beschädigung der Leitungen Arbeiten zur Beseitigung der Störungen erfolgen. In jedem Falle habe das Arbeitsgericht übersehen, dass seine Inanspruchnahme gegen Grundrechte verstoße.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zur betrieblichen Tätigkeit.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Niederschriften über die Berufungsverhandlung am 26. Mai 2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) keinerlei Bedenken. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und damit insoweit zulässig.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klägerin kann von dem Beklagten Zahlung von insgesamt € 107.745,90 fordern.

Anspruchsgrundlage für das Zahlungsbegehren bezüglich gewerblicher Arbeitnehmer ist § 18 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20.12.1999 (VTV) in den für die Jahre des Klagezeitraums maßgeblichen Fassungen. Bezüglich der Angestellten ist § 19 VTV einschlägig. Die in diesen tarifvertraglichen Normen statuierten Zahlungsverpflichtungen treffen den Beklagten, weil der VTV für ihn im Klagezeitraum gilt.

Ob der Beklagte Mitglied einer der tarifvertragschließenden Verbände des VTV war oder ist, spielt keine Rolle. Denn der Tarifvertrag war in sämtlichen für den Klagezeitraum maßgeblichen Fassungen für allgemeinverbindlich erklärt, so dass seine Normen auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber galten (§§ 5 Abs. 4, 4 Abs. 2 TVG).

Der Beklagte unterhielt im Klagezeitraum auch einen Betrieb, der unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fällt.

Nach § 1 Abs. 2 VTV in sämtlichen für den Klagezeitraum maßgeblichen Fassungen werden vom betrieblichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages diejenigen Betriebe erfasst, in denen überwiegend entweder die in § 1 Abs. 2 Abschnitt V genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt oder aber Leistungen im Sinne der Bestimmungen der Abschnitte I - IV erbracht werden (ständige Rechtsprechung seit BAG 18.01.1984, AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Ob hiernach bauliche Leistungen überwiegend erbracht werden, bemisst sich danach, ob die überwiegende betriebliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf derartige bauliche Tätigkeiten entfällt. Nicht maßgeblich sind dagegen wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder handels- oder gewerberechtliche Kriterien (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG 15. November 2006 AP Nr. 289 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Den baulichen Leistungen ebenfalls zuzuordnen sind dabei diejenigen Nebenarbeiten, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistung notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen (vgl. BAG 25.02.1987, 28.03.1990, 24.08.1994, 13.03.1996, 11.06.1997 und 20.03.2002, AP Nr. 81, 130, 181, 194, 200 und 253 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Ob die überwiegende Arbeitszeit auf bauliche oder nicht bauliche Leistungen entfällt, ist nach der Arbeitszeit innerhalb eines Kalenderjahres zu beurteilen, soweit sich die Tätigkeiten des Betriebes, wie im vorliegenden Fall, über ein Kalenderjahr erstrecken (vgl. BAG 22. April 1987, 12. Dezember 1988 und 25. Juli 2001, AP Nr. 82, 106 und 240 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Unerheblich ist die Einschätzung der Arbeitsverwaltung. Sie beurteilt den Charakter von Tätigkeiten auf Grund anders lautender Vorschriften dahingehend, ob ein Betrieb zur Winterbauumlage herangezogen wird. Dies kann anderen Kriterien unterliegen als denjenigen zum betrieblichen Geltungsbereich des VTV (vgl. BAG 20. März 2002, EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 114; BAG 13. Mai 2004, AP Nr. 265 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Nach diesen Maßstäben war der Betrieb des Beklagten im gesamten Klagezeitraum ein baugewerblicher im tariflichen Sinne. Denn es wurden in den Kalenderjahren des Klagezeitraums (2003 bis 2005) von den seitens des Beklagten beschäftigten Arbeitnehmern Kanalrohre durch Hochdruck gereinigt, in das Abflussrohr hineinragende Teile abgefräst, sonstige Abflusshindernisse beseitigt und, falls nötig, Risse in den Rohrinnenwänden ausgebessert. Alles das sind bauliche Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 VTV.

Das Abfräsen von Einwachsungen und in den Kanalwänden befindlichen festen Ablagerungen sowie die Abdichtung schadhafter Kanalrohre im Partlinerverfahren gehört zu den Rohrleitungsarbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 25 VTV.

Zu den Rohrleitungsbauarbeiten zählen der Bau und die Montage einschließlich der Reparatur und Sanierung von Rohrleitungen. Mit der Verwendung des Begriffs "Rohrleitungsbauarbeiten" geben die Tarifvertragsparteien zu verstehen, dass Erdarbeiten zur Erfüllung der Begriffsmerkmale nicht erforderlich sind (vgl. BAG 22. September 1993 AP Nr. 168 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Das Abfräsen von Einwachsungen und festen Ablagerungen an den Rohrinnenwänden ist nichts anderes als Instandsetzung der Rohrleitungen. Denn feste Ablagerungen an den Rohrinnenwänden verkleinern den Rohrdurchmesser und erschweren damit den Wasserdurchlauf. Nichts anderes gilt für eingewachsenes Wurzelwerk. In beiden Fällen wird auch unmittelbar auf den Rohrkörper eingewirkt, also dieser repariert bzw. saniert. Beim Ausfräsen von Wurzelwerk gilt das schon deshalb, weil Wurzelwerk nicht ohne Beschädigung des Rohrkörpers einwachsen kann und das Ausfräsen stets im Zusammenhang stehen muss mit der Beseitigung eben dieser Beschädigung (vgl. Kammerurteil v. 13. Januar 2003 - 16 Sa 142/02; Hess. LAG 21.August .2000 - 10 Sa 2526/98 und vom 07.Januar 2002 - 10 Sa 2109/00). Beim Ausfräsen von Verkrustungen wird ebenfalls, anders bei der bloßen Beseitigung von Verstopfungen im Rohr, auf die Rohrinnenwand, nämlich deren Oberfläche, eingewirkt. Das Abdichten undichter Stellen im Rohr durch Partliner ist ganz selbstverständlich eine unmittelbar den Rohrkörper betreffende Reparaturarbeit. Bei einem Partliner handelt sich nämlich um ein ca. 0,5 m langes Glasfasergewebe, welches mit speziellem Zweikomponenten-Harz imprägniert wird. Die Glasfasermatte wird um einen sog. Packer gewickelt und mittels einer von außen überwachten Kanalkamera an die Schadstelle gefahren oder geschoben. Ist der Partliner positioniert wird der Packer mit Pressluft aufgeblasen und das Gewebe an die vorher gereinigte Rohrwandung gepresst. Nach dem Aushärten wird die Luft abgelassen, der Packer aus dem Rohr entfernt, das Rohr ist dicht.

Den vorgenannten Tätigkeiten sind Reinigungsarbeiten mittels Hochdrucks sowie Kontrolltätigkeiten als baulich zuzurechnen. Denn derartige Arbeiten sind den "eigentlichen" Rohrleitungsarbeiten kraft Sachzusammenhangs zuzuschlagen.

Zweck der seitens des Beklagten mittels ferngesteuerter Geräte durchgeführten Reinigungs- und Prüfarbeiten war es, etwaigen Sanierungsbedarf hinsichtlich der jeweiligen Kanalrohre festzustellen, damit notwendige Sanierungsarbeiten sachgerecht durchgeführt werden konnten. Das hat der Beklagte selbst plastisch in der Berufungsverhandlung bestätigt, wenn er angegeben hat, nach dem Durchspülen der Rohrleitungen und u.U. notwendigem Abfräsen von Einwachsungen sei es überhaupt erst möglich, die Rohrleitungen auf Schäden zu untersuchen, weil vorher nichts zu sehen sei..

Dass die Arbeitnehmer des Beklagten insoweit nicht unmittelbar an oder in den Kanalrohren arbeiteten, sondern in LKWs saßen, spielt keine Rolle. Der Einsatz von ferngesteuerten Geräten, die vor Ort die notwendigen Arbeiten verrichten ohne das sich das Bedienungspersonal "die Hände schmutzig machen" muss, ändert nichts daran, dass es sich um menschengesteuerte Arbeiten an und in Rohrleitungen handelt.

Die vorgenannten Arbeiten nahmen in allen Kalenderjahren des Klagezeitraums mehr als die Hälfte der betrieblichen Gesamtarbeitszeit beim Beklagten ein.

Die Klägerin hat behauptet, die "eigentlichen" Sanierungsarbeiten zusammen mit Inspektionsarbeiten als Vorbereitungsarbeiten für anschießende Sanierung der Rohre durch den Betrieb selbst hätten mehr als die Hälfte der Gesamtarbeitszeit im Betrieb des Beklagten in jedem Kalenderjahr des Klagezeitraums ausgemacht. Dieser Vortrag rechtfertigt, als richtig unterstellt, nach dem Vorgesagten die Annahme, dass bauliche Tätigkeiten arbeitszeitlich überwogen.

Richtig ist zwar, dass Nebenarbeiten (hier: Kontroll- und Prüftätigkeiten einschließlich der Durchspülarbeiten) nur im Zusammenhang mit im Betrieb selbst durchgeführten eigenen baulichen Leistungen diesen zuzurechnen sind (vgl. BAG 20. März 2002 AP Nr.253 zu § 1 TVGTarifverträge: Bau ; BAG 20. März 2002 EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 114; BAG 12. Dezember 2007-10 AZR 995/06) Nach dem Vortrag des Klägers dienten die Kontrolltätigkeiten jedoch gerade dazu, eigene Sanierungsarbeiten durch den Betrieb des Beklagten selbst zu ermöglichen.

Der Vortrag des Beklagten ist demgegenüber nicht erheblich, weil durch ihn die Richtigkeit des klägerischen Vorbringens nicht in Frage gestellt wird. Nach dem Vortrag des Beklagten soll das Ausbessern und Abdichten schadhafter Rohrleitungen weniger als 50% der betrieblichen Tätigkeit ausgemacht haben. Das mag sein. Dadurch wird jedoch der schlüssige klägerische Vortrag nicht in Frage gestellt. Denn der Beklagte hat sich weder zum arbeitszeitlichen Umfang von Prüfarbeiten, denen Sanierungsarbeiten durch den Betrieb selbst nachfolgten, geäußert, noch zum arbeitszeitlichen Umfang von Fräsarbeiten. Beides sind, wie ausgeführt, ebenfalls bauliche Leistungen. Damit lässt sein Vorbringen nicht erkennen, dass andere als die von Klägerseite vorgetragenen tatsächlichen Behauptungen über dass arbeitszeitliche Geschehen in den Kalenderjahren des Klagezeitraums aufgestellt werden sollen. Mangels hinreichenden Bestreitens durch den Beklagten gilt der klägerischen Vortrag daher als zugestanden (§ 138 Abs.3 ZPO).

Nichts anderes gilt, soweit man, wie es der Beklagte will, davon ausgeht, § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 25 VTV sei bei Reparaturarbeiten an Rohrleitungen nicht einschlägig. Denn in jedem Fall fallen die Fräs- und Abdichtungsarbeiten ebenso wie die Prüftätigkeiten und das diesen vorausgehenden Durchspülen der Rohre unter § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV.

Von dieser Bestimmung werden Betriebe erfasst, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die ua. der Instandsetzung und Instandhaltung von Bauwerken dienen. Dazu zählen alle Leistungen, die irgendwie, wenn auch nur auf einem kleinen oder speziellen Gebiet, der Vollendung eines Bauwerks zu dienen bestimmt sind (BAG 7. Juli 1999 - 10 AZR 582/98 - AP Nr.221 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Kanalanlagen sind Bauwerke, weil es sich um Anlagen handelt, die aus Baustoffen und Bauteilen mit baulichem Gerät hergestellt werden und irgendwie mit dem Erdboden verbunden sind (vgl. BAG 23.11.1988, AP Nr. 101 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Das Abfräsen von Einwachsungen und von an den Kanalrohrwänden befindlichen festen Ablagerungen sowie die Abdichtung schadhafter Kanalrohre im Partlinerverfahren dient dazu, Funktionsstörungen der Kanalanlage zu beseitigen, diese wieder in einen voll funktionsfähigen Zustand zu versetzen und damit ihrer Instandsetzung bzw. Instandhaltung.

Nichts anderes gilt für Prüf- und Kontrollarbeiten an Kanalrohrleitungen. Auch bei derartigen Arbeiten handelt es sich um bauliche Leistungen.

Ob es sich bei einer Tätigkeit um die Erbringung baulicher Leistungen handelt, bestimmt sich danach, welchem Zweck die erledigten Arbeitsvorgänge dienen (vgl. BAG 24. April 1999 AP Nr. 183 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG 22. November 1995 - 10 AZR 500/95). Zwecke sind Wirkungen von Handlungen, die der Handelnde mit seinen Handlungen erstrebt (vgl. Kammerurteil v. 23. Oktober 2006 - 16 Sa527/06 - NZA-RR 2007, 234; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre 1982 S. 169). Bauliche Zwecke werden von einem Betrieb als einer arbeitstechnischen Organisationseinheit mit den Tätigkeiten verfolgt, die arbeitstechnisch der Erstellung, Instandsetzung oder Instandhaltung von Bauwerken zuzurechnen sind.

Prüftätigkeiten an Rohrleitungen verfolgen das Ziel, festzustellen, ob Schäden und damit Sanierungsbedarf vorhanden ist oder nicht. Solche Arbeiten gehören zu den Instandhaltungsarbeiten an einer Kanalrohranlage. "Instandhalten" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch nichts anderes als "in gutem Zustand erhalten, pflegen" (vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch Jubiläumsausgabe 1990 S. 693). Um Kanalrohranlagen in gutem Zustand zu halten, müssen diese daraufhin überprüft werden, ob schadhafte Stellen vorhanden sind, die eine Ausbesserung notwendig machen. Damit sind begrifflich bereits eine solche Prüfung und die dieser vorausgehenden und für diese notwendigen Arbeiten wie das Durchspülen der Rohre integraler Bestandteil der Instandhaltung von Kanalanlagen

Die Anschauung des Arbeits- und Wirtschaftslegens bestätigt, dass solche Prüfungen den baulichen Leistungen zuzurechnen sind. Das zeigen berufsrechtliche Bestimmungen. Denn im Ausbildungsrahmenplan für den baulichen Beruf des Kanalbauers wird ausdrücklich das Prüfen von Rohrleitungen, insbesondere auf Dichtigkeit (Anlage 15 zu § 79 Nr. 10 der VO über die Berufsbildung in der Bauwirtschaft vom 02.06.1999, BGBl. I, 1999, S. 1097 ff.) und das Reinigen von Kanälen, insbesondere unter Berücksichtigung der Zustandserfassung, genannt (Anlage 15 zu § 79 Nr. 11 d) der VO vom 02.05.1999).

Letztlich wird diese Sicht durch den erkennbaren Sinn und Zweck der bautariflichen Geltungsbereichsbestimmungen bekräftigt. Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes wollen die Arbeitsverhältnisse in Betrieben des Baugewerbes regeln. Wenn sie dann in § 1 Abs.2 Abschn. II VTV verlangen, dass darunter Betriebe fallen, die nach der durch die Art betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, verweisen sie, mangels näherer Begriffsbestimmung erkennbar hinsichtlich der Einordnung betrieblicher Tätigkeiten als baulich auf die Fachsprache des Arbeits- und Wirtschaftslebens und damit auch auf die in Berufsbildern beschriebenen Tätigkeiten baulicher Berufe.

Weil der Beklagte im Klagezeitraum einen baugewerblichen Betrieb unterhielt, schuldet er der Klägerin die tarifvertraglich vorgeschriebenen Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte.

Soweit der Beklagte einwendet, Betriebe mit gleichartigen Tätigkeiten würden von der Klägerin nicht herangezogen, vermag dies den Beitragsanspruch der Klägerin nicht zu Fall zu bringen.

Ein Verstoß gegen Art. 3 GG könnte darin, selbst wenn dem so wäre, schon deshalb nicht liegen, weil weder die Klägerin noch der Beklagte als Privatrechtsubjekte Adressaten von Art. 3 GG sind. Art. 3 GG hindert einen Gläubiger, wie es die Klägerin ist, nicht daran, frei zu entscheiden, ob er ihm zustehende Forderungen durchsetzen will oder nicht.

Freilich sind der Klägerin insoweit tarifrechtliche Bindungen auferlegt. § 32 Abs.1 VTV verpflichtet die Klägerin nämlich, die ihr zustehenden Beiträge rechtzeitig und vollständig zu erheben. Geschieht dies seitens der Klägerin nicht, etwa, indem sie bestimmte beitragspflichtige Arbeitgeber verschont, verletzt sie tarifliche Pflichten und ist, soweit die Pflichtverletzung von ihr zu vertreten ist, schadensersatzpflichtig (§ 280 Abs.1 BGB).

Ob eine solche Pflichtverletzung der Klägerin (auch) dazu führen könnte, bestehende Beitragsverpflichtungen des Konkurrenten eines pflichtwidrig nicht in Anspruch genommenen Arbeitgebers zu beseitigen oder ob sich hieraus lediglich Schadensersatzansprüche ergeben können, kann dahinstehen. Denn der Vortrag des Beklagten rechtfertigt bereits nicht die Annahme, dass die Klägerin in einer von ihr zu vertretenden Weise gegen die tarifliche Norm des § 32 Abs.1 VTV verstößt oder verstoßen hat.

Ein von der Klägerin zu vertretender Verstoß gegen § 32 Abs.1 VTV setzt voraus, dass die Klägerin vorsätzlich oder fahrlässig handelte (§ 276 Abs.1 BGB). Dass die Klägerin Arbeitgeber, von denen sie Kenntnis hat oder Kenntnis haben müsste, trotz Beitragsverpflichtung nicht in Anspruch nimmt, ergibt sich aus dem Vortrag des Beklagten nicht. Tatsachen in dieser Richtung hat der Beklagte nämlich nicht vorgetragen. Sein Vorbringen, ein Großteil seiner Mitbewerber nehme am Soziaalkassenverfahren nicht teil, ist mangels Nennung auch nur eines Namens ohne raumzeitlichen Bezug und damit nicht mehr als ein Werturteil ohne überprüfungsfähige Tatsachenbasis. Im übrigen hat das Arbeitsgericht bereits darauf aufmerksam gemacht - und wird durch die auch der Berufungskammer bekannten, vom Arbeitsgericht bereits zitierten Fälle noch weiter belegt - dass die Klägerin Arbeitgeber mit gleichem Tätigkeitsbereich in der Vergangenheit auch klageweise in Anspruch genommen hat. Nimmt man noch hinzu, dass es gerichtsbekannt und von der erkennenden Berufungskammer deshalb immer wieder hervorgehoben worden ist, dass die Klägerin Arbeitgeber, von deren Beitragspflicht sie ausgeht, unnachsichtig verfolgt und rechtliche Möglichkeiten voll ausschöpft, so fehlt auch nur ein Hauch eines Anhaltspunktes dafür, dass die Klägerin Arbeitgeber mit einer gleichartige Tätigkeit wie der des Beklagten, die ihr bekannt sind oder bekannt sein müssten, nicht in Anspruch nimmt.

Soweit der Beklagte des Weiteren darauf verwiesen hat, er habe Urlaubsentgeltansprüche von Arbeitnehmern bis 31. Oktober 2005 abgegolten, ändert das nichts an seiner Verpflichtung zur Beitragszahlung. Diese besteht unabhängig davon, ob ein baugewerblicher Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Urlaubsentgelt gezahlt hat oder nicht. Hat er es getan, hat er u.U. Erstattungsansprüche gegen die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse, über die er freilich bei Beitragsrückständen, wie hier, weder verfügen noch mit solchen gegen Beitragsforderungen aufrechnen kann (§ 18 Abs.5 VTV).

Die Höhe der geltend gemachten Beiträge ist nicht im Streit. Das gilt auch hinsichtlich des für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2005 verlangten Betrages von € 512,92. Der Beklagte hat nicht in Abrede gestellt, dass die der Klägerin ursprünglich gemeldeten Bruttolohnsummen um diesen Betrag zu gering waren. Da die Klägerin, soweit sie für Oktober 2005 Beiträge fordert, unstreitig von den ursprünglich gemeldeten Beträgen ausgegangen ist, liegt insoweit auch keine doppelte Geltendmachung der € 512,92 vor.

Der Beklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs.1 ZPO)

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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