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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 08.05.2003
Aktenzeichen: 16 Ta 172/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 769
ZPO § 793
1. Die Beschwerdekammer verbleibt bei ihrer Auffassung, dass gegen Beschlüsse nach § 769 ZPO die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO unbeschränkt zulässig ist, die inhaltliche Prüfung sich aber darauf beschränkt, ob der angefochtenen Entscheidung ein falscher Bewertungsmaßstab zugrunde gelegt oder die Rechtslage offenkundig verkannt wurde.

2. Eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Vollstreckungsgegenklage reicht bei einer Entscheidung nach § 769 ZPO aus. Das entbindet jedoch nicht von einer Begründung, aus der sich die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen ergeben. Der bloße Hinweis darauf, die Vollstreckungsgegenklage könne »möglicherweise« Erfolg haben genügt nicht zur Rechtfertigung der Einstellung der Zwangsvollstreckung.


Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

Aktenzeichen: 16 Ta 172/03

In dem Beschwerdeverfahren

hat die Kammer 16 des Hessischen Landesarbeitsgerichts auf die sofortige Beschwerde d. Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts in Wiesbaden vom 4. April 2003 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Hattesen als Vorsitzenden

am 8. Mai 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 04.04.2003 - 5 Ca 697/03 - insoweit aufgehoben, als die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 09.12.2002 - 5/9 Ca 1717/02 - bezüglich eines über € 1.549,80 (i.W.: Eintausendfünfhundertneunundvierzig 80/100 Euro) hinausgehenden Betrages einstweilen eingestellt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem Arbeitsgericht vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 7. April 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 4. April 2003, mit dem dieses einem im Rahmen einer vom Kläger erhobenen Vollstreckungsgegenklage gestellten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 9. Dezember 2002 stattgegeben hat.

Die Beklagte war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18. August 1992 bei dem Kläger seit diesem Datum als Angestellte beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist die Geltung des BAT vereinbart. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos. In dem daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien am 9. Dezember 2002 einen gerichtlichen Vergleich, in dem u.a. vereinbart wurde, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung« des Klägers am 31. Dezember 2002 enden wird, der Kläger an die Beklagte eine Abfindung in Höhe von 3.063,00 € zahlt, die Beklagte ausdrücklich auf Vergütungsansprüche ab 11. Oktober 2002 verzichtet und die Parteien darüber einig sind, dass mit diesem Vergleich und seiner Erfüllung sämtliche Ansprüche zwischen ihnen abgegolten sind. Hinsichtlich des genauen Vergleichswortlauts wird auf Bl. 4/5 d.A. Bezug genommen. Von dem vereinbarten Abfindungsbetrag überwies der Kläger an die Beklagte, die für die Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 2002 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.513,00 € bezogen hatte, Teilbeträge von 1.111,25 € und 438,55 €, den Restbetrag von 1.513,20 € zahlte er auf Aufforderung des zuständigen Arbeitsamtes vom 8. Januar 2003 an dieses.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, die Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich sei unzulässig, da die entsprechende Forderung durch Erfüllung erloschen sei. Dementsprechend sei auch die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich einzustellen.

Dem letztgenannten Antrag hat das Arbeitsgericht mit den aus dem Beschluss vom 4. April 2003 (Bl. 17/17R d. A.) ersichtlichen Gründen stattgegeben und der dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde der Beklagten, die mittlerweile den gerichtlichen Vergleich angefochten hat, aus den aus dem Nichtabhilfebeschluss vom 9. April 2003 (Bl. 28 d.A.) ersichtlichen Gründen nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

Der Kläger verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Im übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Die Akten des zwischen den Parteien geführten Kündigungsschutzprozesses (5/9 Ca 1717/02 waren beigezogen.

II.

Erkennbar richtet sich die sofortige Beschwerde nur dagegen, dass die Zwangsvollstreckung vollständig, also auch bezüglich eines Betrages in Höhe von 1.513,00 € eingestellt worden ist. Soweit es um die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung bezüglich eines höheren als eines Betrages von 1.513,20 € geht, hat die Beklagte "mit ihrer sofortigen Beschwerde nämlich selbst klargestellt, dass sie insoweit die Zwangsvollstreckung nicht mehr betreibt.

Die - insofern beschränkt eingelegte - sofortige Beschwerde ist an sich statthaft (§§ 62 Abs. 2 ArbGG, 793 Abs. 1 ZPO) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Fehlen eines Zustellungsnachweises in den der Beschwerdekammer vorliegenden Akten ist unschädlich, weil sich die Einhaltung der Frist bereits aus den Daten des angefochtenen Beschlusses und der Beschwerdeeinlegung zweifelsfrei ergibt.

Die erkennende Beschwerdekammer vertritt in ständiger, mehrfach begründeter Rechtsprechung die Ansicht, dass gegen Beschlüsse nach § 769 ZPO, wie hier, die sofortige Beschwerde gegeben ist, weil es gesetzliche Einschränkungen in der Zulässigkeit insoweit im geltenden Recht nicht gibt (vgl. Kammerbeschluss vom 10.09.1997 - 16 Ta 371/97 MDR 1998, 925). Diese Auffassung hat sie nach Inkrafttreten der Änderungen der ZPO durch das ZPO-RG ab 1. Januar 2002 bekräftigt (vgl. Kammerbeschluss v. 07.05.2002 - 16 Ta 142/02). Hieran hält sie auch nach erneuter Prüfung fest.

Bei einer Entscheidung nach § 769 ZPO, wie hier, handelt es sich um eine Entscheidung in der Zwangsvollstreckung iSv § 793 ZPO. Gegen derartige Entscheidungen findet nach § 793 Abs. 1 ZPO die sofortige Beschwerde statt. Eine gesetzliche Einschränkung der Zulässigkeit dieser Beschwerde gibt es nicht. Zwar wird zum Teil in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, die Anfechtung von Entscheidungen nach § 769 ZPO sei in Analogie zu §§ 707 Abs. 2, 719 Abs. 1 ZPO zu verneinen und nur in Fällen »greifbarer Gesetzwidrigkeit« gegeben (vgl. zB LAG Hamm 26.05.1988, LAG Berlin 21.06.1989, LAG Köln 14.02.1990 LAGE § 769 ZPO Nr1, 2u3; LAG Bremen 24.06.1996 NZA 1997, 338; neuestens OLG Frankfurt a. M. 29.08.2002 NJW-RR 2003,140)). Diese Ansicht übersieht jedoch, dass eine Analogie zu den vorgenannten Bestimmungen daran scheitern muss, dass es an einer verdeckten Regelungslücke fehlt.

Eine entsprechende Anwendung kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung planwidrig lückenhaft erscheint und zur Ausfüllung der Lücke die Übertragung der Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestands auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand erforderlich ist (vgl. BAG 11. 07 2000 AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 44). Dabei muss eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende Lücke bestehen oder sich jedenfalls später durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben haben. Der dem Gesetz zugrunde liegende Regelungsplan ist aus ihm selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu schließen und es ist zu fragen, ob das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig ist (vgl. BAG 13.02.2003 - 8 AZR 654/01).

Danach kann im Hinblick auf Rechtsmittel gegen Entscheidungen nach § 769 ZPO von einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung keine Rede sein. Das gilt in jedem Fall seit Inkrafttreten der Änderungen der ZPO durch das ZPO-RG ab 01.01.2002. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Änderungen der ZPO durch das ZPO-RG vom 27.07.2001 (BGBl I 2001 S1867) nämlich entgegen dem in der 10. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vorgelegten Entwurf des Gesetzes zur Änderung der ZPO (BT-Druck 10/254) eine Unanfechtbarkeit von Entscheidungen nach § 769 ZPO gerade nicht eingeführt, sondern es bei der bisherigen Regelung belassen. Dieser historisch-genetische Befund ist eindeutig (a.A. OLG Frankfurt a.M. aaO.). Wegen § 793 ZPO ist die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen nach § 769 ZPO gegeben.

Ein weiterer Gesichtspunkt bestätigt dies. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebieten ausdrückliche und klare gesetzliche Regelungen darüber, ob gegen gerichtliche Entscheidungen Rechtsmittel gegeben sind oder nicht. Ganz in diesem Sinne hat denn auch der BGH daraufhin gewiesen, dass nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das ZPO-RG ein außerordentliches Rechtsmittel zum BGH nicht mehr statthaft ist, weil allein § 574 Abs.1 ZPO einschlägig ist (vgl. BGH NJW 2002, 1577).

In der Sache ist die sofortige Beschwerde begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Arbeitsgericht.

Bei der Entscheidung, ob einem Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO zu entsprechen ist, hat das Gericht, wie der Wortlaut der Norm zeigt (»kann ... anordnen«) einen Ermessensspielraum, wobei in erster Linie auf die Erfolgsaussicht der erhobenen Klage abzustellen ist (vgl. Zöller/Hergert, ZPO, 23. Aufl. 2002 § 769 Rz6). Das ist im Beschwerdeverfahren zu beachten, weil im Beschwerderechtszug das Beschwerdegericht nicht als Berufungsgericht tätig werden kann und daher die Entscheidung in der Hauptsache nicht beeinflussen darf. Darüber hinaus ist dem Prozessgericht mit §769 ZPO vom Gesetzgeber erkennbar ein Instrumentarium an die Hand gegeben worden, das es ihm ermöglichen soll, auf entsprechenden Antrag hin flexibel auf die jeweilige Prozesssituation reagieren zu können. So sind denn auch Anordnungen nach § 769 ZPO auf entsprechenden Antrag hin in jeder Instanz frei abänderbar, um der jeweiligen Prozesslage und etwaigen Fortschritten in der Erkenntnis der Hauptsache gerecht zu werden.

Das zwingt zur Beschränkung der Überprüfungsmöglichkeit von Beschlüssen nach § 769 ZPO in der Beschwerdeinstanz. Denn das Beschwerdegericht darf weder seine Auffassung über den Erfolg der Hauptsacheklage einfach an die Stelle der ersten Instanz setzen noch in die Befugnis der ersten Instanz zur Abänderung seiner eigenen Entscheidung eingreifen. Dem ist durch eine Beschränkung der inhaltlichen Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung Rechnung zu tragen. Diese darf sachlich vom Beschwerdegericht nur darauf überprüft werden darf, ob die Voraussetzungen des § 769 ZPO verkannt wurden, indem etwa ein falscher Bewertungsmaßstab für die Entscheidung zugrunde gelegt wurde oder das Ermessen des Erstgerichts deshalb fehlerhaft ausgeübt wurde, weil offenkundig eine Verkennung der Rechtslage vorliegt (std Rspr der erkennenden Kammer, vgl. zB Kammerbeschluss vom 12.08.1998 - 16 Ta 368/98).

§ 571 Abs. 2 ZPO, wonach die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden kann, steht nicht entgegen. Aufgrund der durch die Neuregelung des Beschwerdeverfahrens durch das ZPO-RG geschaffene Abhilfemöglichkeit ist es nämlich zunächst Aufgabe des Erstrichters, seine Entscheidung im Hinblick auf die sofortige Beschwerde zu überprüfen und ggf. zu korrigieren. Dem Beschwerdegericht obliegt es dann, in seine Prüfung auch die Nichtabhilfeentscheidung einzubeziehen.

Dem vorstehend dargelegten eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

Zwar hat das Arbeitsgericht bei seiner Einstellungsentscheidung im Ansatz den zutreffenden Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt, indem es auf den Erfolg der Vollstreckungsgegenklage abgestellt hat Seine Ausführungen, der behauptete Forderungsübergang bezüglich des Betrages von 1.513,20 € sei eine rechtserhebliche Einwendung, die Klage könne daher »möglicherweise« Erfolg haben, lassen nämlich erkennen, dass es der Vollstreckungsgegenklage des Klägers Erfolgsaussichten einräumt. Auch die im Rahmen von § 769 ZPO ausreichende summarische Prüfung entbindet das Gericht jedoch nicht von der Obliegenheit, die Erfolgsaussicht der Vollstreckungsgegenklage jedenfalls knapp zu begründen und darzulegen, welches Gewicht es dem. mutmaßlichen Erfolg oder Misserfolg der Vollstreckungsgegenklage im Rahmen der Ermessensentscheidung einräumt. Denn ohne Darlegungen dazu lässt sich nicht erkennen, dass das ihm gesetzlich eingeräumte Ermessen vom Arbeitsgericht überhaupt ausgeübt wurde.

Daran fehlt es in der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Aus ihr lässt sich mangels entsprechender Ausführungen weder entnehmen, aufgrund welcher konkreten rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen das Arbeitsgericht von einem Übergang eines Teils der titulierten Abfindungsforderung auf das Arbeitsamt ausgegangen ist, noch, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit das Arbeitsgericht hinsichtlich eines Erfolgs der Vollstreckungsgegenklage zugrundegelegt hat. Der bloße Hinweis auf einen »möglichen« Klageerfolg reicht nicht aus Der Begriff »möglich« ist nämlich vage und lässt, bezogen auf ein Ereignis, offen, für wie wahrscheinlich der Eintritt des Ereignisses erachtet wird. Damit ist auch nicht ersichtlich, welches Gewicht das Arbeitsgericht der Erfolgsaussicht der Vollstreckungsgegenklage bei der Abwägung der Interessen der Parteien beigemessen hat.

Die Zurückverweisung beruht auf § 78 S. 1 ArbGG iVm § 572 Abs. 3 ZPO. Der Mangel der arbeitsgerichtlichen Entscheidung nötigt zu einer Zurückverweisung, weil die Beschwerdekammer zu einer abschließenden Entscheidung nicht in der Lage ist. Denn das Beschwerdegericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens des erstinstanzlichen Gerichts setzen (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl. 2002 § 769 Rz 14).

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 S. 2 iVm § 72 Abs. 2 ArbGG) war nicht ersichtlich. Zwar weicht die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde von der Rechtsprechung mehrerer Landesarbeitsgerichte, wie ausgeführt, ab. Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung jedoch nicht auf dieser Abweichung, weil die Beschwerdekammer den gleichen Prüfungsmaßstab wie die zitierten landesarbeitsgerichtlichen Urteile, freilich im Rahmen der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit, zugrunde gelegt hat.

Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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