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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.10.2008
Aktenzeichen: 18 Sa 765/08
Rechtsgebiete: Ü-Vers-TV-Lotsen, ZPO, SGB VI


Vorschriften:

Ü-Vers-TV-Lotsen
ZPO § 258
SGB VI § 3
Der Kläger ist ehemaliger beamteter Fluglotse, der 1993 in ein Angestelltenverhältnis wechselte und seit 1997 Vorruhestandsgeld bezieht. Sozialversicherungsrechtlich ist für das dem Kläger nach Ü-VersTV-Lotsen geschuldete Übergangsgeld mittlerweile bestandskräftig festgestellt, dass es sich dabei nicht um Vorruhestandsgeld iSd § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI handelt. Das Übergangsgeld unterlag danach nicht der Rentenversicherungspflicht. Die fehlende Rentversicherungspflicht eines Übergangsgelds nach Ü-VersTV-Lotsen ist - wenn keine weiteren Vereinbarungen getroffen wurden- für den Fall eines anderen ehemaligen Fluglosten inzwischen durch das BSG bestätigt worden (Terminsbericht Nr. 47/08 - B 12 R 10/07 R -)

Der Kläger hat sich seinen Arbeitnehmeranteil mittlerweile von der Einzugsstelle auszahlen lassen.

Wegen der fehlenden Rentenversicherungspflicht bezieht der Kläger 2 Jahre länger Übergangsgeld (65 statt 63), wird aber aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine geringere Altersrente erhalten, als erwartet.

Die Beklagte hat das dem Klägers seit Vollendung des 63. Lebensjahres zustehende Übergangsgeld auf den Betrag gekürzt, den sie als fiktive Betriebsrente zahlen müsste, wenn der Kläger seit diesem Zeitpunkt Altersrente beziehen könnte Der Kläger habe die Rentenversicherungsfreiheit des Übergangsgeld zu verantworten.

Klage des Klägers auf Zahlung der ungekürzten Übergangsversorgung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres stattgegeben.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 16. April 2008 - 5 Ca 433/07 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt klargestellt wird:

Die Beklagte wird verurteilt,

1. an den Kläger 28.368,40 EUR (in Worten: Achtundzwanzigtausenddreihundertachtundsechzig und 40/100 Euro) brutto Übergangsgeld und 188,64 EUR (in Worten: Hundertachtundachtzig und 64/100 Euro) Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus jeweils 3.569,63 EUR (in Worten: Dreitausendfünfhundertneunundsechzig und 63/100 Euro) brutto seit dem 29. Februar 2008 und dem 31. März 2008 zu zahlen, sowie¶

2. beginnend ab Oktober 2008 bis einschließlich Januar 2010 jeweils am Monatsletzten weitere 3.546,05 EUR (in Worten: Dreitausendfünfhundertsechsundvierzig und 05/100 Euro) brutto Übergangsgeld und 23,58 EUR (in Worten: Dreiundzwanzig und 58/100 Euro) Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung ungekürzten Übergangsgeldes bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres.

Die Beklagte ist ein aus der Privatisierung der ehemaligen Bundesanstalt für Flugsicherung hervorgegangenes Flugsicherungsunternehmen mit bundesweit mehr als 5.000 Arbeitnehmern. Sie nimmt die operativen Flugsicherungsaufgaben für den gesamten deutschen Luftraum wahr und unterhält Niederlassungen an allen bedeutenden deutschen Verkehrsflughäfen.

Der am XX.XX.19XX geborene Kläger ist ehemaliger beamteter Fluglotse. Er nahm durch Vertrag vom 30. August / 08. September 1993 ein Übernahmeangebot der Beklagten zum Wechsel in ein Angestelltenverhältnis zum 01. Oktober 1993 an.

Als Beamter wäre der Kläger mit 55 Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und hätte Anspruch auf eine Pension in Höhe von 75% seiner letzten Bezüge gehabt. Gleichwertiges sollte für die in ein Angestelltenverhältnis wechselnden Fluglotsen durch eine Kombination von gesetzlicher und betrieblicher Altersversorgung erreicht werden.

Die Beklagte hat am 07. Juli 1993 einen Tarifvertrag über die Übergangsversorgung für die bei der A GmbH beschäftigten Fluglotsen (folgend: Ü-VersTV-Lotsen) und einen Versorgungstarifvertrag (folgend: VersTV) geschlossen. Der Ü-VersTV-Lotsen (vollständiger Wortlaut siehe K 8 zur Klageschrift, Bl. 30 bis 36 d.A.) regelt den Anspruch der nicht mehr in der Flugsicherung tätigen und bei der Beklagten ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf ein Übergangsgeld, welches bis zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt geleistet wird, von dem ab der ausgeschiedene Mitarbeiter Altersrente beziehen kann.

§ 6 Ü-VersTV-Lotsen lautet:

"(....) Das Übergangsgeld unterliegt der Beitragspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie der Besteuerung. Die A behält die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ein und führt sie zusammen mit den Arbeitgeberanteilen an die zuständige Beitragseinzugsstelle ab; (...)"

Die Tarifpartner setzten voraus, dass das Übergangsgeld nach den Ü-VersTV-Lotsen rentenversicherungsrechtlich Vorruhestandsgeld im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI sei. Durch Nachversicherung der Beschäftigungszeit als Beamter, die rentenversicherungspflichtige Beschäftigungszeit im Angestelltenverhältnis und die ebenfalls beitragspflichtige Zeit in der Übergangsversorgung sollte ein Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht werden, welcher in Kombination mit einer Betriebsrente nach dem VersTV die Zusage einer der Beamtenpension gleichwertigen Alterssicherung erfüllte.

Durch Vertrag vom 08. April / 09. Mai 1997 wechselte der Kläger vor Erreichen der Altersgrenze für eine Tätigkeit als Fluglotse einvernehmlich zum 01. Juli 1997 in die Übergangsversorgung und schied aus seinem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten aus (vgl. zum Inhalt des Vertrages Anlage K 6 zur Klageschrift, Bl. 25 bis 27 d.A.).

Nach Bekanntwerden eines sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens um die Beitragspflicht des Übergangsgelds eines ehemaligen Fluglotsen in der Rentenversicherung wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 31. August 2001 an die B und bat um Prüfung der Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgeldes (Kopie als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 100 d.A.). Durch Bescheid vom 08. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 stellte die B fest, dass das Übergangsgeld des Klägers nicht rentenversicherungspflichtig sei (vgl. Kopie des Ausgangsbescheides als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 93 f. d.A.). Die dem Kläger gewährte Übergangsversorgung begründe keine Rentenversicherungspflicht gemäß § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI, da der Ü-VersTV-Lotsen keine Vereinbarung über ein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorsehe. Die seit 01. Juli 1997 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge seien zu Unrecht geleistet und auf Antrag demjenigen zu erstatten, der sie getragen habe. Durch eine Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger könnten die Beiträge auch als freiwillige Beiträge auf dem Rentenkonto verbleiben (§ 202 SGB VI). Die Beklagte erhob gegen den Widerspruchsbescheid Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (- S 25/Kr-102/03 -). Nach der mündlichen Verhandlung vom 08. November 2004, in welcher der Kläger angab, dass er eine mehr als geringfügige selbstständige Tätigkeit ausübe, nahm die Beklagte nach Vorlage von Belegen durch den Kläger die Klage vor dem Sozialgericht am 24. Juli 2006 zurück.

Mit Bescheid vom 04. September 2007 bestätigte die C dem Kläger, dass er wegen Nichterfüllung der Wartezeit keine Altersrente für langjährig Versicherte nach § 236 SGB VI mit Vollendung des 63. Lebensjahres (03. Januar 2008) beziehen könne (vgl. Kopie als Anlage K 7 zur Klageschrift, Bl. 28 f. d.A.). Die Beklagte hat dem Kläger deshalb, wie zwischen den Parteien im Ergebnis unstreitig ist, Übergangsgeld bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Januar 2010 zu leisten. Die Rente des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird gegenüber der erwarteten Rente geringer ausfallen, da der Zeitraum des Bezugs von Übergangsgeld nicht als Beitragszeit zählt.

Mit einem Schreiben vom 26. Juni 2006 wandte sich die Beklagte an den Kläger und teilte unter anderem mit, dass sie ihn für den möglichen Schaden in Anspruch nehmen werde, der ihr dadurch entstehe, das Übergangsgeld über den sonst frühestmöglichen Zeitpunkt einer Rentenantragstellung hinaus geleistet werden müsse. Ihr Schaden bestehe in der Differenz zu der niedrigeren Betriebsrente. Der Kläger hob deshalb vor dem Arbeitsgericht Offenbach am Main Feststellungsklage, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, die Zahlung des Übergangsgeldes mit Vollendung seines 63. Lebensjahres einzustellen oder zu mindern (Arbeitsgericht Offenbach am Main - 5 Ca 44/07 -). Das Arbeitsgericht Offenbach hat diese Klage durch Urteil vom 15. August 2007 als unzulässig abgewiesen. Der Kläger legte keine Berufung ein.

Durch Schreiben vom 31. Januar 2008 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie ab 01. Februar 2008 nur noch ein Übergangsgeld in Höhe von 2559,23 ? leisten werde. Dieser Betrag entspreche der Leistung, die er ab 01. Februar 2008 als vorzeitiges Altersruhegeld erhalten hätte. Ebenso werde sie die Zahlung eines Zuschusses zur Pflegeversicherung nach § 6 KTV einstellen. Zur Wiedergabe des vollständigen Wortlauts dieses Schreibens sowie der letzten Abrechnung eines ungekürzten Übergangsgeldes für Januar 2008 wird auf die Anlagen K 11 und 12 zur Klageschrift (Bl. 55 f., 57 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hatte bereits in diesem Rechtsstreit am 04. Dezember 2007 Klage bei dem Arbeitsgericht Offenbach am Main auf Zahlung eines ungekürzten Übergangsgeldes bis einschließlich Januar 2010 gegen die Beklagte erhoben. Nachdem ihn die Beklagte durch ihr Schreiben vom 31. Januar 2008 über den Umfang der Kürzung informierte, beschränkte der Kläger seinen Anspruch auf den Differenzbetrag zwischen seiner fiktiven Betriebsrente und einem ungekürzten Übergangsgeld sowie auf Auszahlung des Arbeitgeberzuschusses zur Pflegeversicherung.

Er hat geltend gemacht, in die Beklagte sei zur Weitergewährung der Übergangsversorgung in voller Höhe verpflichtet. Ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen ihn bestehe nicht.

Der Kläger hat beantragt, wie im Berufungsverfahren klargestellt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.092,10 ? brutto Übergangsgeld sowie 47,16 ? brutto Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.569,63 ? seit dem 29. Februar 2008 sowie aus 3.569,63 ? seit dem 31. März 2008 und beginnend ab April 2008 bis einschließlich Januar 2010 jeweils am Monatsletzten weitere 3.546,05 brutto Übergangsgeld und 23,58 ? brutto Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung zu zahlen;

2. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1), festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm in der Zeit von Februar 2008 bis Januar 2010 jeweils am Monatsletzten weitere 3.546,05 ? brutto Übergangsgeld und 23,58 ? brutto Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aus dem Gesamtzusammenhang der §§ 7 Abs. 1 a), 9 Abs. 1 bis Abs. 3 Ü-VersTV-Lotsen ergebe sich, dass die Tarifvertragsparteien einen manipulativen Eingriff nicht dulden und einen frühestmöglichen Renteneintritt hätten umfassend absichern wollen. Sie sei deshalb berechtigt, den Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld auf den Betrag zu kürzen, die ihm seit 01. Februar 2008 bei unterstellter Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgeldes als Betriebsrente zustehen würde. Der Kläger habe darüber hinaus gegen seine vertragliche Treuepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Er habe die Überprüfung der Sozialversicherungspflicht seines Übergangsgeldes erst durch seine Anfrage bei der B vom 31. August 2001 ausgelöst und verhindert, dass die B von eine seinem einvernehmlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ausging, da er ohne ihr Wissen eine mehr als geringfügige selbstständige Tätigkeit ausübte. Schließlich habe er darauf verzichtet, die entrichteten Rentenversicherungsbeiträge als freiwillige Beiträge bei der C zu belassen, um seinen Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung zurück zu erhalten und zwei Jahre länger Übergangsgeld kassieren zu können.

Das Arbeitsgericht Offenbach am Main hat der Klage durch Urteil vom 16. April 2008 hinsichtlich des Hauptantrages stattgegeben. Zur Wiedergabe des Urteils und des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf Tatbestand und Gründe der Entscheidung verwiesen (Bl. 147 bis 164 d.A.).

Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. April 2008 zugestellte Urteil mit am 16. Mai 2008 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufung ist nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis zum 11. Juli 2008 durch die Beklagte mit am 11. Juli 2008 eingegangenen Schriftsatz begründet worden.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen mit der Berufung. Sie macht geltend, der Kläger habe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Offenbach am Main eine Pflichtverletzung begangen. Denn er habe sie unstreitig nicht darüber informiert, dass er als Bezieher von Übergangsgeld in mehr als geringfügigem Umfang selbstständig arbeite. Außerdem habe der Kläger während der Prüfung der Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgeldes durch die B mit seinem Verhalten dazu beigetragen, dass die Krankenkasse die Rentenversicherungspflicht verneinte. Auch damit habe er gegen seine vertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 16. April 2008 - 5 Ca 433/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Er ist der Auffassung, die Beklagte sei nach dem Ü-VersTV-Lotsen nicht zur Kürzung des geschuldeten Übergangsgeldes berechtigt. Er hafte der Beklagten auch nicht auf Schadensersatz. Er sei nicht verpflichtet gewesen, als Bezieher von Übergangsgeld eine mehr als geringfügige Tätigkeit zu unterlassen. Einigkeit über sein vollständiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Seine Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung habe er sich bei unklarer Rechtslage auszahlen lassen, um seinen Schaden durch die geringeren Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung teilweise ausgleichen zu können.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22. Oktober 2008 (Bl. 216 f. d.A.) verwiesen.

Die Kammer hat im Einvernehmen mit den Parteien die mündliche Verhandlung erst nach der Verhandlung des Bundessozialgerichts vom 24. September 2008 in einem Rechtsstreit zur Sozialversicherungspflicht des Übergangsgelds eines früheren Kollegen des Klägers und ehemaligen Fluglotsen der Beklagten durchgeführt. In diesem Verfahren hat das Bundessozialgericht ausweislich des Terminberichts Nr. 47/08 festgestellt, dass Übergangsgeld nach dem Ü-VersTV-Lotsen rechtlich kein Vorruhestandsgeld im Sinne von § 3 S. 1 Nr. 4 SGB VI ist (- B 12 R 10/07 R -).

Die Parteien haben außerdem vor der Kammer in dem weiteren Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen - 18 Sa 1054/07 - um einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der fiktiven Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung an ihn für die gesamte Zeit seines Bezuges von Übergangsgeld gestritten. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main, wonach er keinen Anspruch auf diese Leistung hat, ist erfolglos geblieben.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 16. April 2008 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet worden.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht Offenbach hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte ist aus keinem Grund berechtigt, dass dem Kläger seit 01. Februar 2008 bis zum Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung zustehende Übergangsgeld auf die Höhe seiner fiktiven Betriebsrente zu kürzen. Die erstinstanzliche Entscheidung war mit der durchgeführten Klarstellung zu bestätigen.

I.

Die erhobene Klage ist in der im Berufungsverfahren klargestellten Fassung gem. § 258 ZPO zulässig. Der Kläger macht wiederkehrende Leistungen geltend. Das mit der Klage verlangte weitere monatliche Übergangsgeld ergibt sich in seiner Gesamtheit als Folge ein und desselben Rechtsverhältnisses, so dass die einzelne Leistungen nur noch vom Zeitablauf abhängig ist. Der Kläger schuldet keine Gegenleistung. Die bloße, noch nicht konkretisierbare Möglichkeit künftiger Einwendungen der Beklagten steht dem Verfahren gemäß § 258 ZPO nicht entgegen. Die Kammer hat von dem nach der Lebenserfahrung zu erwartenden Ablauf der Dinge auszugehen. Dies ist der Bezug des Übergangsgelds durch den Kläger bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres im Januar 2010. Bei späteren Veränderungen der Verhältnisse kann die Beklagte gemäß §§ 323, 767, 766 ZPO vorgehen.

Der Antrag des Klägers auf rückständige und künftige Differenzen zwischen den ihm nach dem Ü-VersTV-Lotsen und der tatsächlichen Leistung der Beklagten zustehenden Übergangsgelds darf wegen der im Laufe des Rechtsstreits weiter fällig gewordenen Beträge durch den Tenor ohne Verstoß gegen § 528 ZPO angepasst werden.

II.

Die Beklagte ist aus keinem Rechtsgrund berechtigt, dass dem Kläger seit 01. Februar 2008 zustehende Übergangsgeld auf die Höhe einer fiktiven Betriebsrente zu kürzen und keinen Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung mehr zu zahlen. Sie hat dem Kläger deshalb beginnend ab 01. Februar 2008 weitere 3.546,05 ? monatlich sowie einen Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 23,58 ? bis zum Ablauf des 31. Januar 2010 zu zahlen.

Dem Kläger steht nach § 5 Ü-VersTV-Lotsen ein monatliches Übergangsgeld - zum Stand 01. Januar 2008 - in Höhe von 6.105,28 ? brutto zuzüglich einem Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 453,11 ? und einem Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 23,58 ? zu (vgl. Kopie Vergütungsabrechnung für Januar 2008, Anlage K12 zum Schriftsatz des Klägers vom 07. Februar 2008, Bl. 57 d.A.). Diese Verpflichtung hat die Beklagte in § 2 des Vertrages über Übergangsversorgung der Parteien vom 03. April / 05. Mai 1997 bestätigt (vgl. Anlage K 6 zur Klageschrift Bl. 25 d.A.).

Seit Februar 2008 zahlt die Beklagte keinen Zuschuss mehr zur Pflegeversicherung und hat das Übergangsgeld auf einen Betrag in Höhe von 2.559,23 ? gekürzt, welches der Höhe nach der fiktiven Betriebsrente entspricht, welche der Kläger bei unterstellter Rentenversicherungspflicht des Übergangsgelds und Wechsel in die gesetzliche Altersversorgung zum 01. Februar 2008 erhalten würde (vgl. Erläuterung der Beklagten durch Schreiben vom 31. Januar 2008, Anlage K 11 zum Schriftsatz des Klägers vom 07. Februar 2008, Bl. 55 f. d.A.). Eine solche Kürzung ist weder durch eine Bestimmung des Ü-VersTV-Lotsen vorgesehen, noch einzelvertraglich von den Parteien vereinbart worden.

Dem Tarifvertrag lässt sich auch nicht als immanent entnehmen, dass ein Anspruch auf Übergangsgeld gekürzt werden darf, wenn aus Gründen, welche die Parteien bei Eintritt in die Übergangsversorgung nicht berücksichtigten, der Wechsel des jeweiligen Beziehers von Übergangsversorgung in die Altersrente nicht mit Vollendung des 62. oder 63. Lebensjahres möglich ist. Kann ein ehemaliger Arbeitnehmer der Beklagten vor Vollendung des 65. Lebensjahres Leistungen der gesetzlichen Altersversorgung beziehen, endete sein Anspruch auf Übergangsgeld. Sind die Voraussetzungen für einen Wechsel in die Altersrente nach § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen nicht erfüllt, besteht der Anspruch auf Übergangsgeld gemäß § 2 Ü-VersTV-Lotsen in unveränderter Höhe fort.

Ein Anspruch der Beklagten gegen den Kläger, mit welchem sie gegen dessen Anspruch auf Übergangsgeld bis zur Höhe eines Restbetrages von 2.559,23 ? aufrechnen könnte (§ 389 BGB) ist nicht ersichtlich. Ebenso besteht keine Rechtsgrundlage, die Zahlung des Zuschusses zur Pflegeversicherung einzustellen, als ob der Kläger bereits Betriebsrentner sei.

1.

Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Vertrag über Übergangsversorgung vom 03. April / 09. Mai 1997 (Anlage K 6 zur Klageschrift Bl. 25 d.A.).

a)

Der Kläger hat sich gegenüber der Beklagten nicht verpflichtet, keine mehr als geringfügige Tätigkeit während des Bezugs von Übergangsgeld auszuüben. Eine solche Verpflichtung folgt auch nicht aus dem Tarifvertrag Übergangsversorgung Fluglotse.

b)

Der Kläger hat allenfalls dadurch einen Pflichtverstoß übergangen, dass er den Umstand der Ausübung einer mehr als geringfügigen Tätigkeit entgegen § 4 des Vertrags Übergangsversorgung vom 03. April / 09. Mai 1997 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Unterabsatz 1 Ü-VersTV-Lotsen der Beklagten nicht anzeigte. Diese Pflichtverletzung ist aber nicht ursächlich für den Schaden der Beklagten, welcher darin besteht, dem Kläger 24 Monate länger Übergangsgeld zahlen zu müssen.

Die vom Kläger als Bezieher von Übergangsgeld ausgeübte selbstständige Tätigkeit, welche mehr als geringfügig ist, ist für die mangelnde Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgelds nicht kausal. Nach dem Terminbericht Nr. 47/08 des Bundessozialgerichts zur Verhandlung vom 24. September 2008 in dem Rechtsstreit - B 12 R 10/07 R - (Hess. LSG - L 8/14 KR 354/04 -) unterliegt ein Übergangsgeld nach dem Ü-VersTV-Lotsen generell nicht der Sozialversicherungspflicht. Es sei rechtlich kein Vorruhestandsgeld im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Notwendiges Element eines Vorruhestandsgeldes im Rechtssinne sei unabhängig von der Bezeichnung der konkreten Leistung, dass der Arbeitnehmer gleichermaßen aus seiner letzten Beschäftigung wie auch endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Der Tarifvertrag enthalte hierüber keine Regelung. Sie ergebe sich auch nicht aus der tariflichen Verpflichtungen des Arbeitnehmers, sich nicht arbeitslos zu melden (§ 4 Ü-VersTV-Lotsen). Eine über die tariflichen Verpflichtung hinaus gehende Einigung der Parteien darüber, dass der Kläger als Bezieher von Übergangsgeld endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden sollte, ist dem Vertrag der Parteien über Übergangsversorgung vom 03. April / 09.Mai 1997 nicht zu entnehmen (Anlage K 6 zur Klageschrift Bl. 25 d.A.). Dieser wiederholt nur die tariflichen Bestimmungen.

2.

Der Beklagten steht gegen den Kläger auch kein Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB zu, mit welchem sie aufrechnen könnte.

a)

Der Kläger hat nicht gegen eine Rücksichtnahmepflicht verstoßen, als er mit Schreiben vom 31. August 2001 die für ihn zuständigen Krankenkasse bat, die Rentenversicherungspflicht seines Übergangsgelds zu überprüfen (vgl. Kopie als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 100 d.A.). Das von der Beklagten dem Kläger seit 01. Juli 1997 gezahlte Übergangsgeld unterlag nicht der Rentenversicherungspflicht, wie die B durch den Bescheid vom 18. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 bestandskräftig festgestellt hat (vgl. Kopie des Ausgangsbescheides als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 93 f. d.A.). Die an den beteiligten Sozialversicherungsträger gerichtete Bitte um Überprüfung der Rechtslage, welche zu einer Korrektur der sozialversicherungsrechtlich fehlerhaften Behandlung einer Leistung führt, bildet keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung. Der Kläger hat zwar durch seine Anfrage bei der B die Überprüfung der Sozialversicherungspflicht seines Übergangsgeldes ausgelöst, er hat jedoch im Verhältnis zu der Beklagten nicht für die Fortdauer einer rechtlichen Fehleinschätzung einzustehen.

b)

Soweit die Beklagte meint, der Kläger habe ihr gegenüber dafür zu haften, dass die B bei Prüfung der Sozialversicherungspflicht seines Übergangsgeldes zu dem Ergebnis gekommen sei, dies sei sozialversicherungsfrei, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

Unterstellt man zu Gunsten der Beklagten, dass die B bei Prüfung der Rentenversicherungspflicht eine Erklärung des Klägers akzeptiert hätte, er habe sich mit der Beklagten einzelvertraglich, wenn auch nicht ausdrücklich, über sein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben geeinigt, kann gleichwohl kein Verstoß des Klägers gegen das Rücksichtsnahmegebot angenommen werden. Der Kläger ging seit seinem Wechsel in die Übergangsversorgung im Juli 1997 tatsächlich einer mehr als geringfügigen selbstständigen Tätigkeit nach. Die Behauptung einer Einigung mit der Beklagten über sein vollständiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wäre wahrheitswidrig gewesen. An das Unterlassen einer wahrheitswidrigen Erklärung darf keine Haftung geknüpft werden.

3.

Schließlich kann die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger auf den Umstand stützen, dass sich dieser seine fehlerhaft aus dem Übergangsgeld entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung nachträglich auszahlen ließ und somit eine Entrichtung freiwilliger Beiträge gemäß § 202 SGB VI vereitelt hat

Weder im Ü-VersTV-Lotsen noch im Vertrag der Parteien über den Wechsel des Klägers in die Übergangsversorgung vom 03. April / 09. Mai 1997 ist eine solche Pflicht begründet worden, der Umwandlung irrtümlich entrichteter Beiträge in freiwillige Beiträge zuzustimmen. Der Kläger hat mangels Pflichtverstoß für seine Entscheidung nicht gegenüber der Beklagten einzustehen. Welche Auswirkung seine Wahl, sich die Arbeitnehmerbeiträge auszahlen zu lassen, auf einen möglichen Anspruch des Klägers seinerseits gegen die Beklagte hat, ihm die in der gesetzlichen Rentenversicherung entstandenen Nachteile auszugleichen, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.

4.

Der Zinsanspruch des Klägers ist der Höhe nach gemäß § 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, dem Zeitpunkt nach gemäß § 6 Abs. 1 Ü-VersTV-Lotsen.

III.

Der vom Kläger nur hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist auch im Berufungsverfahren nicht angefallen, da der Kläger mit seinem Hauptantrag obsiegt hat.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Zur Zulassung der Revision besteht kein nach § 72 Abs. 2 ArbGG gerechtfertigter Anlass.

Ende der Entscheidung

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