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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.07.2006
Aktenzeichen: 19/3 Sa 1353/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
1. Ein Arbeitgeber, der Gründe nachschieben will, die ihm bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, ihm jedoch nachträglich bekannt geworden sind, hat vor der Einführung in den Kündigungsschutzprozess den Betriebsrat bzw. den Personalrat anzuhören. Eine fehlende oder fehlerhafte Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrats kann der Arbeitgeber nicht dadurch beheben, dass er die vollständige und zutreffende Unterrichtung später nachholt. Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Arbeitgeber zunächst nachgeschobene Kündigungsgründe ohne Anhörung der Personalvertretung in den Prozess einführt und diese Kündigungsgründe, nachdem der Arbeitgeber diesen Mangel entdeckt hat, erneut nach Anhörung der Personalvertretung nochmals in den Prozess einführt.

2. Zumindest dann, wenn der Arbeitgeber nur wenige konkrete Tatsachen dem Arbeitnehmer bei seiner ersten Anhörung vorgehalten hat, muss der Arbeitgeber dann, wenn er erstmals konkrete Tatsachen in den Prozess einführen will, die Verdachtsmomente gegen den Kläger begründen, vorher den Arbeitnehmer hierzu anhören.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 20. April 2005 - 3/8 Ca 2731/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der durch die Beklagte ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger vom 29. September 2004 sowie der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 12. Oktober 2004 zum 30. Juni 2005.

Beklagte ist die eine Kommune, die ihre Entsorgungsbetriebe als Eigenbetrieb nach dem Hessischen Eigenbetriebsgesetz führt. Der Kläger ist am 30.04.1970 geboren, verheiratet und 3 Kindern unterhaltsverpflichtet. Er ist seit dem 01.08.1992 bei der Beklagten beschäftigt, und zwar zunächst als Mülllader, ab dem 01.05.2001 als Kraftfahrer. Von Mai bis September 2004 wurde der Kläger bei unveränderter Vergütung als Mülllader beschäftigt. Der Kläger erzielte zuletzt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung von € 2.662,00. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung. Bei der Beklagten, die mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, besteht ein Personalrat.

Der Kläger wurde im Juli 2004 vom Fahrdienst ausgenommen wegen einer überproportional auftretenden Häufigkeit von von ihm verschuldeten Unfällen. Die Beklagte veranlasste deshalb eine betriebsärztliche Untersuchung. Diese ergab keine gesundheitlichen Bedenken in Bezug auf den Einsatz des Klägers als Kraftfahrer im Bereich der Müllabfuhr (Bl. 30 d.A.). Das Gutachten wurde der Beklagten am 13. September 2004 zugestellt.

Die Müllfahrzeuge der Beklagten sind beim Kommunalversicherer A versichert. Wegen der Häufigkeit von Schadensfällen mit Müllfahrzeugen der Beklagten hatte die A den Verdacht, dass diese teilweise vorsätzlich herbeigeführt worden seien und erstattete Strafanzeige. Die daraufhin gebildete Sonderkommission "Tonne" übergab der Beklagten am 14. September 2004 eine Liste mit den Namen von 11 Mitarbeitern, darunter auch den des Klägers, gegen die wegen Betrugshandlungen zu Lasten des kommunalen Versicherers ermittelt wurde. Am folgenden Tag wurde der Kläger in den Räumen der Beklagten von Ermittlungsbeamten der gebildeten Sonderkommission "Tonne" vernommen sowie aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses der Spind des Klägers von der Polizei geöffnet und durchsucht und parallel hierzu die privaten Räumlichkeiten des Klägers durchsucht und das Mobiltelefon des Klägers beschlagnahmt. Die Ermittlungsbeamten teilten dem Personalleiter und Betriebsleiter mit, dass gegen den Kläger wegen Betrugs zu Lasten des kommunalen Versicherers ermittelt werde. Der Kläger stehe in Verdacht, in Absprache mit den Unfallgegnern vorsätzlich Unfälle herbeigeführt zu haben, und zwar in den letzten 2 Jahren 12 Unfälle, bei denen der Sachschaden zu Lasten des kommunalen Versicherers etwa € 100.000,00 betragen habe.

Am 16.09.2004 wurde der Kläger von der Beklagten zu den erhobenen Vorwürfen angehört; insoweit wird auf das von der Beklagten gefertigte Protokoll (Bl. 31 u. 32 d.A.) verwiesen. Am 23. September 2004 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zu einer beabsichtigten verhaltensbedingten außerordentlichen Verdachtskündigung und zu einer beabsichtigten hilfsweise verhaltensbedingten ordentlichen Verdachtskündigung an (Bl. 33 - 44 d.A). Mit Schreiben vom 29. September 2004 (Bl. 5 u. 6 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 (Bl. 13 u. 14 d.A.) kündigte sie dem Kläger vorsorglich ordentlich zum 30.06.2005. Hiergegen hat sich der Kläger mit am 05. bzw. 19. Oktober 2004 beim Arbeitsgericht Wiesbaden eingegangenen Kündigungsschutzklagen gewandt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht vorliege. Es lägen keine objektiven Umstände vor, die einen dringenden Tatverdacht gegen ihn rechtfertigten. Er hat bestritten, vorsätzlich zu Lasten der Beklagten und der A Verkehrsunfälle herbeigeführt zu haben. Er habe auch nicht immer sein Verschulden eingeräumt. Er habe auch keinen Mitarbeiter aufgefordert, einen vorsätzlichen Unfall in Verabredung mit dem Unfallgegner herbeizuführen. Soweit die Beklagte sich darauf berufe, dass ein weiterer Mitarbeiter, Herr B, verdächtig sei, vorsätzlich einen Unfall mit dem Fahrzeug des Klägers verursacht zu haben, hat der Kläger darauf hingewiesen, dass Herr B dies bestreitet.

Er sei zu den Verdachtsmomenten nicht ordnungsgemäß angehört worden. Im Personalgespräch vom 16.09.2004 seien ihm lediglich die Daten von 17 Verkehrsunfällen in den vergangenen Jahren genannt worden. Unfallort und Schadenshergang, Kennzeichen der beteiligten Fahrzeuge und Schadenshöhe seien ihm nicht genannt worden.

Im Übrigen sei die Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten worden, da die Beklagte frühzeitig in die Ermittlungen involviert gewesen sei. Der Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 29. September 2004 aufgelöst wurde noch durch die ordentliche Kündigung vom 12. Oktober 2004 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Kündigungen beruhten auf dem dringenden Verdacht, dass der Kläger zu Lasten der Beklagten und des kommunalen Versicherers A Verkehrsunfälle herbeigeführt habe. Der kommunale Versicherer A habe wiederholt Auffälligkeiten bei der Unfallregulierung mit Fahrzeugen der Beklagten festgestellt und Strafanzeige gestellt. Die nach einer Strafanzeige der A gebildete Ermittlungsgruppe habe nach einer Auswertung einer Vielzahl von Versicherungsfällen in den letzten 2 Jahren und Unfällen mit einer Schadenshöhe von mindestens € 5.000,00 11 Mitarbeiter aussortiert, die jeweils das Verschulden nach dem Unfall eingeräumt hätten und in denen es sich um Unfälle mit hochwertigen Fahrzeugen gehandelt habe. Am 14.09.2004 sei der Beklagten eine Liste der 11 betroffenen Mitarbeiter übergeben worden und die Durchsuchung und Vernehmung für den nächsten Tag angekündigt worden. Am 15.09.2004 sei dem Personalleiter C und dem Betriebsleiter D mitgeteilt worden, dass der dringende Tatverdacht bestehe, dass der Kläger in Absprache mit dem Unfallgegner in den letzten 2 Jahren vorsätzlich 12 Unfälle herbeigeführt habe. Der reine Sachschaden zu Lasten des kommunalen Versicherers habe ca. € 100.000,00 betragen.

Im Personalgespräch mit dem Kläger vom 16. September 2004 sei dem Kläger vorgehalten worden, dass die Ermittlungsbehörden gegen den Kläger den dringenden Tatverdacht hätten, dass er 12 Kfz-Unfälle mit Fahrzeugen der Beklagten vorsätzlich herbeigeführt habe, die auf Bestellung durchgeführt worden seien und für die der Kläger eine Gegenleistung erhalten habe. Es sei dem Kläger die Liste der Unfälle nach Datum, Kennzeichen des Beteiligtenfahrzeugs und der gerundeten Schadenshöhe vorgehalten worden und er sei aufgefordert worden, hierzu Stellung zu nehmen. Der Kläger habe die Vorwürfe pauschal bestritten. Am 22. und 23.09.2004 sei dem Personalleiter durch den Leiter der Sonderkommission "Tonne", Herrn E, mitgeteilt worden, dass die Auswertung der Asservate und die Ergebnisse der Durchsuchung den Tatverdacht gegen den Kläger erhärtet hätten. Der Kläger hätte zusammen mit einem Kollegen die meisten Unfälle mit den höchsten Schäden verursacht. Die Unfallgegner bildeten eine homogene Gruppe mit einem beachtlichen Organisationsgrad, der auch Sachverständige und Reparaturbetriebe umfasse. Durch die strafrechtlichen Ermittlungen sei ein Vertrauensverlust bei der Beklagten eingetreten, der es ihr unzumutbar mache, den Kläger weiter zu beschäftigen. Sie dürfe sich darauf verlassen, dass die Informationen seitens der A und der Ermittlungsbehörden richtig seien. Zudem seien Beschlagnahmungen und Durchsuchungsanordnungen nur bei hinreichendem Tatverdacht möglich.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens und des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 70 - 75 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 20.04.2005 der Klage stattgegeben, da die Beklagte die objektiven Tatsachen nicht ausreichend vorgetragen habe, aus denen die Beklagte den sich gegen den Kläger ergebenden Verdacht herleite. Hierfür reiche es nicht aus, auf die Mitteilung der Ermittlungsbehörden zu verweisen. Wegen der näheren Begründung des Urteils wird auf Bl. 76 - 79 d.A. Bezug genommen.

Gegen das am 11.07.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. Juli 2005 Berufung eingelegt und diese mit einem am Montag, den 12.09.2005 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe die ihr möglichen und zumutbaren Ermittlungsanstrengungen durch die Anhörung des Klägers unternommen. Sie habe darüber hinaus innerhalb der 2-Wochenfrist laufenden telefonischen Kontakt mit der ermittelnden Polizei gehabt und zum Schluss erfahren, dass die Ermittlungssituation zur Erhebung einer Anklage ausreiche. Eigene Ermittlungen seien ihr nicht zumutbar gewesen, zumal die Akten zu den länger zurückliegenden Verkehrsunfällen beim Versicherer der Beklagten seien.

Die Beklagte habe am 07.06.2005 erstmals Gelegenheit gehabt, in die Ermittlungsakten Einsicht zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden habe unter dem Az. 4440 Js 10187/05 am 13.04.2005 Anklage beim Amtsgericht Wiesbaden erhoben. Mehrere signifikante Unfallhergänge würden zur Verstärkung des Verdachts der Beklagten beitragen. Im Schriftsatz vom 11.09.2005 nimmt die Beklagte - unstreitig ohne vorherige Personalratsanhörung - Bezug auf die Unfälle vom 08.06.2002, 02.05.2003, 09.07.2003, 10.10.2003 und 18.12.2003.

Nach einem Gespräch mit der A am 21.03.2006 sowie erneute Einsichtnahme in die staatsanwaltschaftlichen Akten am 29.03.2006 und ergänzender Anhörung des Personalrats vom 04.04.2006 (Bl. 145 - 148 d.A.) ergänzt die Beklagte ihr Berufungsvorbringen um Details zu mehreren vom Kläger verursachten Unfällen. Der Kläger habe jeweils Unfälle mit seinem Müllfahrzeug verursacht, bei denen als Unfallgegner jeweils größere Fahrzeuge der Marken Mercedes, BMW oder Audi beteiligt waren und die jeweils fiktiv abgerechnet worden seien und bei denen der Unfallhergang nicht erklärbar sei. Hinsichtlich der Schilderung der einzelnen Unfälle vom 08.06.2002, 19.07.2002, 02.05.2003, 09.07.2003, 17.12.2003, 18.12.2003 und 01.04.2004 wird auf Bl. 139 - 144 d.A. verwiesen. Insbesondere habe der Kläger am 08.06.2003 einen Unfall mit dem Mercedes Benz 500 SL Cabrio des Herrn F verursacht und am 26.06. 2003 nochmals einen Verkehrsunfall mit seinem Privatfahrzeug mit dem Fahrzeug desselben Unfallgegners.

Die Beklagte beantragt,

1. auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden 3/8 Ca 2731/04 vom 20.04.2005 aufgehoben;

2. die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Ansicht, die außerordentliche Kündigung sei verfristet, weil sie nicht innerhalb von 2 Wochen erfolgt sei, nachdem die Beklagte von einem Ermittlungsverfahren gegen den Kläger Kenntnis erlangt habe, da die Beklagte bereits frühzeitig in die Ermittlungen einbezogen gewesen sei. Die Beklagte habe den Kläger nicht ordnungsgemäß angehört. Die Beklagte habe ihm lediglich Daten von 17 Verkehrsunfällen in den vergangenen Jahren genannt, ohne zu sagen, welche Unfälle dies gewesen sein sollen. Die Daten von Verkehrsunfällen stellten keine objektiven Tatsachen dar, aus denen sich ein Verdacht herleite. Die Beklagte hätte sich von der Kriminalpolizei und der eigenen Haftpflichtversicherung die Tatsachen nennen lassen müssen, aufgrund derer gegen den Kläger ermittelt werde. Die Angaben zu den einzelnen Unfällen, die die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung vorgetragen habe, wären der Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht bekannt gewesen. Hinsichtlich der einzelnen von der Beklagten in der Berufungsbegründung vorgetragenen Unfälle nimmt der Kläger auf Bl. 125 u. 126 d.A. Stellung. Die Unfallangaben aus der Berufungsbegründung seien nie Gegenstand der Anhörung des Klägers gewesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist nach §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 c ArbGG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die fristlose Kündigung vom 29. September 2004 noch durch die ordentliche Kündigung vom 12.10.2004 aufgelöst worden.

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. September 2004 nicht aufgelöst.

1.

Zur Begründung ihrer Kündigung beruft sich die Beklagte vor allen Dingen darauf, dass der Kläger im Verdacht steht, ebenso wie mehrere seiner Kollegen mehrfach vorsätzlich Unfälle mit den Müllfahrzeugen der Beklagten in den letzten Jahren verursacht zu haben und auf diese Weise mehrfach Beihilfe zum Betrug zu Lasten der Kfz-Versicherung A der Beklagten geleistet zu haben. Die als Verdachtskündigung begründete außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger scheitert jedoch daran, dass die Beklagte als Arbeitgeberin nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat.

2.

Nach dem unstreitig auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden § 53 Abs. 1 Satz 1 BMT-G II kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dies entspricht insoweit der Formulierung des § 626 Abs. 1 BGB. Entgegen der Auffassung des Klägers wird der Prüfungsmaßstab für das Vorliegen eines wichtigen Grundes in § 53 Abs. 1 BMT-G II nicht in der Weise verschärft, dass eine außerordentliche Kündigung nur in besonders schwerwiegenden Fällen in Betracht komme, weil § 53 Abs. 1 Satz 2 BMT-G II einen bestimmten wichtigen Grund nennt, nämlich wenn der Arbeiter seine Einstellung oder Weiterbeschäftigung durch falsche oder gefälschte Urkunden über seine Person, durch Bestechung oder - auf Befragen - durch wahrheitswidrige Angaben über nicht getilgte gerichtliche Bestrafungen erschlichen hat. Bereits der Wortlaut der Vorschrift ("insbesondere") macht deutlich, dass die Tarifvertragsparteien nur ein besonderes Beispiel für einen wichtigen Grund herausheben wollten, ohne insgesamt den Begriff des wichtigen Grundes zu verändern. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien den Bedeutungsgehalt des wichtigen Grundes in § 53 Abs. 1 BMT-G II verändern wollten, werden aus dem Tarifvertrag nicht ersichtlich (vgl. zu diesem Erfordernis: KR-Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rn 72).

3.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG, der sich die Kammer anschließt, kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung ist möglich, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei einer Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Eine Verdachtskündigung ist rechtlich dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung, BAG, Urteil vom 26.09.2002 - 2 AZR 424/01 - AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG, 06.12.2001 - 2 AZR 496/00 - AP Nr. 36 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG, 06.11.2003 - 2 AZR 631/02 - AP Nr. 39 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

4.

Wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, waren die der Beklagten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bekannten objektiven Tatsachen nicht ausreichend, um eine Verdachtskündigung im Sinne der BAG-Rechtsprechung begründen zu können. Der Beklagten war zu diesem Zeitpunkt nur bekannt, dass der Kläger einer von 11 Mitarbeitern war, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen eines dringenden Tatverdachts, Betrugshandlungen zu Lasten des kommunalen Versicherers begangen zu haben und dass aufgrund eines richterlichen Durchsuchungsbefehls der Spind des Klägers, dessen Privatfahrzeug sowie die Wohnung des Klägers durch die Kriminalpolizei durchsucht worden sind. Außerdem war der Beklagten bekannt, dass der Kläger im Verdacht stand, 12 Verkehrsunfälle vorsätzlich mit den Fahrzeugen der Beklagten herbeigeführt zu haben, dass die Schadenshöhe immer über denen üblicher Unfälle lag und dass geschädigt immer teure Fahrzeuge waren. Insgesamt resultierte daraus ein Schaden aus den vom Kläger verursachten Unfällen von ca. € 100.000,00. Die Beklagte wusste darüber hinaus von dem Leiter der Sonderkommission, dass ein Verdacht bestand, dass die Unfälle mit einem bestimmten Personenkreis verabredet worden seien und die Unfallgegner untereinander in Verbindung stünden. Darüber hinaus war der Beklagten bekannt, dass die Unfälle des Klägers nicht aufgrund einer fehlenden gesundheitlichen Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen beruhten. Als objektive Tatsachen lagen damit der Beklagten nur eine bestimmte Anzahl von Unfällen vor, die in ihrer Häufigkeit und Schadenshöhe ungewöhnlich gewesen sein mag sowie das Bestehen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger und das Vorliegen eines richterlichen Durchsuchungsbefehls. Die Häufigkeit der Unfälle und die Schadenshöhe insgesamt sind jedoch, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, als Tatsachen nicht konkret genug von der Beklagten vorgetragen gewesen, um hieraus einen Verdacht auf vorsätzlich begangener Unfälle begründen zu können. Dass die Unfälle verabredet gewesen seien, stellt lediglich eine Meinungsäußerung des Leiters der Sonderkommission dar, nicht jedoch eine objektive Tatsache. Auch die Durchführung des Ermittlungsverfahrens und das Vorliegen des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses ergibt für sich genommen keine Tatsache, aus denen die Beklagte starke Verdachtsmomente ableiten könnte. Da das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich offen ist, kann das Bestehen eines Ermittlungsverfahrens selbst nicht als konkrete Tatsache zur Begründung eines beim Arbeitgeber bestehenden Verdachts herangezogen werden. Nur wenn dem Arbeitgeber die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Tatsachen bekannt sind und diese einen Verdacht begründen, können dies unter Umständen objektive Tatsachen sein, die starke Verdachtsmomente begründen. Diese konkreten Tatsachen standen der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht zur Verfügung; sie hat sie auch, wie das Arbeitsgericht richtig herausgestellt hat, nicht in den Prozess bis zu diesem Zeitpunkt eingeführt. Zwar kann ein Arbeitgeber sich unter Umständen die Verdachtsmomente der Versicherung oder der Staatsanwaltschaft zu Eigen machen. Dann muss er jedoch die objektiven Tatsachengrundlagen, auf die sich der Verdacht des Dritten stützt, in den Prozess einführen. Dies hat die Beklagte jedoch zunächst nicht getan. Die große Häufigkeit von Unfällen und die Schadenshöhe begründen noch keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger die Unfälle vorsätzlich begangen hat.

5.

Darüber hinaus hatte die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung nicht alles ihr Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan. Sie hat weder die bei ihr bestehenden Unfallunterlagen auf Verdachtsmomente aufgearbeitet noch Erkundigungen über die Unfallmeldungen und Unfallabwicklungen bei ihrer Kfz-Versicherung A eingeholt. Diese Nachforschungen wären der Beklagten auch zumutbar gewesen. Weshalb die Staatsanwaltschaft derartige Nachforschungen der Beklagten unterbunden hätte, hat die Beklagte ebenso wenig vorgetragen wie, warum die Beklagte Auskünfte zwischen Verkehrsunfällen bei ihrem Versicherer nicht erhalten hätte. Nicht ausreichend war es jedenfalls, dass die Beklagte sich lediglich auf die Auskünfte des Polizei-Hauptkommissars E verlassen hat, obwohl diese nicht konkrete und objektive Tatsachen ergeben haben, die einen dringenden Verdacht gegenüber dem Kläger begründen.

Zwar mag die Beklagte den Kläger angehört haben und damit die formelle Wirksamkeitsvoraussetzung der Anhörung des Arbeitnehmers für eine Verdachtskündigung erfüllt haben (vgl. BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Die Anhörung des Arbeitnehmers ist aber nur ein Teil der von der Rechtsprechung geforderten notwendigen Aufklärungsbemühungen. Sie entbindet den Arbeitgeber nicht von anderen zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen. Diese hat die Beklagte hier unterlassen.

6.

Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 17. Mai 2005 näher zu den Umständen von 7 Unfällen vorträgt und hieraus weitere Verdachtsmomente gegen den Kläger begründet, kann dies zur Rechtfertigung der Kündigung vom 29.09.2004 nicht herangezogen werden, da der Personalrat hierzu nicht ordnungsgemäß angehört worden ist.

Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass nach der Rechtsprechung (vgl. nur BAG 14.09.1994 - 2 AZR 164/94 - EzA Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG 06.11.2003 - 2 AZR 631/02 - EzA Nr. 2 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung) die den Verdacht stärkenden oder entkräftenden Tatsachen jedenfalls bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen werden können. Sie sind grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern sie - wenn auch unerkannt - bereits vor Zugang der Kündigung vorlagen. Nur nach der Kündigung entstehende Tatsachen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt. Da die von der Beklagten vorgetragenen Unfälle allesamt zeitlich vor dem Ausspruch der fristlosen Kündigung liegen, war die Beklagte grundsätzlich nicht gehindert, diese Tatsachen zur Erhärtung des gegen den Kläger bestehenden Verdachts vorzutragen.

Das Nachschieben konkreter Tatsachen, die eine Verdachtskündigung begründen könnten, scheitert jedoch bereits daran, dass die Beklagte vor der Einführung in den Kündigungsschutzprozess durch Schriftsatz vom 11.9.2005 den Personalrat nicht angehört hat, soweit es die Unfälle vom 08.06.2002, 02.05.2003, 09.07.2003, 10.10.2003 und 18.12.2003 betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (BAG 11.04.1985 - 2 AZR 239/84 - EzA Nr. 62 zu BetrVG 1972; BAG 13.09.1995 - 2 AZR 587/94 - NZA 1996, 81) hat der Arbeitgeber soweit er Gründe nachschieben will, die ihm bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, ihm jedoch nachträglich bekannt geworden sind, vor der Einführung in den Kündigungsschutzprozess den Betriebsrat bzw. den Personalrat anzuhören. Ist dies nicht geschehen, ist er entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG an dem Nachschieben der Kündigungsgründe in den Kündigungsschutzprozess gehindert. Für den Arbeitnehmer bedeutet das Einführen neuer Kündigungsgründe in den Kündigungsschutzprozess die Gefahr, dass diese Gründe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen können. Das Nachschieben von Kündigungsgründen steht insoweit dem Ausspruch der Kündigung gleich. Durch die Anhörung des Betriebsrats vor dem Nachschieben der Kündigungsgründe in den Prozess soll dieser Gelegenheit erhalten, den Arbeitgeber von dem Nachschieben der Kündigungsgründe abzuhalten (KR-Etzel, 7. Aufl., § 102 BetrVG Rn 188). Aus diesem Grund muss dem Betriebsrat vor dem Nachschieben der Kündigungsgründe das gleiche Recht eingeräumt werden, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken wie vor Ausspruch einer Kündigung. Darüber hinaus besteht nur so die Möglichkeit eines Widerspruchs nach § 102 Abs. 3 - 5 BetrVG, verbunden mit der Möglichkeit ggf. gem. § 102 Abs. 5 BetrVG einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend zu machen (BAG 11.04.1985, a.a.O.).

Hier hat die Beklagte die o.g. Unfälle in den Prozess jedoch eingeführt, ohne vorher den Personalrat zu beteiligen. Zwar hat die Beklagte vor Schluss der mündlichen Verhandlung am 04. April 2006 den Personalrat ergänzend zu den Unfällen vom 08.06.2002, 19.07.2002, 02.05.2003, 09.07.2003, 17.12.2003, 18.12.2003 und 01.04.2004 angehört und bezüglicher dieser Unfälle ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 17. Mai 2006 ergänzt. Dies vermag jedoch die fehlende vorherige Anhörung des Personalrats nicht zu heilen. Eine fehlende oder fehlerhafte Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrats kann der Arbeitgeber nicht dadurch beheben, dass er die vollständige und zutreffende Unterrichtung später nachholt (KR-Etzel, 7. Aufl., § 102 BetrVG Rn 111 a; Großkommentar zum Kündigungsschutzrecht/Koch, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rd 168). Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Arbeitgeber zunächst nachgeschobene Kündigungsgründe ohne Anhörung der Personalvertretung in den Prozess einführt und diese Kündigungsgründe, nachdem der Arbeitgeber diesen Mangel entdeckt hat, erneut nach Anhörung der Personalvertretung nochmals in den Prozess einführt. Auch hier kann die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats nicht nachträglich geheilt werden.

7.

Darüber hinaus kann die Beklagte sich auf die nachgeschobenen Kündigungsgründe nicht berufen, da die Beklagte nicht vorher den Kläger angehört hat. Bei einer Verdachtskündigung muss ein Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw. Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften und ggf. Entlastungstatsachen geltend zu machen. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende ihm obliegende Anhörungspflicht, dann kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen und die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG 13.09.1995 - 2 AZR 587/94 - NZA 1996, 81, 83). Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist insoweit formelle Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung.

Vor Ausspruch der Kündigung hat die Beklagte den Kläger angehört, nicht jedoch bevor sie die konkreten Verdachtsmomente bezüglich der einzelnen Unfälle in den Kündigungsschutzprozess eingeführt hat.

Ob eine Anhörung des Arbeitnehmers vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen bei einer Verdachtskündigung erforderlich ist, ist in der Literatur umstritten. Fischermeier (Zulässigkeit und Grenzen der Verdachtskündigung, Festschrif, 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, 2006, 275, 286; KR-Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rn 216; ebenso: Kraft, Anm. zu BAG EzA Nr. 6 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) vertritt die Auffassung, die Anhörung des Arbeitnehmers zu den erst später bekannt gewordenen Verdachtstatsachen sei entbehrlich, weil dessen Stellungnahme den Kündigungsentschluss nicht mehr beeinflussen und der Arbeitnehmer sich im Prozess gegen die nachgeschobenen Gründe verteidigen könne. Das BAG hat diese Frage im Urteil vom 13.09.1995 (NZA 1996, 81, 84) offen gelassen, da in dem betreffenden Verfahren der Kläger vorher von der Beklagten angehört worden war. Für eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers spricht möglicherweise der Hinweis des BAG in seinem Urteil vom 26.09.2002 (2 AZR 424/01, AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu III.). In den dort gegebenen Hinweisen im Rahmen der Zurückverweisung an das LAG ("... wird das Landesarbeitsgericht schließlich die von der Beklagten erst nach Ausspruch der Kündigung gewonnenen Erkenntnisse, zu denen sie den Kläger und den Personalrat angehört hat, zu berücksichtigen haben") dafür, dass der 2. Senat eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers bei Nachschieben von Kündigungsgründen bei einer Verdachtskündigung für erforderlich hält. Letztere Ansicht wird in der Literatur insbesondere von Dorndorf (HK-KSchG/Dorndorf, 4. Aufl., § 1 Rn 848) und Höland (Anm. zu BAG AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) vertreten. Die Kammer folgt zumindest in diesem konkreten Fall ebenfalls dieser Ansicht. Zwar ist es richtig, dass der Arbeitnehmer bei einer Anhörung nicht mehr auf den Entschluss des Arbeitgebers im Hinblick auf die bereits ausgesprochene Kündigung Einfluss nehmen kann. Die Anhörung des Arbeitnehmers kann aber auch bei nachgeschobenen Gründen zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beitragen und den Arbeitgeber beispielsweise auch zu weiteren Nachforschungen veranlassen. Die Anhörung des Arbeitnehmers hat insoweit einen ähnlichen Einfluss wie die Anhörung des Betriebsrats. Auch diese kann bei nachgeschobenen Kündigungsgründen die Kündigung selbst nicht mehr beeinflussen, wohl aber, ob und in welcher Weise der Arbeitgeber die nachträglich herausgefundenen Verdachtsmomente in den Kündigungsschutzprozess einbringt und dabei ggf. auch den Bedenken des Betriebsrats oder den Gegenargumenten des Arbeitnehmers bei seiner Anhörung Rechnung trägt.

Zumindest dann, wenn der Arbeitgeber nur wenige konkrete Tatsachen dem Arbeitnehmer bei seiner ersten Anhörung vorgehalten hat - wie hier: Datum des Unfalls, Kennzeichen des betroffenen Beklagtenfahrzeugs, Schadenshöhe - und der Arbeitnehmer dies zunächst nur pauschal bestritten hat (vgl. das Protokoll des Personalgesprächs vom 20.09.2004, Bl. 31 d.A.), muss der Arbeitgeber dann, wenn er erstmals konkrete Tatsachen in den Prozess einführen will, die Verdachtsmomente gegen den Kläger begründen, vorher den Arbeitnehmer hierzu anhören. Insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber seine Pflicht bei der ersten Anhörung verletzt hat, dem Arbeitnehmer bei seiner Anhörung einen Sachverhalt zu präsentieren, der jedenfalls so weit konkretisiert ist, dass sich der Arbeitnehmer substantiiert einlassen kann (BAG NZA 1996, 81, 83), muss dem Arbeitnehmer die Chance gegeben werden, sich in einem Gespräch mit dem Arbeitgeber zu entlasten, sobald sich dieser erstmalig auf hinreichend konkretisierte Sachverhalte beziehen will, die einen Verdacht gegen den Arbeitnehmer begründen könnten.

Diese Anhörung des Arbeitnehmers konnte auch nicht etwa deshalb entfallen, weil der Kläger sich geweigert hat, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Nach der Rechtsprechung des BAG, der die Kammer folgt, kann von einer schuldhaften Verletzen der Anhörungspflicht durch den Arbeitgeber nicht gesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit ist, sich zu den Verdachtsgründen substantiiert zu äußern (BAG 30.04.1987 - 2 AZR 283/86 - EzA Nr. 3 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Die Kammer vermag in dem von der Beklagten protokollierten Verhalten des Klägers bei der Anhörung am 16.09.2004 eine derartige Weigerung nicht zu entdecken. Er hat bestritten, einen Verkehrsunfall vorsätzlich begangen zu haben. Nach dem Vorlesen der Liste der Verkehrsunfälle hat der Kläger keine weitere Erklärung mehr abgegeben. Aus diesen Erklärungen vermag die Kammer nicht zu schließen, dass der Kläger sich an der weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht beteiligen wollte, da die von der Beklagten dem Kläger vorgehaltenen Daten so substanzlos waren, dass hierzu eine konkrete Einlassung des Klägers nicht möglich war. Insofern kann von der Weigerung des Klägers, Weiteres zu sagen, nicht auf einen fehlenden Willen an einer Mitwirkung der Aufklärung des Sachverhalts geschlossen werden.

II.

Die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. Oktober 2004 ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), da sie nicht aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt ist. Zwar kann ein auf objektive Tatsachen gegründeter Verdacht auch eine ordentliche Verdachtskündigung an sich begründen, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen unternommen hat. Da dies jedoch gerade nicht der Fall war, ist auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten rechtsunwirksam.

C.

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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