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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.10.2006
Aktenzeichen: 19 Sa 701/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 64 II b
ZPO § 6
Bei einer Herausgabeklage wird der Wert des Streitgegenstandes bestimmt durch den objektiven Verkehrswert der Sache bei Klageeinreichung.

An die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts im Urteil gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG ist das Berufungsgericht grundsätzlich gebunden.

Dies gilt nicht, wenn die Streitwertfestsetzung unverständlich und unter keinem vernünftigen Geschichtspunkt zurechtfertigen ist. Hiervon ist auszugehen, wenn das Arbeitsgericht ohne weitere Begründung bei einer Herausgabeklage einer starken Wertverfall unterliegenden gebrauchten Sache (Notebook) den Neuwert ansetzt.


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2006 - 8 Ca 5566/05 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Die Revisionsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma A, der Beklagte war vom 01.02.2003 bis 11.10.2004 Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin. Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger vom Beklagten die Herausgabe eines Laptops, den die Insolvenzschuldnerin am 11.02.2003 zu einem Preis von € 1.405,00 anschaffte (vgl. Rechnung der Firma B, Bl. 4 u. 5 d.A.). In dem zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrag (Bl. 6 u. 7 d.A.) verpflichtete sich der Beklagte, die noch in seinem Besitz befindlichen, jedoch im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stehenden Gegenstände an den Insolvenzverwalter zurückzugeben. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 und 12. Januar 2005 den Besitz des streitgegenständlichen Laptops bestritten hat, hat der Kläger mit einer am 29. Juni 2005 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage die Herausgabe des Laptops verlangt.

Der Kläger hat beantragt,

der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Laptop HP OmnibookXE4100 CEL1200 14Z 20 GB WXPPRO nebst Speichererweiterung HP 128 MB SDRAM PC133 sowie ein AVM Kabel PCMCIA herauszugeben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, der Laptop habe sich im Besitz seines Vorgesetzten, des Zeugen Z befunden.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 07. Februar 2006 die Klage abgewiesen und den Wert des Streitgegenstands auf € 1.405,00 festgesetzt. Gegen das dem Kläger am 29.03.2006 zugestellte Urteil hat dieser mit einem am 20. April 2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist diese fristgemäß mit einem am 29. Juni 2006 eingegangenen Schriftsatz begründet. Hinsichtlich der Berufungsbegründung wird auf Bl. 76 - 80 d.A. verwiesen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des am 07.02.2006 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main, Az. 8 Ca 5566/05, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Laptop HP-Omnibook XE 4100 CEL1200 14 Z 20 GB WXPPRO mit Speichererweiterung HP 128 MB SDRAM PC133 sowie ein AVM Kabel PCMCIA herauszugeben;

2. hilfsweise: Den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger € 500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des Inhalts der Berufungserwiderung wird auf Bl. 104 - 108 d.A. verwiesen.

Nach Hinweis des Gerichts vom 24.07.2006, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, da bei Herausgabeklagen auf den Verkehrswert bei Klageinreichung abzustellen sei und nicht auf den Anschaffungswert und ersterer vom Berufungskläger mit € 500,00 angegeben werde, behauptet der Kläger zunächst, dass der Laptop bei Klageinreichung ca. € 1.000,00 wert gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 29.08.2006 legt der Kläger ein Kaufangebot vor, nachdem die Firma C für einen gebrauchten Laptop € 560,00, inklusive Betriebssystem und Kabel € 645,00 zuzüglich MWSt. zahlen würde, wenn das Gerät 2 Jahre alt wäre, wenn das Gerät 3 Jahre alt wäre, € 380,00 (Bl. 103 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 07. Februar 2006 ist ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen (§§ 64 Abs. 1, 2 b, 66 Abs. 2 ArbGG, 522 Abs. 1 ZPO).

Die Berufung ist nicht statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes € 600,00 nicht übersteigt (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) und das Arbeitsgericht die Berufung auch sonst nicht zugelassen hat (§ 64 Abs. 3 ArbGG).

I.

Die Berufung ist nicht statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes € 600,00 nicht übersteigt. Gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG kann die Berufung nur eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes € 600,00 übersteigt. Einen höheren Wert des Beschwerdegegenstandes hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht (§ 64 Abs. 5 ArbGG).

Bei der Klage um Herausgabe des Laptops handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Die Beschwer ergibt sich hier nicht aus der Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteil. Zwar entspricht es ständiger Rechtsprechung des BAG (grundlegend: BAG 02.03.1983 - 5 AZR 594/82 - EzA Nr. 12 zu § 64 ArbGG; ebenso BAG 13. Januar 1988 - 5 AZR 410/87 - EzA Nr. 22 zu § 64 ArbGG 1979; BAG 27.05.1994 - 5 AZB 3/94 - EzA Nr. 32 zu § 64 ArbGG 1979; BAG 27. Januar 2004 - 1 AZR 105/03 - EzA Nr. 39 zu § 64 ArbGG 1979), dass das Berufungsgericht bei der Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstandes an die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts gebunden ist, soweit diese nicht offensichtlich unrichtig ist. Diese Auffassung beruht darauf, dass gem. § 61 Abs. 1 ArbGG der Streitwert im Urteil festzusetzen ist. Die Streitwertfestsetzung bildet einen Urteilsbestandteil, der gem. § 318 ZPO bindend ist. Da der Beschwerdewert nie höher liegen kann als der Streitwert zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, begrenzt der festgesetzte Streitwert die Höhe der Beschwer. Aus Streitwert, Urteil und Anträgen kann die Höhe der Beschwer ermittelt werden. In allen Rechtsstreitigkeiten, in denen eine Partei in vollem Umfang unterliegt, ergibt sich ihre Beschwer unmittelbar aus dem Streitwert. Wäre die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ungewiss, bis das Berufungsgericht über den Beschwerdewert erkannt hat, würde dies dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren in besonderem Maße gebotenen Grundsatz der Rechtsmittelklarheit (BVerfG 27.04.1976 - 2 BvR 42/72 - AP Nr. 15 zu § 92 ArbGG 1953) widersprechen (BAG 02. März 1983, a.a.O., unter I. 3. c) cc) d.Gr.). Dieser Auffassung des BAG ist die arbeitsrechtliche Literatur, insbesondere nach Streichung des früheren § 69 Abs. 2 ArbGG durch Art. 1 Nr. 17 ArbGG EntG vom 26.06.1990 (BGBl. I, 1206), der die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands durch das Landesarbeitsgericht vorsah, wenn nach Verkündung des Urteils des Arbeitsgerichts der Wert des Streitgegenstandes sich geändert hatte, weitgehend gefolgt (Koch, NJW 1991, 1856, 1857; Schwab, NZA 1991, 657, 659; ders. in Schwab/ Weth, ArbGG, § 64 Rn 62; Breinlinger in Düwell/Lipke, ArbGG, § 64 Rn 18; Hauck in Hauck/Helml, ArbGG, 3. Aufl., § 64 Rn 4; ErfK/U. Koch, 6. Aufl., § 64 ArbGG Rn 15; HWK-Kalb, 2. Aufl., § 64 ArbGG Rn 8; Tschöpe, Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 3. Aufl., Teil 5 D Rn 9 und 10; zumindest für die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands auf € 600,00 und weniger auch Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 64 Rn 20; kritisch hierzu im Hinblick auf die hiervon abweichende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs GK-ArbGG Vossen, § 64 Rn 32; Schilken, Anm. zu BAG EzA Nr. 22 zu § 64 ArbGG 1979; Vollkommer, Anm. zu BAG EzA Nr. 12 zu § 64 ArbGG 1979).

Da hier das Arbeitsgericht im Urteil den Wert des Streitgegenstandes mit € 1.405,00 festgesetzt hat, spricht dies zunächst für die Zulässigkeit der Berufung. Allerdings nimmt das BAG in ständiger Rechtsprechung und die ihm folgende Literatur eine Ausnahme von dieser Bindung dann an, wenn die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts offensichtlich unrichtig ist (BAG 27. Mai 1994, a.a.O., m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn die Streitwertfestsetzung in jeder Beziehung unverständlich und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und der zutreffende Streitwert auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze übersteigt oder unterschreitet (BAG 11.06.1986 - 5 AZR 512/83 - EzA Nr. 17 zu § 64 ArbGG 1979; BAG 27.05.1994 - 5 AZB 3/94 - EzA Nr. 32 zu § 64 ArbGG 1979; LAG Köln 18.10.2005 - 9 Sa 215/05 - Juris).

Das Arbeitsgericht hat den Wert des Streitgegenstands mit dem vom Kläger behaupteten Anschaffungswert des Laptops mit € 1.405,00 festgesetzt. Dies ist offensichtlich unrichtig. Bei einer Herausgabeklage wird gem. § 6 ZPO der Wert bestimmt durch den Wert einer Sache, d.h. den objektiven Verkehrswert der Sache (Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 6 Rn 3; Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 6 Rn 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 6 Rn 4; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 6 Rn 2). Er ist nach § 3 ZPO zu schätzen und bestimmt sich nach dem Betrag, der sich erzielen ließe, wenn die Sache veräußert werden würde (BGH 12.09.2000 - X ZR 89/00 - NJW-RR 2001, 518; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 6 Rn 2). Für die Wertberechnung ist gem. § 4 Abs. 1 ZPO der Zeitpunkt der Einreichung der Klage, in der Rechtsmittelinstanz der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend. Dementsprechend wird bei der Klage auf Herausgabe von beweglichen Sachen als Wert der Verkehrswert der Sache bei Klageinreichung genommen, nicht dagegen der Kaufpreis (Zöller/Herget, § 3 Rn 16; Musielek/Heinrich, § 3 Rn 27). Dies ist unmittelbar einleuchtend, wenn die Parteien etwa über die Herausgabe eines 10 Jahre alten gebrauchten Pkw streiten würden - hier käme niemand auf den Gedanken, den Streitwert der Herausgabeklage mit dem Neupreis anzusetzen.

Der Wert des herausverlangten Laptops am Tag des Eingangs der Klageschrift am 29. Juni 2005 lag jedoch bereits unter € 600,00; dies gilt erst recht zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels am 20.04.2006. Dies hat das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung nicht beachtet. Abzustellen ist daher nur auf diesen Streitwert (zu einem vergleichbaren Fall der Außerachtlassung kostenrechtlicher Vorschriften durch die erste Instanz: LAG Köln 18.10.2005 - 9 Sa 215/05, Juris). Auch der Kläger akzeptiert, dass es auf den Verkehrswert zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage ankommt. Er hat zunächst diesen für die Klageinreichung auf € 1.000,00 geschätzt und für den Zeitpunkt der Berufungseinlegung auf € 500,00. Später hat der Kläger ein Kaufangebot vorgelegt, in dem ein gleichartiger Laptop bei einem Alter von 2 Jahren mit € 645,00 angekauft würde, bei einem Alter von 3 Jahren mit € 380,00. Selbst wenn man auf dieses vom Kläger eingereichte Kaufangebot als Mittel der Glaubhaftmachung gem. § 64 Abs. 5 ArbGG abstellt, betrug der Verkehrswert des Laptops bei Klageinreichung weniger als € 600,00, da dieser Ende Juni 2006 eben nicht mehr 2 Jahre alt war, sondern 2 Jahre und 4 1/2 Monate. Folgt man den Zahlen des vom Kläger vorgelegten Angebots, hat der Laptop innerhalb eines Jahres vom 2. zum 3. Jahr einen Wertverlust von € 265,00, damit innerhalb von 4 1/2 Monaten einen Wertverlust von € 100,00. Damit betrug der Verkehrswert zum Zeitpunkt der Klageinreichung € 545,00, also weniger als € 600,00. Dies gilt erst recht, wenn man auf den Verkehrswert zum Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung abstellt, der zu diesem Zeitpunkt unter € 380,00 liegt. Im Übrigen geht auch der Kläger selbst von einem Wert unter € 600,00 aus, wie sich aus seinem hilfsweise gestellten Berufungsantrag ergibt, der einen Schadenersatzanspruch von € 500,00 vorsieht, falls der Kläger den Laptop nicht herausgibt.

II.

Die Berufung ist auch nicht deshalb statthaft, weil die Berufung vom Arbeitsgericht Frankfurt am Main zugelassen worden wäre. Weder im Urteil noch nachträglich nach § 64 Abs. 3 a ArbGG hat das Arbeitsgericht darüber entschieden, die Berufung zuzulassen. Über die Zulassung der Berufung hat das Arbeitsgericht grundsätzlich zwar von Amts wegen zu entscheiden. Dies wird allgemein auch dann empfohlen, wenn der festgesetzte Streitwert € 600,00 übersteigt (GK-ArbGG-Vossen, § 64 Rn 53). Enthält der Urteilstenor keinen Ausspruch über die Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung, kann nach § 64 Abs. 3 a Satz 2 ArbGG auf Antrag eine entsprechende Ergänzung erfolgen. Diese ist innerhalb von 2 Wochen ab Verkündung des Urteils beim erkennenden Arbeitsgericht zu stellen. Wird ein derartiger Antrag nicht gestellt, und enthält das arbeitsgerichtliche Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung der Berufung, ist die Berufung nicht statthaft (LAG Köln 18.10.2005 - 9 Sa 215/05 - Juris; Sächsisches LAG 31.08.2001 - 3 Sa 532/01; GK-ArbGG-Vossen, § 64 Rn 62 a; Appel/Kaiser, AuR 2000, 281, 282).

III.

Da die Berufung nicht statthaft ist, ist über die Begründetheit der Berufung nicht zu entscheiden. Eine unzulässige Berufung kann auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 1 ZPO verworfen werden (GK-ArbGG-Mikosch, § 77 Rn 1).

Gründe für die Zulassung der Revisionsbeschwerde im Sinne des § 77 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (vgl. GK-ArbGG-Mikosch, § 77 Rn 16).

Ende der Entscheidung

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