Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 31.10.2005
Aktenzeichen: 2 Ta 289/05
Rechtsgebiete: ZPO, SGB IX


Vorschriften:

ZPO § 114
SGB IX § 81 II 2
SGB IX § 82
Der Umstand, dass ein schwerbehinderter Mensch, der sich auf eine Stelle im öffentlichen Dienst beworben hat, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, kann nur dann eine hinreichende Erfolgsaussicht für einen Schadenersatzanspruch nach abschlägiger Entscheidung seiner Bewerbung begründen, wenn er nicht offensichtlich ungeeignet für die zu besetzende Stelle war.

Im konkreten Fall war eine offensichtliche Ungeeignetheit für vier der fünf Bewerbungen anzunehmen, weil der schwerbehinderte Stellenbewerber wesentliche Voraussetzungen im Anforderungsprofil der Stelle nicht erfüllte.


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 25. April 2005 - 8 Ha 2/05 - unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert.

Dem Antragsteller wird beschränkt auf eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung, welche in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch höchstens auf Zahlung von € 4.844,73 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und zur Wahrnehmung der Rechte in der ersten Instanz ausschließlich der Zwangsvollstreckung Rechtsanwalt A , Darmstadt beigeordnet, jedoch unter Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von Tage- und Abwesenheitsgeldern sowie etwaiger Reisekosten vom Ort der Kanzlei zum Gerichtsort (auch Ort des Gerichtstages).

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt mit der Maßgabe, dass kein eigener Beitrag zu leisten ist.

Der Antragsteller hat die hälftige Beschwerdegebühr zu tragen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt vorab Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung, welche in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens € 29.068,35 betragen soll nebst Zinsen.

Die von dem Antragsgegner betriebene Universität X (im Folgenden: Universität X) schrieb unter den Kenn-Nummern a, b, c, d und e fünf Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter aus. Wegen des genauen Inhalts der Stellenausschreibungen wird auf die Kopien Bl. 7-16 d.A. Bezug genommen. Der Antragsteller bewarb sich innerhalb der vorgegebenen Bewerbungsfrist mit Schreiben vom 25. April 2004 auf sämtliche fünf Stellen unter Beifügung eines Lebenslaufs und von verschiedenen Zeugnissen und Bestätigungen. Darüber hinaus ließ er der Universität X die Zusicherung gemäß § 34 SGB X der Bundesagentur für Arbeit vom 2. Juni 2004 über die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX zukommen. Mit Schreiben der Universität X vom 23. Juli 2004 erhielt der Antragsteller eine Absage auf seine Bewerbung, wegen deren Wortlauts auf Bl. 39 d.A. Bezug genommen wird. Mit Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten Rechtsanwältin B vom 21. September 2004 machte er gegenüber der Universität X eine Entschädigungsanspruch gemäß § 81 Abs. 2 SGB IX geltend.

Der Antragsteller vertritt die Ansicht, das beklagte Land schulde ihm Schadenersatz, weil die Universität X im Rahmen des Bewerbungsverfahrens gegen den Pflichtenkatalog des § 82 SGB IX verstoßen habe. Die Vorschrift sehe bei einem öffentlichen Arbeitgeber - und um einen solchen handele es sich bei der Universität X - im Fall einer Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen um einen Arbeitsplatz ein Vorstellungsgespräch vor, sofern dem Bewerber die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehle. Der Verstoß gegen diese Vorschrift rechtfertige einen Entschädigungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 bzw. 3, denn § 82 SGB IX erweitere die allgemeinen Pflichten der Arbeitgeber außerhalb des öffentlichen Dienstes. Er behauptet, entgegen der zuletzt von der Universität X geäußerten Auffassung fehle ihm auch nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die von ihm angestrebten Stellen. Wegen der Einzelheiten seiner diesbezüglichen Ausführungen wird auf Bl. 4 f. d.A. und wegen der Einzelheiten der Berechnung des Entschädigungsanspruchs auf die Ausführungen Bl. 6 d.A. Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 25. April 2005 den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Es hat die hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung verneint. Außer des Umstands, dass mit dem Antragsteller kein Vorstellungsgespräch geführt worden sei, habe der Antragsteller nichts vorgetragen, was darauf schließen lasse, seine Nichtberücksichtung sei wegen seiner Behinderung erfolgt. Die Unterlassung der Einladung zum Vorstellungsgespräch und die damit einhergehende Verletzung des § 82 SGB IX begründe jedoch keine Schadenersatzpflicht nach § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB IX, weil diese Vorschrift ausdrücklich auf einen Verstoß gegen § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB IX Bezug nehme.

Gegen diesen, ihm am 28. April 2005 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit einem am 25. Mai 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht Darmstadt mit Beschluss vom 1. Juni 2005 nicht abgeholfen hat.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, ihm mangele es nicht an einer fachlichen Geeignetheit für die Stellen, auf die er sich am 25. April 2004 beworben habe, so dass nur die Angaben über seine Behinderung zur der Absage geführt haben könnten. Auch führe das widersprüchliche und nach objektiven Maßstäben an seiner Qualifikation gemessen fehlerhafte Verhalten der Universität X zu einer Beweislastumkehr zu seinen Gunsten. Wegen der Einzelheiten der Begründung der sofortigen Beschwerde wird auf die Beschwerdeschrift Bezug genommen (Bl. (B) 18-20 d.A.).

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist nach §§ 78 Abs. 1 ArbGG, 567 Abs. 1, 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und wurde auch formgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 2 ZPO).

Die Beschwerde ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Antragsteller kann nur im tenorierten Umfang Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung bewilligt werden. Im Übrigen fehlt es hierfür an der nach dem Gesetz erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 11 a Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 114 ZPO).

Grundsätzlich darf die Prüfung der Erfolgsaussichten zwar nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu verlagern, da dieses Verfahren dazu dient, der unbemittelten Partei den weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten im Hinblick auf den grundgesetzlich geschützten Rechtsschutz zugänglich zu machen. Da jedoch keine völlige Gleichstellung geboten ist, kann die Gewährung von Prozesskostenhilfe an die Bewertung der Erfolgsaussicht geknüpft werden. Diese Erfolgsaussichten müssen groß genug sein, um die staatliche Hilfe für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu rechtfertigen. Dementsprechend ist die hinreichende Erfolgsaussicht zu verneinen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgsaussichten aber nur entfernt gegeben sind (vgl. BVerfG vom 17. Mai 1997, NJW 1997, 2745). Umgekehrt reicht für die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten aus, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Begehrens spricht (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 114 Rn 80).

Voraussetzung danach ist, dass sich zumindest aus dem Vorbringen der einen Anspruch verfolgenden Partei ergibt, dass dieser bestehen kann. Erforderlich ist mithin ein Tatsachenvortrag und nicht nur eine pauschale Behauptung über das Bestehen eines Anspruchs.

Im Hinblick auf die mit dem beabsichtigten Klageverfahren begehrten Ansprüche gilt, dass ein Schadenersatzanspruch nur auf § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 SGB IX gestützt werden kann, wenn der Antragsteller Tatsachen glaubhaft machen kann, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses vermuten lassen und die Beklagtenseite in diesem Fall beweisen muss, dass nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe entscheidend für die unterschiedliche Behandlung gewesen waren (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX).

Gemäß § 82 SGB IX bestehen für öffentliche Arbeitgeber besondere Pflichten im Zusammenhang mit der Bewerbung schwerbehinderter Menschen um einen Arbeitsplatz. Hat sich eine schwerbehinderter Mensch um einen solchen Arbeitsplatz beworben, ist er zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, außer ihm fehlt offensichtlich die fachlich Eignung (§ 82 S. 2 und S. 3 SGB IX). Der Gesetzgeber hat keine ausdrücklichen Regelungen für den Fall aufgestellt, dass ein öffentlicher Arbeitgeber gegen diese besonderen Verpflichtungen verstößt. Allerdings kann die Verletzung von speziellen Regelungen, die bestimmte Arbeitgeber zu besonderen Anstrengungen verpflichten, eine Vermutung für eine Benachteiligung wegen der Behinderung begründen (vgl. BAG vom 15. Februar 2005 - 9 AZR 635/03, NZA 2005, 870). Bei einer möglichen Diskriminierung ist auch heranzuziehen, ob eine mögliche Beeinträchtigung der Chancen des Stellenbewerbers durch eine Verfahrensgestaltung gegeben ist (vgl. BAG vom 15. Februar 2005 a.a.O. m.w.H.).

Allerdings kann die bloße Tatsache der Missachtung einer vorgeschriebenen Verfahrensweise keinen Anspruch auf eine Benachteiligung belegen, wenn dem Stellenbewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Dies kann angenommen werden, wenn das Anforderungsprofil für die Stelle, welches vom Arbeitgeber vorgegeben wird (vgl. BAG vom 7. November 1996 - 2 AZR 811/95, AP Nr. 82 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung), mit dem Leistungsprofil des schwerbehinderten Menschen nicht übereinstimmt.

Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs ist eine hinreichende Erfolgsaussicht für das Klagebegehren nur eingeschränkt zu erkennen. Für vier der vom Antragssteller abgegebenen fünf Stellenbewerbungen fehlt ihm nach den Vorgaben im Anforderungsprofil der Stellen entscheidende Voraussetzungen. Das Profil der Stellen Kenn-Nr. d verlangt einen Studienabschluss in Psychologie, das der Stelle Kenn-Nr. e einen Abschluss in Pädagogik. Über solche Studienabschlüsse verfügt der Antragsteller nicht, denn er ist Diplom-Mathematiker mit dem Nebenfach Informatik und Magister Artium im Fach Germanistik. Gleiches gilt für die Stellen mit den Kenn-Nr. b und c. Für diese beiden Stellen erfüllt er zwar die Voraussetzungen des geforderten Studienabschlusses. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass er die jeweils weitere notwendige Bedingung der Erfahrung in der Softwareentwicklung (insbesondere Java) hat und Webprogrammierungen beherrscht. Soweit der Antragsteller meint, dass es sich bei dem jeweiligen Studienabschluss bzw. weiteren Kriterium der Stellenausschreibung nur um eine von mehreren Voraussetzungen handelt, ist ihm zwar zustimmen. Allerdings übersieht er, dass es sich hierbei bezogen auf das Anforderungsprofil um bedeutende, grundlegende Voraussetzungen handelt, die vom Arbeitgeber gefordert werden können, die er jedoch aufgrund seines eigenen Leistungsprofils nicht erfüllt.

Damit kann nur in Bezug auf die Stelle mit der Kenn-Nr. a festgestellt werden, dass die Universität X von der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht absehen durfte, weil eine offensichtliche Ungeeignetheit in Bezug auf diese Stelle nicht angenommen werden kann und insoweit Schadenersatzansprüche möglich sein können. Die Missachtung der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensweise kann eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses vermuten lassen, mit der Folge, dass Beklagtenseite beweisen muss, dass nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe entscheidend für die unterschiedliche Behandlung gewesen waren (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Höhe der Beschwerdegebühr ergibt sich aus Nr. 8613 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

Zurück