Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 01.09.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 1962/05
Rechtsgebiete: BGB, SGB IX
Vorschriften:
BGB § 626 | |
SGB IX § 69 I 2 | |
SGB IX § 85 | |
SGB IX § 91 |
2. Zum Bedeutungsinhalt des Verbs "lügen".
3. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Äußerung des Klägers überlegt erfolgte und nicht im Rahmen einer emotional geprägten Auseinandersetzung.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 12. Oktober 2005 - 5 Ca 162/05 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen sowie um Annahmeverzugsansprüche.
Die Beklagte ist eine Stadt in Südhessen. Der am 15. Oktober 1957 geborene, ledige Kläger ist seit 01. Juni 1993 als Verwaltungsangestellter bei der Beklagten beschäftigt. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 01. Juni 1993 (Bl. 9, 10 d. A.) wird Bezug genommen. Danach bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). Der Kläger erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe III BAT.
Er wird als Sachbearbeiter für Bauleitplanung beschäftigt. Der Kläger ist Ersatzmitglied des bei der Beklagten gebildeten Personalrats und nahm zuletzt am 30. Juni 2004 an einer Sitzung der Personalvertretung teil.
Am 25. September 2003 bat der stellvertretende Fachbereichsleiter der Beklagten den Kläger zu einem Gespräch. Dabei hielt dieser dem Kläger vor, dass er eine Frist zur Abgabe einer Projektliste versäumt habe. Ferner wurde der Kläger mit mehreren Aktenvermerken konfrontiert, die eine Mitarbeiterin der Fachdienstleitung 13 angefertigt hatte. Der Kläger erklärte, dass es sich bei dem Anfertigen der Aktenvermerke und dem Zitieren daraus um Stasi-Methoden handele. Wegen dieser Äußerung erteilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 20. Oktober 2003 eine Abmahnung. Seine auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte gerichtete Klage wurde vom Arbeitsgericht Offenbach am Main mit Urteil vom 28. April 2004 abgewiesen. Die vom Kläger hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Hessischen Landesarbeitsgericht am 18. März 2005 zurückgewiesen (3 Sa 1072/04). Vom 13. September 2004 bis 28. Februar 2005 erbrachte der Kläger wegen Urlaub, Krankheit und Kur keine Arbeitsleistung. Nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit fanden am 01., 04. und 07. März 2005 Personalgespräche zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, Herrn A, und einer Kollegin, Frau B, statt, wobei streitig ist, ob der Kläger bereits am 01. März 2005 oder erst am 04. März 2005 aufgefordert wurde, am 08. März 2005 an einem Fachseminar mit dem Thema "Aktuelle Entwicklungen des Städtebaurechts" in C teilzunehmen. Dies lehnte der Kläger wegen privater Termine ab und deswegen, weil er warten wolle, bis ein entsprechendes Seminar in der Nähe seines Wohnorts angeboten würde. In dem Gespräch vom 07. März 2005 forderten Herr A und Frau B den Kläger auf, mitzuteilen, um welche privaten Termine es sich handele, um die privaten Belange des Klägers mit den dienstlichen Interessen an der Seminarteilnahme abzuwägen. In diesem Zusammenhang äußerte Herr A, der Kläger habe bereits im Sommer 2004 ein Seminarangebot abgelehnt. Ob der Kläger darauf, gerichtet an seinen Vorgesetzten, erwiderte, er lüge, wie er das immer machen würde oder ob er erklärte: "Das ist gelogen, wie so manches Andere auch", ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 14. März 2005 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Am 15. März 2005 stellte der Kläger beim Hessischen Amt für Versorgung und Soziales einen Antrag auf Feststellung der Eigenschaft als schwer behinderter Mensch nach § 69 SGB IX. Mit Schreiben vom 17. März 2005 (Bl. 14, 15 d. A.) widersprach der Personalrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Unter dem 18. März 2005 (Bl. 11 bis 13 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Bis zu diesem Termin rechnete sie das Arbeitsverhältnis ab und zahlte dem Kläger Arbeitsentgelt. Mit Schreiben vom 05. April 2005 beantragte die Beklagte beim Landeswohlfahrtsverband Hessen die Zustimmung zu einer (weiteren) außerordentlichen Kündigung, die mit Bescheid vom 19. April 2005 (Bl. 52 ff. d A.) erteilt wurde. Unter dem 19. April 2005 (Bl. 21 bis 23 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut fristlos.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2005 (Bl. 87 f d. A.) wurde ein Grad der Behinderung von 30 für den Kläger festgestellt. Auf den Widerspruch des Klägers stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales mit Bescheid vom 27. September 2005 (Bl. 142 f d. A.) einen Grad der Behinderung von 50 fest.
Mit seiner am 06. April 2005 bei Gericht eingegangenen und am 22. April 2005 erweiterten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigungen vom 18. März 2005 und 19. April 2005 geltend gemacht. Der Kläger hat behauptet, Herr A habe in dem Gespräch vom 07. März 2005 zu Unrecht behauptet, man habe den Kläger bereits im Sommer 2004 auf eine Fortbildung schicken wollen, was dieser verweigert habe. Darauf habe der Kläger erwidert: "das ist gelogen, wie so manches Andere auch". Es treffe auch nicht zu, dass dem Kläger bereits am 01. März 2005 mitgeteilt worden sei, er solle am 08. März 2005 an der Fortbildung teilnehmen. Vielmehr habe er erst am 04. März 2005 über seine Kollegin D erfahren, dass er für die Fortbildung in C vorgesehen sei. Herr A habe gegenüber dem Kläger bereits in der Vergangenheit unwahre Behauptungen gemacht, so als er ihm am 25. September 2003 vorgeworfen habe, eine ihm gesetzte Frist zur Abgabe einer Liste über abzurechnende Erschließungsmaßnahmen nicht eingehalten zu haben. Vor diesem Hintergrund sei die Äußerung des Klägers vom 07. März 2005 zu sehen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass im Haus der Beklagten durchaus gelegentlich ein ruppiger Ton gepflegt werde. So habe ein Mitarbeiter Herrn A mit dem Götz-Zitat belegt. Es gäbe eine ganze Reihe von Mitarbeitern der Beklagten, die Probleme mit Herrn A haben. Die gesamte Abteilung 604 habe sich über diesen beim Bürgermeister beschwert. Herr A habe sich mehrfach dahingehend geäußert, dass er den Kläger unter allen Umständen loswerden wolle. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine Äußerung stelle sich jedenfalls nicht als ein so schwerwiegender Verstoß dar, dass es der Beklagten nicht zuzumuten gewesen wäre, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzuwarten.
Der Kläger hat beantragt,
1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 18. März 2005 weder außerordentlich fristlos noch ordentlich zum 31. August 2005 aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 19. April 2005 weder außerordentlich fristlos noch ordentlich zum 30. September 2005 aufgelöst worden ist;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.588,20 Euro brutto zu zahlen;
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15.148,80 Euro brutto abzüglich erhaltener 2.199,90 netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, das Gesamtverhalten des Klägers sei dadurch gekennzeichnet, dass er das Verhalten seiner Vorgesetzten nicht akzeptiere. So habe er Herrn A in einem Gespräch vom 16. Januar 2003 vorgeworfen, dieser unterstelle ihm seit Jahren Boshaftigkeit und die stellvertretende Fachdienstleiterin, Frau B, suche in seinen Arbeitsergebnissen wie wild nach Fehlern. Diese Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Bereits in dem Rückkehrgespräch vom 01. März 2005 sei der Kläger gebeten worden, an der Fortbildungsveranstaltung am 08. März 2005 in C teilzunehmen. Diese befasste sich mit den bereits Mitte 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Baugesetzbuchs, weshalb bereits in 2004 zahlreiche Seminare zu diesem Thema stattgefunden hatten, sodass eine Häufung derartiger Veranstaltungen für 2005 nicht mehr zu erwarten gewesen sei. In dem Gespräch vom 07. März 2005 sei diese Angelegenheit nochmals erörtert und der Kläger gebeten worden, mitzuteilen, warum er diesen Termin nicht wahrnehmen könne. Es sei gebeten worden, seine privaten Termine zu konkretisieren, habe dazu aber keine Angaben machen wollen. Daher sei den Vorgesetzten eine Abwägung der privaten Belange des Klägers mit den dienstlichen Interessen der Beklagten an der Seminarteilnahme des Klägers nicht möglich gewesen. Deshalb sei der Kläger aufgefordert worden, sich um eine Verschiebung seiner privaten Termine zu bemühen, anderenfalls werde seine Seminarteilnahme dienstlich angeordnet. Als Herr A äußerte, der Kläger habe bereits im Sommer 2004 eine Seminarteilnahme abgelehnt mit der Begründung, dass er lieber warten wolle, bis ein Seminar in der Nähe seines Wohnorts angeboten werde, habe der Kläger gerichtet an Herrn A gesagt:"Sie lügen, wie Sie das immer machen." Diese Äußerung sei als schwere Beleidigung zu werten, da der Kläger seinen Vorgesetzten als notorischen Lügner hinstelle.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zwar könnten grobe Beleidigungen des Vorgesetzten an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Die Interessenabwägung falle jedoch zu Gunsten des Klägers aus. Insoweit sei seine Betriebszugehörigkeit von fast 12 Jahren und sein Lebensalter von 48 Jahren zu berücksichtigen. Es werde dem Kläger daher nicht leicht fallen, eine neue Tätigkeit zu finden. Ferner sei das Arbeitsverhältnis der Parteien erheblich belastet und dem arbeitsvertraglichen Verstoß des Klägers komme im Vergleich zu dem der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt eine andere Qualität zu. In der deutschen Sprache werde das Verb "lügen" umgangssprachlich auch ohne den Bedeutungsinhalt, absichtlich Unwahres zu sagen, gebraucht, nämlich um den Umstand zu bezeichnen, dass etwas objektiv Unwahres gesagt werde. Schließlich sei zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass seit der Abmahnung 1,5 Jahre vergangen waren.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung sei fehlerhaft. Der Interpretation, das Verb "lügen" werde umgangssprachlich auch ohne den Bedeutungsinhalt absichtlich Unwahres zu sagen gebraucht, treffe nicht zu. In der vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln sei es um die Äußerung eines italienischen Straßenreinigers gegangen, der Deutsch nicht als Muttersprache beherrsche und deshalb mit den Feinheiten der deutschen Sprache nicht vertraut sei. Der Kläger sei dagegen Deutscher und Deutsch sei seine Muttersprache. Im Rahmen seiner Tätigkeit habe er die deutsche Sprache bewusst einzusetzen, was er auch tue. Durch seine Äußerung habe er zum Ausdruck gebracht, dass sein Vorgesetzter, Herr A, nicht vertrauenswürdig sei, weil er immer lüge. Dies stelle eine grobe Beleidigung dar. Aus der vom Kläger gemachten Äußerung sowie dem abgemahnten Vorfall folge, dass er über keinerlei Einsichtsfähigkeit verfüge, sodass er sich auch künftig so verhalten werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 12. Oktober 2005 - 5 Ca 162/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Bei der Interessenabwägung sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass Herr A mit zahlreichen anderen Mitarbeitern Auseinandersetzungen gehabt habe. Zudem befinde sich der Kläger auf Grund der Probleme am Arbeitsplatz in ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung. Aus der ärztlichen Bescheinigung des Dr. med. E vom 27. Dezember 2005 (Bl. 279 bis 281) ergebe sich, dass sich der Kläger gegenüber Herrn A in einer ständigen Stresssituation befinde. Am 07. März 2005 habe er gleichsam "reflexartig" auf Grund der unwahren Äußerungen des Herrn A "zurückgeschlagen".
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B und des Zeugen A. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 01. September 2006 Bezug genommen. Hinsichtlich der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf gewechselten Schriftsätze nebst Anlage sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.
Entscheidungsgründe:
A.
Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstands statthaft (§§ 64 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
B.
Die Berufung ist begründet.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete auf Grund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 18. März 2005 zu diesem Termin. Über diesen Termin hinaus stehen dem Kläger keine Vergütungsansprüche gegen die Beklagte zu. Auf die Wirksamkeit der weiteren außerordentlichen Kündigung vom 19. April 2005 kommt es nicht mehr an.
1. Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist die fristlose Kündigung nicht bereits wegen eines Verstoßes gegen § 91 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 85 SGB IX unwirksam. Nach § 90 Abs. 2 a SGB IX greift der Sonderkündigungsschutz der §§ 85 ff SGB IX erst dann ein, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Der Sonderkündigungsschutz beginnt daher frühestens 3 Wochen nach der Antragstellung und setzt zudem voraus, dass dem Antrag mit Rückwirkung stattgegeben wird (vgl. Griebeling NZA 2005, 494, 503). Die außerordentliche Kündigung vom 18. März 2005 bedurfte nicht der Zustimmung des Intergrationsamtes, weil der Kläger erst am 15. März 2005 einen Antrag auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hat.
2. Nach §§ 54 Abs. 1 BAT, 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hierbei ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen.
Zunächst ist zu klären, ob ein bestimmter Sachverhalt "an sich" geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Sodann ist im Rahmen der Interessenabwägung festzustellen, ob bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand desselben überwiegt.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen andererseits, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz) berufen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - DB 2003, 1797 zu I 3 a der Gründe; 12. Januar 1996 - 2 AZR 21/05 - zu B II 1 c der Gründe). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt zum einen weder Formalbeleidigungen und bloße Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen (BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 - BVerfGE 93, 266; 10. November 1998 - 1 BvR 1531/96 - BVerfGE 99, 185). Zum anderen ist dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet, sondern wird insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden. Zwar können die Arbeitnehmer unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und an den betrieblichen Verhältnissen, gegebenenfalls auch überspitzt und polemisch, äußern. Im groben Maße unsachliche Angriffe, die unter anderem zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber dagegen nicht hinnehmen (BAG 10. Oktober 2002 a. a. O.; 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98; 02. April 1987 - 2 AZR 418/86 - AP BGB § 626 Nr. 96). Dabei ist die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und um so schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Äußerung des Klägers "an sich" geeignet eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Die Äußerung: "Sie lügen, wie Sie das immer machen" kann nur dahingehend verstanden werden, dass der Kläger nicht etwa lediglich in Bezug auf den Vorhalt von Herrn A, der Kläger habe bereits im Sommer 2004 eine Fortbildung abgelehnt, zum Ausdruck bringen wollte, dies entspreche nicht den Tatsachen. Vielmehr hat der Kläger durch den Zusatz "wie Sie das immer tun" deutlich gemacht, dass er seinen Vorgesetzten für Jemanden hält, der immer lügt. "Lügen" bedeutet, das Gegenteil der Wahrheit sagen, absichtlich Unwahres sagen, um Andere zu täuschen (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch in 6 Bänden 1982, Stichwort lügen). Dem entsprechend wird unter einer Lüge die absichtlich falsche Aussage, eine Aussage zur bewussten Täuschung Anderer verstanden. Selbst wenn man mit dem Landesarbeitsgericht Köln (03. Mai 2002 - 4 Sa 1285/01) davon ausgeht, dass das Verb "lügen" umgangssprachlich auch ohne den Bedeutungsinhalt, absichtlich Unwahres zu sagen, gebraucht werde, um zu bezeichnen, dass etwas objektiv Unwahres gesagt wird, folgt hieraus, dass der Kläger seinem Vorgesetzten vorgehalten hat, immer objektiv Unwahres zu sagen. Durch diese Äußerung zog er die Vertrauenswürdigkeit seines Vorgesetzten generell in Zweifel. Wer ständig objektiv Unwahres sagt, dessen Worte sind nichts wert. Diese Äußerung stellt die pauschale Verunglimpfung des Vorgesetzten des Klägers dar.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch fest, dass der Kläger diese Äußerung getan hat. Dies hat die Zeugin B so ausgesagt. Die Zeugin hat sehr detailreich den Ablauf und den Inhalt des Gesprächs vom 07. März 2005 geschildert, weshalb die Kammer von der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage überzeugt ist. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen keine Zweifel. Das Aussageverhalten der Zeugin war ruhig und sachlich, es bot keinerlei Anhaltspunkte dafür, sie wolle den Kläger der Wahrheit zuwider belasten oder sie habe ein eigenes Interesse daran, dass der Kläger aus den Diensten der Beklagten ausscheiden müsse. Auch der Zeuge A hat ausgesagt, dass der Kläger erklärt hat, er - der Zeuge A - lüge, wie er das immer machen würde. Allein der Umstand, dass der Zeuge A Adressat der Äußerung des Klägers war, macht seine Aussage nicht zu einem wertlosen Beweismittel. Ebenso wie die Zeugin B schilderte der Zeuge A die Geschehnisse ruhig und sachlich. Seine Aussage ist auch glaubhaft, zumal sie in den entscheidenden Kernpunkten mit der Aussage der Zeugin B übereinstimmt. Soweit die Aussagen sich in Randpunkten unterscheiden, z. B., ob der Zeuge A gesessen oder gestanden hat, betrifft dies ersichtlich Nebensächlichkeiten, denen die Zeugen im Hinblick auf das Kerngeschehen, die Äußerungen des Klägers, nur untergeordnete Bedeutung beigemessen haben.
c) Bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen ist denen des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des Klägers der Vorrang einzuräumen.
aa) Zu Gunsten des Klägers fallen dessen Lebensalter, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und seine Behinderung ins Gewicht. Hinsichtlich seines Gesundheitszustands ist auch zu berücksichtigen, dass er ausweislich der Mitteilung seines behandelnden Arztes vom 27. Dezember 2005 (Bl. 290 f d. A.) gerade auf Grund seines Arbeitsverhältnisses unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen im psychisch-seelischen Bereich leidet.
bb) Zu Lasten des Klägers ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei seinem Fehlverhalten nicht um einen Einzelfall handelte. Bereits im September 2003 hatte er seinen Vorgesetzten aufs Schwerste beleidigt, indem er ihm "Stasi-Methoden" vorwarf und hierfür mit Schreiben vom 20. Oktober 2003 abgemahnt werden musste. Diese Abmahnung war nicht durch Zeitablauf wirkungslos geworden. Ob dies der Fall ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Eine Abmahnung verliert ihre Bedeutung grundsätzlich erst dann, wenn auf Grund des eingetretenen Zeitablaufs oder auf Grund neuer Umstände der Arbeitnehmer wieder im Ungewissen sein konnte, was der Arbeitgeber von ihm erwarten bzw. wie er auf eine etwaige Pflichtverletzung reagieren werde. Dies lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art der Verfehlung des Arbeitnehmers und des Verhaltens des Arbeitgebers im Anschluss an die Abmahnung beurteilen. In seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01- hat das Bundesarbeitsgericht im Falle einer Beleidigung eine Abmahnung auch nach einem Ablauf von rund 31/2 Jahren noch nicht als wirkungslos angesehen. Hier lag der Abmahnung ein beträchtliches Fehlverhalten des Klägers zu Grunde. Gerade einem öffentlichen Arbeitgeber Stasi-Methoden vorzuwerfen, verletzt die angesprochenen Personen in ihrer Ehre zutiefst. Allein auf Grund des Ablaufs von 11/2 Jahren verlor die Abmahnung daher nicht ihre Relevanz. Da sich nach nur 11/2 Jahren ein weiterer schwerwiegender Vorfall ereignete, ist von einer negativen Prognose auszugehen. Die Beklagte muss befürchten, dass der Kläger auch künftig seinen Vorgesetzten in seiner Ehre zutiefst herabwürdigen wird. Sowohl der abgemahnte Sachverhalt als auch der Kündigungssachverhalt betreffen vergleichbare Vorfälle. Nach Auffassung der Kammer ist der Kündigungssachverhalt - entgegen der Auffassung des Klägers - keinesfalls in seinem Gewicht als weniger gravierend zu beurteilen als der abgemahnte Vorfall. Durch die Äußerung, sein Vorgesetzter lüge, wie er das immer machen würde, zog er dessen Vertrauenswürdigkeit generell in Zweifel. Auf Grund dieser pauschalen Verunglimpfung ist aus Sicht der Kammer eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, Herrn A, in Zukunft nicht mehr denkbar.
cc) Zu Lasten des Klägers ist bei der Interessenabwägung neben dem Gewicht seines Fehlverhaltens zu berücksichtigen, dass seine Aussage überlegt erfolgte und nicht im Rahmen einer emotional geprägten Auseinandersetzung. Wie der Zeuge A ausgesagt hat, herrschte eine ruhige Gesprächsatmosphäre. Weder der Zeuge A noch die Zeugin B haben dem Kläger Veranlassung gegeben, derart scharf zu reagieren. Das an den Kläger gerichtete Ansinnen zur Teilnahme an der Fortbildung, war sachlich geboten. Wenn der Kläger den Hinweis auf seine Ablehnung einer früheren Fortbildung als unzutreffend empfand, hätte er dies mit der schlichten Bemerkung, dass dies nicht zutrifft, zurückweisen können. Hierdurch hätte er seine Interessen in ausreichendem Maße gewahrt. Die Behauptung des Klägers, er habe auf Grund der unwahren Äußerungen des Herrn A "reflexartig zurückgeschlagen" trifft nicht zu. Beide Zeugen haben ausgesagt, dass sie die Äußerung des Klägers als "sehr bewusst" erlebt haben. Die Zeugen B hat bestätigt, dass die Worte "Sie lügen" sehr bestimmend waren und es sodann eine kleine Pause gab, als würde der Kläger noch einmal nachdenken und er dann sagte "wie Sie das immer tun".
dd) Darauf, ob die Beklagte in vergleichbaren Fällen mit dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung reagierte, kommt es nicht an. Zum einen ist bei der Prüfung der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht unmittelbar anzuwenden (KR-Fischermeier 7. Auflage § 626 BGB Randnummer 307 m. w. N.). Zum anderen lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, welche konkrete Situation der durch einen anderen Mitarbeiter erfolgten Beleidigung des Zeugen A (Götz-Zitat) zu Grunde lag. Auch deshalb kann dieser Vorfall hier nicht gewürdigt werden.
ee) Auf Grund des Fehlverhaltens des Klägers ist die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage dermaßen schwer gestört, dass der Beklagten jede weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger unzumutbar ist. Als Ersatzmitglied der Personalvertretung kann der Kläger nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtpersonalratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG 10. Februar 1999 - 2 ABR 31/98 - zu II 3 a der Gründe). Im Hinblick auf die Schwere des Fehlverhaltens des Klägers und die auf Grund der zuvor erfolgten Abmahnung bestehende Negativprognose wäre es der Beklagten nicht zuzumuten, bei einem vergleichbaren Nichtpersonalratsmitglied das Arbeitsverhältnis für die Dauer der Kündigungsfrist (hier 5 Monate zum Quartalsende) fortzusetzen. Auf Grund seiner Äußerungen hat der Kläger die Vertrauensbeziehung zu seinem Vorgesetzten auf Schwerste beeinträchtigt. Die Beklagte muss befürchten, dass während der Kündigungsfrist der Kläger weitere beleidigende Äußerungen gegenüber seinem Vorgesetzten tätigt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger durch die pauschale Diffamierung des Herrn A dessen Glaubwürdigkeit generell in Abrede gestellt hat. Vor diesem Hintergrund war der Beklagten eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen Kündigungsfrist nicht zuzumuten.
3. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Grund der außerordentlichen Kündigung zum 18. März 2005 endete, stehen dem Kläger keine Annahmeverzugsansprüche zu.
C.
Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wurde nicht zugelassen, da dem Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu Grunde liegt, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.