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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 03.11.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 24/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 157
BGB § 133
Ob der Umfang der Unterrichtsverpflichtung eines Lehrers vertraglich fest vereinbart ist oder im Rahmen der vereinbarten Gesamtarbeitszeit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt, ergibt sich im Wege der Auslegung des Arbeitsvertrages.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Juli 2005 - 1 Ca 312/04 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Klägerin.

Der Beklagte betreibt in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins eine Internatsschule, auf der Schüler staatlich anerkannt den Haupt- und Realschulabschluss und das Abitur erwerben können. Die Klägerin ist seit 1991 bei dem Beklagten als Werklehrerin beschäftigt.

Am 22. März 2000 erteilte der Beklagte der Klägerin einen Nachweis über die wesentlichen Vertragsbedingungen, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 5, 6 d.A. Bezug genommen wird. Dort heißt es u.a.:

5. Arbeitszeit

Frau A erfüllt wöchentlich derzeit 23 Deputatsstunden. Die Lage der Unterrichtsstunden wird im Stundenplan festgelegt.

Am 29. April 1991 hatte der Beklagte mit dem bei ihm gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die u.a. folgende Regelungen enthält:

"1. Ab 01. August 1991 beträgt ein volles Unterrichtsdeputat - gleichmäßig für alle Schularten, Schulstufen und unabhängig von der Lehrbefähigung - 23 Jahreswochenstunden.

(...)

Diese Vereinbarung kann vollständig oder in Teilen mit einer Frist von 6 Monaten, jeweils zum 31.07. bzw. 31.12. eines Kalenderjahres mit dem Ziel, sie in Verhandlungen neu zu fassen, von beiden Seiten gekündigt werden."

Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 (Bl. 28 d.A.) kündigte der Beklagte die in der Betriebsvereinbarung vom 29. April 1991 unter 1. niedergeschriebene Regelung zur Höhe des vollen Unterrichtsdeputats zum 31. Juli 2004. Unter dem 19. Juli 2004 bat der Beklagte die Klägerin um ihr Einverständnis zu einer Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung (Deputat) von 23 Stunden/ Woche auf 24 Stunden/Woche. Hiermit erklärte sich die Klägerin nicht einverstanden. Gleichwohl erhöhte der Beklagte die Unterrichtsverpflichtung der Klägerin auf 24 Stunden wöchentlich und erstellte einen entsprechenden Datenauszug "Stammdaten und Deputat 2004/2005" (Bl. 8 d.A.).

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei nicht berechtigt, im Wege des Direktionsrechts den Umfang der Unterrichtsverpflichtung zu ändern. Ferner begehrt sie die Korrektur des Datenblatts unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes sowie aus Treu und Glauben.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, in seinen Arbeitsanweisungen die derzeit gemäß Arbeitsvertrag bestimmte wöchentliche Arbeitszeit von 23,00 Wochenarbeitsstunden für das Schuljahr 2004/2005 nicht zu überschreiten;

2. den Beklagten zu verurteilen, den Datenauszug "Stammdaten und Deputat 2004/2005" mit Datum vom 16. Juli 2004 dahingehend zu korrigieren, dass in der Stammdate "Gesamtstunden:" die Stundenzahl 23,00 einzutragen ist und der Klägerin ein entsprechend korrigierter Datenauszug zuzustellen ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, er sei im Rahmen des Direktionsrechts zur Änderung des Deputatsanteils bezogen auf die Gesamtarbeitszeit befugt. Die Arbeitszeit einer Lehrerin setze sich aus der Unterrichtsverpflichtung (sog. Deputat) sowie den außerhalb der Unterrichtserteilung wahrzunehmenden Aufgaben (Vorbereitung des Lehrstoffs, Korrektur von Klassenarbeiten etc.) zusammen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne das Verhältnis von Unterrichtsverpflichtung und sonstigen Aufgaben im Rahmen des Direktionsrechts unter Wahrung billigen Ermessens verändert werden. Mit der Klägerin sei keine vertragliche Vereinbarung über einen Deputatsanteil von 23 Stunden wöchentlich getroffen worden. Vielmehr ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vereinbarung ("derzeit"), dass keine starre Fixierung des Deputatsanteils erfolgte, sondern lediglich die derzeit geltende Zahl der Deputatsstunden genannt worden sei. Nach erfolgter Kündigung der Regelung des Unterrichtsdeputats in der Betriebsvereinbarung habe der Beklagte mit Wirkung zum 01. August 2004 den Umfang des Unterrichtsdeputats für Vollzeitlehrkräfte von 23 auf 24 Unterrichtsstunden je Woche erhöhen dürfen. Diese Maßnahme halte sich auch in den Grenzen billigen Ermessens.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit dem Rechtsmittel der Berufung.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Nachweis sei dahin auszulegen, dass ein Deputat von 23 Wochenstunden vertraglich fest vereinbart sei. Insoweit stehe dem Beklagten ein Direktionsrecht bezogen auf die Dauer der Unterrichtsverpflichtung nicht zu. Der Vertrag der Parteien sehe allein die Leistung von 23 Deputatsstunden vor, ohne eine wöchentliche Gesamtarbeitszeit festzuschreiben. Hier liege der Unterschied zu den vom BAG entschiedenen Fällen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Juli 2005 - 1 Ca 312/04 - abzuändern und

1. den Beklagten zu verurteilen, in seinen Arbeitsanweisungen an die Klägerin die derzeit gemäß Arbeitsvertrag bestimmte wöchentliche Unterrichtsverpflichtung (Deputat) von 23,00 Wochenarbeitsstunden für das Schuljahr 2004/2005 nicht zu überschreiten;

2. den Beklagten zu verurteilen, in seinen Arbeitsanweisungen an die Klägerin die derzeit gemäß Arbeitsvertrag bestimmte wöchentliche Unterrichtsverpflichtung (Deputat) von 23,00 Wochenarbeitsstunden für das Schuljahr 2005/2006 und 2006/2007 nicht zu überschreiten;

3. den Beklagten zu verurteilen, die Datenauszüge "Stammdaten und Deputat" für das Schuljahr 2004/2005 (vom 16. Juli 2004), 2005/2006 (vom 30. Juni 2005) und 2006/2007 (vom 06. Januar 2006) dahingehend zu korrigieren, dass in der Stammdate "Gesamtstunden:" die Stundenzahl 23,00 einzutragen ist und der Klägerin entsprechend korrigierte Datenauszüge zuzustellen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Ergebnis als zutreffend. Darauf, dass in dem Nachweis nur die Unterrichtsverpflichtung und nicht die Gesamtarbeitszeit der Klägerin aufgeführt sei, komme es nicht an. Die Klägerin sei eine Vollzeit-Lehrkraft, die in ihrer Zeiteinteilung eigenverantwortlich sei. Die ausschließliche Angabe des Deputats an Unterrichtsstunden habe ihr Ursache darin, dass die sonstige Arbeitszeit der Klägerin schwer messbar sei und von ihr im Rahmen eigenverantwortlicher Zeiteinteilung vorgenommen werde. Die Erhöhung des Unterrichtsdeputats von 23 auf 24 Wochenstunden liege im Rahmen billigen Ermessens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.

Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin kann weder verlangen, dass der Beklagte in seinen Arbeitsanweisungen die Unterrichtsverpflichtung der Klägerin von 23 Wochenarbeitsstunden nicht überschreitet, noch, dass er die von ihm erteilten Datenauszüge "Stammdaten und Deputat" korrigiert. Der Beklagte war berechtigt, die Unterrichtsverpflichtung (Deputat) der Klägerin von 23 auf 24 Stunden zu erhöhen.

1.

Ein Unterrichtsdeputat der Klägerin von (nur) 23 Wochenstunden ergibt sich nicht aus der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1991, denn der Beklagte hat insoweit eine Teilkündigung der Betriebsvereinbarung erklärt. Eine Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung ist zulässig, wenn dies gesondert vereinbart ist oder sie nur einen von dem übrigen Inhalt der Betriebsvereinbarung sachlich unabhängig und selbständigen Teilkomplex betrifft (Fitting, BetrVG, 23. Aufl. § 77 Rn 153, m.w.N.). In der Betriebsvereinbarung ist ausdrücklich eine Teilkündigung vorgesehen. Im Übrigen betrifft der Umfang des Unterrichtsdeputats einen gegenüber dem übrigen Inhalt der Betriebsvereinbarung sachlich unabhängigen und selbstständigen Teilkomplex. Gegen die Wirksamkeit der Teilkündigung der Betriebsvereinbarung bestehen daher keine Bedenken.

2.

Die Klägerin hat keinen vertraglichen Anspruch auf Beschäftigung in einem Umfang von (nur) 23 Unterrichtsstunden. Dies ergibt eine Auslegung der von den Parteien getroffenen vertraglichen Vereinbarungen (Nachweis vom 22. März 2000).

a) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 14. Oktober 2004 - 6 AZR 472/03 - zu 1. b) d.Gr.; 03. April 2003 - 6 AZR 163/02 - zu II. 2. d.Gr.; 26. September 2002 - 6 AZR 434/00 - AP BBiG § 10 Nr. 10, zu I. 3. d.Gr.).

b) Danach ist Nr. 5 des Nachweises als bloßer Hinweis auf die zurzeit der Ausfertigung des Nachweises geltende Unterrichtsverpflichtung für Vollzeitlehrkräfte zu verstehen. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Regelung, wonach Frau A wöchentlich derzeit 23 Deputatsstunden erfüllt. Durch die Verwendung des Wortes "derzeit" wird deutlich, dass die Unterrichtsverpflichtung nicht festgeschrieben ist, sondern in Zukunft auch geändert werden kann. Die Verwendung des Wortes "erfüllt" im Gegensatz etwa zu "beträgt" macht deutlich, dass in Nr. 5 des Nachweises keine selbstständige Vereinbarung der Höhe der Unterrichtsverpflichtung getroffen werden soll, sondern es sich lediglich um eine Information hinsichtlich der derzeit geleisteten, d.h. der von der Klägerin erfüllten Deputatsstunden handelt. Bereits aus der Tatsache, dass der Beklagte die Dauer der Unterrichtsverpflichtung (Deputat) in der Betriebsvereinbarung geregelt hat, folgt, dass dieser eine einheitliche Regelung für alle Lehrkräfte wünscht. Diesem Zweck liefe es zuwider, wenn bezüglich einzelner Lehrkräfte eine vertragliche Bindung herbeigeführt würde. Veränderungen im Tatsächlichen, z.B. einem Rückgang oder Ansteigen von Schülerzahlen oder haushaltsrechtlichen Erwägungen, könnte dann durch eine Anpassung der Unterrichtsverpflichtung nicht einheitlich für alle Lehrkräfte Rechnung getragen werden. Auch deshalb konnte die Klägerin Nr. 5 des Nachweises nicht dahin verstehen, ihr werde eine vertragliche Unterrichtsverpflichtung von (nur) 23 Deputatsstunden fest zugesagt.

3.

Die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung von 23 auf 24 Unterrichtsstunden entspricht billigem Ermessen, §§ 315 Abs. 3 BGB, 106 GewO.

Der Beklagte hat nicht die Gesamtarbeitszeit der Klägerin verlängert, sondern die von ihr nach dem Arbeitsvertrag zu erfüllenden Aufgaben zeitlich neu gewichtet. Die Tätigkeit der Klägerin erschöpfte sich nicht in der Leistung der Deputatsstunden. Geschuldet war auch die Vor- und ggf. Nachbereitung des Unterrichts. Dies ergibt eine Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen. Bei einem Lehrer ist die ausschließliche Leistung von Unterricht nicht denkbar. Vielmehr setzt das Halten einer Unterrichtsstunde voraus, dass der Lehrer sich hierauf vorbereitet. Auch hierbei handelt es sich um eine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit. Auch wenn der Umfang der Gesamtarbeitszeit nicht ausdrücklich von den Parteien vereinbart wurde, besteht zwischen ihnen doch Einigkeit, dass die Klägerin eine "volle Stelle" inne hatte. Jedenfalls hat der Beklagte dies unwidersprochen vorgetragen (S. 6 der Berufungserwiderung, Bl. 91 d.A.). Die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung soll nicht zu einer Erhöhung der Gesamtarbeitszeit der Klägerin führen, sondern von ihr im Rahmen der bisherigen Gesamtarbeitszeit eingearbeitet werden. Diese vom Beklagten getroffene Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen. Der Beklagte hat die Unterrichtsverpflichtung nur maßvoll erhöht und damit den Interessen der Klägerin durchaus Rechnung getragen. Dass die Heraufsetzung des Unterrichtsdeputats erforderlich war, hat die Klägerin nicht bestritten.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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