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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 30.01.2006
Aktenzeichen: 4 Ta 597/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BetrVG, InsO


Vorschriften:

ArbGG § 11 a
ZPO § 114
BetrVG § 113
InsO § 92
1. Offensichtlich mutwillig im Sinne von § 11 a Abs. 2 ArbGG kann eine Rechtsverfolgung auch dann sein, wenn der Antragsteller nicht wider besseres Wissen handelt, sondern sich einer für einen Rechtskundigen eindeutigen Rechtslage verschließt.

2. Die Geltendmachung eines Gesamtschadens im Sinne von § 92 InsO gegen den Massenschädiger kann mutwillig sein.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 17. Oktober 2005 - 5 Ca 454/04 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen im Ausgangsverfahren geltend gemachten Anspruch auf Nachteilsausgleich in Höhe von mindestens € 93.960. Er war bei der Schuldnerin, über deren Vermögen am 01. Dezember 2004 die Insolvenz eröffnet wurde, seit 1976 zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt € 2.700 beschäftigt. Er nimmt mit der im Ausgangsverfahren erhobenen Klage die Beklagten zu 2) - 4) als Mitglieder des Konzerns der Schuldnerin sowie gemäß dem von ihm gefassten Rubrum den Beklagten zu 1) auf Zahlung des Nachteilsausgleichs "als Insolvenzverwalter" der Schuldnerin in Anspruch. Der Beklagte zu 1) verhandelte bis August 2005 mit dem bei der Schuldnerin gebildeten Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans und kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen Ende August 2005 betriebsbedingt.

Der Kläger behauptet, die Schuldnerin habe spätestens seit dem zweiten Quartal 2004 die Betriebsstilllegung abschließend geplant. Sie habe den Beginn von Verhandlungen über einen Interessenausgleich entgegen § 111 Satz 1 BetrVG verzögert. Sie sei bereits seit Jahren unterkapitalisiert gewesen, wofür die Beklagten zu 2) - 4) als Konzernobergesellschaften verantwortlich seien. An diese seien die Gewinne der Schuldnerin abgeführt worden. Diese hafteten daher im Wege der Durchgriffshaftung. Gleiches gelte für den Beklagten zu 1) wegen seines Unterlassens der Inanspruchnahme der Beklagten zu 2) - 4). Die insolvenzrechtlichen Grundsätze über die Beschränkung der Geltendmachung eines Gesamtschadens seien nicht anwendbar, da der Nachteilsausgleich ein individueller Anspruch des Klägers sei.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, die Rechtsverfolgung biete nicht nur keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie sei auch offensichtlich mutwillig im Sinn von § 11 a Abs. 2 ArbGG. Gegen den am 20. Oktober 2005 zugestellten Beschluss legte der Kläger am Montag, dem 21. November 2005 sofortige Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Der Kläger hat zwar inzwischen mit dem Schriftsatz vom 05. Januar 2006 seine Bedürftigkeit umfassend glaubhaft gemacht. Das Arbeitsgericht hat den Antrag jedoch zu Recht zurückgewiesen, da die Rechtsverfolgung des Klägers nicht nur keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gemäß § 114 Satz 1 ZPO bietet, sondern auch offensichtlich mutwillig im Sinne von § 11 a Abs. 2 ArbGG ist, da sie eindeutig einschlägige insolvenzrechtliche Beschränkungen missachtet.

1. Das Grundgesetz gebietet mit Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG und durch das Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation unbemittelter und bemittelter Parteien bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes. Eine vollständige Gleichstellung armer Parteien ist dagegen nicht geboten. Eine unbemittelte Partei braucht nur einer bemittelten gleichgestellt zu werden, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Daher ist es verfassungsrechtlich zulässig, die Gewährung von Prozesskostenhilfe von einer hinreichenden Erfolgsaussicht und davon abhängig zu machen, dass sie nicht mutwillig erscheint. Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass die Sachprüfung in das Bewilligungsverfahren verlagert wird. Prozesskostenhilfe darf nur versagt werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht völlig ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Schwierige Rechts- und Tatsachenfragen sind nicht im Prozesskostenhilfe-, sondern im Hauptsacheverfahren zu klären (ständige Rechtsprechung des BVerfG, etwa 07. Mai 1997 - 1 BvR 269/94 - NJW 1997/2745, zu II 1 a; 07. April 2000 - 1 BvR 81/00 - AP ZPO § 114 Nr. 12, zu B I 1; 24. Juli 2002 - 2 BvR 2256/99 - NJW 2003/576, zu B I 1; 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 - NJW 2005/3489, zu B I 1).

Der die Ablehnung der Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 11 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG allein rechtfertigende Maßstab der offensichtlichen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung im Sinne von § 11 a Abs. 2 ArbGG ist aufgrund des Tatbestandsmerkmals der Offensichtlichkeit gegenüber § 114 Satz 1 ZPO noch strenger. Er setzt voraus, dass die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung auf den ersten Blick erkennbar ist (LAG Düsseldorf 29. Oktober 1986 - 14 Ta 245/86 - LAGE ArbGG 1979 § 11 a Nr. 4; GK-ArbGG-Bader Stand Dezember 2005 § 11 a Rn 201; Germelmann in Germelmann/Matthes/ Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 11 a Rn 61, 62). Grundlage der Prüfung muss allerdings wie bei § 114 ZPO eine verständige und von juristischen Fachkenntnissen getragene Würdigung sein. Ansonsten könnte die Ausblendung der Rechtslage durch den Antragsteller zur Rechtsanwaltsbeiordnung auf Kosten der Allgemeinheit ausreichen. Ein derart willkürliches Vorgehen ist jedoch nicht schutzwürdig. Offensichtlich mutwillig kann daher auch eine evident aussichtslose Rechtsverfolgung sein, wenn der Antragsteller nicht wider besseres Wissen handelt (Bader a.a.O. Rn 201).

2. Die Rechtsverfolgung des Klägers ist offensichtlich mutwillig in diesem Sinne.

a) Wird ein Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG auf unterbliebene Interessenausgleichsverhandlungen des Schuldners und nicht des Insolvenzverwalters gestützt, handelt es sich nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern um eine nicht bevorrechtigte Insolvenzforderung. Masseschuld ist der Anspruch nur, wenn die Betriebsänderung erst nach Insolvenzeröffnung beschlossen und durchgeführt wird (BAG 04. Dezember 2002 - 10 AZR 16/02 - AP InsO § 38 Nr. 2, zu II 1 b; 08. April 2003 - 2 AZR 15/02 - AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 40, zu II 2 b bb; 22. Juli 2003 - 1 AZR 541/02 - AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 42, zu A II; GK-BetrVG-Oetker 8. Aufl. § 113 Rn 92, m.w.N.).

Da der Kläger nicht dem Beklagten zu 1), sondern der Schuldnerin eine Verzögerung der Verhandlungen über einen Interessenausgleich vorwirft, ist seine Nachteilsausgleichsforderung dementsprechend keine Masseverbindlichkeit. Aus diesem Grund wird die mit der bisherigen Fassung des Beklagtenrubrums zu 1) verbundene Inanspruchnahme der Masse an §§ 174 ff. InsO scheitern. Die Forderung kann nur gemäß § 174 InsO zur Tabelle angemeldet werden. Sollte der Beklagte zu 1) sie bestreiten, ist der Kläger auf eine Feststellungsklage nach §§ 179 ff. InsO beschränkt.

b) Eine persönliche Inanspruchnahme des Beklagten zu 1) kann der Kläger mit der bisherigen Fassung des Rubrums des Beklagten zu 1) nicht erreichen. Solange dieser "als Insolvenzverwalter" über das Vermögen der Schuldnerin verklagt wird, richtet sich die Klage gegen die Masse und nicht gegen den Insolvenzverwalter persönlich.

c) Auch wenn der Kläger insoweit die Klage auf zulässige Weise gegen den Beklagten zu 1) persönlich ändern sollte, wird sie offensichtlich aussichtslos bleiben. Dasselbe gilt für die Inanspruchnahme der Beklagten zu 2) - 4). Der Kläger berücksichtigt trotz der Hinweise des Arbeitsgerichts und der Beklagten den die unmittelbare Geltendmachung des Anspruchs gegen die Beklagten untersagenden § 92 InsO nicht.

Nach § 92 Satz 1 InsO können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Minderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach Insolvenzeröffnung erlitten haben (sog. Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich die Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter selbst, können sie ausschließlich von einem neu bestellten Insolvenzverwalter (Sonderinsolvenzverwalter) geltend gemacht werden (§ 92 Satz 2 InsO). § 92 Satz 1 InsO gilt für alle zu Schadenersatz verpflichtenden Handlungen und Unterlassungen anderer Personen als des Insolvenzverwalters, durch die nicht lediglich ein einzelner Insolvenzgläubiger, sondern die Masse als solche geschädigt worden ist (FK-InsO-App 4. Aufl. § 92 Rn 4).

Der Kläger stützt seine Klage auf den Vorwurf, die Beklagten zu 2) - 4) hätten der Schuldnerin zu ihrem eigenen Vorteil Vermögen entzogen. Ansprüche gegen die Gesellschafter einer insolventen Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt eines existenzvernichtenden Eingriffs oder gemäß § 826 BGB wegen planmäßigen eigennützigen Vermögensentzugs betreffen nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts einen Gesamtschaden im Sinn von § 92 InsO (BGH 24. Juni 2002 - II ZR 300/00 - BGHZ 151/181, zu 2; BAG 14. Dezember 2004 - 1 AZR 504/03 - EzA GmbHG § 13 Nr. 4, zu II 2 b, c; App a.a.O. § 92 Rn 5). Derartige Eingriffe schädigen nicht isoliert einzelne Gläubiger, sondern reduzieren die gesamte Masse zum Nachteil aller Gläubiger. Sie müssen daher zur Vermeidung von Benachteiligungen einzelner Gläubiger einheitlich geltend gemacht und im Insolvenzverfahren verteilt werden.

Der Einwand des Klägers, Nachteilsausgleichsansprüche seien kein Gesamtschaden, sondern Individualansprüche, verkennt die Rechtslage grundlegend. Für die Abgrenzung kommt es nicht auf den Anspruch des Gläubigers gegen die Masse an; dieser ist regelmäßig - solange keine Gesamtgläubigerschaft vorliegt - ein individueller Anspruch. Maßgeblich ist vielmehr der Anspruch gegen den Masseschädiger, im Fall der Durchgriffshaftung also der wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs oder wegen eigennützigen Vermögensentzugs in Anspruch genommene Gesellschafter. Solche Ansprüche sind Gesamtschadenersatzansprüche unabhängig davon, ob der Gläubiger wie in dem vom Bundesarbeitsgericht mit dem zitierten Urteil vom 14. Dezember 2004 (a.a.O.) entschiedenen Fall einen durch die Insolvenz des Schuldners ausgefallenen Anspruch auf Arbeitsvergütung oder wie vorliegend der Kläger einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend macht. Der maßgebliche Vorwurf der Schädigung der Masse betrifft alle Gläubiger. Entsprechend müssen eventuelle Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten zu 1) wegen des aus Sicht des Klägers pflichtwidrigen Unterlassens der Inanspruchnahme der Beklagten zu 2) - 4) allen Gläubigern und nicht isoliert dem Kläger zugute kommen. Sie können nur von einem Sonderinsolvenzverwalter geltend gemacht werden.

d) Vor diesem insolvenzrechtlichen Hintergrund hat das Arbeitsgericht zu Recht eine offensichtliche Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung bejaht. Der Kläger verschließt sich mit seinem Vorgehen einer eindeutigen Rechtslage. Eine die aufgrund der Fassung von § 92 InsO und der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesarbeitsgericht klare Rechtslage verständig zur Kenntnis nehmende vermögende Partei würde eigene Mittel nicht zu einer dem Vorgehen des Klägers entsprechenden Rechtsverfolgung einsetzen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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