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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: 4 TaBV 210/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 99
BetrVG § 103
ZPO § 256
Ist ein Betriebsrat an der Ausübung des Mitbestimmungsrechts bei einer Versetzung nach § 99 BetrVG gehindert, weil das einzige verbliebene Betriebsratsmitglied von der Maßnahme persönlich betroffen ist, kann der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Beteiligung des Betriebsrats durchführen. Für einen Antrag auf Erteilung der Zustimmung zu der Versetzung durch das Arbeitsgericht fehlt eine Rechtsgrundlage.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 12. September 2006 - 3 BV 4/06 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen zum Teil abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu der geplanten Versetzung des Beteiligten zu 3) nach A zum 01. Januar 2008 nicht erforderlich ist.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Erteilung und die Notwendigkeit der Zustimmung des zu 2) beteiligten Betriebsrats zu einer Versetzung und einer Änderungskündigung.

Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt einen Betrieb in B mit fünfzehn Arbeitnehmern, den sie spätestens zum 01. Januar 2008 nach A verlegen und dort mit anderen Unternehmensteilen zu einem einheitlichen Betrieb mit weit mehr als zwanzig Arbeitnehmern zusammenfassen will. Der Beteiligte zu 3) ist das einzige Mitglied des im Darmstädter Betrieb gebildeten Betriebsrats, des Beteiligten zu 2). Ein Ersatzmitglied ist nicht vorhanden. Die Arbeitgeberin beantragte mit Schreiben vom 02. Februar 2006 die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur Versetzung des Beteiligten zu 3) nach A mit Wirkung zum 01. Januar 2008 gemäß § 99 BetrVG sowie zu einer vorsorglichen Änderungskündigung nach § 103 BetrVG. Der Beteiligte zu 2) verweigerte die Zustimmungen mit Schreiben vom 07. Februar 2006. Darauf leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren ein, in dem sie erstinstanzlich beantragt hat,

1. die Zustimmung des Antragsgegners zu der mit Wirkung ab 01. Januar 2008 zu erfolgenden Versetzung des Beteiligten zu 3) in den Betrieb PT A des Antragstellers zu ersetzen,

2. die Zustimmung des Antragsgegners zu der vom Antragsteller gegenüber dem Beteiligten zu 3) mit Wirkung zum 31. Dezember 2007 auszusprechenden Änderungskündigung mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes zu ersetzen.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der dort gestellten Anträge wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl. 212 - 215 d.A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angenommen, der Antrag zu 1) sei nicht begründet. Zwar könne auch bei der Zustimmungsersetzung gemäß §§ 99, 103 Abs. 3 BetrVG eine gerichtliche Zustimmung zu der personellen Maßnahme beantragt werden, wenn nur ein Betriebsratsmitglied vorhanden und dieses persönlich betroffen sei. Die Arbeitgeberin habe dem Betriebsrat aber nicht hinreichend Auskunft über die personelle Maßnahme und deren Auswirkungen erteilt, da sie bisher selbst noch keine Kenntnisse darüber habe, zu welchen Bedingungen der Beteiligte zu 3) in A eingesetzt werden solle. Der Antrag zu 2) sei nicht begründet, da die Änderung des Arbeitsortes des Beteiligten zu 3) vom Direktionsrecht der Arbeitgeberin umfasst sei und deshalb eine Änderungskündigung nicht erforderlich sei. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses (Bl. 216 - 219 d.A.) Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin hat gegen den am 19. Oktober 2006 zugestellten Beschluss vom 14. November 2006 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Wegen des zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf die Schriftsätze vom 14. November 2006 und 07. März 2007 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den am 12. September 2006 erkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt - 3 BV 4/06 - teilweise abzuändern und

a) die Zustimmung des Antragsgegners zu der mit Wirkung ab 01.01.2008 zu erfolgenden Versetzung des Beteiligten zu 3) in den Betrieb PT A des Antragstellers zu ersetzen,

hilfsweise die Zustimmung zu der mit Wirkung ab 01.01.2008 zu erfolgenden Versetzung des Beteiligten zu 3) in den Betrieb PT A des Antragstellers zu erteilen,

hilfsweise festzustellen, dass die Erteilung der Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu einer vom Antragsteller gegenüber dem Beteiligten zu 3) mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes von B nach A vorzunehmenden Versetzung nicht erforderlich ist und darum nicht erteilt werden kann,

höchst hilfsweise festzustellen, dass die Erteilung der Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu einer vom Arbeitgeber gegenüber dem Beteiligten zu 3) mit Wirkung zum 31. Dezember 2007 mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes von B nach A vorzunehmenden Versetzung nicht erforderlich ist und darum nicht erteilt wird,

äußerst hilfsweise festzustellen, dass eine Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu der geplanten Versetzung des Beteiligten zu 3) nicht erforderlich ist,

b) festzustellen, dass die Erteilung der Zustimmung zu einer vom Antragsteller gegenüber dem Beteiligten zu 3) mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes auszusprechenden Änderungskündigung nicht erforderlich ist und darum nicht ersetzt worden ist, weil die beabsichtigte Änderung des Arbeitsortes gemäß der geplanten Versetzung des Beteiligten zu 3) eine Änderung des Arbeitsvertrages zwischen dem Antragsteller und dem Beteiligten zu 3) nicht erfordert,

hilfsweise festzustellen, dass die Erteilung der Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu einer vom Antragsteller gegenüber dem Beteiligten zu 3) mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes auszusprechenden Änderungskündigung nicht erforderlich ist und darum nicht ersetzt worden ist,

höchst hilfsweise festzustellen, dass die Erteilung der Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu einer vom Antragsteller gegenüber dem Beteiligten zu 3) mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes auszusprechenden Änderungskündigung nicht erforderlich ist.

Die Beteiligten zu 2) und 3) verteidigen zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die Würdigung des Arbeitsgerichts wie im Schriftsatz vom 17. Januar 2007 ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist zum Teil begründet.

1. Der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag zu a) sind nicht begründet.

Die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu der geplanten Versetzung des Beteiligten zu 3) ist nicht gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen, da der Betriebsrat bezüglich dieser Maßnahme funktionsunfähig und deshalb nicht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen ist. Ein Betriebsratsmitglied ist von seiner Amtstätigkeit ausgeschlossen bei Maßnahmen, die es selbst individuell und unmittelbar betreffen. Es ist dann zeitweilig verhindert im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Dies gilt insbesondere bei personellen Maßnahmen gemäß § 99 BetrVG (BAG 03. August 1999 - 1 ABR 30/98 - AP BetrVG 1972 § 25 Nr. 7, zu B II 1 a - d, 3 a; 19. März 2003 - 7 ABR 15/02 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 77, zu II 2 a). Ist das verhinderte Betriebsratsmitglied das einzige und kann es mangels Ersatzmitglied nicht gemäß § 25 Abs. 1 BetrVG vertreten werden, ist der Betriebsrat funktionsunfähig (BAG 15. November 1984 - 2 AZR 341/83 - AP BetrVG 1972 § 25 Nr. 2). Dann kann das betreffende Beteiligungsrecht nicht ausgeübt werden und der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Beteiligung des Betriebsrats durchführen.

Es besteht auch keine Rechtsgrundlage für eine gerichtliche Zustimmung zu der Versetzung. Allerdings ist es ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber vor der außerordentlichen Kündigung eines Betriebsobmanns analog § 103 Abs. 2 BetrVG die Zustimmung des Arbeitsgerichts einholen muss, wenn der Betriebsrat mangels Ersatzmitglied funktionsunfähig ist. Dies dient der Sicherung der Kontinuität des Betriebsrats (etwa BAG 16. Dezember 1982 - 2 AZR 76/81 - BAGE 41/180, zu II 2, 3). Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsprechung auf eine Versetzung zu übertragen ist, die im Sinne von § 103 Abs. 3 Satz 1 BetrVG für den Betriebsobmann zum Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde. Eine derartige Versetzung beabsichtigt die Arbeitgeberin nicht. Sie möchte den Beteiligten zu 3) erst zum 01. Januar 2008 und damit zu einem Zeitpunkt nach A versetzen, zu dem der Betrieb B in einen wesentlich größeren integriert werden soll und das Amt des Beteiligten zu 3) ohnehin durch die Zusammenlegung gemäß § 21 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG endet. Die Wählbarkeit des Beteiligten zu 3) in dem dann zusammengeschlossenen Betrieb wird durch die Versetzung nicht beeinträchtigt.

Aus diesen Gründen geht es der Arbeitgeberin nur um eine Versetzung im Sinne der §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG. Auf derartige Versetzungen kann die zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht übertragen werden, was - soweit ersichtlich - auch in Rechtsprechung und Literatur bisher nirgends vertreten wurde. Der besondere Schutzzweck von § 103 BetrVG wird durch eine die Voraussetzungen von § 103 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht erfüllende Versetzung nicht berührt, da das Amt und die Wählbarkeit dann durch die Versetzung nicht beeinträchtigt werden. Zudem ist das Verfahren nach § 99 BetrVG nicht zu einer Übertragung dieser Rechtsprechung geeignet. Im Gegensatz zu dem Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG, in dem das Nichtvorliegen aller bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung in Betracht kommenden Unwirksamkeitsgründe für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung zu prüfen ist (vgl. BAG 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 42, zu II 2 b cc), eröffnet § 99 BetrVG keine umfassende Wirksamkeitskontrolle für eine beabsichtigte Versetzung. Er berechtigt den Betriebsrat lediglich, der Versetzung aus einem oder mehreren der gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgründe von § 99 Abs. 2 BetrVG zu widersprechen. Ob und ggf. aus welchen dieser Gründe er der Versetzung widersprechen will, steht allein im Ermessen des Betriebsrats. Dieses Ermessen kann nicht von den Arbeitsgerichten ausgeübt werden.

Hinzu kommt, dass an einem solchen Verfahren außer dem Arbeitgeber niemand beteiligt werden könnte, so dass die Zustimmungsentscheidung nicht im Verhältnis zwischen mehreren Beteiligten in Rechtskraft erwachsen könnte. Der funktionsunfähige Betriebsrat ist an der aktiven Beteiligung und an der Antragstellung in dem Verfahren aufgrund seiner Funktionsunfähigkeit gehindert. Das betroffene Betriebsratsmitglied wäre an dem Verfahren nicht beteiligt, da eine § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG entsprechende Regelung fehlt und der Arbeitnehmer, der versetzt werden soll, mangels einer unmittelbaren Betroffenheit in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung im Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG nicht zu beteiligten wäre (vgl. BAG 22. November 2005 - 1 ABR 49/04 - EzA BetrVG 2001 § 99 Versetzung Nr. 1, zu B I 1 d). Es fehlt damit eine Rechtsgrundlage für die mit dem ersten Hilfsantrag geltend gemachte Zustimmungserteilung.

2. Die weiteren Hilfsanträge zu a) sind zulässig. Sie sind als einheitlicher Antrag auszulegen, da sie trotz der Formulierungsdifferenzen denselben Gegenstand haben. Der Arbeitgeberin geht es mit ihnen jeweils um die Feststellung, dass die geplante Versetzung des Beteiligten zu 3) nach A zum 01. Januar 2008 nicht der Zustimmung des Beteiligten zu 2) bedarf. Da der Betriebsrat mit seinem Widerspruch gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht an der Versetzung des Beteiligten zu 3) in Anspruch genommen hat, hat die Arbeitgeberin ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass eine Beteiligung des Beteiligten zu 2) nicht erforderlich ist (vgl. BAG 18. Oktober 1988 - 1 ABR 33/87 - BAGE 60/57, zu B II; 21. September 1989 - 1 ABR 32/89 - AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 72, zu II 3 a). Da dies gemäß der Ausführungen unter II. 1. der Fall ist, ist der Antrag auch begründet.

3. Die Haupt- und Hilfsanträge zu b) sind nicht zulässig. Mit ihnen begehrt die Arbeitgeberin trotz der Hinweise vom 19. Januar und 09. März 2007 und der wiederholten Hinweise aus dem Anhörungstermin vom 20. März 2007 im Kern nach wie vor die Feststellung, dass eine Änderungskündigung mit dem Ziel der Änderung des Arbeitsortes des Beteiligten zu 3) der Zustimmung des Beteiligten zu 2) gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG nicht bedarf. Dazu fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Interesse an alsbaldiger Feststellung dieses Rechtsverhältnisses. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass in einem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ggf. auch ohne entsprechenden Antrag des Arbeitgebers festzustellen ist, dass die beabsichtigte außerordentliche Kündigung nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedarf, wenn diese etwa nach § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG entbehrlich ist. Dann habe der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse, Klarheit über die Zulässigkeit des Kündigungsausspruchs gegenüber dem Mandatsträger zu erlangen (BAG 18. September 1997 - 2 ABR 15/97 - BAGE 86/298, zu C II 1).

Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor. Das Arbeitsgericht hat den Antrag gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht deshalb zurückgewiesen, weil eine Zustimmung nach § 103 Abs. 1 BetrVG zum Ausspruch der Änderungskündigung nicht erforderlich ist, sondern weil nach seiner Auffassung die beabsichtigte Änderungskündigung aufgrund des Umfangs des arbeitsvertraglichen Versetzungsrechts der Arbeitgeberin unverhältnismäßig wäre. Es hat nicht angenommen, dass für eine Änderungskündigung die Zustimmung des Beteiligten zu 2) nichterforderlich ist, sondern dass ein Anspruch der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung nicht besteht und eine Änderungskündigung nicht zulässig wäre. Daher kann sich die Arbeitgeberin nicht auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 18. September 1997 (a.a.O.) stützen.

4. Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 72 Abs. 2, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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