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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 4 TaBV 241/07
Rechtsgebiete: TV PV DLH, BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

TV PV DLH § 88
TV PV DLH § 89
BetrVG § 99
BetrVG § 100
BetrVG § 101
ArbGG § 89
1. Den Gruppenvertretungen des fliegenden Personals im XXXXXXXXkonzern steht in entsprechender Anwendung von § 101 S. 1 BetrVG ein Anspruch auf Aufhebung einer unter Verletzung ihrer Beteiligungsrechte durchgeführten personellen Maßnahme zu.

2. Der Aufhebungsanspruch gemäß § 101 S. 1 BetrVG kann unter den Voraussetzungen einer Klage auf zukünftige Leistung als Widerantrag im Verfahren nach § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG geltend gemacht werden.


Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. August 2007 - 2 BV 125/07 - wird hinsichtlich des Antrags zu 2) der Antragstellerin als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über eine Einstellung.

Die antragstellende Arbeitgeberin stellte den vom vorliegenden Verfahren betroffenen Flugkapitän A am 19. Februar 2007 ein. Mit einem der Gruppenvertretung am 20. Februar 2007 zugegangenen Schreiben unterrichtete sie diese über die Einstellung. Die Gruppenvertretung widersprach mit Schreiben vom 27. Februar 2007. Mit einem bei der Gruppenvertretung am 28. Februar 2007 eingegangenen Schreiben teilte die Arbeitgeberin mit, dass sie die Einstellung gemäß § 89 TV PV vorläufig durchführen werde. Nachdem die Gruppenvertretung mit einem am 01. März 2007 zugegangenen Schreiben der vorläufigen Durchführung der Maßnahme widersprach, leitete die Arbeitgeberin am Montag, dem 05. März 2007 das vorliegende Verfahren ein. Die Arbeitgeberin hat beantragt,

1. die Zustimmung der Beteiligten zu 2) zur Einstellung des Herrn A als Kapitän auf dem Flugzeugmuster A 340 bei MUC NA zu ersetzen.

2. festzustellen, dass die Einstellung des Herrn A als Kapitän auf das Flugzeugmuster A 340 bei MUC NA aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.

Die Gruppenvertretung hat, soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse, beantragt,

die Anträge zurückzuweisen sowie im Wege des Widerantrags der Beteiligten zu 1) aufzugeben, die Einstellung betreffend Herrn A bis spätestens zwei Wochen nach Rechtskraft des Beschlusses aufzuheben.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl. 113 - 116 d.A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Arbeitgeberin zurückgewiesen und nach dem Widerantrag der Gruppenvertretung erkannt. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Zustimmung zur Einstellung könne nicht ersetzt werden, da die Gruppenvertretung nicht im Sinne von § 88 Abs. 1 TV PV vor deren Durchführung unterrichtet wurde und die Maßnahme daher unheilbar unzulässig sei. Die Durchführung der vorläufigen Einstellung sei unzulässig, da die Arbeitgeberin die Gruppenvertretung entgegen § 89 Abs. 2 S. 1 TV PV nicht unverzüglich unterrichtet habe. Der Widerantrag ergebe sich aus dem allgemeinen Anspruch der Gruppenvertretung auf Beseitigung des rechtswidrigen Zustands analog § 1004 BGB in Verbindung mit §§ 1 TVG, 88 TV PV. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin hat gegen den am 30. August 2007 zugestellten Beschluss am 05. September Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis 30. November 2007 am 22. November 2007 begründet. Sie ist der Auffassung, ihr sei das Betreiben des Zustimmungsersetzungsverfahrens deshalb nicht verwehrt, weil sie nicht zuvor von der Gruppenvertretung auf Aufhebung der personellen Maßnahme in Anspruch genommen wurde. Aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Arbeitgeberin ergebe sich, dass die vorläufige Einstellung von Herrn A dringend erforderlich gewesen sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf den Schriftsatz vom 22. November 2007 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. August 2007 - 2 BV 125/07 -

1. die Zustimmung der Beteiligten zu 2) zur Einstellung des Herrn A als Kapitän auf das Flugzeugmuster A 340 bei MUC NA zu ersetzen,

2. festzustellen, dass die Einstellung des Herrn A als Kapitän auf das Flugzeugmuster A 340 bei MUC NA aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war,

3. die Wideranträge insgesamt zurückzuweisen.

Die Gruppenvertretung verteidigt zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags den angefochtenen Beschluss wie im Schriftsatz vom 27. Dezember 2007 ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist hinsichtlich des Antrags zu 2) der Arbeitgeberin unzulässig und im Übrigen unbegründet.

1. Im Umfang des Antrags zu 2) der Arbeitgeberin fehlt eine der gesetzlichen Form entsprechende Beschwerdebegründung.

Nach § 89 Abs. 2 S. 2 ArbGG muss in der Beschwerdebegründung angegeben werden, auf welche im Einzelnen anzuführenden Beschwerdegründe und auf welche neuen Tatsachen die Beschwerde gestützt wird. Die Anforderungen an die Beschwerdebegründung entsprechen im wesentlichen denen einer Berufungsbegründung im Urteilsverfahren. Die Beschwerdebegründung muss sich mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses im Einzelnen auseinandersetzen und deutlich anführen, was gegen den Beschluss einzuwenden ist. Allgemeine Redewendungen genügen nicht (BAG 27.11.1973 - 1 ABR 5/73 - AP ArbGG 1953 § 89 Nr. 9, zu II 1; LAG Frankfurt am Main 23.02.1988 - 5 TaBV 18/87 - LAGE ArbGG 1979 § 89 Nr. 1; Schwab/Weth-Busemann ArbGG 2. Auflage § 89 Rn. 15; GK ArbGG-Dörner Stand Dezember 2007 § 89 Rn. 36; Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Auflage § 89 Rn. 30).

Zweck des Begründungszwangs für ein Rechtsmittel ist auch im Beschlussverfahren eine ausreichende Vorbereitung des Rechtsmittelverfahrens und eine Konzentration des Streitstoffs. Der Beschwerdeführer muss im Einzelnen klarmachen und konkret angeben, wie er durch de erstinstanzliche Entscheidung beschwert ist und welche Tatsachenfeststellungen und/oder welche die Entscheidung tragenden Rechtsansichten der ersten Instanz aus seiner Sicht unzutreffend sind (LAG Frankfurt am Main 23.02.1988 a.a.O.; für das Berufungsverfahren etwa BAG 26.04.2000 - 4 AZR 170/99 - AP TVG § 1 Kündigung Nr. 4, zu I 2; 06.03.2003 - 2 AZR 596/02 - AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 32, zu II 1 a; BGH 06.05.1999 - III ZR 265/98 - LM ZPO § 519 Nr. 142, zu II 1). Dazu genügt eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens nicht (BAG 10.02.2005 - 6 AZR 183/04 - EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 40, zu 2 a; Schwab/Weth-Busemann a.a.O. § 89 Rn. 15). Der Rechtsmittelführer kann allerdings an seiner bisherigen Rechtsaufassung festhalten, sofern er Gründe nennt, warum diese im Gegensatz zu der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden richtig sein soll (BAG 24.01.2001 - 5 AZR 132/00 - n.v., zu II 2 b). Auch bedarf die Rechtsmittelbegründung weder eines bestimmten Mindestumfangs, noch muss sie schlüssig oder rechtlich haltbar sein (BAG 25.03.2004 - 2 AZR 399/03 - AP BMTG-II § 54 Nr. 5, zu B I 2; BGH 06. Mai 1999 a. a. O., zu II 1).

Für die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags zu 2) fehlt eine diesem Maßstab entsprechende Begründung. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem pauschalen Hinweis auf den Vortrag der Arbeitgeberin in erster Instanz. Mit der insoweit tragenden Erwägung des Arbeitsgerichts, dass die Arbeitgeberin die Gruppenvertretung nicht im Sinne von § 89 Abs. 2 S. 1 TV PV unverzüglich über die vorläufige Durchführung der Einstellung unterrichtet hat, setzt sich die Begründung in keiner Weise auseinander. Durch die sonstige Begründung der Beschwerde wird dieser Mangel nicht geheilt. Ein Zustimmungsersetzungsantrag nach § 88 Abs. 8 TV PV und ein auf die Feststellung der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung einer personellen Maßnahme gerichteter Antrag gemäß § 89 Abs. 2 S. 3 TV PV betreffen unterschiedliche Streitgegenstände mit unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen. Da beide Ansprüche voneinander unabhängig sind, bedürfen sie einer separaten Rechtsmittelbegründung (Hess. LAG 03.07.2007 - 4 TaBV 204/06 - AuR 2008/78, zu II 1). Da hinsichtlich des Antrags zu 2) eine die gesetzlichen Anforderungen erfüllende Begründung fehlt, ist die Beschwerde insoweit nach § 89 Abs. 3 S. 1 ArbGG als unzulässig zu verwerfen.

2. Im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet.

a) Die Zustimmung der Gruppenvertretung zur Einstellung von Herrn A ist nicht gemäß § 88 Abs. 8 TV PV zu ersetzen, da die Arbeitgeberin das Zustimmungsverfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet hat. Nach der gemäß § 99 TV PV maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Betriebsverfassungsgesetz wird die Stellungnahmefrist von § 88 Abs. 6 TV PV erst durch eine den gesetzlichen (bzw. tarifvertraglichen) Anforderungen entsprechende Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung in Gang gesetzt. Dies setzt eine ausreichende Unterrichtung über die personelle Maßnahme voraus (BAG 14.12.2004 - 1 ABR 55/03 - BAGE 113/109, zu B II 2 a; 28.06.2005 - 1 ABR 26/04 - BAGE 115/173, B II 2 a). Dies gilt nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer entsprechend, wenn die Arbeitnehmervertretung entgegen § 88 Abs. 1 TV PV nicht vor der Durchführung der personellen Maßnahme unterrichtet wurde und wenn bei ihrer Durchführung kein Verfahren nach § 89 Abs. 2 TV PV eingeleitet wurde (Hess. LAG 02.11.2004 - 4 TaBV 19/04 - n.v., zu II 1 a). Dann bleibt die Durchführung der Maßnahme unzulässig, solange der Arbeitgeber nicht auf ordnungsgemäße Weise ein erneutes Beteiligungsverfahren einleitet (GK-BetrVG-Kraft/Raab 8. Auflage § 99 Rn. 170; Richardi-Thüsing BetrVG 10. Auflage § 99 Rn. 285; Fitting BetrVG 23. Auflage § 99 Rn. 219, 220).

Dies trifft hier zu. Die Arbeitgeberin hatte vor der Einstellung von Herrn A weder die Gruppenvertretung gemäß § 88 Abs. 1 TV PV unterrichtet und deren Zustimmung eingeholt, noch hat sie die Gruppenvertretung im Sinne von § 89 Abs. 2 S. 1 TV PV unverzüglich über eine vorläufige Durchführung der Maßnahme unterrichtet. Es fehlt daher ein ordnungemäß eingeleitetes Beteiligungsverfahren.

b) Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht dem Widerantrag stattgegeben. Nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer stehen den Gruppenvertretungen der Arbeitgeberin im Fall der Verletzung ihrer Beteiligungsrechte in personellen Angelegenheiten aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung des TV PV dieselben Abwehrrechte zu, über die gesetzliche Betriebsräte in entsprechenden Fällen verfügen (Hess. LAG 04.07.2006 - 4/18 TaBV 46/05 - AuR 2007/226 L, zu B III 3 a, mit näherer Begründung). Daher ist insbesondere § 101 BetrVG analog anzuwenden (Hess. LAG 27.07.1993 - 4 TaBV 173/92 - n.v.; 06.02.2001 - 4 TaBV 27/00 - n.v., zu II B 1; 02.11.2004 a.a.O., zu II 1 a). Die Arbeitgeberin hat danach die Einstellung von Herrn A gemäß § 101 S. 1 BetrVG in Verbindung mit § 89 Abs. 3 TV PV spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Beschlusses aufzuheben.

Der auf die Erfüllung dieses Anspruchs gerichtete Antrag der Gruppenvertretung konnte bereits im vorliegenden Verfahren gestellt werden. Es entspricht einer verbreiteten Ansicht in der Literatur, dass die Arbeitnehmervertretung einen Aufhebungsantrag gemäß § 101 S. 1 BetrVG stellen kann, wenn der Arbeitgeber die personelle Maßnahme vorläufig durchführt. Gegebenenfalls kann der Antrag als Widerantrag im Verfahren gemäß § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG/§ 89 Abs. 2 S. 3 TV PV gestellt werden (vgl. etwa GK-BetrVG-Kraft/Raab a.a.O. § 101 Rn. 9; Richardi-Thüsing a.a.O. § 101 Rn. 13; Fitting a.a.O. § 101 Rn. 3; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai BetrVG 7. Auflage § 101 Rn. 11; Woitaschek in Gross/Thon/Ahmad/Woitaschek BetrVG § 101 Rn. 7). Tatsächlich handelt es sich bei einem derartigen Antrag um eine Klage auf zukünftige Leistung, für deren Zulässigkeit die allgemeinen Maßstäbe der §§ 257 ff. ZPO gelten. Voraussetzung für die Stattgabe eines derartigen Widerantrags ist deshalb nach § 259 ZPO eine nach den Umständen gerechtfertigte Besorgnis, dass sich der Arbeitgeber der rechtzeitigen Erfüllung des Anspruchs entziehen könnte. Eine derartige Besorgnis wird regelmäßig nicht zu verneinen sein, wenn der Arbeitgeber wie hier die Maßnahme unter Verletzung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmervertretung vorläufig durchgeführt hat. Es liegt dann bei ihm, die Besorgnis auszuräumen, dass er in Zusammenhang mit der personellen Maßnahme erneut Betriebsverfassungsrecht verletzen könnte. Hier sind keine dazu geeigneten Umstände vorgetragen.

3. Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 72 Abs. 2, 92 Abs. 1 S. 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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