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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 04.10.2007
Aktenzeichen: 5 TaBVGa 91/07
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 85 Abs. 2
ZPO § 935
ZPO § 940
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2
Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes für eine Unterlassungsverfügung kann nicht allein mit dem Argument verneint werden, eine zukünftige mitbestimmungswidrige Maßnahme sei gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern unverbindlich.
Tenor:

Die Beschwerde des Bet. zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17. April 2007 - 3 BVGa 12/07 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1. (Betriebsrat) macht im einstweiligen Verfügungsverfahren im Beschlussverfahren die Unterlassung betriebsverfassungswidrigen Verhaltens durch die Beteiligte zu 2. (Arbeitgeberin) geltend.

Zwischen den Beteiligten gilt eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit, Pausen sowie Mehrarbeit für alle Beschäftigten vom 05.10.2006 (BV). § 4 BV sieht eine bestimmte Verfahrensweise für die Ausübung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Erstellung der wöchentlichen Arbeitszeit- und Pausenpläne vor. § 4.3 lautet:

"Nachträgliche Änderungen der AZPs werden dem Betriebsrat mitgeteilt und bedürfen seiner Zustimmung."

Nach mehreren Verstößen der Arbeitgeberin gegen letztgenannte Regelung machte der Betriebsrat im Februar 2007 ein einstweiliges Verfügungsverfahren im Beschlussverfahren auf Unterlassung anhängig, das er nach Erörterung der Vorfälle im Anhörungstermin zurücknahm.

Nach im Wesentlichen unstreitigen weiteren zahlreichen entsprechenden Verletzungen von § 4.3 BV durch die Arbeitgeberin hat das Arbeitsgericht Darmstadt mit am 17.04.2007 verkündetem Beschluss - 3 BVGa 12/07 - auf entsprechenden Antrag des Betriebsrats der Arbeitgeberin aufgegeben, es bis zum 31.10.2008 zu unterlassen, Arbeitszeiten und Einsatztage in den vom Betriebsrat genehmigten Arbeits- und Pausenplänen ohne seine Zustimmung abzuändern. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Betriebsrat nach den unstreitigen Verstößen der Arbeitgeberin gegen die BV in der Vergangenheit für die Zukunft - jedenfalls befristet - Unterlassung verlangen könne. Der erforderliche Verfügungsgrund sei gegeben, da angesichts der bisherigen Verhaltensweise der Arbeitgeberin die Gefahr der Vereitelung der Rechte des Betriebsrats bestehe. Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Beteiligten im ersten Rechtszug, der dort gestellten Anträge sowie der gesamten Gründe wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts Bezug genommen (Bl. 41 - 49 d. A.).

Gegen diesen der Arbeitgeberin am 27.04.2007 zugestellten Beschluss hat sie am 04.05.2007 Beschwerde eingelegt und dieses Rechtsmittel nach rechtzeitiger Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 27.07.2007 am 26.07.2007 begründet. Zum Verfügungsgrund ist sie der Auffassung, dass "bei einstweiligen Verfügungen zur Sicherung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats" zwar regelmäßig die Gefahr bestehe, dass deren Wahrnehmung ohne Unterlassungsverfügung vereitelt werde, insbesondere bei kurzfristigen oder zeitlich begrenzten Maßnahmen. Dies rechtfertige jedoch noch keine Unterlassungsverfügung, da die zu sichernden Beteiligungsrechte des Betriebsrats kein subjektives absolutes Recht seien. Sie seien vielmehr Berechtigungen, zum Schutz der Arbeitnehmer mitgestaltend tätig zu werden. Unter Bezugnahme auf Matthes (in Germelmann u. a., ArbGG, 5. Aufl., § 85 Rn 37) und die Entscheidungen verschiedener Arbeitsgerichte, die dieser Auffassung folgen, vertritt sie die Ansicht, es komme daher darauf an, ob für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung der damit bezweckte notwendige Schutz der Arbeitnehmer unwiederbringlich vereitelt werde. Da die Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung sei, sei die einseitige Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie der Pausen für die Arbeitnehmer unbeachtlich, sodass sie "umfassend geschützt" seien. Ein Verfügungsgrund für die begehrte einstweilige Verfügung bestehe daher nicht.

Sie beantragt,

1. der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.04.2007 - Az.: 3 BVGa 12/07 - wird abgeändert;

2. die Anträge werden zurückgewiesen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er meint, es sei rechtlich nicht geboten, das Problem auf die Beschäftigten und individuelle Abwehrmaßnahmen zu verlagern. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beinhalte auch bezüglich der Rechte der Betriebsräte das Gebot, effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte zu gewährleisten.

Wegen des vollständigen Vortrags der Beteiligten im Beschwerderechtszug wird ergänzend auf die Beschwerdebegründung (Bl. 91 - 93 d. A.) sowie auf die Beschwerdebeantwortung (Bl. 140 f. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.

Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin aufgegeben, es bis zum 31. Oktober 2008 zu unterlassen, Arbeitszeiten und Einsatztage in den vom Antragsteller genehmigten Arbeits- und Pausenplänen ohne seine Zustimmung abzuändern (§ 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i. V. m. §§ 935, 940 ZPO, § 4.3 BV).

1.

Der erforderliche Verfügungsanspruch im Sinne des § 935 ZPO steht dem Betriebsrat zur Seite.

Nach wiederholten und unstreitigen Verletzungen seiner Mitbestimmungsrechte gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, bezüglich deren Ausgestaltung die Beteiligten die BV vom 05.10.2006 vereinbart hatten, kann der Betriebsrat für die Zukunft Unterlassung verlangen (BAG, Beschluss vom 03.05.1994 - 1 ABR 24/93 - AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972).

Gegen diesen vom Arbeitsgericht bereits zutreffend begründeten Anspruch wehrt sich auch die Beschwerde der Arbeitgeberin nicht.

2.

Der Betriebsrat hat auch den erforderlichen Verfügungsgrund. Er besteht, wenn die Besorgnis besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts ohne alsbaldige einstweilige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (Heither, ArbGG, 4. Aufl. 2006, § 85 Rn 19).

Die von der Arbeitgeberin in der Vergangenheit wiederholt unstreitig praktizierte Verfahrensweise, mit dem Betriebsrat vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit- und Pausenpläne nachträglich zu ändern und andere als die vorgesehenen Mitarbeiter zu den vereinbarten Zeiten oder/und die vereinbarten Mitarbeiter zu anderen Zeiten einzusetzen, macht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zunichte und verstößt gem. § 4.3 BV. Angesichts der Eindeutigkeit und Beharrlichkeit der Rechtsverletzung durch die Arbeitgeberin geht die vorzunehmende Interessenabwägung bei der Ermittlung des Vorliegens eines Verfügungsgrundes (vgl. ausführlich Schwab-Weth, ArbGG 2004, § 85 Rn 65) zu ihren Lasten aus.

Die Kammer vermag der unter Berufung auf Matthes (a. a. O.) vertretenen Auffassung der Arbeitgeberin nicht zu folgen, der durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezweckte Schutz der Arbeitnehmer werde ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung nicht unwiederbringlich vereitelt. Es trifft zwar zu, dass die Mitbestimmungsrechte gem. § 87 BetrVG dem Betriebsrat nicht um seiner selbst Willen eingeräumt sind. Der Betriebsrat hat vielmehr die in § 80 BetrVG allgemein beschriebene und u. a. auch in § 87 BetrVG konkretisierte Aufgabe, als gewähltes Kollektivorgan die Interessen der Belegschaft eines Betriebes wahrzunehmen. Er soll die über die individuellen Interessen der einzelnen Vertragspartner des Arbeitgebers hinausgehenden Belange der Arbeitnehmerschaft im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlich gegebenen Regelungen durchsetzen. Einer Verletzung seiner so verstandenen Rechte kann der Betriebsrat u. a. durch die Geltendmachung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs (BAG, a. a. O.) entgegenwirken. Der effektiven Durchsetzung dieses Anspruchs erforderlichenfalls auch im Wege der einstweiligen Verfügung kann nicht entgegengehalten werden, dass eine mitbestimmungswidrige Maßnahme des Arbeitgebers dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber unverbindlich ist. Dies würde zweierlei verkennen. Zum einen ist das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers nicht identisch mit den vom Betriebsrat zu wahrenden Kollektivinteressen der Gesamtbelegschaft. Dem einzelnen Arbeitnehmer mag aus persönlichen Gründen ein Arbeitszeittausch gelegen kommen, während eine übergeordnete Würdigung der Interessen der Arbeitnehmer bei der Gestaltung von Arbeits- und Freizeit ihr entgegensteht. Zum anderen soll die Geltendmachung und tatsächliche Durchsetzung der kollektiven Belegschaftsinteressen gerade dem demokratisch legitimierten Organ Betriebsrat überlassen sein. Zu diesem Zweck genießen seine Mitglieder die Schutzbestimmungen der §§ 78 BetrVG und 15 KSchG, die die unter Umständen erforderliche Konfliktstärke stützen sollen.

Gegen diesen Beschluss ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben (§ 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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