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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 2097/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 613 a
Die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit (Betreiben eines Backshops) während laufenden Kündigungsschutzverfahrens gegen Betriebsveräußerer ist kein Umstand, der für den Betriebserwerber ein Vertrauen darauf entstehen lassen kann, der Arbeitnehmer werde sich ihm gegenüber nicht mehr auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses berufen.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 1.11.2006 - 5 Ca 239/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger das Recht, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten als Betriebserwerberin geltend machen zu können, verwirkt hat.

Der Kläger war seit dem 01. Dezember 2000 bei der A GmbH als Arbeiter in der Produktion beschäftigt. Die A GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen mit Schreiben vom 28. Juli 2005 zum 31. August 2005. Auf die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Offenbach mit Urteil vom 15. März 2006 fest, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der A GmbH nicht aufgelöst wurde. Das Urteil ist rechtskräftig.

Mit seiner am 12. Mai 2006 beim Arbeitsgericht Offenbach eingegangenen, der Beklagten am 16. Mai 2006 zugestellten Klage, macht der Kläger nunmehr den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten geltend und verlangt vertragsgemäße Beschäftigung. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte den Betrieb der insolventen A GmbH (Insolvenz wurde festgestellt mit Beschluss vom 01. August 2005) gem. § 613 a BGB übernommen hat.

Die Beklagte hat sich erstinstanzlich gegen die Klage damit verteidigt, dass nach ihrer Ansicht der Kläger sein Recht, sich auf ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis mit ihr berufen zu können, verwirkt habe.

Das Arbeitsgericht Offenbach hat der Klage des Klägers mit Urteil vom 01. November 2006 stattgegeben. Es hat gemeint, dass eine Verwirkung im Streitfall nicht vorliegt. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, der dort gestellten Anträge sowie der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf die angefochten Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 25. April 2007 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht festgestellt, dass der Kläger seinen Anspruch auf Geltendmachung des übergegangenen Arbeitsverhältnisses nicht verwirkt habe. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz in der Urteilsbegründung fehle es eben gerade nicht am notwendigen Umstandsmoment, da der Kläger mit der Aufnahme einer selbstständigen unternehmerischen Tätigkeit ab dem 15. Januar 2006 in der Form des Betriebs eines Backshops einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Die Beklagte meint, es wäre lebensfremd anzunehmen, dass der Kläger diese Tätigkeit, die immerhin regelmäßig von der Gesundheitsbehörde überprüft werde, nach kurzer Zeit wieder aufgeben würde. Gegen die Aufgabe des Betriebs spreche im Übrigen, dass die Eröffnung eines Backshops eine nicht unerhebliche finanzielle Investition voraussetzt. Gerade weil der Kläger seine frühere Arbeitnehmertätigkeit aufgegeben und sich als selbstständiger Unternehmer betätigt, könne und müsse die Beklagte daher davon ausgehen, dass der Kläger an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit ihr keinerlei Interesse mehr habe. Hierauf habe sich die Beklagte auch eingerichtet. Nachdem sie von der Geschäftseröffnung des Klägers erfahren habe, habe sie sodann die früher vom Kläger besetzte Stelle an der Spritzgussmaschine und später in der Verpackung neu organisiert, wodurch der vom Kläger früher besetzte Arbeitsplatz weggefallen sei. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Unternehmen sei nicht mehr möglich. Die Beklagte verweist im Übrigen auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. November 1998 - 8 AZR 265/97 - und meint, diese Entscheidung sei auch für den vorliegenden Streitfall einschlägig, weshalb der Kläger unverzüglich nach Kenntniserlangung von dem Betriebsübergang sein Fortsetzungsverlangen ihr gegenüber hätte stellen müssen. Von dem Betriebsübergang Kenntnis habe der Kläger aber bereits aufgrund seiner eigenen Einlassung im vorausgegangenen Kündigungsschutzverfahren spätestens im August 2005 gehabt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 01. November 2006 - 5 Ca 239/06 - hinsichtlich des Kostenausspruchs aufzuheben und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und meint, es fehle insbesondere am Umstandsmoment, der Kläger habe nie den Eindruck erweckt, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen will. So habe der Kläger gegen den Insolvenzverwalter der A GmbH einen Kündigungsschutzprozess geführt und auch nach Eröffnung seines Backshops diesen Prozess fortgesetzt. Hätte der Kläger tatsächlich auf irgendeine Art und Weise zum Ausdruck bringen wollen, dass er sein Recht auf Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht mehr geltend machen will, hätte er schon das Kündigungsschutzverfahren nicht weiter betrieben. Die Beklagte hatte aber zu jedem Zeitpunkt Kenntnis von dem Kündigungsschutzverfahren. Weiter sei der Beklagten aus dem Kündigungsschutzverfahren auch bekannt gewesen, dass der Backshop des Klägers lediglich ein Defizit erwirtschaftet, sodass ihr klar sein musste, dass der Kläger alles Erdenkliche dafür tun wird, wieder in sein Arbeitsverhältnis und in den geregelten Lohn zu kommen. Der Kläger hat weiter gemeint, dass er mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit im Übrigen nur seiner Verpflichtung nach den Vorschriften der §§ 615 Satz 2 BGB, 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG nachgekommen ist, nämlich das Freiwerden seiner Arbeitskraft für die Erzielung neuen Verdienstes zu verwenden. Der Kläger meint schließlich, dass das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 15. März 2006 auch die Beklagte als Betriebserwerberin binde. Da der Kläger aber von seinem Wahlrecht nach § 12 Satz 1 KSchG gegenüber der Beklagten keinen Gebrauch gemacht habe, habe bei der Beklagten auch kein Vertrauenstatbestand entstehen können. Vielmehr habe der Kläger noch innerhalb der Frist für die Ausübung dieses Wahlrechts nach § 12 Satz 1 KSchG mit vorprozessualem Schreiben vom 03. April 2006 der Beklagten seine Arbeitskraft angeboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt des Berufungsbegründungsschriftsatzes vom 12. Februar 2007 (Bl. 77 - 80 d.A.), den Berufungserwiderungsschriftsatz vom 02. März 2007 (Bl. 85 - 90 d.A.) und den weiteren Schriftsatz der Beklagten vom 16. April 2007 (Bl. 96 - 98 d.A.) sowie die Replik des Klägers vom 23. April 2007 (Bl. 102 - 104 d.A.) sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 01. November 2006 - 5 Ca 239/06 - ist statthaft und außerdem form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 64 Abs. 1, Abs. 2 c, 66 ArbGG, 517, 519 ZPO).

In der Sache ist die Berufung der Beklagten jedoch erfolglos. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Anspruch des Klägers, das aufgrund eines Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte übergegangene Arbeitsverhältnis geltend zu machen, ist nicht verwirkt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Grundsätze, wonach der Arbeitnehmer, dem wirksam betriebsbedingt gekündigt worden war, nach Kenntniserlangung der den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umstände ein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Betriebserwerber "unverzüglich geltend zu machen" hat, nicht beim Übergang eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses anwendbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 08.08.2002 - 8 AZR 538/01 - EzA BGB § 613 a, 209, unter II. 1. b) d.Gr. und BAG, Urteil vom 18.12.2003 - 8 AZR 621/02 - AP Nr. 263 zu § 613 a BGB, unter II. 1. b) d.Gr.). Hier - insbesondere in der Entscheidung vom 08. August 2002 - hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass die auch vom Beklagten angezogene Entscheidung des BAG vom 12. November 1998 (- 8 AZR 265/97 - BAGE 90, 153 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung) nur auf Sachverhalte anwendbar ist, in denen dem Arbeitnehmer wirksam betriebsbedingt gekündigt wurde, nicht aber auf Sachverhalte, bei denen das Arbeitsverhältnis wegen unwirksamer Kündigung rechtswirksam aufgrund des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen ist. Im letztgenannten Fall, der auch dem Streitfall entspricht, kommt nur eine Verwirkung des Anspruchs auf Geltendmachung des übergegangenen Rechts in Betracht. Danach kann die Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer wie jeder andere Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis verwirkt werden. Der Anspruch ist verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BAG, Urteil vom 08.08.2002 - 8 AZR 583/01 - a.a.O., unter II. 1. a) d.Gr., m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass ein Vertrauen der Beklagten darauf, dass der Kläger den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ihr gegenüber nicht mehr geltend machen wird, nicht anzuerkennen ist. Die Beklagte hatte nach unwidersprochen gebliebenem Vortrag des Klägers Kenntnis von dem Kündigungsschutzverfahren gegen den Insolvenzverwalter und von der dortigen Einlassung des Klägers im Hinblick auf die Unwirksamkeit der ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsübergangs. Es konnte daher schon deshalb bei ihr kein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen, dass der Kläger sie nicht mehr in Anspruch nehmen wird. Dem steht auch die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit des Klägers nicht entgegen. Der Kläger hat damit nicht gegenüber der Beklagten den Eindruck erweckt, dass er an der Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses kein Interesse mehr hat. Die Aufnahme einer solchen von der Bundesagentur für Arbeit mit Überbrückungsgeld geförderten Selbstständigkeit ist nicht anders zu bewerten, wie die Aufnahme einer unselbstständigen Tätigkeit während laufenden Kündigungsschutzverfahrens. In beiden Fällen sichert der Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens durch die Verwertung seiner Arbeitskraft einerseits lediglich seinen Lebensunterhalt und kommt andererseits seiner Verpflichtung im Rahmen des Annahmeverzugs auf Erzielung von Zwischenverdienst nach. Die Selbstständigkeit des Klägers ist nach Art und Umfang auch nicht so gestaltet gewesen, dass sie nicht ohne Weiteres auch wieder hätte beendet werden können. Darüber hinaus hat der Kläger ebenfalls unwidersprochen darauf verwiesen, dass der Beklagten aus dem vorausgegangenen Kündigungsschutzverfahren bekannt gewesen ist, dass der Kläger mit seinem Backshop lediglich Defizite macht. Woraus die Beklagte also ableiten will, der Kläger habe bei ihr den Eindruck erweckt, er ziehe diese selbstständige Tätigkeit einer Weiterbeschäftigung bei der Beklagten vor, obwohl der Kläger andererseits das Kündigungsschutzverfahren weiterbetrieben hat, ist daher für das Berufungsgericht nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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