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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.09.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 384/08
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 2007 - 18/5 Ca 5068/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den durch eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten angegriffenen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Die am 24. Februar 1955 geborene, verheiratete Klägerin ist seit 01. Dezember 1994 bei der Beklagten, die zahlreiche SB-Warenhäuser führt, mit einem monatlichen Gehalt von € 1.471,00 brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27,5 Stunden als Mitarbeiterin im SB-Warenhaus in Xxxxxxxx beschäftigt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 15. Juni 2007 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2007.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage.

Kündigungsgrund ist der Missbrauch eines Payback-Sondercoupons über 500 Payback-Punkte (entspricht einem Wert von € 5,00) bzw. der dahingehende dringende Tatverdacht. Im Jahr 2007 wurde im Rahmen des Verkaufs von Konzertkarten für ein Konzert von Herbert Grönemeyer der Konzertkarte ein Payback-Coupon im Wert von 500 Punkten angehängt. Dieser Coupon konnte bis zum 31. Juli 2007 bei allen Payback-Partnerunternehmen (auch der Beklagten) bei einem Einkauf eingelöst werden.

Bei dem Payback-System handelt es sich um ein Kundenbindungsinstrument. Mit der Payback-Karte erhalten Kunden je nach getätigtem Umsatz Rabattpunkte, die gegen Warenprämien, Gutscheine oder in Bargeld eingetauscht werden können. Die Erfassung der Payback-Punkte erfolgt beim Kassieren des Einkaufs an der Kasse, in dem der Kunde eine Payback-Karte vorlegt, die Daten dieser Payback-Karte eingescannt werden und über dieses Einscannen die Gutschrift der Rabattpunkte erfolgt. Zusätzlich zu dieser Form der Gutschrift von Rabattpunkten gibt es im Rahmen spezieller Kundenbindungs- und Marketingaktivitäten sog. Payback-Sondercoupons, die eine Multiplikation der normalen Rabattpunkte vorsehen bzw. höhere Punktsätze beinhalten. Solche Sondercoupons werden zum einen den Payback-Karteninhabern im Rahmen von Mailing-Aktionen zugesandt bzw. werden verbunden mit dem Kauf bestimmter Artikel bzw. Dienstleistungen den Kunden überlassen. Sämtliche Coupons im Zusammenhang mit dem Paypack-System sind jeweils nur einmalig verwendbar.

Der der Konzertkarte für ein Konzert von Herbert Grönemeyer beigefügte Payback-Sondercoupon, der ebenfalls grundsätzlich nur einmal verwendbar sein sollte, enthielt allerdings - anders als bei manch anderem Payback-Sondercoupon - selbst nicht den Hinweis auf diese Verwendbarkeit. Auf dem Sondercoupon aufgedruckt war lediglich der Hinweis auf den Gültigkeitszeitraum. Die Mehrfacheinlösung des Sondercoupons war auch technisch nicht ausgeschlossen. Die Übertragung der Payback-Sondercoupons war grundsätzlich erlaubt. Die Betreiberin des Rabattsystems, die Payback-Loyality-GmbH, hatte die Möglichkeit zur Einlösung von Coupons aus der Grönemeyer-Aktion allerdings pro Payback-Karte auf 6 mal begrenzt.

Mitarbeiter der Revisionsabteilung stellten in der Folge fest, dass eine Reihe von Arbeitnehmerinnen des Marktes Xxxxxxxx der Beklagten auf ihrer Payback-Karte bzw. der Payback-Karte von Familienangehörigen eine Gutschrift von 500 Payback-Punkten aus dem Sondercoupon der Grönemeyer Konzertkarte von zwischen 3 bis 50 mal aufwiesen.

Die Klägerin soll 25 Gutschriften von je 500 Payback-Punkten über ihre Payback-Karte in der Zeit vom 14. Februar bis 14. Mai 2007 aus dem Sondercoupon des Herbert Grönemeyer Konzerts erwirkt haben.

Der Marktleiter soll hiervon am 30. Mai 2007 Kenntnis erlangt haben.

In Ihrer Anhörung vor Ausspruch der Kündigung - wie im Prozess - lässt sich die Klägerin wie folgt ein:

Als sie festgestellt habe, dass sie ihren vorgelegten Coupon zurückerhielt, habe sie ihn wiederholt verwandt. Selbst die stellvertretende Marktleiterin habe Coupons vorgelegt und, nachdem sie ihn von der Kassiererin zurückerhalten habe, auch eingesteckt.

Die Arbeitnehmerinnen verweisen darauf, dass entgegen der von der Beklagten vorgelegten Organisationsanweisung vom 01. November 2006, die den Kassiererinnen durch die Teamleiterin Kasse Xxxxx Xxxxxxxxx im November 2006 zur Kenntnis gebracht worden sein soll, eine allgemeine Verunsicherung im Umgang mit den Sondercoupons des Herbert Grönemeyer Konzerts bestanden habe. So habe die genannte Teamleiterin Kasse Xxxxx Xxxxxxxxx auf Anfrage erklärt, dass die Coupons an Kunden zurückzugeben seien, wenn diese es - mit Hinweis auf die Gültigkeitsdauer - so verlangen. In gleicher Weise habe sich der Marktleiter selbst geäußert.

Die Organisationsanweisung vom 01. November 2006 lautet dabei wie folgt:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

für die kommende Deutschland-Tournee wird Payback eine Werbekooperation mit dem Musiker Herbert Grönemeyer eingehen.

Hierbei können Kunden einen Coupon von 500 Payback-Punkten u.a. bei Real einlösen.

Die Abwicklung/Annahme der Coupons erfolgt wie gewohnt.

Hinweis: Aufgrund der hohen Wertigkeit ist darauf zu achten, dass die angenommenen Coupons sofort bei Annahme vom Mitarbeiter Kasse durch "Zerreißen" entwertet werden."

Die Arbeitnehmerinnen verweisen weiter auch darauf, dass die Arbeitgeberin in anderen Fällen (namentlich genannt werden 11 Arbeitnehmer u.a. die Teamleiterin Kasse Xxxxx Xxxxxxxxx und die stellvertretende Marktleiterin Xxxxxxxx Xxxxx ) trotz ebenfalls festgestellter mehrmaliger Einlösung des Sondercoupons über 500 Payback-Punkte kein Kündigungsverfahren durchgeführt habe.

Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, dass sich die Arbeitnehmerin durch die Mehrfacheinlösung des Sondercoupons einen rechtswidrigen Vorteil zu ihren Lasten erschlichen habe bzw. erschleichen wollte, sodass die Kündigung auch als Verdachtskündigung gerechtfertigt sei.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein Kündigungsgrund, sei es ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung, sei es ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung, sowohl für eine Tat-, als auch für eine Verdachtskündigung nicht bestehe.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11. Dezember 2007 der Klage stattgegeben.

Das Arbeitsgericht hat angenommen, ein wichtiger Grund für eine Tat- wie auch für eine Verdachtskündigung bestehe nicht, da nicht ausgeschlossen sei, dass die Klägerin mehrfach von dritter Seite in den Besitz eines Sondercoupons gekommen sei und diesen - weil übertragbar - jeweils berechtigterweise zum Erreichen der Gutschrift eingesetzt habe. Aus den gleichen Gründen erweise sich die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung der Beklagten nach Ansicht des Arbeitsgerichts als sozial ungerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der erstinstanzlichen Anträge und der weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung hat die die Beklagte innerhalb der in der Sitzungsniederschrift der öffentlichen Sitzung vom 10. September 2008 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Die Beklagte verfolgt ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass es Sache der Klägerin sei, darzulegen, wie sie rechtmäßig in den Besitz der zahlreichen Payback-Sondercoupons gelangt sein will. Sie rügt weiter, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass die Klägerin teilweise eingeräumt habe Sondercoupons mehrfach eingesetzt zu haben.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 2007 - 18/5 Ca 5068/07 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Der Beklagten ist im Ausgangspunkt zuzustimmen. Die außerordentliche, wie die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann rechtmäßig sein, wenn der Arbeitnehmer eine strafbare Handlung im Betrieb begeht, die zum Nachteil des Arbeitgebers wirkt. Dabei kann nicht nur eine erwiesene Straftat, sondern auch ein dringender Tatverdacht auf das Vorliegen einer solchen Straftat das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen unwiederbringlich zerstören, sodass im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB gerechtfertigt bzw. eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Dabei soll an dieser Stelle nicht vertieft werden, ob ein arbeitsvertraglicher Bezug eines ungerechtfertigten Verhaltens der Arbeitnehmerin hier deshalb zu verneinen wäre, weil sie sich ggf. den Vorteil einer ungerechtfertigten Punktegutschrift auf der Payback-Karte als Kundin der Partnerunternehmen der Payback-Loyality-GmbH erschlichen hätte. Auch nicht vertieft werden soll, ob und welchen Schaden die Beklagte hat, wenn man berücksichtigt - wie teilweise von der Arbeitnehmerseite vorgetragen -, dass aufgrund des Umstandes, dass die Punkte nur im Zusammenhang mit einem Einkauf bei der Beklagten eingelöst wurden, die Beklagte zusätzlichen Umsatz erzielt hat.

Die Kammer ist aber unter zwei Gesichtspunkten zu dem Ergebnis gelangt, dass in Anwendung des ultima-ratio-Grundsatzes vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre. Ohne diese erforderliche Abmahnung ist daher weder die außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB noch erst recht die ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG gerechtfertigt. Ein Gesichtspunkt, dass ein unterstelltes Fehlverhalten der Klägerin, sich durch wiederholte Vorlage eines Sondercoupons des Herbert Grönemeyer Konzerts ungerechtfertigte Punktegutschriften verschafft zu haben, nicht für eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausreicht, ist der schon vom Arbeitsgericht angesprochene Umstand, dass nämlich ein derartiges unterstelltes Fehlverhalten der Arbeitnehmerin nur zum Erfolg führen konnte, weil die Kassiererinnen der Beklagten den Sondercoupon nicht - wie es erforderlich wäre - vernichtet haben. Die Beklagte hat aber nicht dargelegt, dass eine entsprechende Anweisung aus November 2006 auch konsequent durchgesetzt wurde. Um einen Missbrauch zu vermeiden hätte dann nämlich es den Arbeitnehmerinnen auch untersagt werden müssen, Sondercoupons von Kunden oder Kolleginnen überhaupt anzunehmen, da dies immer die Gefahr mit sich bringt, dass ein bereits verwendeter Sondercoupon weitergegeben und dann eben nicht vernichtet wird. Auch hätte es insoweit dann keine Ausnahmen gegenüber Kunden geben dürfen. Hier hat die Beklagte - so teilweise die Einlassung der Arbeitnehmerseite, der die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten ist - Ausnahmen gemacht. Ein weiterer Gesichtspunkt für die Erforderlichkeit einer vorherigen Abmahnung ist, dass die Beklagte selbst zu erkennen gegeben hat, dass eine unterstellte Pflichtverletzung der Klägerin nicht so schwerwiegend gewesen ist, dass das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt werden kann. Die Arbeitnehmerseite hat nämlich - ohne dass die Beklagte dem substantiiert entgegengetreten wäre - unter namentlicher Nennung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorgetragen, dass auch in anderen Fällen eine Mehrfachverwendung des Sondercoupons nicht zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Beurteilung einer Kündigung nicht unmittelbar anzuwenden ist, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz mit dem Gebot der umfassenden Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls - wie er für eine Kündigung erforderlich ist - nur beschränkt zu vereinbaren ist. Jedoch kann der Gleichbehandlungsgrundsatz mittelbare Wirkungen erzielen. Er schließt eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht aus, sondern ist als ein maßgeblicher Gesichtspunkt in die Abwägung einzubeziehen. Werden mehrere Kündigungen wegen eines gleichartigen Kündigungsgrundes ausgesprochen, hängt es von den bei jeder Kündigung zu berücksichtigenden Besonderheiten, z. B. der kürzeren oder längeren Betriebszugehörigkeit ab, ob die Kündigung aller Arbeitnehmer gerechtfertigt ist oder ist. Bei gleicher Ausgangslage muss jedoch der Arbeitgeber, der nach einer selbst gesetzten Regel verfährt, darlegen, weshalb er in einem Fall hiervon abweicht. Zum Beispiel darf der Arbeitgeber nicht ohne sachliche Differenzierungsgründe bei einem von mehreren Arbeitnehmern gemeinsam begangenen Prämienbetrug nur zwei Arbeitnehmern kündigen und es bei dem anderen, ebenso belasteten Arbeitnehmer bei einer Verwarnung belassen. Im Ergebnis muss der Arbeitgeber die Gründe darlegen, die eine differenzierende Behandlung mehrerer Arbeitnehmer im Lichte des Kündigungsschutzes sachlich rechtfertigen (vgl. ErfK zum Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2008, Müller-Glöge, § 626 BGB Rn 199, m.w.N.). Hieran fehlt es im Streitfall. Auch sonst lässt sich eine entsprechende Regel der Arbeitgeberin nicht erkennen. Die Arbeitgeberin geht hier mit der Kündigung gegen Arbeitnehmer vor, die seit den 90er Jahren beschäftigt sind ebenso wie gegenüber Arbeitnehmern, die "erst" seit 2000, 2001 bzw. 2004 bei ihr beschäftigt sind und sogar gegen eine Arbeitnehmerin, die seit 1968 bei ihr beschäftigt ist. Auch die Anzahl der behaupteten ungerechtfertigt erschlichenen Punkte durch Mehrfachverwendung des Sondercoupons ist in einer Bandbreite von 3- bzw. 4-maliger Mehrfachverwendung über 8 , 10- bzw. 11-fache Mehrfachverwendung bis hin zu einer 25- bzw. 50-fachen Mehrfachverwendung so, dass nicht ersichtlich ist, dass sich die Beklagte von einer bestimmten Regel für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen ist. Ob es weitere Umstände gibt, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, dass aus sachlichen Differenzierungsgründen hinsichtlich der von der Arbeitnehmerseite angesprochenen Arbeitnehmern keine Kündigung ausgesprochen wurde, ist mangels Sachvortrag der Arbeitgeberin nicht ersichtlich.

Die Beklagte hat die Kosten ihres eingelegten erfolglosen Rechtsmittels nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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