Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.04.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 1298/06
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 315
BGB § 611
BGB § 626
KSchG § 1
Wurde ein Arbeitnehmer nach einer mehrere Monate andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber "bis auf Weiteres widerruflich" von seiner Arbeitspflicht freigestellt, so ist ihm beim Widerruf der Freistellung eine angemessene Frist zur Wiederaufnahme der Arbeit einzuräumen, die sich an der Frist des § 12 TzBfG orientiert.

Eine bereits am Tage der angeordneten Arbeitsaufnahme ausgesprochene Kündigung ist deshalb ebenso unwirksam wie eine ordentliche Kündigung, die ausgesprochen wurde, nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, sie habe inzwischen "anderweitig disponiert" und werde die Arbeit nach Ablauf von 10 Tagen aufnehmen.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 06. Juli 2006 - 10 Ca 16/06 - teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 07. Februar 2006 zum 30. Juni 2006 nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Leiterin Business Development weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 20. Januar 2006 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

Die Berufung der Beklagten, die weitergehende Berufung der Klägerin und der Auflösungsantrag der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 1/3 die Beklagte zu 2/3 zu zahlen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine außerordentliche und eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung, Weiterbeschäftigung, die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, variable Vergütung und einen Zuschuss zum Krankengeld.

Die Klägerin ist seit dem 01. August 2004 als Leiterin Business Development bei der Beklagten beschäftigt. Zuvor war sie bei einem Tochterunternehmen der Beklagten seit dem 15. August 1998 beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis wurde infolge einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien auf die Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten angerechnet.

Der Arbeitsvertrag der Parteien, wegen dessen Inhalt im Übrigen auf Bl. 4 - 6 d.A. Bezug genommen wird, enthält u.a. folgende Regelungen:

5. Vergütung

Das Brutto-Jahreszielgehalt beträgt € 110.000,00.

Die Gehaltsaufteilung wird festgelegt auf 60% fix und 40% variabel.

Der variable Anteil wird in Abhängigkeit von der Zielsetzung gezahlt. Die Ziele und die Höhe des variablen Anteils werden vom Vorsitzenden der Geschäftsführung festgelegt.

Der fixe Anteil sowie ein Abschlag auf den variablen Anteil werden in 12 Teilbeträgen jeweils zum Monatsende gezahlt.

Die Vorauszahlung des variablen Anteils wird auf 60% festgelegt. Die Vorauszahlung ist anrechenbar und rückzahlbar bei geringer Zielerfüllung.

Es wird eine Progression wie folgt vereinbart:

Zielerfüllung 0% - 70% = 0% variables Gehalt

Zielerfüllung 70% - 100% = 0% - 100% variables Gehalt

Zielerfüllung 100% - 150% = 100% - 200% variables Gehalt.

Mindestens fünf Ziele werden jedes Jahr vereinbart, wovon 60% persönliche Ziele und 40% Unternehmensziele sind.

9. Sicherung der Bezüge im Krankheitsfall

9.1 Im Falle der Dienstunfähigkeit durch Krankheit werden der Mitarbeiterin nach Ablauf der gesetzlichen Frist ihre bisherigen Nettobezüge durch Aufstockung des Krankengeldes zu 100% auf die Dauer von weiteren 3 Monaten gesichert.

Wegen der Zielfestsetzung für das Jahr 2005 wird auf Bl. 66 f d.A., wegen der von der Beklagten ermittelten Zielerreichung auf Bl. 68 - 70 d.A. verwiesen.

Die Klägerin war vom 19. September 2005 bis zum 09. Januar 2006 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 19. September 2005 bis 30. Oktober 2005 erhielt sie von der Beklagten Entgeltfortzahlung. Für die folgende Zeit leistete die Beklagte im Hinblick auf Nr. 9 des Arbeitsvertrags folgende Zahlungen:

Oktober 2005 17,59 €

November 2005 668,40 €

Dezember 2005 545,29 €

Januar 2006 35,31 €.

Die Krankenkasse der Klägerin verweigert für diesen Zeitraum die Zahlung von Krankentagegeld in Höhe von 123,00 € täglich. Deswegen ist inzwischen ein Rechtsstreit anhängig.

Am 10. Januar 2006 erschien die Klägerin wieder zur Arbeit, mit Schreiben vom 11. Januar 2006 (Bl. 7 d.A.) wurde sie bis zum 13. Januar 2006, mit Schreiben vom 13. Januar 2006 (Bl. 8 d.A.) sodann bis auf weiteres widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Mit Schreiben vom 18. Januar 2006 (Bl. 33 d.A.), das der Klägerin per Telefax übermittelt wurde, widerrief die Beklagte diese Freistellung und forderte die Klägerin auf, am 20. Januar 2006 wieder zum Dienst zu erscheinen. Die Klägerin reagierte durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 19. Januar 2006 (Bl. 35 d.A.), mit dem sie u.a. Folgendes erklärte:

"Meine Mandantin nimmt den Widerruf der Freistellung zur Kenntnis und geht davon aus, dass meine Mandantin bei Aufnahme der Tätigkeit in zumutbarer und angemessener Weise vor weiteren Übergriffen geschützt wird. Ich darf Sie bitten, diesen Sachverhalt mir bzw. meiner Mandantin ausdrücklich zu bestätigen.

Meine Mandantin hatte aufgrund der kürzlich erfolgten Freistellung anderweitig disponiert, so dass sie frühestens am 30.01.2006 die Arbeit wieder aufnehmen kann."

Nachdem die Klägerin ihre Arbeit am 20. Januar 2006 nicht wieder aufgenommen hatte, erteilte ihr die Beklagte am selben Tag per Telefax eine Abmahnung, wegen deren Inhalt auf Bl. 31 d.A. verwiesen wird. Die Klägerin erschien auch an den folgenden Tagen nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 28. Januar 2006 (Bl. 9 d.A.) außerordentlich fristlos, mit weiterem Schreiben vom 07. Februar 2006 (Bl. 12 d.A.) hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2006.

Gegen diese Kündigungen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt und darüber hinaus die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangt. Sie hat die Auffassung geäußert, sowohl die Kündigungen als auch die Abmahnung seien unwirksam, weil sie ihre Vertragspflichten nicht verletzt habe. Zu einer "widerruflichen" Freistellung sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen. Nach der erneuten Freistellung "bis auf Weiteres" habe sie damit rechnen können, dass die Freistellung nicht nur kurzfristig erfolgt sei und andere Dispositionen, z.B. Vorstellungsgespräche und Arzttermine tätigen können. Als Mindestfrist für die Rückkehr an den Arbeitsplatz sei in entsprechender Anwendung die Viertagesfrist des § 12 TzBfG anzunehmen. Außerdem sei nicht erkennbar, welches Interesse im Sinne des § 315 BGB die Beklagte an der sofortigen Wiederaufnahme der Tätigkeit der Klägerin gehabt habe.

Nr. 9 des Arbeitsvertrags sei so auszulegen, dass die Beklagte der Klägerin für die Dauer von drei Monaten nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums 100% des durchschnittlichen Nettogehaltes der letzten zwölf Monate schulde, was der Summe von 12.558,79 € entpreche.

Schließlich stünde der Klägerin weitere variable Vergütung gem. Nr. 5 des Arbeitsvertrags zu. Da Ziele für die Klägerin nicht festgelegt worden seien, könne sie 100% des Zieleinkommens verlangen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.469,51 € netto und 9.482,21 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23. Februar 2006 zu zahlen und die Abmahnung vom 20. Januar 2006 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen vom 28. Januar 2006 und 07. Februar 2006 nicht aufgelöst wurde,

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Leiterin Business Development weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2006 gegen Zahlung einer angemessenen vom Gericht festzusetzenden Abfindung aufzulösen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Auflösungsantrag zurückzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis aufzulösen gegen eine Abfindung in Höhe von 8 Monatsgehältern.

Die Beklagte hat behauptet, die Freistellung vom 13. Januar 2006 sei vor dem Hintergrund erfolgt, dass Gespräche über eine Trennung der Parteien zunächst zu keinem Ergebnis geführt hätten, aber eine einvernehmliche Trennung kurzfristig erwartet worden sei. Nachdem sich diese Erwartung nicht erfüllt habe, sei die Freistellung widerrufen worden. Sie hat die Auffassung vertreten, das Verhalten der Klägerin habe eine beharrliche Arbeitsverweigerung dargestellt, das die Beklagte - jedenfalls nach der berechtigten Abmahnung - zur außerordentlichen Kündigung veranlassen durfte.

Zu den geltend gemachten Zahlungsansprüche hat die Beklagte gemeint, sie sei nur zur Aufstockung, nicht aber zum Ersatz der Krankengeldzahlung verpflichtet, und die Klägerin sei hinsichtlich der variablen Vergütung bereits überzahlt.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag der Klägerin hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung stattgegeben, im Übrigen aber die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil vom 06. Juli 2006, wegen dessen Inhalt auf Bl. 74 - 84 d.A. Bezug genommen wird, richten sich die Berufungen beider Parteien.

Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung ist die Klägerin der Auffassung, es dürfe nicht von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats ausgegangen werden. Außerdem habe die Klägerin bereits mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 klargestellt, dass sie bereit und in der Lage sei, die von der Beklagten geforderten Arbeiten ab dem 10. Januar 2006 auszuführen. Im Verhalten der Klägerin nach der dennoch erfolgten Freistellung und deren Widerruf sei kein Grund zu sehen, der unter Berücksichtigung der besonderen Umstände gravierend genug zur Beendigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses sei. Der Hinweis der Beklagten auf die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei falsch, der diesbezügliche Vortrag auch widersprüchlich, denn ein Arbeitnehmer, dem man bedeutet, man wolle sich von ihm trennen, er werde deshalb freigestellt, könne davon ausgehen, dass seine Anwesenheit nicht schon bald wieder von besonderer Bedeutung sein könnte. Bei einer Beendigung der Freistellung sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts der Wertungsgehalt des § 12 TzBfG zu berücksichtigen. Diese gesetzliche Regelung bringe zum Ausdruck, dass jeder Arbeitnehmer, der nicht ständig eingesetzt wird, eine erhebliche Zeitspanne benötige, um sich auf den Arbeitseinsatz vorzubereiten. Daran habe sich die Beklagte nicht gehalten, da sie der Klägerin, die erst am 19. Januar 2006 von dem Widerruf der Freistellung erfahren habe, bereits am Folgetag eine Abmahnung aussprach, ohne dass sich die Klägerin auf die neue Situation habe einstellen können. Gegenüber diesem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten müsse das Verhalten der Klägerin als von der Rechtsordnung gebilligt angesehen werden. Mehr als die Ankündigung der Arbeitsaufnahme ab dem 30. Januar 2006 habe die Beklagte nicht von der Klägerin verlangen können.

Die Klägerin behauptet, die Abmahnung, die sie für rechtswidrig hält, sei ihr erst am 25. Januar 2006 per Post zugegangen. Zwar sei bei der Klägerin am 23. Januar 2006 eine Faxkopie eingegangen. Da sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause befunden habe, habe sie die Abmahnung erst am 25. Januar 2006 zur Kenntnis nehmen können. Sie meint, auch dies zeige, dass der Klägerin keine angemessene Reaktionszeit blieb.

Sie äußert weiterhin die Auffassung, aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich ein Anspruch der Klägerin auf 100% der Nettovergütung während der Krankheitszeit von Oktober 2005 bis Januar 2006. Dieser Anspruch sei unabhängig davon, ob und wann die private Krankenversicherung, die deswegen von der Klägerin in Anspruch genommen wird, zahlt oder nicht zahlt. Sie grenzt ihren Zahlungsanspruch insoweit ein, als sie Leistung nur Zug um Zug gegen Abtretung des Anspruchs gegen ihre Krankenversicherung verlangt.

Die Klägerin habe auch Anspruch auf 100% der variablen Vergütung. Die Beklagte habe im Jahr 2005 wesentliche Umstrukturierungen vorgenommen, die die festgesetzten Ziele obsolet machten. Dies sei der Klägerin auch von ihrem damaligen Vorgesetzten so mitgeteilt und im Protokoll einer Sitzung des Vorstandes und der Geschäftsführung vom 25. Juni 2005 so vermerkt worden. Die in der Folge von der Beklagten beabsichtigten Änderungen der Vergütungsregelung seien von der Klägerin nicht akzeptiert worden. Die Klägerin habe sich auch mit einer Veränderung der - ohnehin verspätet - gemachten Zielvorgaben nicht einverstanden erklärt, sondern auf der Erfüllung des Vertrags und der schriftlich getroffenen Zielvereinbarung bestanden. Daraus folge, dass die Beklagte die hundertprozentige Zielerfüllung durch die Klägerin vereitelt hätte. In der weiteren Konsequenz könne die Klägerin nun 100% des Zielgehalts verlangen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt - 10 Ca 16/06 - vom 06. Juli 2006 teilweise abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.469,51 € netto - Zug um Zug gegen Abtretung des Anspruchs gegen die Nürnberger Versicherung - und 9.482,21 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23. Februar 2006 zu zahlen und die Abmahnung vom 20. Januar 2006 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Kündigung vom 07. Februar 2006 nicht aufgelöst wurde,

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Leiterin Business Development weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 06. Juli 2006 - 10 Ca 16/06 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2006 gegen Zahlung einer angemessenen vom Gericht festzusetzenden Abfindung aufzulösen.

Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe der Klage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung zu Unrecht stattgegeben. Das Verhalten der Klägerin rechtfertige auch eine solche Kündigung, denn es sei die Klägerin selbst gewesen, die die Situation, wie sie sich im Januar 2006 darstellte, herbeigeführt habe, indem sie unerfüllbare Forderungen gestellt und diese mit substanzlosen Vorwürfen begründet habe. Die Beklagte habe die Klägerin nach deren Forderungen in den Gesprächen vom 11. und 13. Januar 2006 freigestellt, um die Rechtslage prüfen zu können. Diese Prüfung sei am 18. Januar 2006 abgeschlossen gewesen. Deshalb sei in der Folge die Freistellung widerrufen worden. Es habe auch besondere Gründe dafür gegeben, dass die Klägerin ihre Arbeit umgehend wieder aufnimmt. Da sie in leitender Stellung tätig ist, sei durch ihr langes Fehlen ohnehin schon zu einer schwierigen Situation gekommen. Im Übrigen bedürfe es zur Arbeitsaufforderung durch den Arbeitgeber keiner besonderen Gründe.

Die Beklagte behauptet, der bei ihr bestehende Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Dies sei zunächst durch das Schreiben vom 24. Januar 2006 (Bl. 185f d.A.) erfolgt, darüber hinaus habe Frau Kolar die Gründe mündlich ergänzt, indem sie alle im Berufungsschriftsatz genannten Gründe angesprochen habe.

Den Auflösungsantrag begründet die Beklagte insbesondere mit der weiteren Klage der Klägerin gegen die Beklagte, mit der sie Unterlassung von Äußerungen und einen Schmerzensgeldanspruch geltend macht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 15. März 2007 (Bl. 262 d.A.) und die dort in Bezug genommenen Schriftsätze der Beklagten verwiesen.

Im Übrigen verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil, soweit dadurch die Klage abgewiesen wurde, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Die Klägerin beantragt weiterhin,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Auch sie verteidigt insofern das Urteil des Arbeitsgerichts und führt darüber hinaus aus, es sei nicht die Klägerin gewesen, die die außergewöhnliche Situation herbeigeführt habe, sondern das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen der Klägerin durch das Aufsichtsratsmitglied B. Der Klägerin sei die Arbeitsaufnahme am 25. Januar 2006 schon deshalb unmöglich gewesen, weil sie die Abmahnung erst am Abend dieses Tages vorgefunden habe. Für den 26. Januar 2006 habe sie einen Vorstellungstermin in C, für den 27. Januar 2007 eine physiotherapeutische Behandlung vereinbart.

Auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze der Parteien wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaften, form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen beider Parteien sind zulässig.

B

Die Berufung der Klägerin ist in der Sache teilweise begründet, die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

I.

Die Klage ist in vollem Umfang zulässig. Da die Klägerin rechtzeitig i.S.d. § 4 KSchG Klage erhoben hat, ist auch hinsichtlich der Kündigungen nicht die Wirksamkeitsfiktion des § 7 KSchG eingetreten.

II.

1. Die Klage ist über die Feststellungen im arbeitsgerichtlichen Urteil hinaus auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründet. Dies folgt aus den nachstehenden Erwägungen:

a) Die Kündigung vom 07. Februar 2006 ist nicht aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen unwirksam. Vielmehr ist von einer ordnungsgemäßen Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats auszugehen. Denn die Klägerin hat den ausführlichen Vortrag der Beklagten zum Ablauf und Inhalt des Anhörungsverfahrens nicht mehr substanziiert bestritten.

b) Die Kündigung ist jedoch im Sinne des § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, da sie nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt ist. Unter Berücksichtigung des dem gesamten Kündigungsrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsprinzips war auch die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2006 trotz der Ankündigung der Klägerin, ab dem 30. Januar 2006 wieder zur Arbeit zu kommen, eine überzogene Maßnahme.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte berechtigt war, die Klägerin ab dem 11. Januar 2006 zunächst für drei Tage, sodann "bis auf Weiteres" von ihrer Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen, denn die Klägerin hat diese Freistellung jedenfalls zunächst klaglos akzeptiert. Danach stellte jedoch jedenfalls die Abmahnung vom 20. Januar 2006 - unabhängig davon, wann sie die Klägerin zur Kenntnis nahm - eine rechtswidrige Maßnahme dar, denn die Beklagte musste der Klägerin nach deren Schreiben vom 19. Januar 2006, mit dem sie ihre Verhinderung bis zum 30. Januar 2006 geltend machte, einen angemessenen Zeitraum zur Wiederaufnahme der Arbeit einräumen. Zu Recht verweist die Klägerin hier auf die Viertagefrist des § 12 TzBfG. Diese Vorschrift ist zwar im vorliegenden Sachverhalt nicht unmittelbar anwendbar. Aus ihr lässt sich jedoch die allgemeine Wertung des Gesetzgebers entnehmen, dass einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsaufnahme von einer entsprechenden Aufforderung des Arbeitgebers abhängig ist, eine gehörige Ankündigungs- und Vorbereitungszeit einzuräumen ist, die der Gesetzgeber im speziellen Fall der Arbeit auf Abruf auf vier Tage festgesetzt hat. Wenn die Beklagte nun aber bereits am Tag der von ihr verlangten Arbeitsaufnahme der Klägerin gegenüber eine Abmahnung aussprach, handelte sie vorschnell mit dem Ergebnis, dass diese Abmahnung keinen rechtlich Bestand hatte und somit nicht die für eine nachfolgende Kündigung erforderliche Warnfunktion entfalten konnte.

Hinzu kommt, dass die Beklagte die Klägerin zur Aufnahme der Arbeit am Freitag, dem 20. Januar 2006 aufgefordert hatte. Wenn die Klägerin daraufhin ihren Arbeitsantritt für frühestens Montag, dem 30. Januar 2006 ankündigte, liegen dazwischen sechs Arbeitstage und damit ein Zeitraum, der für den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach der langen Zeit der Erkrankung der Klägerin und der Freistellung für die Dauer von annähernd zwei Wochen nicht die Bedeutung erlangen durfte, den ihm die Beklagte beimaß. Dies ergibt sich vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagte als erstes Motiv für die Freistellung der Klägerin das Vorhaben nannte, mit der Klägerin zu einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu kommen. Dem widerspricht die später vorgetragene Dringlichkeit einer Rückkehr der Klägerin an den Arbeitsplatz.

Die ordentliche Kündigung ist im Übrigen auch schon deshalb nach dem Verhalten der Klägerin unverhältnismäßig, weil die Beklagte durch weniger schwer wiegende Maßnahmen das zukünftige Wohlverhalten der Klägerin und damit den ungestörten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hätte erreichen können. So wäre durchaus eine Abmahnung für den Fall, dass die Klägerin die Arbeit auch am 30. Januar 2006 nicht aufgenommen hätte, angebracht gewesen. Außerdem hätte die Beklagte zumindest ein Zurückbehaltungsrecht, wenn nicht auch ein endgültiges Zahlungsverweigerungsrecht hinsichtlich der Vergütung für die Fehlzeit geltend machen können.

2. Auch der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin ist begründet.

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Großer Senat vom 27. Februar 1985 (GS 1/94 AP § 611 BGB Nr. 14 Beschäftigungspflicht), der sich die erkennende Kammer in ständiger Rechtsprechung anschließt, folgt die Beschäftigungspflicht im bestehenden Arbeitsverhältnis aus dem Arbeitsvertrag, der den Arbeitnehmer gemäß § 613 BGB zur persönlichen Dienstleistung für den Arbeitgeber verpflichtet. Der Anspruch beruht unmittelbar auf der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers. Dies gilt im umstrittenen Arbeitsverhältnis jedenfalls dann, wenn ein Urteil das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses feststellt und der Arbeitgeber kein besonderes, über das normale Beendigungsinteresse hinaus gehendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers geltend machen kann. Dies ist hier nicht der Fall. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ergänzend auf die Begründung der BAG Entscheidung Bezug genommen.

3. Darüber hinaus ist die Beklagte auch verpflichtet, die Abmahnung vom 20. Januar 2006, deren Rechtswidrigkeit sich aus den Feststellungen unter B II 1 ergibt, aus den Personalakten der Klägerin zu entfernen.

4. Soweit die Klägerin jedoch auch mit der Berufung Zahlungsanträge verfolgt, ist die Berufung unbegründet, da das Arbeitsgericht die Klage insofern zu Recht als unbegründet abgewiesen hat. Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt Anlass zu folgenden Ergänzungen:

a) Die Argumentation der Klägerin in der Berufungsbegründung ist nicht geeignet, die richtige Auslegung der Vereinbarung in Nr. 9.1 des Arbeitsgerichts durch das Arbeitsgericht zu erschüttern. Denn darin ist von einer "Aufstockung", nicht aber von einer Übernahme des Krankengeldes selbst für den Fall, dass die Krankenversicherung - aus welchen Gründen auch immer - die Zahlung verweigert, die Rede. Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, so entstünde ein hundertprozentiger Zahlungsanspruch selbst in dem Falle, dass ein Arbeitnehmer aus selbst verschuldeten Gründen den Versicherungsschutz verliert und überhaupt keine Ansprüche auf Krankengeld gegenüber einer Krankenversicherung hat. Dass die Parteien einen derart weit gehenden Risikoübergang auf die Beklagte vereinbaren wollten, kann aber nicht angenommen werden.

b) Die Klage hinsichtlich weiterer variabler Vergütung ist unschlüssig.

Denn die Klägerin betont einerseits den Fortbestand der ursprünglichen Zielvorgabe und verweist darauf, dass eine Neudefinition der zu erreichenden Ziele trotz unstreitig erfolgter Umstrukturierungsmaßnahmen nicht wirksam vorgenommen wurde. Der auf dieser Basis durch die Beklagte am 13. Januar 2006 vorgenommenen Zielfeststellung (Bl. 68 d.A.) widerspricht die Klägerin dennoch völlig unsubstanziiert. Dies gilt insbesondere für die quantitativen, auf dem Ergebnis der D beruhenden Ziele.

Bei den qualitativen Zielen ist zudem zu beachten, dass die Beklagte sowohl beim Ziel "E" als auch beim Ziel "Aufbau des Market Managements" wegen der bereits genannten Umstrukturierung eine Zielerreichung von 100% unterstellt hat.

Wie die Klägerin trotz dieser konkreten, auf der von ihr weiterhin als gültig angenommenen Zielvorgabe beruhenden Angaben zur Zielerreichung zu einem hundertprozentigen Anspruch auf das Zielgehalt kommt, ist unerfindlich.

Soweit die Klägerin behauptet, die Beklagte habe die Zielerreichung als Bedingung für die Zahlung der Zielvergütung vereitelt, ist auch dieser Vortrag im Hinblick auf die Art der Zielfeststellung durch die Beklagte unsubstanziiert.

III.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet

1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die außerordentliche Kündigung vom 28. Januar 2006 unwirksam ist. Dies folgt nunmehr schon daraus, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch die ordentliche Kündigung vom 07. Februar 2006 das Arbeitsverhältnis nicht aufzulösen vermochte. Einer weiteren Begründung bedarf es deshalb nicht.

2. Auch eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Grund des Antrags der Beklagten kommt nicht in Betracht, da die gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Bei Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles sind keine Gründe gegeben, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (aus jüngerer Zeit: Urteile vom 02.06. und 23.06.2005 2 AZR 234/04 AP Nr. 51 zu § 9 KSchG 1969 und 2 AZR 256/04 NZA 2006, S. 363 ff.) ist das Kündigungsschutzgesetz vorrangig ein Bestandsschutz und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Danach kommt eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur ausnahmsweise in Betracht und sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen. Dabei sind die wechselseitigen Grundrechtspositionen des betroffenen Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Als Auflösungsgründe kommen danach solche Umstände in Betracht, die sich aus dem Verhalten des Arbeitnehmers nach der Kündigung, insbesondere während des Kündigungsschutzprozesses ergeben. Hierzu zählen beispielsweise die Beleidigung des Arbeitgebers im Prozess oder ihn diskreditierende Äußerungen in der Öffentlichkeit (vgl. ErfK Ascheid § 9 KSchG, RN 22 m.w.N.). Dabei muss sich der klagende Arbeitnehmer auch die Ausführungen seines Prozessbevollmächtigten im Prozess anrechnen lassen, wenn er ihnen nicht in geeigneter Weise entgegengetreten ist (vgl. ErfK Ascheid a.a.O. RN 23 m.w.N.).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall und die ihn konkret kennzeichnenden Umstände, dass eine Auflösung gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht in Betracht kommt.

Die Beklagte hat den Auflösungsantrag insbesondere damit begründet, dass die Klägerin neben dem vorliegenden Verfahren die Beklagte auf Unterlassung und Zahlung eines Schmerzensgeldes verklagt hat. In jenem Verfahren (10 Ca 78/06 Arbeitsgericht Darmstadt) hat die Klägerin u.a. beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin "als psychisch krank, gestört bzw. Verleumderin in Wort und Schrift zu bezeichnen". Weiterhin begründet die Beklagte ihren Auflösungsantrag mit den Strafanzeigen gegen beide Geschäftsführer, die die Klägerin gestellt oder veranlasst hat.

Diese von der Klägerin in einem rechtsförmigen Verfahren ergriffenen Maßnahmen zum Schutze ihrer Persönlichkeit sind aber nicht geeignet, den Auflösungsantrag zu begründen. Dies gilt selbst dann nicht, wenn sich die Vorwürfe der Klägerin gegenüber den jeweils beschuldigten Personen als unrichtig erweisen sollten oder letzten Endes nicht bewiesen werden können. Denn indem die Klägerin ihre Behauptungen einer gerichtlichen Überprüfung zugeleitet hat, hat sie gerade den rechtsstaatlich vorgesehenen Weg gewählt und nicht etwa zu Beschuldigungen beleidigender oder verleumderischer Art gegenüber einem unbestimmten und unbestimmbaren Personenkreis gegriffen, gegen die sich die Beschuldigten nicht angemessen verteidigen könnten. Ferner hat die Klägerin nicht erkennen lassen, dass sie die Feststellungen der angerufenen Organe der Rechtspflege nicht anerkennen wird.

Soweit auch der Vater der Klägerin die Beklagte in Anspruch genommen hat, darf ihr dies erst recht nicht zum Nachteil gereichen.

C

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens gem. § 92 ZPO zu tragen.

D

Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.



Ende der Entscheidung

Zurück