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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: 8 Sa 1454/07
Rechtsgebiete: EFZG, BetrVG


Vorschriften:

EFZG § 5
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1
Die Anweisung des Arbeitgebers an einen Arbeitnehmer eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei jeder Krankmeldung sofort vorzulegen unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sie in Besonderheiten des Einzelfalles begründet ist und ihr keine erkennbare generelle Regelung zugrunde liegt.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Frankfurt am Main vom 12. September 2007 - 9 Ca 9437/06 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, vom Kläger zu verlangen, dass er bei jeder Krankmeldung unverzüglich eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.

Der Kläger ist Mitglied des Betriebsrats. Er ist bei der Flugabfertigung als "Load Controller" beschäftigt und arbeitet dabei im Schichtsystem. Nach seinem Arbeitsvertrag ist er verpflichtet, so genannte "Springer / Splitdienste" zu leisten, sofern betriebliche Erfordernisse vorliegen. Bei diesen umfasst die tägliche Arbeitszeit zwei Dienstbeginne. Die Unterbrechung und die Dauer der einzelnen Dienste können unterschiedlich lang sein. Der Kläger erkrankte mit einer gewissen Regelmäßigkeit an den Tagen, an denen er zu diesen Diensten eingeteilt war.

Mit Schreiben vom 24. November 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie von ihm ab sofort für jede Krankmeldung eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur unverzüglichen Vorlage fordere.

Die Beklagte hat in der Vergangenheit außer vom Kläger im Jahre 2000 von 3, im Jahr 2001 von 3, im Jahre 2005 von 7 und im Jahr 2007 von 3 Arbeitnehmern ebenfalls verlangt, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Die Anordnung gegenüber den Arbeitnehmern erfolgte nicht automatisch nach einer bestimmten Anzahl von Fehltagen, sondern in jedem Einzelfall abhängig vom individuellen Sachverhalt. Die Beklagte beschäftigt in dem Betrieb etwa 170 Arbeitnehmer.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei nicht berechtigt, von ihm zu fordern, dass er für jede Krankmeldung unverzüglich eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Ein solches Verlangen unterliege der Mitbestimmung des Betriebsrates. Es handele sich um ein der Regelungen der Ordnung im Betrieb. auch ein kollektiver Bezug sei gegeben. Eine Vielzahl von Arbeitnehmern sei von einem gleichartigen Verlangen betroffen. Der kollektive Bezug sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte sich entschlossen habe ihre Entscheidung von Fall zu Fall zu treffen. Auch dadurch sei jeder Arbeitnehmer betroffen, da er damit rechnen müsse in den Kreis derjenigen einbezogen zu werden, denen eine Vorlagepflicht auferlegt wird. Die Beklagte habe auch nicht billiges Ermessen gewahrt.

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt,

festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, sofort für jede Krankmeldung eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unverzüglich bei der Beklagten vorzulegen.

Die Beklagte meint, sie sei berechtigt vom Kläger für jede Krankmeldung sofort eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Ein kollektiver Tatbestand liege nicht vor. Es handele sich um eine individuelle Maßnahme gegenüber dem Kläger. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bestehen nicht. Ihr Verlangen entspreche auch billigem Ermessen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich dieses Feststellungsantrags abgewiesen mit Urteil vom 12. September 2007 auf das Bezug genommen wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Protokoll der Sitzung vom 06. August 2008 (Blatt 123 der Akten) verwiesen.

Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und verfolgt seinen abgewiesenen Klageantrag weiter.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger kann die begehrte Feststellung nicht verlangen.

Die Beklagte ist berechtigt, von ihm zu fordern, dass er für jede Krankmeldung eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unverzüglich bei der Beklagten vorlegt.

I.

Diese Maßnahme unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates. Es ist davon auszugehen, dass die Regelung der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eine Frage der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens des Arbeitnehmers im Betrieb ist (BAGE vom 25. Januar 2000 - 1 ABR die 3/99). Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG setzt aber einen kollektiven Tatbestand voraus (BAG GS vom 03. Dezember 1991 - GS 1/90 - AP Nr. 52 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung zu C. III. 3.b) ; Fitting, BetrVG die § 87 Randziffer 14). Danach liegt ein Mitbestimmungsrecht nur dann vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berührt. Für Krankengespräche hat das Bundesarbeitsgericht in die Unterscheidung zwischen mitbestimmungspflichtigem kollektiven Tatbestand und mitbestimmungsfreier Individualmaßnahme danach getroffen, ob die Gespräche in einer generalisierten Art und Weise durchgeführt werden oder ob sie allein durch Umstände veranlasst sind, die in der Person einzelner Arbeitnehmer begründet sind, ohne die übrige Belegschaft zu berühren (BAG vom 08. November 1994 - 1 ABR 22/94 - AP Nr. 24 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes zu B. II. 2. b) der Gründe).

II.

Im vorliegenden Fall ist ein kollektiver Tatbestand nicht zu erkennen.

1.

Eine generelle Regelung ergibt sich nicht allein daraus, dass die Beklagte in der Vergangenheit auch schon von anderen Arbeitnehmern verlangt hat, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Bei weit über 100 Arbeitnehmern weisen Maßnahmen, die in verschiedenen Jahren - nicht in jedem Jahr - meist 3 und einmal 7 Arbeitnehmer betrafen nicht auf einen kollektiven Tatbestand hin.

2.

Es ist auch sonst nichts für eine Regelhaftigkeit des Vorgehens des Arbeitgebers zu erkennen. Allein der Verzicht auf eine allgemeine Regel kann nicht als eine das Mitbestimmungsrecht begründende Regelung angesehen werden. Das bedeutete den Verzicht auf eine Unterscheidung zwischen individuellen Maßnahmen und kollektiven Tatbeständen.

3.

Das Verlangen der Beklagten, dass der Kläger unverzüglich ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, ist in der Person des Klägers begründet und berührt die übrige Belegschaft nicht. Es beruht auf Besonderheiten der Krankheitsanfälligkeit des Klägers - nämlich dem auffälligen Zusammenhang zwischen der Einteilung des Klägers zu bestimmten Diensten und seinen Erkrankungen.

Die übrige Belegschaft mag befürchten müssen, bei einer gleichen Auffälligkeit ebenfalls verpflichtet zu werden, unverzüglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen. Das allein macht aber die individuelle Maßnahmen noch nicht zu einem kollektiven Tatbestand. Jegliche individuelle Maßnahme, die in der Person eines einzelnen Arbeitnehmers begründet ist, hat es an sich, dass sie als Präzedenzfall angesehen werden kann. Wollte man einen kollektiven Tatbestand allein deshalb bejahen, weil grundsätzlich jeder Arbeitnehmer von der Maßnahme betroffen werden kann hieße das, die Möglichkeit mitbestimmungsfreier individueller Maßnahmen auf dem Gebiet der Ordnung und des Verhaltens im Betrieb zu verneinen. Gleiches gilt für das Argument, dass durch die Maßnahme des Arbeitgebers ein betroffener Arbeitnehmer von denen unterschieden wird, die nicht betroffen werden.

III.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen dass sie erfolglos blieb.

IV.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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