Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.09.2008
Aktenzeichen: 8 Sa 1595/07
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 613 a
InsO § 45
1. Ein Anspruch auf Freistellung aus der Umwandlung von Vergütung in Freizeit oder zum Ausgleich von Überstunden (Freizeitguthaben) wird nach Insolvenzeröffnung zu einer Insolvenzforderung, die nach § 45 InsO mit ihrem Wert geltend zu machen ist. Eine Erfüllung durch Freistellung kann nicht mehr verlangt werden.

2. Für diesen auf Abgeltung gerichteten Anspruch haftet ein Betriebsveräußerer gem. § 613 a Abs. 2 BGB soweit der Freizeitanspruch bei ihm begründet wurde und der Abgeltungsanspruch mit der Insolvenzeröffnung innerhalb eines Jahres nach der Betriebsveräußerung fällig wurde.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts in Hanau vom 15. August 2007 - 3 Ca 132/06 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 671,88 EUR (in Worten: Sechshunderteinundsiebzig und 88/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 29. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Kosten der 1. Instanz hat die Klägerin zu 57 % zu tragen, der Beklagte zu 43 %. Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Freizeit und Überstunden.

Die Klägerin trat zum 01. Januar 1987 in die Dienste der Beklagten. Zwischen den Parteien war die Anwendung der "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) vereinbart. In deren Anlage 6 ist u.a. geregelt:

"§ 3 Abgeltung von Überstunden

(1) Die vom Mitarbeiter geleisteten Überstunden sind grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung bis zum nächsten Kalendermonats auszugleichen; im begründeten Einzelfall kann die Frist für den Ausgleich im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter verlängert werden.

....

(2) Ist ein Ausgleich der Überstunden durch entsprechende Arbeitsbefreiung nach Abs. 1 nicht oder nicht in vollem Umfang möglich, erhält der Mitarbeiter für jede nicht ausgeglichenen Überstunden die Überstunden Vergütung nach § 1 Abs. 3 Unterabsatz zwei der Anlage 6 a zu den AVR gezahlt."

In der Anlage 5 c "Langzeitkonten" der AVR ist geregelt:

"§ 7 Sicherung des Zeitguthabens

Der Wert des Zeitguthabens des Mitarbeiters, einschließlich des darauf entfallenden Dienstgeber Anteils an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen, ist gegen eine Zahlungsunfähigkeit des Dienstgebers zu sichern. Die Sicherung des Wertes der derzeit Guthaben ist dem Mitarbeiter gegenüber schriftlich nachzuweisen."

In einem "Nachtrag zum Dienstvertrag" vom 30. Mai 1997 ist die Umwandlung von Vergütung in Freizeit vorgesehen. Geregelt ist dort unter anderem:

"§ 5

Sofern das Dienstverhältnis beendet wird und der entstandene Freizeitanspruch noch nicht erfüllt ist, ist die Freizeit bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zu gewähren und zu nehmen.

Kann der Freizeitanspruch aus dienstlichen Gründen nicht gewährt werden oder reicht die Zeit bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses für die Inanspruchnahme nicht aus, ist der Restanspruch abzugelten.

§ 6

Für die Inanspruchnahme der Freizeit (§ 2) finden die Ausschlussfristen gemäß § 23 AVR sowie die Verjährungsfristen gemäß §§ 194 ff BGB keine Anwendung."

Der Betrieb, in dem die Klägerin in A beschäftigt war, ging zum 01. Oktober 2004 auf die B GmbH über. Zu diesem Zeitpunkt standen der Klägerin nach ihrem Arbeitszeitkonto 120 Freizeitstunden gemäß dem Nachtrag sowie 41 noch nicht ausgeglichenen Überstunden zu. Ihr Stundenlohn betrug 9,20 ?.

Am 10. März 2005 wurde die Insolvenz über deren Vermögen eröffnet. Zum 01. Oktober 2005 ging der Betrieb auf die B GmbH und Co KG über. Zu dieser Zeit hatte sich das Guthaben an Überstunden auf 35,9 Stunden reduziert. Die B GmbH und Co KG, auf die das Arbeitsverhältnis der Klägerin übergegangen war weigert sich die Stunden des Arbeitszeitkontos auszugleichen.

Die Klägerin hat ihren Anspruch aus dem Arbeitszeitkonto im Insolvenzverfahren der B GmbH angemeldet. Ihre Forderungen wurde in Höhe von 1493,08 ? vom Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt. Sie rechnet mit einer Befriedigung in Höhe von 55%.

Die Klägerin hat von der Beklagten die Abgeltung von 156 Arbeitsstunden zu je 9,96 ? verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe gegen ihre Pflicht zur Sicherung des Wertes des Zeitguthabens verstoßen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.553,76 ? brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 29. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Abgeltung von Freizeitstunden können nicht verlangt werden, da das Arbeitsverhältnis nicht beendet sei. Wegen der Betriebsübergänge scheide jedenfalls eine Haftung der Beklagten aus. Die Bestimmungen in der Anlage 5 c der AVR könne keine Anwendung finden. Jedenfalls sei die Ausschlussfrist des § 23 AVR für die Geltendmachung von Ansprüchen nicht eingehalten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 15. August 2007 auf das Bezug genommen wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Protokoll vom 13. August 2008 verwiesen.

Die Klägerin macht nunmehr nur noch den Betrag geltend mit dessen Befriedigung im Insolvenzverfahren nicht zu rechnen sei. Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe ihr den Ausfall zu ersetzen. Die Beklagte habe gegen ihre Pflicht das Freizeitguthaben der Klägerin gegen Zahlungsunfähigkeit zu sichern verstoßen. Da eine Absicherung nicht vorgenommen worden sei habe diese auch nicht auf die Rechtsnachfolgerin weitergegeben werden können. Auf Ausschlussfristen oder Verjährung könne sich die Beklagte nicht berufen. Jedenfalls habe die Klägerin mit Schreiben vom 24. März 2005 ihre Ansprüche aus dem Arbeitszeitkonto geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt,

1. auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau, Aktenzeichen 3 Ca 132/06 vom 15.08.2007 aufgehoben.

2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 671,88 ? brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 29. Dezember 2005 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unzulässig und unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Abgeltung angeblich angesparter Arbeitsstunden seien nicht gegeben. Die Beklagte würde da für auch nicht haften. Sie wären jedenfalls verfallen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf Berufungsbegründung und Berufungserwiderung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nicht lediglich formelhaft durch Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen begründet. Vielmehr hat die Klägerin dargelegt, aus welchen rechtlichen Gründen sie das angefochtene Urteil für unrichtig hält indem sie ihre eigene Rechtsauffassung dargelegt hat.

B.

Die Berufung ist begründet. Die Klägerin kann den eingeklagten Betrag von der Beklagten als Gesamtschuldnerin mit der B GmbH verlangen.

I.

Die Klage ist allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes begründet. Selbst wenn eine Verpflichtung der Beklagten nach den AVR bestanden hätte, das Freizeitguthaben der Klägerin gegen Insolvenz zu sichern und die Beklagte dies unterlassen hätte, ergäbe sich daraus kein Schadensersatzanspruch. Die Beklagte ist nicht insolvent geworden. Eine Verpflichtung, das Freizeitguthaben der Klägerin auch gegen eine Insolvenz eines Betriebserwerbers abzusichern oder eine Insolvenzsicherung auf den Betriebserwerber zu übertragen ist den AVR nicht zu entnehmen.

II.

1.

Die Klägerin hatte unstreitig ein Guthaben von 120 Freizeitstunden und 41 Überstunden auf dem von der Beklagten geführten Arbeitszeitkonto, als ihr Arbeitsverhältnis am 01.10. 2004 auf die B GmbH überging. Der Anspruch auf entsprechenden Freizeitausgleich d.h. auf Freistellung von der Arbeit unter Entgeltzahlung richtete sich ab diesem Zeitpunkt gemäß § 613a Abs. 1 BGB gegen diese.

2.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde aus dem Anspruch auf Freistellung unter Entgeltzahlung ein Abgeltungsanspruch.

a)

Voraussetzungen für eine Abgeltung der Überstunden ist gemäß Anlage 6 § 3 Abs. 2 AVR dass ein Ausgleich durch Arbeitsbefreiung nicht möglich ist. Hinsichtlich der Freizeitstunden ist im Nachtrag als Voraussetzung für eine Abgeltung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses genannt. Dem ist es gleichzustellen, wenn aus sonstigen Gründen der Freizeitanspruch nicht gewährt werden kann. Mit dieser Regelung soll lediglich gewährleistet werden, dass vorrangig eine Freistellung von der Arbeit erfolgt. Bei Unmöglichkeit der Freistellung hat eine Abgeltung zu erfolgen.

b)

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens konnte eine Freistellung bei voller Entgeltzahlung nicht mehr erfolgen. Der Anspruch auf Freistellung war nämlich vor Insolvenzeröffnung entstanden und damit eine Insolvenzforderung (BAG vom 24. September 2003 - 10 AZR 64 0/02 - zu II. 2. a) der Gründe; DB 2004, Seite 191). Eine Erfüllung hätte eine Bevorzugung gegenüber anderen Gläubigern bedeutet. Der Anspruch war als nicht auf Geld gerichtet gemäß § 45 InsO mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann.

c)

Der Freizeitanspruch, der aus der Umwandlung von Vergütung in Freizeit oder zum Ausgleich von geleisteten Überstunden entsteht, kann nicht mit einem Urlaubsanspruch gleichgestellt werden. Die Urlaubsansprüche können keinem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden. Damit verbietet sich auch eine rechnerische Zuordnung bestimmter Urlaubstage auf die Zeitpunkte vor und nach Eröffnung der Insolvenz (BAG vom 18.11. 2003 - 9 AZR 95/03 - zu A. II. 2. b. der Gründe; DB 2004 Seite 1267). Deshalb sind diese Masseforderungen. Hingegen können Freizeitansprüche, die aus der Umwandlung von Vergütung oder aufgrund der Leistung von Überstunden entstanden sind genau dem Zeitpunkt ihrer Entstehung zugerechnet werden.

3.

Die Beklagte haftet gemäß § 613a Abs. 2 BGB neben der B GmbH für die Abgeltung, da sie vor Ablauf von einem Jahr nach dem Übergang, nämlich mit der Insolvenzeröffnung am 10. März 2005, fällig wurde. Der Anspruch war auch als Freizeitanspruch und Ausgleichsanspruch für geleisteten Überstunden vor dem Betriebsübergang entstanden. Damit haftet die Beklagte auch für den an deren Stelle getretenen Abgeltungsanspruch.

4.

Der Betriebsübergang auf die B GmbH und Co KG am 01. Oktober 2005 berührt diese Haftung nicht. In der Insolvenz ist § 613a BGB nicht anwendbar, soweit bereits entstandene Ansprüche betroffen sind (ständige Rechtsprechung seit BAG vom 17. Januar 1980 - 3 AZR 160/79 - BAGE 32, 326). Ansprüche auf Freistellung bei Fortzahlung der Vergütung, die vor Insolvenzeröffnung entstanden sind und vor dem Betriebsübergang fällig wurden gehen nicht auf den Betriebserwerber über (zur Altersteilzeitvergütung: BAG vom 19. Oktober 2004 - 9 AZR 947/03 - BAGE 112,2 114; Hessisches Landesarbeitsgericht vom 23. August 2006 - 8 Sa 1744/05 -).

Spätestens dadurch war die Erfüllung des Anspruchs auf Freistellung unmöglich geworden und der Abgeltungsanspruch an seine Stelle getreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Haftung der Beklagten nach § 613 a Abs. 2 BGB noch nicht geendet. Die Jahresfrist seit dem ersten Übergang endete nämlich erst am 01. Oktober 2005 (§ 187 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 188 Abs. 2 BGB).

5.

Da die Freizeitansprüche der Klägerin in einem Arbeitszeitkonto von der Beklagten und der Betriebserwerberin geführt wurden kann sich die Klägerin auch nicht auf Verfall oder Verjährung berufen (BAGE vom 21.04.1993 - 5 AZR 399/92 - DB 1993, 1930). Die Klägerin hat ihre Ansprüche im Übrigen auch mit Schreiben vom 24. März 2005 rechtzeitig geltend gemacht.

6.

Jedenfalls in der in der Berufungsinstanz eingeklagten Höhe ist die Forderung der Klägerin begründet, auch wenn man das Zahlenwerk der Beklagten zu Grunde legt. Soweit die Beklagte einwendet, das ursprüngliche Freizeitguthaben müsse zumindest teilweise verbraucht sein, wäre es ihre Sache, die Erfüllung durch Freizeitgewährung darzulegen und zu beweisen. Gegen eine solche spricht im übrigen die Feststellung zur Tabelle durch den Insolvenzverwalter.

C.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens waren im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens aufzuteilen. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen, da diese in vollem Umfang erfolgreich war.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.

Ende der Entscheidung

Zurück