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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.03.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 1839/04
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
KSchG § 9
Tätlichkeiten (Ohrfeigen) gegenüber einem Kollegen konnten bei einem 57 Jährigen Arbeitnehmer nach über 30jähriger Betriebszugehörigkeit aufgrund der Interessenabwägung keine außerordentliche aber eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts in Marburg vom 17. September 2004 - 3 Ca 98/04 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16.04.2004 nicht fristlos aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage und der Auflösungsantrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu 1/3 und der Kläger zu 2/3 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der 1946 geborene, verheiratete Kläger trat im September 1973 zunächst als Auszubildender in die Dienste der Beklagten. Dort war er zuletzt als Kraftfahrzeugmechaniker mit einem Bruttomonatsgehalt von € 2.400,00 beschäftigt. Nach einer Auseinandersetzung mit einem in der Materialausgabe beschäftigten Mitarbeiter hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 14.04.2004 zu einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung gegenüber dem Kläger an. Unter dem 15.04.2004 vermerkte der Betriebsratsvorsitzende auf dem Anhörungsschreiben, dass der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung zustimme "nach Absprache mit dem Betriebsrat".

Die Beklagte kündigte dem Kläger am 16. April 2004 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Wegen des Anhörungsschreibens wird auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 04. Mai 2004 (Bl. 18 d.A.) und wegen der Kündigung auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 4 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Es bestehe kein Kündigungsgrund. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Eine ordentliche Betriebsratssitzung sei nicht abgehalten worden, was dem Geschäftsführer der Beklagten durchaus bewusst gewesen sei.

Dem Kläger sei es aufgrund der ungerechtfertigten fristlosen Kündigung und des Klimas, das die Beklagte gegen den Kläger verursacht habe, unzumutbar, bei der Beklagten weiter zu arbeiten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 16. April 2004 weder fristlos noch hilfsweise fristgerecht aufgelöst worden ist;

darüber hinaus, gem. § 9 KSchG das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufzulösen und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger gem. § 10 KSchG eine Abfindung in Höhe (€ 2.400,00 x 18 Monate) von € 43.200,00 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe am 08. April 2004 den Mitarbeiter X , der in der Werkstattausgabe beschäftigt war, zunächst auf die linke Wange und später auf die rechte Wange geschlagen, weil er meinte, nicht schnell genug von diesem bedient worden zu sein.

Der Kläger behauptet, er habe sich in der Vergangenheit bereits des Öfteren beim Lagerleiter über das Verhalten des Mitarbeiters X wegen dessen zögerlicher Bedienung beschwert. Der Kläger habe nur mit Mühe Ersatzteile u.Ä. aus dem Lager erhalten, was auch negative Auswirkungen auf seine Zeiterfassung gehabt habe. Der Mitarbeiter X habe dem Kläger verboten das Lager aufzusuchen. Am 08.04.2004 habe der Mitarbeiter X den Kläger unnötig warten lassen und andere vor ihm bedient. Der Kläger habe dann auf die Theke, die sich zwischen ihm und dem Mitarbeiter X befindet, geschlagen. Er sei dann noch immer zögerlich bedient worden und habe den Mitarbeiter X lediglich ins Gesicht gefasst. Das Ganze habe 2 - 3 Sekunden gedauert.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen X . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Arbeitsgerichts vom 17. September 2004 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 17. September 2004, auf das insbesondere wegen der näheren Darstellung des Sachverhalts verwiesen wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Protokoll vom 09. März 2005 (Bl. 87 d.A.) verwiesen.

Der Kläger bestreitet nach wie vor, den Zeugen X geohrfeigt zu haben. Die Zeugenaussage stehe im Widerspruch zu früheren Darstellungen des Zeugen. Der Zeuge X habe den Kläger diskriminiert. Der Kläger sei der einzige Mitarbeiter des Betriebs gewesen, der sich Materialien vom Zeugen X habe herausgeben lassen müssen, während andere Mitarbeiter sich im Lager hätten selbst bedienen dürfen. Nur dem Kläger habe der Mitarbeiter X dieses untersagt. Bei der Abwägung sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Zeuge X den Betrieb bereits einen Monat später habe verlassen müssen. Angesichts der langen Betriebszugehörigkeit, während deren sich der Kläger nichts habe zu schulden kommen lassen, sei eine Kündigung nicht gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg - 3 Ca 98/04 - vom 17.09.2004 aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 16.04.2004 weder fristlos noch hilfsweise fristgerecht aufgelöst worden ist und darüber hinaus, gemäß § 9 KSchG das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufzulösen und die Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Berufungskläger gemäß § 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von € 43.000,00 (€ 2.400,00 x 18 Monate) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie bestreitet die vom Kläger zu seiner Verteidigung vorgebrachten Umstände.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf Berufungsbegründung und Berufungserwiderung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Die Kündigung der Beklagten vom 16. April 2004 hat das Arbeitsverhältnis nicht fristlos zu diesem Termin, sondern lediglich ordentlich zum 30. November 2004 beendet.

1.

Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht fristlos zum 16. April 2004 beendet. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn Tatsachen vorlagen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden konnte.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass eine Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen grundsätzlich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Zu Recht geht das Arbeitsgericht auch davon aus, dass der Kläger seinem Arbeitskollegen X zunächst einen Schlag auf die linke Wange gab und sodann, als er sich beschwerte, auf die rechte Wange. Weiter ist das Arbeitsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger, genauso wie andere Mitarbeiter, an der Materialausgabe etwas warten musste, weil diese aufgrund Krankheit eines Kollegen nur mit dem Zeugen allein besetzt war.

Dies steht aufgrund der Aussage des Zeugen X fest, die das Arbeitsgericht zu Recht als glaubhaft bezeichnet hat. Es besteht auch kein Grund an der Glaubwürdigkeit des Zeugen X zu zweifeln. Der Zeuge X hat den Vorgang in allen Einzelheiten geschildert. Es bestehen auch keine bedeutsamen Widersprüche zu der unter dem 13.04.2004 protokollierten Aussage vor dem Betriebsrat. Die bei Gericht protokollierte Aussage ist lediglich etwas ausführlicher. Es stellt keinen erheblichen Widerspruch dar, wenn der Zeuge beim Betriebsrat angegeben hat, dass er den Kläger bedienen wollte und bei Gericht, dass er den Kläger bereits bedient hatte. Der Zeuge hatte nämlich zuvor ausführlich geschildert, dass er das Gefäß des Klägers gefüllt habe und dann die Mengenangabe in den Computer eingegeben habe. Er habe die erste Ohrfeige erhalten, als er sich davon herumdrehte. Das Eingeben in den Computer kann noch als Teil des Bedienvorgangs angesehen werden. Jedenfalls ist die Abweichung von keiner solchen Bedeutung, dass sie Zweifel an der Glaubhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit der Kernaussage, nämlich dass der Kläger den Zeugen ohrfeigte, hervorrufen könnte. Wenn in der bei Gericht protokollierten Aussage auch enthalten ist, dass der Zeuge sich nach der ersten Ohrfeige beim Kläger beschwerte, so ist darin überhaupt kein Widerspruch zu der unter dem 13.04.2004 protokollierten Aussage enthalten, wenn es dort heißt, dass der Kläger den Zeugen "kurz darauf" auf die rechte Wange schlug. Das gerichtliche Protokoll ist lediglich ausführlicher. Es besteht auch kein Anlass an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Aus der protokollierten Aussage geht nichts dafür hervor, dass der Zeuge dem Kläger gegenüber etwa feindselig eingestellt wäre oder ihm mit seiner Aussage schaden wollte. Vielmehr dramatisiert der Zeuge den Vorgang in keiner Weise, sondern schildert ihn sehr objektiv und bekundet auch, dass er danach keine Probleme mit dem Kläger gehabt habe. Schließlich hatte der Zeuge auch keinerlei Anlass, der Beklagten besonders hilfreich zu sein. Diese hatte ihn schließlich mittlerweile entlassen. Angesichts dieser Umstände besteht kein Anlass für vernünftige Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen.

Die Tätlichkeit gegenüber dem Zeugen ist auch in keiner Weise gerechtfertigt oder entschuldigt durch das Vorbringen des Klägers. Nach der glaubhaften und glaubwürdigen Aussagen des Zeugen lag die langsamere Bedienung allein daran, dass der Zeuge allein bedienen musste und es bestand die allgemeine Anweisung, dass die Kfz-Mechaniker sich nicht selbst mit Material versorgen durften, auch nicht mit Flüssigkeiten, und dass der Zeuge dies dem Kläger mitgeteilt hatte. Jedenfalls könnten selbst ein langsames Bedienen und eine Benachteiligung des Klägers durch den Zeugen eine solche Tätlichkeit, insbesondere die zweite Ohrfeige, die mit Bedacht erfolgte, nicht rechtfertigen oder entschuldigen. Allerdings ist bei der Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung 57 Jahre alt war und bereits seit 31 Jahren bei der Beklagten beschäftigt war. Unstreitig wurde der Kläger während dieser gesamten Zeit von der Beklagten niemals wegen eines Fehlverhaltens abgemahnt. Selbst wenn der Kläger als schwieriger Mitarbeiter und als aggressiv galt, muss deshalb davon ausgegangen werden, dass der Kläger in seiner über 30-jährigen Tätigkeit für die Beklagte erstmals ein schwerwiegendes Fehlverhalten sich zu schulden kommen ließ. Nach einer derartig langen Betriebszugehörigkeit und einem der Rente schon nahen Alter, in der die Chancen auf dem Arbeitsmarkt auch für einen Kfz-Mechaniker deutlich schlechter sind, muss das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurücktreten hinter die Interessen des Klägers. Der Beklagten war es nicht unzumutbar, den Kläger, den sie bereits über 30 Jahre ohne wesentliche Beanstandungen beschäftigt hat, auch noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

2.

Allerdings ist die Kündigung als ordentliche Kündigung wirksam. Die Kündigung ist nicht unwirksam nach § 102 BetrVG. Das Berufungsgericht folgt insoweit den Gründen des Arbeitsgerichts. Der Kläger hat die Unwirksamkeit der Kündigung unter diesem Gesichtspunkt mit der Berufung auch nicht mehr gerügt.

Die Kündigung ist wegen der Tätlichkeit des Klägers gegen den Zeugen X wegen Gründen in seinem Verhalten sozial gerechtfertigt im Sinn des § 1 Abs. 2 KSchG. Die Interessenabwägung im Rahmen des § 1 KSchG geht zu Lasten des Klägers aus. Bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 1 KSchG geht es nicht, wie bei § 626 BGB, um die Frage, ob eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, sondern um die unbefristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Hinsichtlich einer unbefristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegen aber die Interessen der Beklagten. Der Kläger hat eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung begangen, die die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt erscheinen lässt. Auch die lange Betriebszugehörigkeit und das Alter des Klägers sowie sein Familienstand können demgegenüber die fristgemäße Kündigung nicht als ungerechtfertigt erscheinen lassen. Der Kläger selbst hält im Übrigen, wie sich aus der Begründung seines Auflösungsantrags ergibt, eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar.

3.

Der Auflösungsantrag des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat ihn nicht mit Tatsachen begründet, aus denen sich ergäbe, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung für ihn unzumutbar wäre. Allein die Tatsache, dass die Beklagte ihm wegen seiner Tätlichkeit gegenüber dem Zeugen X außerordentlich gekündigt hat, stellt keine solche Tatsache dar. Die Beklagte durfte ihre Interessen in dieser Weise verfolgen. Der Kläger selbst hat dafür genügend Anlass gegeben. Soweit der Kläger der Beklagten unterstellt, sie wolle ältere Arbeitnehmer loswerden und habe dafür nur einen Anlass gesucht, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Beklagte konnte nicht vorhersehen, dass der Kläger mit Tätlichkeiten reagieren würde. Jedenfalls war dem Kläger nicht unzumutbar, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist für die Beklagte weiterhin tätig zu werden. Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung ist der Auflösungsantrag auf jeden Fall unbegründet, da diese nicht sozialwidrig war.

Die Kosten des Rechtsstreits sind im Verhältnis des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens verteilt. Die Beklagte ist unterlegen hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung, der Kläger hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und hinsichtlich des Auflösungsantrags.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.



Ende der Entscheidung

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