Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 24.03.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 509/03
Rechtsgebiete: BetrAVG


Vorschriften:

BetrAVG § 2
§ 2 BetrAVG enthält nur Mindestnormen.

Die Rente eines vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers ist nur dann nach § 2 BetrAVG zu berechnen, wenn sie vom Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Versorgungsfall abhing (Verfallklausel), die Versorgungszusage auf das BetrAVG verwies oder diese Berechnung für den Arbeitnehmer günstiger ist.


Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 8 Sa 509/03

Verkündet laut Protokoll am 24. März 2004

In dem Berufungsverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 8, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 2004

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Roßmanith als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Röder und den ehrenamtlichen Richter Wohlfahrt als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 05.03.2003 - 5 Ca 269/02 - abgeändert:

1.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin ein Ruhegeld von monatlich 42,96 € ab dem 01.10.2001 zu zahlen.

2.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt an die Klägerin 289,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz Überleitungsgesetzes aus 154,48 € seit dem 19. April 2002 und jeweils aus dem sich ergebenden Nettobetrag aus 19,31 € ab 30. Juni 2002 und den jeweils bis 31. Januar 2003 folgenden Monatsletzten zu zahlen.

3.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 60 % und die Beklagte zu 40 %.

5.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe einer Betriebsrente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die am 01. Dezember 1951 geborene Klägerin war vom 03. Oktober 1983 bis 30. September 1998 als Montagehelferin bei der Firma M einer Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1., beschäftigt. Diese hatte der Klägerin Versorgung durch die Beklagte zu 2. zugesagt.

Die Versorgung richtet sich nach dem ab 12. November 1997 gültigen Leistungsplan Nr. 20 der Beklagten zu 1. (Bl. 135-138 d. A.). Hinsichtlich der Satzung der Beklagten (vom 27. Oktober 2000) wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 14-18 d.A.) verwiesen.

Die M erteilte der Klägerin bei ihrem Ausscheiden eine Bescheinigung über eine unverfallbare Anwartschaft auf Versorgungsleistungen, wegen deren Einzelheiten auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 6 u. 5 d.A.) Bezug genommen wird. Ausgehend von einem Ruhegeld von DM 309,00 monatlich bei Erreichen des 65. Lebensjahrs in den Diensten der Arbeitgeberin errechnet sie ein infolge vorzeitigen Ausscheidens ratierlich gekürztes Ruhegeld von DM 139,75 pro Monat bei Vollendung des 65. Lebensjahres.

Die Landesversicherungsanstalt Hessen bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 25.02.2002 (Bl. 7 d.A.) rückwirkend zum 01.10.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Beklagte zu 2. gewährt der Klägerin ab 01. Oktober 2001 eine Betriebsrente von € 23,65 monatlich. Dieser Rente hat sie eine zum Versorgungsfall am 30.09.2001 erreichbare Rente von € 52,17 zugrunde gelegt und diese nach dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit bis zur Altersgrenze von 65 Lebensjahren gekürzt auf € 23,65 (€ 52,17 x 0,45340, vgl. Bl. 10 d.A.). Die Klägerin verlangt hingegen ab 01. Oktober 2001 den Monatsbetrag von DM 139,75 = € 71,45, der ihr als unverfallbare Anwartschaft mitgeteilt worden war. Die Differenz macht sie für die Zeit vom 01. Oktober 2001 bis Januar 2003 geltend.

Sie hat die Auffassung vertreten, es sei nach dem Leistungsplan nur eine zeitanteilige Kürzung im Verhältnis der tatsächlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zulässig, nicht aber eine auf den Eintritt der Invalidität abstellende Kürzung.

Die Klägerin hat beantragt,

1. es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin ein Ruhegeld von monatlich € 71,45 ab dem 01. Oktober 2001 zu zahlen;

2. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, der Klägerin ab dem 01. Oktober 2001 ein Ruhegeld von monatlich € 71,45 abzüglich gezahlter monatlicher € 23,65 von Oktober 2001 bis Mai 2002, also bislang € 382,40 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 334,60 seit dem 19. April 2002 zu zahlen;

3. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin für die Monate Juni 2002 bis August 2002 monatlich jeweils € 71,45 abzüglich gezahlter € 23,65 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag jeweils ab dem 30. Juni 2002, ab dem 31. Juli 2002 und ab dem 31. August 2002 zu zahlen;

4. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin für die Monate September 2002 bis November 2002 monatlich jeweils € 71,45 abzüglich gezahlter € 23,65 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag jeweils ab dem 30. September 2002, ab dem 31. Oktober 2002 und ab dem 30. November 2002 zu zahlen;

1. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin für die Monate Dezember 2002 bis Januar 2003 monatlich jeweils € 71,45 abzüglich gezahlter € 23,65 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag jeweils ab dem 31. Dezember 2002 und ab dem 31. Januar 2003 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie halten ihre Berechnung für zutreffend.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 05. März 2003, auf das Bezug genommen wird. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Protokoll vom 24. März 2004, Bl. 144 d.A., verwiesen.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 05.03.2003 - Az.: 5 Ca 269/02 abzuändern und

1. es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin ein Ruhegeld von monatlich € 71,45 ab dem 01. Oktober 2001 zu zahlen;

2. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, der Klägerin ab dem 01. Oktober 2001 ein Ruhegeld von monatlich € 71,45 abzüglich gezahlter monatlicher € 23,65 von Oktober 2001 bis Mai 2002, also bislang € 382,40 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 334,60 seit dem 19. April 2002 zu zahlen;

3. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin für die Monate Juni 2002 bis August 2002 monatlich jeweils € 71,45 abzüglich gezahlter € 23,65 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag jeweils ab dem 30. Juni 2002, ab dem 31. Juli 2002 und ab dem 31. August 2002 zu zahlen;

4. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin für die Monate September 2002 bis November 2002 monatlich jeweils € 71,45 abzüglich gezahlter € 23,65 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag jeweils ab dem 30. September 2002, ab dem 31. Oktober 2002 und ab dem 30. November 2002 zu zahlen;

5. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin für die Monate Dezember 2002 bis Januar 2003 monatlich jeweils € 71,45 abzüglich gezahlter € 23,65 nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag jeweils ab dem 31. Dezember 2002 und ab dem 31. Januar 2003 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Klägerin kann nach dem zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens geltenden Versorgungsplan Nr. 20 der Beklagten zu 1. seit dem 01. Oktober 2001 ein Ruhegeld von monatlich €42,96 verlangen.

1.

Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, dass der Klägerin gegen die Beklagten ein Anspruch auf Versorgung nach dem Leistungsplan der Beklagten zu 1. zusteht. Zugrunde zu legen ist der beim Ausscheiden der Klägerin geltende Leistungsplan Nr. 20. Nach § 1 Abs. 1 c) dieses Versorgungsplans kann Betriebsrente gewährt werden, "sofern von der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen wird und kein Arbeitsverhältnis besteht". Die Höhe der Betriebsrente ergibt sich aus § 2 Abs. 3 des Leistungsplans. Danach beträgt der monatliche Grundbetrag DM 60,00 und der monatliche Steigerungsbetrag für jedes nach Vollendung von 10 Beschäftigungsjahren zurückgelegte weitere volle Dienstjahr DM 6,00. Daraus ergibt sich für die Klägerin ein Grundbetrag von DM 60,00 = € 30,68 und für weitere 4 volle Beschäftigungsjahre bis zum 03.10.1997 ein Steigerungsbetrag von DM 24,00 = € 12,28. Bis zum Ausscheiden der Klägerin am 30.09.1998 ergab sich kein weiteres volles Beschäftigungsjahr. Die Klägerin war am 03.10.1983 eingetreten und hätte erst am 03.10.1998 volle 15 Jahre Betriebszugehörigkeit erreicht.

2.

a) Die Betriebsrente der Klägerin ist nicht nach § 2 BetrAVG zu berechnen wie die Beklagte meint. Der Leistungsplan der Beklagten sieht keine entsprechende Berechnungsweise bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalls vor. Er verweist auch nicht auf § 2 BetrAVG. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall auch nicht unmittelbar anwendbar. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der sich aus dem Leistungsplan ergebende Anspruch wegen vorzeitigen Ausscheidens ganz oder teilweise verfallen wäre. Der Leistungsplan sieht aber keine entsprechende Regelung vor. In § 1 Abs. 1 sind die Versorgungsfälle aufgezählt. Dort und auch sonst im Leistungsplan ist an keiner Stelle vorausgesetzt, dass das Arbeitsverhältnis zum Trägerunternehmen bis zum Eintritt des Versorgungsfalls bestehen muss. Auch soweit § 1 c) vorsieht, dass kein Arbeitsverhältnis "bestehen darf", ist dies nur im Zusammenhang mit der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu sehen. Es sollen nur diejenigen die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten, die keinerlei Arbeitseinkommen haben. Auf einen bestimmten Arbeitgeber ist dabei nicht abgestellt. Allein in § 1 Abs. 2 wird für einen bestimmten Personenkreis auf die Grundsätze der gesetzlich geregelten "unverfallbaren Anwartschaft auf Versorgungsleistungen" verwiesen. Aus dieser Sonderregelung, die zudem widersprüchlich erscheint, kann aber nicht die allgemeine Anwendbarkeit der ratierlichen Berechnung geschlossen werden. Gleiches gilt für die Erwähnung von "unverfallbarer Anwartschaft" im Vorwort zum Leistungsplan. Auch daraus ergibt sich nicht, dass Versorgungsleistungen nur erhalten soll, wer bis zum Eintritt des Versorgungsfalls in den Diensten eines Trägerunternehmens stand oder dass allgemein auf das BetrAVG verwiesen wird.

b) Die Beklagte verkennt, dass § 1 a.F. und § 2 BetrAVG gem. § 17 Abs. 3 BetrAVG nur zugunsten des Arbeitnehmers zwingend ist. Enthält eine Versorgungszusage keine Verfallklausel und lässt sich ihr auch nicht entnehmen, dass die Berechnung der Ansprüche ausscheidender Arbeitnehmer sich nach dem BetrAVG richten soll, verbleibt es bei der in der Versorgungszusage vorgesehenen Regelung, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger ist. Das BetrAVG stellt lediglich Mindestnormen auf.

c) Beim vorliegenden Leistungsplan wirkt sich die Berechnung gem. § 2 BetrAVG auch zugunsten ausgeschiedener Arbeitnehmer aus - außer im Fall späterer Erwerbsunfähigkeit. Da der Steigerungsbetrag nach 19 und nach 24 Beschäftigungsjahren jeweils erheblich höher als der in den ersten 20 Beschäftigungsjahren ist, stellt sich die zunächst auf die mit 65 Jahren erreichbare Betriebsrente abstellende zeitratierliche Berechnung des § 2 BetrAVG in der Regel günstiger dar als lediglich die Addition des Grundbetrages und der bis zum Ausscheiden angesammelten Steigerungsbeträge. Weiter ist in § 3 eine Wartezeit von 10 Jahren vorgesehen. Insgesamt bedeutet dies, dass erst nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit ein Anspruch auf Betriebsrente entstand, der sich nach Vollendung von 19 bzw. 24 Dienstjahren nochmals erheblich gegenüber einer kürzeren Dienstzeit steigert. Damit konnte die Betriebstreue ganz erheblich gefördert und eine Bindung an den Betrieb auch ohne Verfall des Anspruchs bei Ausscheiden erreicht werden. Das lässt zumindest vermuten, dass ein Verfall bei Ausscheiden von den Schöpfern des Leistungsplans überhaupt nicht für erforderlich angesehen wurde. Jedenfalls lässt sich auch aus der Struktur des Leistungsplans nicht ableiten, dass dieser die Verfallbarkeit der Ansprüche oder die Anwendung des BetrAVG konkludent vorausgesetzt hätte.

3.

Die Klägerin hat bei Anwendung des BetrAVG keinen höheren Anspruch. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Beklagte hat die Rente der Klägerin nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zutreffend berechnet. Es ist kein Gesichtspunkt ersichtlich, nach dem die Klägerin auch bei Erwerbsunfähigkeit die für Vollendung des 65. Lebensjahres errechnete Betriebsrente auch bei vorzeitigem Bezug im Fall der Erwerbsunfähigkeit erhalten sollte, wie die Klägerin meint.

Die Kosten des Rechtsstreits sind im Verhältnis des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens zu tragen.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück