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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 21.04.2005
Aktenzeichen: 9 Sa 1077/04
Rechtsgebiete: BGB, EG-Vertrag, TzBfG


Vorschriften:

BGB § 612 Abs. 3
EG-Vertrag Art. 141
TzBfG § 4 Abs. 1
Anspruch auf höhere Abfindung gemäß § 612 Abs. 3 BGB nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages aufgrund eines "Abfindungsangebotes" des Arbeitgebers an mindestens 100 Arbeitnehmer/innen, da die Nichtberücksichtigung von Erziehungsurlaub / Elternzeit bei Frauen zu Nachteilen bei der Berechnung der Abfindung führte.
Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.631,97 € (i.W.: sechstausendsechshunderteinunddreißig 97/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01. Juni 2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 3/4, die Beklagte zu 1/4.

Die Revision wird für keine der Parteien zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine Abfindungsforderung.

Die Klägerin war vom 2. März 1988 bis zum 31. Dezember 2002 bei der Beklagten als Flugbegleiterin zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von zuletzt Euro 3.267;-- beschäftigt.

Im Jahr 2002 unterbreitete die Beklagte zunächst 100 Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern ein bis zum 31. Dezember 2002 geltendes Abfindungsangebot. Das "Abfindungsangebot für Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter der Vergütungsstufe 7 und höher" sah bei Ausscheiden bis zum Jahresende für jedes volle Flugbegleiterbeschäftigungsjahr eine Abfindung in Höhe von 1,5 Monatsvergütungen vor. Weiter lautet es in der Mitteilung der Personalabteilung:

"Mitarbeiter, die innerhalb der letzten 5 Jahre Teilzeit gearbeitet haben, erhalten die Abfindungssumme in Höhe ihrer durchschnittlichen Beschäftigung.

....

Welche Besonderheiten bestehen bei Teilzeit ?

Haben Sie in den vergangenen fünf Jahren Teilzeit gearbeitet, bemisst sich ihre Abfindungssumme nach dem Grad ihrer Teilzeitbeschäftigung in diesem Zeitraum. Demnach wirkt sich eine z.B. erst im laufenden Jahr erstmals erhaltene oder erhöhte Teilzeit nur anteilig aus.

Hierzu ermitteln wir Ihre durchschnittliche Beschäftigungsquote in den Jahren 1998 bis 2002. Abwesenheitszeiten durch Erziehungsurlaub oder unbezahlten Sonderurlaub bleiben unberücksichtigt. Es werden nur die aktiven Arbeitsmonate betrachtet.

..."

Unter dem 8. November 2002 unterzeichnete die Klägerin einen Aufhebungsvertrag, demzufolge das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 2002 endete und die Beklagte ihr eine Abfindung in Höhe von Euro 33.170,-- brutto zahlte. Unter 7. vereinbarten die Parteien:

"Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung sind mit der Erfüllung dieses Vertrages abgegolten."

Mit ihrer Klage hat die Klägerin einen weiteren Abfindungsanspruch geltend gemacht. Sie hat gemeint, die Beklagte habe die Abfindungssumme fehlerhaft berechnet. Ihr stünde mindestens ein Betrag in Höhe von Euro 34.470,-- zu. Sie ist der Ansicht gewesen, das von der Beklagten unterbreitete Abfindungsangebot sei unwirksam, da sie als Frau, die in Teilzeit gearbeitet und darüber hinaus Erziehungsurlaub / Elternzeit in Anspruch genommen hätte, diskriminiert werde. Deshalb seien bei Berechnung der Abfindung die von ihr bei der Beklagten zurückgelegten 12 Beschäftigungsjahre zu Grunde zu legen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 24.640,-- nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Berücksichtigung von Elternzeit im Rahmen von Sozialplanabfindungen sei auf einzelvertragliche Vereinbarungen nicht übertragbar. Letztlich habe die Klägerin das Abfindungsangebot unterbreitet, welches von der Beklagten angenommen worden sei. Und schließlich stehe der Klägerin ein weiterer Abfindungsanspruch schon deshalb nicht zu, weil im Aufhebungsvertrag eine allgemeine Abgeltungsklausel vereinbart worden sei.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage durch Urteil vom 16. März 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die allgemeine Abgeltungsklausel in Ziff. 7. des Aufhebungsvertrages erfasse auch etwaige Ansprüche der Klägerin wegen einer Diskriminierung. Der Sinn einer solchen Abgeltungsklausel bestehe darin, dass mit der getroffenen Vereinbarung wechselseitig keinerlei weitere Ansprüche mehr geltend gemacht werden könnten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen das ihr am 28. Mai 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Juni 2005 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Die Klägerin greift das erstinstanzliche Urteil damit an, die Ausgleichsklausel sei nicht geeignet, Ansprüche wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot auszuschließen. Sie enthalte weder einen Erlassvertrag noch handele es sich um ein negatives Schuldanerkenntnis. Die Ausgleichsklausel habe sich lediglich auf Ansprüche beziehen können, die nach dem Willen beider Parteien bei einer Vorauserteilung ein negatives Schuldanerkenntnis hätten umfassen können, weil Umfang, Inhalt oder Höhe der Forderung noch nicht festgestanden hätten. Eine Ausgleichsklausel mit dem Inhalt, dass die Klägerin bezüglich der Abfindungsregelung auf Ansprüche aus der Verletzung des Diskriminierungsverbots weiblicher Angestellter verzichte, wäre im Übrigen unwirksam gewesen. Die Beachtung des Diskriminierungsverbots stünde nicht zur vertraglichen Disposition der Parteien. Die Beklagte könne gegenüber Arbeitnehmerinnen, die ein Ausscheiden über ihre Abfindungsregelung erstrebten, nicht darauf verweisen, dass sie diese nur dann erhielten, wenn sie bereit seien, auf die Geltendmachung der Rechtsverletzung, die in der Missachtung des Diskriminierungsverbotes liege, zu verzichten.

In dem von der Beklagten definierten Zeitraum der letzten fünf Jahre vor ihrem Ausscheiden habe die Klägerin im zeitlichen Zusammenhang mit ihren Erziehungsurlauben zu 100 % gearbeitet und im Anschluss daran lediglich im Hinblick auf ihre drei Kinder in Teilzeit gearbeitet. Ohne die Erziehungszeiten hätte sie die ganze Zeit über zu 100 % gearbeitet. Daraus ergebe sich die Klageforderung wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung, die nicht allein darin bestehe, dass die Zeiten des Erziehungsurlaubs generell nicht berücksichtigt würden, sondern auch darin, dass gerade junge Mütter nach ihrem Erziehungsurlaub typischerweise gegenüber den übrigen Mitarbeitern verstärkt Teilzeit arbeiteten und deshalb geschlechtsspezifisch bei der Berechnung der Abfindungshöhe benachteiligt seien. Frauen würden hinsichtlich der Abfindungshöhe gegenüber männlichen Mitarbeitern dadurch diskriminiert, dass von diesen typischerweise Kinder versorgt würden und deshalb der Wunsch nach Teilzeit für sie im Grunde zwangsläufig sei. Eine Reduzierung des Quotienten für die letzten drei Monate des Jahres 2000 sowie die Jahre 2001 und 2002 komme damit nicht in Betracht.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie Euro 24.640,-- nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2003 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte meint, anders als im Falle von Sozialplanabfindungen sei die Klägerin aus freien Stücken an sie herangetreten mit dem Wunsch, auf der Grundlage ihres Abfindungsprogramms aus dem Anstellungsverhältnis auszuscheiden. Bei dem "Abfindungsangebot" der Beklagten habe es sich lediglich um eine invitatio ad offerendum gehandelt. Aus der Berechnungsgrundlage ergebe sich, dass die Beklagte mit der Zahlung der Abfindung insbesondere auch die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen habe honorieren wollen. Wenn eine Abfindungsregelung vorsehe, dass Betriebszugehörigkeitszeiten für die Höhe der Abfindung unberücksichtigt blieben, in denen das Anstellungsverhältnis geruht habe, so stelle die zugesagte Leistung im Gegensatz zu einer Sozialplanabfindung zumindest auch eine Entschädigung für die in der Vergangenheit geleisteten Dienste dar. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das Verbot der Diskriminierung des Geschlechts liege nicht vor.

Es sei weder sachfremd noch willkürlich, wenn Arbeitnehmer, deren arbeitsvertragliche Hauptpflichten und -rechte eine Zeit lang geruht hätten, im Falle der Auflösung einen verringerten finanziellen Ausgleich ihres Anstellungsvertrages erhielten, weil sie für eine längere Zeit - aus welchem Grund auch immer - keinerlei Arbeitsleistung erbracht hätten. Es wäre der Klägerin, die hierauf in Kenntnis des Regelungsgehaltes des Programms eingegangen sei und von sich aus den Vorschlag eines Ausscheidens zu den Bedingungen des Programms gemacht hätte, unbenommen gewesen, mit ihr hierüber zu verhandeln. Eine mittelbare geschlechtsspezifische Diskriminierung nach Art. 141 EG-Vertrag, § 612 Abs. 3 BGB sei angesichts dieser Umstände nicht ersichtlich. Die Abfindungsregelung verstoße auch nicht gegen § 4 Abs. 1 TzBfG, da durch Elternzeit oder unbezahlten Sonderurlaub bedingte Abwesenheitszeiten auch bei vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bei der Ermittlung der Abfindungshöhe stets außer Betracht geblieben seien. Dass dies nur bei Teilzeitbeschäftigten erwähnt sei, sei ein redaktionelles Versehen. Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG sei auch nicht darin zu sehen, dass sich die Höhe der Abfindungssumme bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern nach dem Umfang ihrer durchschnittlichen Beschäftigung richte. Ein Anspruch der Klägerin auf Berücksichtigung der Zeiten der Erziehungsurlaube bestehe schon deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren geschlechtsspezifischen Diskriminierung, weil es sich nicht um eine Sozialplanabfindung, sondern um eine in einem freiwillig zustande gekommenen Aufhebungsvertrag geregelte Abfindung handele. Schließlich habe die Klägerin auf Grund der Abgeltungsklausel im Aufhebungsvertrag wirksam auf weitere finanzielle Ansprüche verzichtet.

Aber selbst wenn die Elternzeiten der Klägerin zu berücksichtigen seien, gelte, dass die Parteien für das Jahr 1997 einen befristeten Teilzeitvertrag im Umfang von 75 % eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers vereinbart hätten, die Klägerin 1998 ganzjährig Elternzeit in Anspruch genommen und während der Elterzeit in den Jahren 1999 (1. Mai bis 31. Juli 1999) und 2000 (1. Februar bis 30. April 2000) lediglich im Rahmen einer jeweils dreimonatigen Vollzeittätigkeit gearbeitet hätte. Gemessen an der Jahresarbeitszeit entspreche dies einem Umfang von 25 %. Es sei für diesen Fall allenfalls angemessen, für die Jahre 1997 und 1998 von 75 % einer Vollzeittätigkeit auszugehen und die Jahre 1999 und 2000 mit einem Arbeitszeitanteil von jeweils 25 % zu berücksichtigen. Der Umstand, dass die Klägerin in den Jahren 1999 und 2000 zeitweise in Vollzeit tätig gewesen sei, könne in Anbetracht der erheblichen unterjährigen Beschäftigung nicht insgesamt als Vollzeit gewertet werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 16. Dez. 2004 und 21. April 2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs.2 ArbGG, 511 ZPO, 64 Abs. 2 b ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden, §§ 66 Abs.1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat gemäß § 612 Abs. 3 BGB einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrages in Höhe von EUR 6.631,97.

Ein Anspruch ergibt sich allerdings nicht aus §§ 612 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 TzBfG. Die unterschiedliche Behandlung von teil- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bei der Berechnung von Abfindungen ist nicht sachwidrig. Die geringere Vergütung von Teilzeitbeschäftigten kann bei Abfindungsregelungen zu Lasten der Arbeitnehmerin berücksichtigt werden (so BAG Urteil vom 14. Aug. 2001 - 1 AZR 760/00 - EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 108; BAG Urteil vom 28. Okt. 1992 - 10 AZR 128/92 - NZA 1993, 515).

Ein Entschädigungsanspruch zur Entgeltgleichheit (vgl. ErfK-Preis, 5. Aufl., § 612 a BGB Rz. 68) ergibt sich auch nicht daraus, dass Erziehungszeiten sich nach dem "Abfindungsangebot" der Beklagten von Vornherein nur bei Teilzeitbeschäftigten auf die Berechnung der Abfindung auswirken. Die Beklagte hat unwidersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO) dargelegt, dass es sich insoweit in ihrem schriftlichen "Abfindungsangebot" um ein Redaktionsversehen handele und Erziehungszeiten auch bei Vollzeitbeschäftigten berücksichtigt worden seien.

Ein Anspruch ergibt sich jedoch aus § 612 Abs. 3 Satz 1 BGB. Die Abfindungsvereinbarung ist hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Zeiten des Erziehungsurlaubs unwirksam wegen Verstoßes gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung. Die Rahmenrichtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. Nov. 2000 (2000/78/EG, Abl. EG Nr. L 303, S. 16) erfasst zwar den Streitfall schon deshalb nicht, weil deren Umsetzungsfrist erst zum 2. Dez. 2003 abgelaufen ist. Auch die Frist zur Umsetzung der revidierten Gleichbehandlungsrichtlinie vom 23. Sept. 2002 (2002/73/EG, ABL. EG Nr. L 269, S. 15) läuft noch bis zum 5. Okt. 2005. § 612 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BGB begründet indessen für eine Arbeitnehmerin, die wegen ihres Geschlechts eine geringere Vergütung erhält, Anspruch auf die höhere Vergütung. Durch § 612 Abs. 3 BGB sind die Lohngleichheit gewährleistenden Art. 141 EG, zuvor Art. 119 EWG, und die Lohngleichheitsrichtlinie 75/117/EG in nationales Recht umgesetzt worden. Art. 141 EG ist ebenso wie die Vorgängerbestimmung des Art. 119 EG-Vertrag in den Mitgliedstaaten der EG unmittelbar geltendes Recht (BAG Urteil vom 7. Sept. 2004 - 3 AZR 550/03 - EzA Art 141 EG-Vertrag 1999 Nr. 16). § 612 Abs. 3 BGB in Verbindung mit Art. 141 EG steht allen Vorschriften, Regelungen oder Maßnahmen entgegen, die eine im Ergebnis unterschiedlich hohe Vergütung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern bewirken, sofern sich die unterschiedliche Behandlung nicht mit objektiv gerechtfertigten Faktoren erklären lässt, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben (ständige Rechtsprechung des EuGH vgl. nur Urteil vom 9. September 1999 - C-281/97 - EuGHE I 1999, 5141 m. w. Nachw.). Trotz seiner Formulierung als Verbotsnorm ist § 612 Abs. 3 Satz 1 BGB Anspruchsgrundlage (BAG Urteil vom 20. August 2002 - 9 AZR 710/00 - EzA Art 141 EG-Vertrag 1999 Nr. 12; BAG Urteil vom 23. August 1995 - 5 AZR 942/93 - BAGE 80, 343; BAG Urteil vom 10. Dezember 1997 - 4 AZR 264/96 - BAGE 87, 272 = AP BGB § 612 Diskriminierung Nr. 3; BAG Urteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 30/92 - BAGE 71, 195; ). Der Angehörige des unzulässig benachteiligten Geschlechts hat Anspruch auf die ihm vorenthaltene Leistung. Dem steht die Ausgleichsklausel in Ziff. 7 des Aufhebungsvertrages nicht entgegen. Der festgestellte Verstoß gegen die Verbotsnorm des § 612 Abs. 3 BGB in Verbindung mit Art. 141 EG-Vertrag im Aufhebungsvertrag lässt sich nicht dadurch überwinden, dass in derselben Regelung vereinbart wird, dass keine gegenseitigen Ansprüche, also auch nicht solche wegen mittelbarer Diskriminierung, bestünden. Dies stellte nur eine Perpetuierung des Verstoßes gegen die Verbotsnorm dar.

Die Nichtberücksichtigung von Zeiten des Erziehungsurlaubs bei der Berechnung von Abfindungen, die maßgeblich auf die Beschäftigungsdauer abstellt, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Das Bundesarbeitsgericht hat dies für die Abfindungsregelungen in Sozialplänen gemäß § 75 BetrVG in Verbindung mit Art. 6 GG für unbillig angesehen (BAG Urteil vom 21. Okt. 2003 - 1 AZR 407/02 - EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 9; BAG Urteil vom 12. Nov. 2002 - 1 AZR 58/02 - EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 3). Einen Verstoß gegen Art. 141 EG ließ es ungeprüft, weil es im konkreten Fall an tatsächlichen Feststellungen für eine mittelbare Diskriminierung fehlte. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit ist jedoch nicht auf Sozialpläne beschränkt. Der Begriff der Vereinbarung in § 612 Abs. 3 Satz 1 BGB ist weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur Einzelvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern z.B. auch Gesamtzusagen des Arbeitgebers (BAG Urteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 30/92 - EzA § 612 BGB Nr. 16). Hier richtete der Arbeitgeber das Abfindungsangebot an alle Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen hierfür erfüllten. Es handelte sich zwar nicht um ein Angebot für einen Aufhebungsvertrag, die Beklagte verpflichtete sich jedoch, mit den ersten 100 Arbeitnehmern, die einen entsprechenden Antrag stellten, einen Aufhebungsvertrag zu schließen.

Die Abfindung ist Vergütung im Sinne von § 612 Abs. 3 BGB. Der Begriff Vergütung ist ebenso auszulegen wie der in Art. 141 EG (ex -Art. 119 EWG) verwendete Begriff Entgelt. Er umfasst nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH nicht nur die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und - Gehälter, sondern alle gegenwärtigen oder künftigen Leistungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar auf Grund des Arbeitsverhältnisses in bar oder als Sachleistung, freiwillig oder unfreiwillig gewährt. Ausreichend ist, wenn die Leistung im weitesten Sinn mit dem Beschäftigungsverhältnis in Zusammenhang steht (vgl. EuGH Urteil vom 21. Oktober 1999 - C-333/97 - EuGHE I 1999, 7266; EuGH Urteil vom 14. Sept. 1999 - C-249/97 - EuGHE I 1999, 5295; EuGH Urteil vom 9. Febr. 1999 - c-167/97 - EuGHE I 1999, 623; BAG Urteil vom 20. August 2002 - 9 AZR 710/00 - EzA Art 141 EG-Vertrag 1999 Nr. 12 ).

Die Abfindungsvereinbarung bewirkt eine mittelbare Benachteiligung der Klägerin als Frau. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH enthält eine Regelung eine mittelbare Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer, wenn sie zwar neutral gefasst ist, jedoch tatsächlich prozentual erheblich mehr Frauen als Männer benachteiligt, sofern diese unterschiedliche Behandlung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben (vgl. nur EuGH 30. November 1993 - C-189/91 - EuGHE I 1993, 6215). Eine mittelbar benachteiligende Maßnahme knüpft mithin nicht an das Geschlecht "Frau" an, sondern an Merkmale, die zwar bei beiden Geschlechtern vorliegen können, tatsächlich jedoch regelmäßig nur von Frauen erfüllt werden. Ob der Tatbestand einer mittelbaren Benachteiligung gegeben ist, wird mit Hilfe eines statistischen Vergleichs ermittelt (EuGH 27. Oktober 1993 - C-127/92 - EuGHE I 1993, 5566). Verglichen wird die Gruppe, die durch die Anwendung des Kriteriums benachteiligt wird mit der Gesamtgruppe derjenigen, auf die das Kriterium angewendet werden kann. Erhalten danach tatsächlich erheblich weniger Frauen als Männer die Vergünstigung bzw. werden tatsächlich mehr Frauen als Männer benachteiligt, so wird diese Regelung als "wahrscheinlich geschlechtsbedingt" ausgewiesen (BAG Urteil vom 20. August 2002 - 9 AZR 710/00 - EzA Art 141 EG-Vertrag 1999 Nr. 12).

Es ist unstreitig, dass unter den männlichen Mitarbeitern weniger als fünf Prozent von der Nichtberücksichtigung von Erziehungszeiten betroffen sind, während Frauen zu über 40 % betroffen sind. Eine Unterscheidung nach der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub wirkt sich mithin bei der zu beurteilenden Abfindungsregelung wie auch insgesamt im Arbeitsleben zu Lasten von Frauen aus, weil Erziehungsurlaub ganz überwiegend von Frauen beansprucht wird (vgl. ErfK-Preis, § 612 BGB Rz. 58). Damit trifft die Nichtberücksichtigung von Erziehungszeiten nicht nur überwiegend Frauen, sondern das zahlenmäßige Verhältnis unter den Begünstigten ist wesentlich anders als das zahlenmäßige Verhältnis unter den Benachteiligten (BAG Urteil 5. März 1997 - 7 AZR 581/92 - BAGE 85, 224).

Durch die Nichtberücksichtigung von Erziehungszeiten haben Frauen in Vollzeit oder mit einem hohen Arbeitszeitanteil, die Erziehungsurlaub in Anspruch genommen und anschließend in Teilzeit gearbeitet haben, Nachteile gegenüber Vollzeitbeschäftigten. Bei Letztgenannten wirkt sich die Nichtberücksichtigung von Erziehungszeiten gar nicht aus, weil der Quotient immer 100 % beträgt, gleich ob fünf Jahre voll gearbeitet wurde oder z. B. nur zwei Jahre. Bei Frauen in Vollzeit oder mit einem hohen Arbeitszeitanteil, die Erziehungsurlaub in Anspruch genommen und anschließend in Teilzeit gearbeitet haben, wird der Quotient überproportional von dem niedrigeren Arbeitszeitanteil während oder im Anschluss an den Erziehungsurlaub bestimmt. Zur Vermeidung von Nachteilen bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub müssen die Zeiten des Erziehungsurlaubs mit den Arbeitszeitanteilen des vorangegangenen Arbeitsabschnitts bewertet werden. Vor Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs hat die Klägerin zu 75 % gearbeitet. Dieser Quotient ist für 1998 und die ersten vier Monate des Jahres 1999 fortzuschreiben. Von Mai bis Juli 1999 hat die Klägerin zu 100 % gearbeitet. Für sieben Monate ergeben sich 600 Punkte, also durchschnittlich 86 Punkte. Diese sind für die restlichen fünf Monate des Jahres 1999 und den ersten Monat des Jahres 2000 fortzuschreiben. In der Zeit von Februar bis April 2000 hat die Klägerin zu 100 % gearbeitet. Aus 386 Punkten für vier Monate ergeben sich durchschnittlich 97 Punkte, die für Mai bis Sept. 2000 fortzuschreiben sind. Die restlichen drei Monate des Jahres 2000 sind entsprechend der tatsächlichen Arbeitszeit mit jeweils 33,33 Punkten zu bewerten. Somit ergibt sich folgende Rechnung:

1998: 12 x 75 = 900 Punkte 1-4/1999: 4 x 75 = 300 Punkte 5-7/1999: 3 x 100 = 300 Punkte 8-12/1999: 5 x 86 = 430 Punkte 1/2000: 86 Punkte 2-4/2000: 3 x 100 = 300 Punkte 5-9/2000: 5 x 97 = 485 Punkte 10 - 12/2000: 3 x 33,33 = 100 Punkte 2001: 12 x 50 = 600 Punkte 2002: 12 x 46,67 = 560 Punkte.

Für 60 Monate ergeben sich 4061 Punkte. Das entspricht einem Quotienten von 67,68 und einer Abfindung in Höhe von EUR 39.801,97. Abzüglich gezahlter EUR 33.170 verbleiben EUR 6.631,97.

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 286 Abs. 3, 288 Abs. 1 BGB.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien gemäß § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis ihres gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens.

Für die Zulassung der Revision besteht mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache für beide Parteien keine gesetzlich begründete Veranlassung, § 72 Abs. 2 ArbGG. Die angewandten Rechtsgrundsätze sind höchstrichterlich geklärt.



Ende der Entscheidung

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