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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 03.05.2007
Aktenzeichen: 9 TaBVGa 72/07
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO
Vorschriften:
BetrVG § 78 Satz 1 | |
BetrVG § 103 | |
ZPO § 940 |
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 14. März 2007 - 7 BVGa 91/07 - wird zurückgewiesen.
Gründe:
Der Betriebsrat verlangt vom Arbeitgeber im Eilbeschlussverfahren die Fortzahlung der Vergütung an eines seiner Mitglieder für die Dauer des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG.
Antragsteller und Beteiligter zu 1) ist der im Betrieb der Beteiligten zu 2) (Arbeitgeberin) gewählte Betriebsrat. Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Werbebranche. Ihr Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 1) zur außerordentlichen Kündigung der Mitarbeiterin A war erstinstanzlich erfolgreich (Beschluss des ArbG Frankfurt am Main vom 14. Febr. 2007 - 7 BV 190/06 - ). Beim Hessischen Landesarbeitsgericht ist insoweit ein Beschwerdeverfahren anhängig (5 TaBV 76/07). Die Arbeitgeberin stützt die beabsichtigte Kündigung darauf, dass die Mitarbeiterin A zwei Mitarbeiterinnen eines Dienstleisters aufgefordert hat, eine an die Beteiligte zu 2) gerichtete Rechnung über EUR 418,50 für ein Kolleginnengeschenk auf den Hauptauftraggeber der Beteiligten zu 2) umzuschreiben. Die Beteiligte zu 2) stellte Frau A seit dem Zustimmungsantrag zur Kündigung unter Fortzahlung der Vergütung frei. Betriebsratsarbeit durfte sie ausüben. Seit der erstinstanzlichen Stattgabe des Zustimmungsersetzungsantrages suspendierte sie Frau A ohne Vergütungszahlung.
Der Betriebsrat ist der Auffassung gewesen, die Einstellung der Vergütungszahlung stelle eine Ungleichbehandlung des Betriebsratsmitglieds A und eine Behinderung der Tätigkeit des Betriebsrates dar.
Der Betriebsrat hat beantragt:
1. der Beteiligten zu 2) aufzugeben, dem Betriebsratsmitglied A über den 1. Febr. 2007 hinaus ihre monatliche Bruttovergütung in Höhe von EUR 4.000 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschlussverfahrens 7 BV 190/06 zu zahlen,
2. hilfsweise der Beteiligten zu 2) aufzugeben, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschlussverfahrens 7 BV 190/06 zu unterlassen, die Bruttomonatsvergütung des Betriebsratsmitglieds A von monatlich EUR 4.000 ab dem 1. Febr. 2007 einzustellen,
3. für jeden Fall der Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld / Zwangsgeld in Höhe von EUR 10.000 anzudrohen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin hat eine ordnungsgemäße Beschlussfassung zur Einleitung des Verfahrens bestritten. Sie ist der Auffassung gewesen, der Betriebsrat mache individualrechtliche Ansprüche für die Mitarbeiterin A geltend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Anträge durch Beschluss vom 14. März 2007 - 7 BVGa 91/07 - zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit der vergütungsfreien Suspendierung von Frau A würde diese nicht in der Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit gestört oder behindert. Der Betriebsrat beachte nicht die Trennung zwischen der individualrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Ebene. Im Übrigen bestünde kein Verfügungsgrund. Mit der Stattgabe der Anträge würde die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen, was nur in Ausnahmefällen zulässig sei. Ein solcher könne hier nicht festgestellt werden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Beschlussgründe Bezug genommen.
Der Betriebsrat hat gegen diesen Beschluss, der ihm am 25. März 2007 zugestellt worden ist, am 2. April 2007 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Der Betriebsrat verfolgt mit der Beschwerde seine erstinstanzlichen Anträge weiter und trägt hierzu vor, Frau A werde in ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied gesetzeswidrig behandelt, indem sie, weil man ihr nicht kündigen könne, ohne Vergütung suspendiert worden sei. Damit werde sie im Sinne des § 78 BetrVG benachteiligt und in ihrer Betriebsratstätigkeit behindert. Dies bedeute nichts anderes als das faktische Hinausdrängen von Frau A aus dem Betriebsrat. Ohne Vergütung müsse jedes Betriebsratsmitglied über kurz oder lang die Ausübung der Betriebsratstätigkeit einstellen, weil es gezwungen werde, eine andere Tätigkeit aufzunehmen.
Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und verteidigt den angefochtenen Beschluss. Sie trägt vor, das Betriebsratsmitglied habe bereits keinen Vergütungsanspruch, da die Arbeitgeberin deren Leistungsangebot zu Recht als unzumutbar abgelehnt habe. Frau A habe einen Betrugsversuch begangen und damit das Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien zerstört und die Kundenbeziehung erheblich gefährdet. Sie ist der Auffassung, der Arbeitgeber sei nach erstinstanzlich ersetzter Zustimmung, auch wenn die Entscheidung noch nicht rechtskräftig sei, zur Suspendierung des Betriebsratsmitglieds ohne Vergütung berechtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 3. Mai 2007 verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Dies ergibt sich zusammengefasst aus folgenden Erwägungen:
Ein Verfügungsanspruch besteht gemäß § 78 Satz 1 BetrVG, weil der Betriebsrat oder seine Mitglieder nach dieser Vorschrift von niemandem in der Ausübung ihrer Tätigkeit behindert werden dürfen. Auch individualrechtliche Maßnahmen, die sachlich nicht geboten sind, können gegen § 78 BetrVG verstoßen, z.B. Abmahnungen oder die Androhung einer Kündigung aus Anlass der Betriebsratstätigkeit oder eine sachlich nicht gebotene Versetzung (BAG Beschluss vom 11. Juli 2000 - 1 ABR 39/99 - NZA 2001, 516; Hess. LAG Beschluss vom 20. März 2006 - 9 TaBV 190/05 - n.v.; Hess. LAG Beschluss vom 3. Febr. 2005 - 9/3 TaBV 132/04 n.v.; LAG Hamm Beschluss vom 25. Nov. 2002 - 10 TaBV 121/02 - Juris; LAG München Beschluss vom 27. Febr. 1998 - 8 TaBV 98/97 - Juris). Bei einer Störung oder Behinderung der Betriebsratsarbeit durch den Arbeitgeber steht dem Betriebsrat ein Unterlassungs- oder Handlungsanspruch zu (vgl. LAG Hamm Beschluss vom 25. Nov. 2002 - 10 TaBV 121/02 - Juris). Auch die rechtswidrige Vorenthaltung der Vergütung ist als Unterlassungs- oder Handlungsansprüche des Betriebsrats auslösender Verstoß gegen § 78 Satz 1 BetrVG geeignet. Frau A wird zwar die Ausübung von Betriebsratstätigkeit weiterhin gestattet, eine Behinderung der Betriebsratstätigkeit liegt jedoch vor, wenn dem Betriebsratsmitglied nach erstinstanzlicher Zustimmungsersetzung für das Beschwerdeverfahren über Monate die Vergütung rechtswidrig vorenthalten wird. Dieses Verhalten ist geeignet, dem Betriebsratsmitglied den Boden für die Betriebsratstätigkeit zu entziehen. Ohne Vergütung ist es regelmäßig gezwungen, sich eine andere Tätigkeit zu suchen und ist damit außerstande, die Betriebsratstätigkeit im Betrieb noch weiter auszuüben, augenscheinlich eine Behinderung im Sinne des § 78 Satz 1 BetrVG.
Die Einstellung der Vergütungszahlung durch die Beteiligte zu 2) ist rechtswidrig, weil sie derzeit hierzu nicht berechtigt ist. Der Arbeitgeber kann einem Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung erst dann wirksam aussprechen, wenn der Beschluss über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung (§ 103 Abs. 2 BetrVG) rechtskräftig ist. Eine berechtigte Ablehnung der Arbeitsleistung und damit auch eine berechtigte Beendigung der Gehaltszahlung wird durch einen erstinstanzlichen Beschluss über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats für die Zeit vor Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses nicht bindend festgestellt (BAG Urteil vom 28. April 1988 - 2 AZR 770/87 - Juris; BAG Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 - EzA § 615 BGB Nr. 54; Urteil vom 11. November 1976 - 2 AZR 457/75 - BAGE 28, 233 = AP Nr. 8 zu § 103 BetrVG 1972) Der Arbeitgeber ist zwar nicht zur Zahlung von Verzugslohn verpflichtet, wenn ein Arbeitnehmer sich so verhält, dass der Arbeitgeber die Annahme der Leistung zu Recht ablehnen darf (BAG Großer Senat Urteil vom 26. April 1956 - GS 1/56 - BAGE 3, 66 = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG). Hierfür reicht jedoch nicht jedes Verhalten aus, das zur fristlosen Kündigung berechtigt. Erforderlich ist vielmehr ein besonders grober Vertragsverstoß und die Gefährdung von Rechtsgütern des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer, deren Schutz Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes habe. Bei weniger strengen Anforderungen liefen die einzuhaltenden Regelungen über die Auflösung von Arbeitsverhältnissen, insbesondere auch § 103 BetrVG, weitgehend leer, da das Arbeitsverhältnis zwar formal fortbestünde, dem Arbeitnehmer der Anspruch auf Arbeitsentgelt für die weitere Arbeitsleistung aber dann bei einer Unzumutbarkeit im Sinne des § 626 BGB versagt würde (BAG Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 - EzA § 615 BGB Nr. 54). Geht es wie hier um ein einmaliges Verhalten, muss es sich um einen besonders verwerflichen Eingriff in absolut geschützte Rechtsgüter handeln. Dies hat das BAG im Urteil vom 29. Okt. 1987 (a.a.O.) in einem Fall verneint, in dem ein Arbeitnehmer Waren des Arbeitgebers im Wert von ungefähr 80.000,-- DM fortgeschafft hatte. Es hat ausgeführt, es seien keine Umstände ersichtlich, die das Verhalten des Arbeitnehmers als Extremfall erscheinen ließen, das es dem Arbeitgeber erlaubt hätte, die Arbeitsleistung zurückzuweisen. Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen liegt ein derartiger Extremfall hier nicht vor. Die Mitarbeiterin A hat zwar einen Betrug zu Lasten eines Großkunden durch Umbuchenlassen einer Rechnung über EUR 418,50 versucht. Dies war abgesehen von der Strafbarkeit deutlich pflichtwidrig, weil das Verhalten geeignet war, die Beziehungen zu dem Großkunden der Arbeitgeberin zu gefährden. Andererseits handelte Frau A offenbar nur in geringem Umfang aus Eigennutz, denn sie schuldete vom Rechnungsbetrag nur ihren Anteil an der Umlage der Kolleginnen und Kollegen. Vor allem tat sie es nicht heimlich, sondern benachrichtigte, wie die Vernehmung der Mitarbeiterin B im Verfahren 7 BV 190/06 bestätigt hat, diese durch ein cc-Mail vom 16. Febr. 2006. Diese hätte beispielsweise die Umbuchung stoppen oder die Geschäftsleitung informieren können, unternahm jedoch bis zur Nachfrage des Kunden am 10. März 2006 nichts. Es liegt mithin kein Fall einer verdeckten Straftat mit dem Ziel persönlicher Bereicherung vor.
Die Anträge sind gleichwohl nicht begründet. Es handelt sich um eine Leistungs- oder Befriedigungsverfügung im Sinne der §§ 935, 940 ZPO. Mit Stattgabe der Anträge würde die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen. Die Verurteilung zu einer Geldleistung durch eine Leistungsverfügung setzt deshalb eine Notlage des Arbeitnehmers voraus, die dieser bzw. hier der Antragsteller auch glaubhaft zu machen hat (vgl. LAG Köln Beschluss vom 26. Juni 2002 - 8 Ta 221/02 - LAGE § 935 ZPO 2002 Nr. 1; LAG Bremen Beschluss vom 5. Dez. 1997 - 4 Sa 258/97 - LAGE § 705 BGB Nr. 3). Dementsprechend muss vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, dass das Betriebsratsmitglied ohne Vergütungszahlung im Umfang von EUR 4.000 zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als Grundlage für die weitere Ausübung von Betriebsratstätigkeit nicht in der Lage ist. Auch auf Nachfrage in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht vermochte der Betriebsrat dies indessen nicht zu konkretisieren oder glaubhaft zu machen, sondern erwähnte "Rücklagen" der Frau A. Von einem generellen finanziellen Unvermögen von Arbeitnehmern, einen längeren Zeitraum ohne Einkommen zu überbrücken, kann nicht ausgegangen werden. Dies kann im Einzelfall anders sein. § 940 ZPO lässt eine einstweilige Verfügung nur zur Abwendung wesentlicher Nachteile zu und §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO verlangt eine Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes, zumal ein erstinstanzlicher Beschluss im Hauptsacheverfahren nach § 85 Abs. 1 Satz 2 ArbGG vorläufig vollstreckbar wäre. Sicherlich muss ein Betriebsratsmitglied nicht sein Sparvermögen opfern, um bei rechtswidrigen Gehaltseinbehalt die weitere Betriebsratstätigkeit zu finanzieren, aber ohne Darlegung der konkreten finanziellen Verhältnisse ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht möglich.
Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG kosten- und gebührenfrei.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 92 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ArbGG.
Ende der Entscheidung
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