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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.09.2005
Aktenzeichen: 1 AR 1147/05 - 4 Ws 133/05
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 119 Abs. 3 |
Geschäftsnummer: 1 AR 1147/05 - 4 Ws 133/05
In der Strafsache gegen
wegen Mordes u.a.
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 26. September 2005 beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird die Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer 22 vom 5. August 2005 aufgehoben.
Es wird angeordnet, dass die Telefon- und Besuchergespräche der Angeklagten mit Ma., Ru. und Mi. keiner akustischen Überwachung unterliegen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe:
Die Angeklagte befindet sich seit dem 9. Oktober 2003 in Untersuchungshaft. Das Landgericht hat sie am 26. Januar 2005 wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung, mit Brandstiftung mit Todesfolge, mit Versicherungsmissbrauch und mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Angeklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Der Vorsitzende der Strafkammer 22 hat mit Verfügung vom 5. August 2005 ihren Antrag, die Anordnung der akustischen Überwachung ihrer Besucher- und Telefongespräche mit ihrer Schwester, Ma., ihrem Schwager, Ru., und ihrem Sohn, Mi., aufzuheben. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Angeklagten hat Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 19. September 2005 zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
"Die Beschwerde ist nach § 304 StPO zulässig. Sie sollte m.E. auch Erfolg haben.
Einem Untersuchungsgefangenen dürfen nach § 119 Abs. 3 StPO nur solche Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Haftanstalt erfordern und unvermeidlich sind (vgl. BVerfG NStZ 1994, 52). Dieser Grundsatz gilt auch für die akustische Überwachung von Besuchergesprächen oder Telefonaten des Untersuchungsgefangenen (vgl. BVerfG NStZ 1996, 613). Denn diese Form der Kontrolle stellt einen ganz erheblichen Eingriff in den durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten persönlichen Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch der Gesprächspartner dar. Der Richter muss daher stets prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachtes Gespräch eine Gefährdung des Haftzweckes oder der Anstaltsordnung mit sich brächte.
Die Prüfung der Notwendigkeit einer Gesprächsüberwachung hat sich auf alle Umstände des Einzelfalles zu erstrecken und neben der Person des Verhafteten, seinem sozialen Umfeld, der Art der ihm vorgeworfenen Straftaten, dem jeweiligen Verfahrensstand und dem Ausmaß der Fluchtgefahr auch die Person des Besuchers in Betracht zu ziehen (vgl. KG, Beschluss vom 14. Dezember 1998 - 4 Ws 277-279/98 -). Bei Gesprächen mit Familienangehörigen bedarf es, um der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Norm Rechnung zu tragen, einer besonders ernstlichen und eingehenden, auch die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine solche Beschränkung unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft oder der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefordert wird (vgl. KG, Beschluss vom 5. April 2000 - 4 Ws 75/00 -). Der Umstand, dass ein möglicher Missbrauch des akustisch nicht überwachten Gesprächs nicht völlig auszuschließen ist, reicht für seine inhaltliche Kontrolle nicht aus (vgl. BVerfG NStZ 1994, 52; std. Rspr. des KG, vgl. etwa Beschlüsse vom 28. November 2002 - 4 Ws 184/02 - und vom 12. Februar 2001 - 4 Ws 23-24/01 -).
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die in dieser Sache seit nunmehr bald zwei Jahren inhaftierte Angeklagte nicht überwachte Gespräche mit ihrem Sohn, ihrer Schwester oder ihrem Schwager zur Verfolgung von Fluchtplänen nutzen oder dazu missbrauchen würde, auf den Gang einer gegebenenfalls erforderlich werdenden neuerlichen Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, sind in der angefochtenen Verfügung nicht genannt und auch sonst nicht ersichtlich. Aus dem Umstand, dass die Angeklagte mit ihrer Verurteilung nicht einverstanden ist und die genannten, als Zeugen gehörten Personen im Falle einer erneuten Hauptverhandlung wiederum als Zeugen in Betracht kommen, ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Angeklagte akustisch nicht kontrollierte Gespräche mit den bezeichneten Verwandten dazu missbrauchen würde, um in unlauterer Weise auf den Gang des weiteren Verfahrens Einfluss zu nehmen. Zudem hat sich das Schwurgericht nach den Feststellungen in dem Urteil vom 26. Januar 2005 seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten ohnehin hauptsächlich aufgrund des Brandspurenbildes, der Bekundungen des Zeugen Schalau und der abgehörten Äußerungen der Angeklagten gebildet. Eine Gefährdung der Ordnung in der Vollzugsanstalt durch nicht überwachte Gespräche der Angeklagten mit den bezeichneten Personen ist ebenfalls nicht ersichtlich, so dass nach dem derzeitigen Erkenntnisstand eine akustische Kontrolle dieser Gespräche nicht mehr erforderlich ist."
Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen an, hebt die angefochtene Entscheidung auf und ordnet den beantragten Wegfall der akustischen Gesprächsüberwachung an.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse Berlin, da sonst niemand dafür haftet.
Ende der Entscheidung
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